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SCHWERPUNKT
Therapie bei dysplastischen Veränderungen in der Gynäkologie
Optionen bei zervikalen, vaginalen und vulvären Dysplasien
Die Behandlung dysplastischer Veränderungen in der Gynäkologie zielt primär auf die Verhinderung der Karzinomentstehung. Übertherapien sollten vermieden werden, da sie unter anderem das Risiko der Frühgeburtlichkeit erhöhen (Konisation) beziehungsweise Anatomie und Funktion des Genitales beeinträchtigen können. Neben Exzision und Lasertherapie kommen zunehmend auch Medikamente therapeutisch zum Einsatz.
GIAN-PIERO GHISU, ASTRID BAEGE, CORNELIA BETSCHART, DANIEL FINK
Zervikale Dysplasie
Konisation und Ablation Die chirurgische Therapie ist die Therapie der Wahl – der Goldstandard – in der Behandlung der höhergradigen, histologisch gesicherten intraepithelialen Neoplasie. Die Konisation ermöglicht im Gegensatz zur Ablation (Destruktion der Transformationszone durch Kryo- oder Lasertherapie) eine Histologiegewinnung. In LEEP-Konisaten finden sich bei 0,5% mikroinvasive Plattenepithelkarzinome und bei 1,3% AIS, ein beträchtlicher Teil davon jeweils als Zufallsbefund. Bei inadäquater Kolposkopie, Rezidivsituation oder diagnostischer Unsicherheit (Diskrepanz zwischen Kolposkopie und Zytologie, inadäquate Kolposkopie) sollte daher eine Exzision erfolgen. Auch bei endozervikal vermuteter oder bei glandulärer Läsion sowie bei Verdacht auf Invasion ist die Konisation obligat. Kann ein invasives Geschehen mit
Merkpunkte
I Das Management der Dysplasien zielt auf Prävention der malignen Entartung, Linderung von Beschwerden, Erhalt der Anatomie und der Funktion des Genitales.
I Die Therapie wird individuell festgelegt und vermeidet unnötige Radikalität. I Bei zervikalen Dysplasien hängen Indikation und Wahl der Therapie vom
Grad der Läsion, vom Alter, von der spontanen Regression sowie von der Zytologie ab. I Bezüglich vaginaler Dysplasien fehlen vergleichende Therapiestudien; Exzision, Lasertherapie, medikamentöse Behandlung (oder Radiotherapie) sind Optionen. I Bei vulvären Dysplasien ist jede «high-grade»-Läsion behandlungsbedürftig; eine klassische VIN mit Risiko für Invasion erfordert eher die Exzision.
genügender Sicherheit ausgeschlossen werden, gilt die Ablation – etwa zur Vermeidung von zervikalem Volumenverlust bei positivem Kinderwunsch – als mögliche Therapiealternative. Konisation und Ablation können grundsätzlich ambulant durchgeführt werden, weisen eine geringe Morbidität auf und sind etwa gleich effektiv. Unabhängig davon, ob eine Exzision oder eine Ablation durchgeführt wird, ist mit einem Rezidivrisiko von 5 bis 17% zu rechnen. Höhere Rezidivraten sind vorwiegend bei postinterventionell persistierender HPV-Positivität (speziell HPV-16) und R1-Situation, aber auch bei ausgedehnten Dysplasien und bei glandulärer Beteiligung zu erwarten. Bei einer R1-Situation persistiert die hochgradige Dysplasie in 27% der Fälle. 14% der Konisate enthalten trotz vorgängig histologisch gesicherter HSIL keine hochgradige Dysplasie: Hier wird eine «Rezidivrate» von 24% beobachtet (1). Diese hohe Rezidivrate entspricht etwa derjenigen der R1-Resektionen. In diesen Fällen empfiehlt es sich, den Pathologen zu bit-
Abkürzungen: 5-FU 5-Fluorouracil AIS Adenocarcinoma in situ ASC-H Atypical Squamous Cells of Undetermined
Significance, cannot rule out HSIL ASCUS Atypical Squamous Cells of Undetermined
Significance CIN Zervikale intraepitheliale Neoplasie LEEP Loop Electrical Excision Procedure LLETZ Large Loop Excision of the Transformation
Zone LSIL Low grade Squamous Intraepithelial Lesion HSIL High grade Squamous Intraepithelial Lesion R0 Kein Residualtumor nach Intervention R1 Residualtumor nach Intervention, non in sano TZ Transformationszone -SIL Squamous intraepithelial lesion VAIN Vaginale intraepitheliale Neoplasie VIN Vulväre intraepithealiale Neoplasie
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ten, den Konus nochmals aufzuarbeiten. Findet sich keine höhergradige Dysplasie im Konus, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die CIN nicht entfernt wurde respektive höher im Zervikalkanal liegt. Alternativ wurde die Läsion möglicherweise bereits mit der Knipsbiopsie entfernt.
Hysterektomie Die Hysterektomie gilt nicht als Erstlinientherapie der Zervixdysplasie. Sie wird aber bei abgeschlossener Familienplanung in verschiedenen nationalen und internationalen Guidelines (SGGG 2012, ASCCP 2013, DGGG 2014) bei R1-Situation nach Konisation und Wunsch nach definitiver Lösung sowie bei stark vernarbter Portio mit erschwertem Follow-up (z.B. nach wiederholten Konisationen) oder bei fehlender Compliance als valable Option empfohlen.
Konservative Therapien Nicht chirurgische Therapieoptionen sind nicht standardisiert und sollten idealerweise im Rahmen von Studien stattfinden. Sie umfassen fotodynamische Therapie, den Einsatz von Zyklooxygenase-2-Inhibitoren, Impfungen, Alterationen von Umgebungsbedingungen, den Einsatz topischer Substanzen (Cidofovir, Imiquimod [Aldara®], Vitamin A etc.) und systemisch wirkender Medikamente.
Management bei Zervixdysplasie Derzeit werden in der Schweiz pro Jahr zirka 240 Zervixkarzinome und 5000 Zervixdysplasien diagnostiziert. Verschiedene Faktoren wie das Patientinnenalter bestimmen das Vorgehen. Knapp die Hälfte der Zervixkarzinompatientinnen ist jünger als 50; hingegen ist die Erkrankung gerade bei den 21- bis 24Jährigen mit 1,4 pro 100 000 und Jahr ausgesprochen selten. Dies muss bei der Festlegung des Prozederes berücksichtigt werden. Des Weiteren hängt die Regressions-, die Persistenz- oder die Progressionswahrscheinlichkeit einer Dysplasie von deren Grad ab (2). Durch die Berücksichtigung des Patientinnenalters und des Entwicklungspotenzials der -SIL kann gerade bei jungen Frauen mit offenem Kinderwunsch das Risiko von Morbidität und Übertherapie reduziert werden. Weiter scheint die Progressionswahrscheinlichkeit einer LSIL von der Schwere der vorausgegangenen zytologischen Veränderungen abhängig zu sein: Wurde vor der LSIL ein ASCUS oder eine LSIL festgestellt, wird das Risiko für die Entwicklung einer HSIL nach 5 Jahren auf 10% geschätzt. Weist der vorausgegangene Pap-Test allerdings ein ASC-H oder eine HSIL auf, beträgt die Rate von HSIL nach 5 Jahren rund 24% (3). Eine mögliche Gestaltung des Managements lässt sich aus den oben genannten Faktoren direkt ableiten: I Low grade Squamous Intraepithelial Lesion (LSIL)
→ bei jungen Frauen und erstmaliger LSIL Obser-
vatio mit Kontrolle in 6 Monaten empfohlen → für ≥ 25-Jährige nach vorgängigem ASCUS,
LSIL, HPV 16/18 oder persistierender HPV-Infektion: Kolposkopie und Zytologie nach 6 Monaten (bei HPV-Negativität nach 12 Monaten) → für < 25-Jährige: keine HPV-Typisierung, da Prävalenz hoch → invasive Massnahme bei • Persistenz > 2 Jahre • wiederholtem Verdacht auf «high-grade»-
Läsion (z.B. ASC-H). I High grade Squamous Intraepithelial Lesion (HSIL);
(mit höherem Invasionsrisiko assoziiert in 5–40%) → bei HSIL primär chirurgische Therapie empfoh-
len → Observatio in Einzelfällen (bei Kinderwunsch
und jüngerem Alter) vertretbar → Konisation bei Schwangeren nur bei Invasions-
verdacht. Die verschiedenen Konisationstechniken weisen keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf ihre Wirksamkeit auf (Tabelle 1). Die LEEP zur histologischen Aufarbeitung führt zu qualitativ vergleichbaren Resultaten und weist bei geringerer Morbidität dieselbe Rezidivrate wie die Messerkonisation auf (4). Bei der Messerkonisation sollten Zervixnähte zur Blutstillung vermieden werden, weil dadurch die Kolposkopie und somit die adäquate Nachsorge erschwert oder verunmöglicht werden sowie gehäuft Stenosen auftreten (4).
Tabelle 1:
Ambulant möglich Komplikationen Therm. Artefakte Präp.-Qualität Verzerrung Spezielles
LEEP tief gut
wenig G def. Schlingen-
grössen G einfach, kosten-
günstig
Messer
höher gut
eher G einfach G Anästhesie
nötig
Laser tief gut
wenig G hoher, schmaler
Konus schwierig G kostenintensiv
Konservative Therapien mit als Ovula hoch vaginal appliziertem Imiquimod (Magistralrezeptur) zielen in erster Linie ebenfalls auf den Erhalt von Zervixgewebe. Gemäss Grimm und Kollegen vermag der Immunmodulator im Vergleich zu Plazebo eine deutliche Regression einer HSIL von bis zu 73% (Plazebo 39%) zu bewirken (8). Die Studie erfolgte an einem relativ kleinen und sehr ausgewählten Patientinnenkollektiv; dennoch ist die Wirksamkeit des Imiquimod nicht von der Hand zu weisen. Ist die Läsion kolposkopisch gut kontrollierbar, die Compliance gegeben und steht die Patientin einer Operation ablehnend gegenüber, gilt ein Off-label-Gebrauch von Imiquimod als denkbare Therapieoption.
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Der Stellenwert der HPV-Impfung ist dahingehend erklärt, als sie nach einer Konisation das relative Risiko eines HSIL-Rezidivs um knapp 65% zu senken vermag (9). Möglicherweise profitieren diejenigen Patientinnen am meisten, die sich nach der Konisation mit neuen Virustypen infizieren können. Es muss allerdings festgehalten werden, dass eine Impfung eine bereits bestehende HPV-Infektion nicht zu heilen vermag.
Konisation und Frühgeburtlichkeit Konisationen weisen geringe, unmittelbare Komplikationen auf; längerfristig sind sie allerdings mit den Risiken der Zervixstenose und der Frühgeburtlichkeit vergesellschaftet. Letzterer Aspekt muss umso mehr berücksichtigt werden, als die meisten Konisationen im fertilen Alter indiziert sind. Das Frühgeburtlichkeitsrisiko ist abhängig von der Konushöhe oder besser vom entnommenen Gewebevolumen und nimmt ab einer Konushöhe von 1,5 cm signifikant zu (5). Die Methode der Konisation scheint das Frühgeburtlichkeitsrisiko kaum zu beeinflussen (nach LEEP evtl. etwas kleineres Risiko als nach Messerkonisation) (6). In einer laufenden, prospektiven Studie (7) soll geklärt werden, ob die isolierte Resektion eines gut abgrenzbaren dysplastischen Areals die gleiche onkologische Sicherheit wie die aktuell übliche komplette Resektion der TZ bietet. Durch den weitgehenden Erhalt von Zervixgewebe sollte das postinterventionelle Frühgeburtlichkeitsrisiko geringer ausfallen.
Adenocarcinoma-in-situ (AIS) Im Gegensatz zur plattenepithelialen Dysplasie bietet sich beim AIS keine konservative Therapiemöglichkeit an. Das AIS wächst oft diskontinuierlich, befindet sich intrazervikal und tritt multifokal auf. Deswegen wird das Risiko eines persistierenden AIS auch bei einer «R0-Situation» auf etwa 10% geschätzt, und das Karzinomrisiko bleibt – auch wenn es tief ist – bestehen. Bei abgeschlossener Familienplanung muss daher die Hysterektomie empfohlen werden. Wird diese abgelehnt, muss bei einer knappen R0- oder gar bei einer R1-Situation respektive positiver Kürettage des Zervixkanals mindestens eine Rekonisation in Erwägung gezogen werden.
Vaginale Dysplasien
Vaginale Dysplasien können mittels Exzision, (Laser-) Ablation, Radiatio und topisch behandelt werden. Die genannten Therapieoptionen wurden bisher nicht in randomisierten Studien verglichen; Exzision und Laserablation weisen vergleichbare Erfolgsraten (69–87,5%) auf. Die Therapie soll eine Progression verhindern und wird durch Faktoren wie vorgängige erfolglose Intervention, Multifokalität, Allgemeinzustand und Komorbidität sowie den Wunsch der Patientin nach Erhalt der Kohabitationsfähigkeit bestimmt.
Exzision Wie schon bei den Zervixdysplasien erwähnt, weist die Exzision den wesentlichen Vorteil der Histologiegewinnung auf. Dieser Aspekt ist bedeutsam, da bis 28% der Exzisate invasive Komponenten aufweisen. Neben der lokalen Exzison können partielle und selten totale Kolpektomien indiziert sein: Dysplastische Veränderungen in den Recessi der Kolpotomie nach einer Hysterektomie können oft nur durch eine kraniale Kolpektomie adäquat behandelt werden. Wesentliche Komplikationen sind Vaginalverkürzung und -stenose sowie Wundheilungsstörungen (vor allem nach Bestrahlung). Die Rezidivrate wird auf etwa 18% geschätzt.
Lasertherapie Die gute Verträglichkeit, die meist komplikationslose Heilung und das kleinste Risiko therapieassoziierter sexueller Dysfunktionen gelten als wesentliche Vorteile des CO2-Lasers. Kann nicht das gesamte suspekte Epithel dargestellt werden oder besteht ein Invasionsverdacht, darf die Methode nicht angewendet werden. Es empfiehlt sich, anlässlich der Laserevaporation grosszügig Mapping-Biopsien vorzunehmen.
Medikamentöse Therapie Die topische Therapie ermöglicht die Behandlung der gesamten Vaginalhaut, was gerade bei multifokalen Läsionen vorteilhaft ist. Die ideale medikamentöse Behandlung ist nicht in Richtlinien festgelegt und erfolgt im Off-label-Gebrauch. Gilt ein invasives Geschehen als ausgeschlossen, kann die Therapie bei frühen Läsionen, Ablehnung einer Operation oder «neoadjuvant» zur Verkleinerung ausgedehnter Befunde zur entsprechenden Reduktion des OP-Risikos zur Anwendung kommen. Verschiedene Substanzen können dabei eingesetzt werden. Zahlreiche Fallserien finden sich zu Imiquimod, welches beispielsweise 3 x wöchentlich während 8 Wochen appliziert wird. Lokales Brennen und Schmerzen sind die häufigsten Nebenwirkungen. Zu 5-FU gibt es zahlreiche Anwendungsprotokolle (2 x täglich während 14 Tagen bis 1 x pro Woche während 10 Wochen). Wegen der häufigen Nebenwirkungen wie Irritation, Brennen und Ulzerationen wird 5-FU eher selten eingesetzt.
Radiotherapie Die Radiotherapie ist zwar sehr wirksam, wird aber wegen der zahlreichen Nebenwirkungen (Atrophie, Stenose, Verkürzung der Vagina, aber auch Erschwerung der kolposkopischen Nachsorge und Einbezug von Darm und Blase ins Strahlenfeld) kaum eingesetzt.
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SCHWERPUNKT
Tabelle 2:
Vulväre Dysplasie: klassische vs. differenzierte VIN
HSIL (VIN 2, 3), VIN usual type, klassische VIN G häufigste Form, oft high risk-HPV pos.
HPV pos.
G oft multizentrisch (Beteiligung von Zervix und Vagina)
G jüngere Frau, Raucherin
G veraltete Begriffe: «M. Bowen, bowenoide Papulose,
bowenoide Dysplasie»
G Vorstufe des verrukösen o. basaloiden inv. Vulvakarzinoms
Differenzierte VIN G Postmenopause, Nichtraucherin
HPV neg.
G oft assoziiert mit Lichen sclerosus, nicht mit HPV
G keine Zervixbeteiligung
G Vorstufe des gut differenzierten Plattenepithelkarzinoms
der Vulva
Mischtypen?
G klassische VIN bei Patientinnen mit Lichen sclerosus G klassische VIN und differenzierte VIN in derselben Läsion
Tabelle 3:
Behandlung in Abhängigkeit des VIN-Typs und der Risikofaktoren für Invasion
Klassische VIN
Invasion möglich: ● Erhabenheit ● Ulzeration ● unscharfe Ränder
Klin. RF für Invasion: ● St. n. VIN od. Vulva-Ca ● Immunsuppression ● Nikotin ● Alter ≥ 45 Jahre ● Lichen sclerosus
Therapiewahl abhängig von: nein ● Lokalisation
● Ausdehnung ● Wunsch nach max. Sicherheit ● Wunsch der Patientin
ja Exzision
Laser
Imiquimod
Differenzierte VIN
Invasionsrisikos (okkulte Karzinome bei 10–22% [10–12]) die Exzision vorgeschlagen werden. In den anderen Fällen hängt die Therapie einer höhergradigen VIN von der Lokalisation, der Ausdehnung und dem Wunsch der Patientin ab und kann neben der Exzision auch die Lasertherapie oder die medikamentöse Behandlung mit Imiquimod umfassen. Ein möglicher Behandlungsalgorithmus ist in Tabelle 3 skizziert. Häufig muss situationsbezogen entschieden werden: Bei der jüngeren Patientin mit multifokaler, höhergradiger VIN, Involvierung von Klitoris, Urethra, Anus oder Introitus muss aus verständlichen Gründen eher von einer Exzision abgesehen werden und zum Erhalt der Anatomie und der Funktion des Genitales mit der Betroffenen in einem eingehenden Gespräch die geeignete Therapiestrategie erarbeitet werden.
Vulväre Dysplasie
Die klassische und die differenzierte VIN unterscheiden sich grundsätzlich in Bezug auf Ätiologie, Pathogenese und Entartungsrisiko (Tabelle 2). So können bei der klassischen (HPV-abhängigen) VIN verschiedene Therapiestrategien diskutiert und/oder kombiniert werden, während bei der nicht HPV-abhängigen, differenzierten VIN aufgrund des erhöhten Potenzials der malignen Entartung in erster Linie die Exzision zu empfehlen ist. Auch bei der vulvären Dysplasie besteht das Therapieziel in der Verhinderung der Karzinomentstehung, in der Symptomlinderung und im Erhalt von Anatomie und Funktion. Für die konservative Therapie der vulvären Dysplasie findet sich zunehmend Literatur, allerdings gibt es keine dafür zugelassenen Medikamente. Die Behandlungen erfolgen im Off-label-Gebrauch. Ist eine klassische VIN erhaben, ulzerierend oder unscharf begrenzt beziehungsweise bestehen Risikofaktoren wie Status nach VIN oder Vulvakarzinom, Immunsuppression, Nikotinabusus, Lichen sclerosus oder Alter über 45, sollte aufgrund des erhöhten
Exzision Eine vulväre Dysplasie sollte mit einem Sicherheitsabstand von 5 bis 10 mm exzidiert werden (fixierungsbedingte Schrumpfungsartefakte um bis 15%). Oft müssen zum Erhalt der Anatomie und/oder der Funktion Kompromisse eingegangen werden. Es ist zu bedenken, dass eine R1-Resektion als bedeutendster Risikofaktor für ein Rezidiv gilt. Die einfache oder die Skinning-Vulvektomie sind selten indiziert, können aber etwa bei ungenügender Kontrolle nach topischer oder Lasertherapie als Behandlungsmöglichkeit evaluiert werden. Der Verschluss der Wunde erfolgt durch Approximation der Ränder oder durch eine Hauttransplantation.
Lasertherapie Gerade bei ausgedehnten oder multifokalen Befunden bietet sich die Lasertherapie (am häufigsten CO2-Laser) nach vorsichtigem Ausschluss einer invasiven Komponente besonders an. Die Behandlungstiefe kann mittels Kolposkop gut abgeschätzt werden: Sie sollte im unbehaarten Bereich 1 mm, im behaarten 3 mm (dysplastische Zellen in den Haarfollikeln in 2,5 mm Tiefe) erreichen. Letzteres führt ge-
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wöhnlich zu Narbenbildung, worüber die Patientin informiert werden muss.
Medikamentöse Therapie In einer Cochrane-Analyse (13) konnte der Stellenwert der medikamentösen Therapie der klassischen VIN gut demonstriert werden. Imiquimod führt in 58% der Fälle zu einer kompletten Remission, welche nach einem Jahr in 38% der Fälle anhält. Kleinere Läsionen dürften besser ansprechen. Auch Cidofovir zeigt im direkten Vergleich mit Imiquimod ähnlich gute Zahlen in Bezug auf die komplette Remission (46 vs. 45%). Die Daten zur Nachhaltigkeit des Effektes nach 12 Monaten stehen noch aus. Allerdings weist Cidofovir mehr Nebenwirkungen (Kopfschmerzen, Müdigkeit) auf als Imiquimod, weshalb es darunter eher zum Therapieabbruch kommt. Bei Immunsupprimierten ist die Evidenz bezüglich Effektivität einer topischen Therapie eingeschränkt, trotzdem kann eine topische Therapie in Betracht gezogen werden. Dasselbe gilt für andere topische Therapien wie Imiquimod und Cidofovir.
Vulväre Dysplasien: Es werden eine «klassische»
und eine «differenzierte» VIN unterschieden.
Jede «high-grade»-Läsion ist behandlungsbedürftig.
Die klassische VIN mit Risiko für Invasion oder mit Ri-
siko für Invasion suggestive Läsion respektive die dif-
ferenzierte VIN sollten eher exzidiert werden. Die
übrigen Formen der klassischen VIN können exzi-
diert, lasertherapiert oder medikamentös angegan-
gen werden.
I
Dr. med. Gian-Piero Ghisu (Erstautor; Korrespondenzadresse) E-Mail: gian-piero.ghisu@usz.ch
Dr. med. Astrid Baege Dr. med. Cornelia Betschart Prof. Dr. med. Daniel Fink Klinik für Gynäkologie Universitätsspital Zürich 8091 Zürich Interessenkonflikte: keine.
Zusammenfassung
Das korrekte Management der Dysplasien zielt auf die Prävention der malignen Entartung, die Linderung von Beschwerden, den Erhalt der Anatomie und der Funktion des Genitales. Die Therapie wird individuell festgelegt und vermeidet unnötige Radikalität.
Zervikale Dysplasien: Die Indikation und die Wahl der Therapie hängen ab vom Grad der Läsion, vom Alter der Patientin, von der Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit der spontanen Regression sowie von der Zytologie des vorausgegangenen Pap-Abstriches: I LSIL → i. R. Observatio, HSIL → i. R. Therapie I Konisation = Goldstandard der hochgradigen
Dysplasie. Die verschiedenen chirurgischen Verfahren zeigen eine vergleichbare Evidenz in der Cochrane-Analyse von 2013 I Das Frühgeburtlichkeitsrisiko ist abhängig von der Konushöhe (> 15 mm) beziehungsweise vom Konusvolumen I Imiquimod ist als konservative Therapiemöglichkeit in Einzelfällen evaluierbar
Vaginale Dysplasien: Es sind keine vergleichende Therapiestudien vorhanden: Als Behandlung kommen grundsätzlich Exzision, Lasertherapie und medikamentöse Therapie (oder Radiotherapie) in Betracht.
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