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Wirksamkeit von Gepanten und CGRP-Antikörpern
Ein systematischer Review mit Metaanalyse untersuchte die Wirksamkeit der modernen Migräne-Prophylaktika, namentlich Atogepant, Rimegepant, Erenumab, Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab. Zur Analyse dienten 19 randomisierte, kontrollierte PhaseIII-Studien der jeweiligen Substanzen zur episodischen Migräne (n = 11), zur chronischen Migräne (n = 4) und zu beiden Migräneformen (n = 4). Gesamthaft waren 14 584 Patienten eingeschlossen. Alle Interventionen, ausser Eptine-
zumab 30 mg, reduzierten die monatlichen Migränetage im Vergleich zu Plazebo signifikant. Alle Substanzen wiesen eine um ≥ 50% höhere Ansprechrate als Plazebo auf mit signifikanten Unterschieden bei den subkutan oder intravenös verabreichten Präparaten. Die durchschnittlichen monatlichen Kopfschmerztage waren unter den Medikationen ebenfalls signifikant seltener als unter Plazebo. Allerdings fehlten dazu die Daten von Rimegepant sowie von Eptinezumab.
Das Ergebnis der Metaanalyse zeigt, dass Thera-
pien, die auf das Calcitonin-Gene-Related-Pep-
tid (CGRP) abzielen, im Vergleich zu Plazebo der
chronischen Migräne effizienter vorbeugen
können, die monatlichen Migräne- und Kopf-
schmerztage stärker reduzieren und eine hö-
here Ansprechrate erzielen.
vh l
Quelle: Haghdoost F et al.: Evaluating the efficacy of CGRP mAbs and gepants for the preventive treatment of migraine: A systematic review and network meta-analysis of phase 3 randomised controlled trials. Cephalalgia. 2023;43(4):3331024231159366.
Möglicher Biomarker für MS-ähnliche Autoimmunerkrankung
Seit einigen Jahren weiss man, dass sich hinter Multipler Sklerose (MS) eine ganze Reihe unterschiedlicher Erkrankungen verbergen, die auch angepasste Therapien erfordern. Forscher der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel beschreiben nun eine weitere MSähnliche Erkrankung und erklären, wie sie sich diagnostizieren lässt. Typisch für MS sind die Entzündungsherde im zentralen Nervensystem mit zerstörter Myelinschicht. MS kann jedoch weiter verschiedene neurologische Symptome wie Missempfindungen und Lähmungen in den Gliedmassen verursachen, die kontinuierlich oder schubweise schlimmer werden. Welche Teile des Nervensystems betroffen sind, kann zwischen Betroffenen stark variieren. Bei manchen wirkt eine bestimmte Therapie, bei anderen verschlechtert sie den Zustand sogar. Seit etwa zehn Jahren entdecken Forschende nach und nach die entscheidenden Besonderheiten hinter «untypischen»
MS-Fällen. Einige dieser Autoimmunerkrankungen, die ebenfalls die Myelinschicht zerstören, erhielten andere Bezeichnungen, um sie besser von MS abzugrenzen. Nun hat das Team um Prof. Dr. Anne-Katrin Pröbstel in einer Studie mit rund 1300 Patientinnen und Patienten einen Biomarker entdeckt, durch den sich möglicherweise eine weitere MS-verwandte Erkrankung von den anderen differenzieren lässt. Bei einer Gruppe von Patienten stellten sie ein bestimmtes Immunglobulin A (IgA) fest, das sich gegen einen Baustein der Myelinschicht mit der Bezeichnung «MOG» (Myelin Oligodendrozyten Glykoprotein) richtet. IgAAntikörper sind typischerweise für den Schutz der Schleimhäute zuständig. Die genaue Rolle der MOG-IgA im Zug der Autoimmunerkrankung ist allerdings noch unklar. «Bei den Betroffenen fokussieren sich die Entzündungsherde vor allem auf das Rückenmark und den Hirnstamm», erklärt Pröbstel. Andere typische Bio-
marker in Zusammenhang mit MS oder
verwandten Erkrankungen fehlten jedoch bei
dieser Gruppe von Patientinnen und Patienten.
In einem nächsten Schritt möchten die For-
schenden die Rolle des MOG-IgA und die dar-
aus resultierenden klinischen Merkmale
genauer entschlüsseln. «Indem wir die myelin-
zerstörenden Autoimmunerkrankungen, die
früher alle unter MS liefen, genauer ausdiffe-
renzieren, machen wir einen wichtigen Schritt
hin zum besseren Verständnis der Krankheits-
ursachen und somit hin zu individualisierten
Therapien», sagt die Neurologin. Dadurch hof-
fen die Forscher letztlich herauszufinden, wel-
che Therapie unter welchen Voraussetzungen
am besten hilft.
vh l
Quelle: Medienmitteilung Universität Basel Referenz: Gomes A et al.: Immunoglobulin A antibodies against myelin oligodendrocyte glycoprotein in a subgroup of patients with central nervous system demyelination. JAMA Neurol. 2023;80(9):989-995.
Kognitionsverbesserung im Schlaf durch angenehmen Geruch
Angenehme Gerüche, die während des Schlafs eingeatmet werden, scheinen zu einer «dramatischen» Gedächtnisverbesserung bei älteren Menschen zu führen. Dies zeigte eine kleine randomisiert kontrollierte Studie mit 43 Personen zwischen 60 und 85 Jahren. Die Teilnehmer inhalierten während eines halben Jahres jeweils 2 Stunden pro Nacht ein ätherisches Öl aus einem Duftdiffusor. Die 7 zur Verfügung stehenden Aromen wurden wöchentlich ausgewechselt. Zur Verwendung kamen jeweils
Rose, Orange, Eukalyptus, Zitrone, Pfefferminze, Rosmarin und Lavendel. Die Kontrollgruppe hatte denselben Duftdiffusor, allerdings in einer nicht detektierbaren de-minimis-Konzentration des Duftstoffs. Ein funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRI) dokumentierte die Ausgangslage bei Studienbeginn und die Situation bei Studienende. Das Resultat nach einem halben Jahr war verblüffend: Die Verumgruppe erzielte im Vergleich zur Kontrollgruppe eine signifikante Verbesse-
rung um 226% im Rey Auditory Verbal Lear-
ning Test. Zusätzlich zeigte sich in der fMRI bei
der Verumgruppe eine Funktionsverbesserung
des Fasciculus uncinatus, einer Hirnregion, die
mit Gedächtnis und Kognition im Zusammen-
hang steht und die sich mit zunehmendem
Alter verschlechtert.
vh l
Quelle: Woo CC et al.: Overnight olfactory enrichment using an odorant diffuser improves memory and modifies the uncinate fasciculus in older adults. Front Neurosci. 2023;17:1200448.
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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Cave Botoxspritzen in die Magenwand zur Appetithemmung
Nach einer Behandlung mit «Magen-Botox» sind mehrere Menschen schwer an Botulismus erkrankt und mussten neurointensivmedizinisch behandelt werden. Es wurde von «Health-Touristen» berichtet, die ihren Aufenthalt in der Türkei dazu nutzten, sich in Privatkliniken Botox zur Gewichtsabnahme in die Magenwand spritzen zu lassen. Denn die durch das Nervengift verringerte Peristaltik führt dazu, dass die Nahrung länger in Magen verbleibt und das Sättigungsgefühl länger anhält. Typisch für Botulismus sind Lähmungserscheinungen, die auf die Atemmuskulatur übergreifen und so zum Tod führen können. Botulismus ist eine sehr selten auftretende Krankheit und daher nicht immer das Erste, woran Mediziner bei diesen Symptomen denken. Auch sei die Abgrenzung von anderen neurologischen Krankheiten wie der Myasthe-
nia gravis oder dem Guillain-Barré-Syndrom nicht immer einfach. Um die Diagnostik abzukürzen, ist es daher wichtig, dass Patienten beim Arzt angeben, wenn sie sich zuvor einer Botox-Behandlung unterzogen haben. Das kann die Diagnostik verkürzen. Zu Beginn zeigt sich Botulismus mit unspezifischen Symptomen. Typischerweise treten zunächst Magen-Darm-Beschwerden auf, also Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, dann Schluckstörungen und Lähmungserscheinungen. Betroffene sollten sich möglichst schnell neurologisch vorstellen. Binnen 48 Stunden nach der BotoxBehandlung kann ein Anti-Toxin verabreicht werden, das Zeitfenster wird aber häufig verpasst. Laut Einschätzung des Experten ist auch nicht ganz klar, ob bzw. wie gut es bei dieser iatrogen verursachten Botulismus-Form wirkt. Die Betroffenen werden immer auch sympto-
matisch behandelt, die S1-Leitlinie zur Diagnos-
tik und Behandlung des Botulismus der
Deutschen Gesellschaft für Neurologie (1) stellt
die Therapiemöglichkeiten dar. Neu ist der Ein-
satz von Pyridostigmin, das sonst bei der Myast-
henia gravis zur Anwendung kommt. Die gute
Nachricht: Auch Betroffene, die neurointensiv-
medizinisch betreut werden müssen, haben
Aussicht auf vollständige Genesung. Oft dauert
der Genesungsprozess aber mehrere Wochen
und Monate. Denn das Gift baut sich nur lang-
sam ab und die geschädigten Synapsen, die die
Lähmungssymptome verursachen, müssen erst
wieder gebildet werden.
vh l
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) Referenzen: S1-Leitline Botulismus: https://dgn.org/leitlinie/140. Letzter Zugriff 21.9.23
Mehr Hirnschläge bei IBD-Patienten
Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (inflammatory bowel disease, IBD) haben gemäss einer schwedischen Registerstudie ein um 13% höheres Risiko für Hirnschläge im Verlauf von 25 Jahren nach ihrer IBD-Diagnose. Zu IBD gehören unter anderem
Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Das Resultat entstand aus der Analyse von Patientendaten von 85 006 Personen mit bioptisch bestätigter IBD und 406 987 gematchten Personen ohne IBD. Das erhöhte Risiko kam vornehmlich durch mehr ischämische als zu
hämorrhagische Hirnschlägen zustande. vh l
Quelle: Sun J et al.: Long-term risk of stroke in patients with inflammatory bowel disease: a population-based, siblingcontrolled cohort study, 1969-2019. Neurology. 2023;101(6):e653-e664.
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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Wie wirksam sind Antidepressiva bei somatischen Erkrankungen und gleichzeitiger Depression?
Patienten mit Erkrankungen wie Krebs oder Diabetes, nach einem Herzinfarkt oder Hirnschlag leiden nicht selten zusätzlich an einer Depression. Wie gut wirken bei ihnen Antidepressiva? Sind sie ebenso sicher wie bei Menschen ohne körperliche Erkrankung? Diesen Fragen sind Forscher der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Universität Aarhus in Dänemark jetzt in einer systematischen Übersichtsarbeit nachgegangen. In dieser sogenannten Umbrella-Analyse haben 52 Metaanalysen Eingang gefunden, die Daten von ran-
domisierten, kontrollierten Studien zusammengefasst haben. Sie wurden für 27 unterschiedliche körperliche Erkrankungen ausgewertet. Darunter waren vor allem Krebs-, Herzund Stoffwechselerkrankungen sowie rheumatologische und neurologische Krankheiten. Dabei zeigte sich, dass Antidepressiva bei depressiven Patienten mit körperlicher Erkrankung tatsächlich ähnlich wirksam und sicher sind wie bei Betroffenen ohne eine solche Erkrankung. Zwar verursachten die Antidepressiva etwas häufiger Nebenwirkungen als
Plazebo, doch sehen die Forscher keine gene-
rellen Sicherheitsbedenken für einen Einsatz
bei körperlich Erkrankten. Vor dem Hinter-
grund, dass eine Depression die Lebensquali-
tät der Betroffenen stark beeinträchtigt und
die Prognose der körperlichen Erkrankung wei-
ter verschlechtert, können diese Ergebnisse
relevant sein.
vh l
Quelle: Köhler-Forsberg O et al.: Efficacy and safety of antidepressants in patients with comorbid depression and medical diseases: an umbrella systematic review and metaanalysis. JAMA Psychiatry. 2023;e232983.
Welche Therapien bei Parkinson helfen
Auch nach all den Jahren ist die Pathophysiologie des Morbus Parkinson nur teilweise geklärt. Spezifische klinische Studien betreffend Pharmakotherapie gibt es nur wenige. In einem Review fassten die Autoren den Stellenwert der derzeit verfügbaren Therapien zusammen und bewerteten deren Nutzen. Demgemäss bleibt Levodopa die wirksamste Therapie für die meisten Parkinsonpatienten. Für die Dopaminagonisten Pramipexol, Pergolid und Ropinirol gibt es Evidenz zur Reduktion des Parkinsontremors aus kontrollierten Studien, allerdings nicht im Vergleich zu Levodopa. Von einem Einsatz von Anticholinergika wird weiter wegen schlechterer Antitremorwirkung im Vergleich zu Levo-
dopa und wegen der Nebenwirkungen vor allem auf die Kognition bei älteren Patienten abgeraten. Der Betablocker Propranolol kann den Ruhe- und Intentionstremor mildern und bei Patienten, die ungenügend auf Levodopa ansprechen, als möglicher Zusatz hilfreich sein. Das gilt auch für Clozapin, trotz seines unvorteilhaften Nebenwirkungsprofils. Die Therapie der Fluktuationen mit MAO-BHemmern und COMT-Inhibitoren, Dopaminagonisten, Amantadin oder On-Demand-Therapien mit subkutanem oder sublingualem Apomorphin oder inhaliertem Levodopa können die Off-Zeiten verringern. Das trifft auch für kontinuierliche Infusionen von Levodopa oder
Apomorphin zu.
Bei Patienten, deren Tremor trotz einer Behand-
lung mit Levodopa nicht mehr auf Pharmako-
therapie anspricht, sollen als Nächstes die tiefe
Hirnstimulation und die fokussierte Ultraschall-
Thalatomie erwogen werden. Bei ausgewähl-
ten Patienten ohne motorische Fluktuationen
kann auch eine chirurgische Intervention hilf-
reich sein.
vh l
Quelle: Pirker W et al.: Pharmacological treatment of tremor in Parkinson’s disease revisited. J Parkinsons Dis. 2023;13(2):127-144.
Hirnsignale für ein gutes Gedächtnis entdeckt
Bestimmte Hirnregionen spielen für Gedächtnisprozesse eine entscheidende Rolle. Allerdings war bisher unklar, ob diese Regionen bei Menschen mit einem guten Gedächtnis andere Aktivitäten beim Abspeichern von Informationen aufweisen als bei jenen mit einem schwächeren Gedächtnis. Ein Forschungsteam der Universität Basel unter der Leitung von Prof. Dominique de Quervain und Prof. Andreas Papassotiropoulos ist dieser Frage nachgegangen. In der weltweit grössten funktionellen Bildgebungsstudie zum Gedächtnis liessen sie knapp 1500 Studienteilnehmer zwischen 18 und 35 Jahren insgesamt 72 Bilder anschauen und sich merken. Währenddessen zeichneten die Forschenden die Hirnaktivität der Probandinnen und Probanden mittels MRI auf. Anschliessend sollten die Teilnehmenden so viele Bilder wie möglich aus dem Gedächtnis abru-
fen. Wie in der Allgemeinbevölkerung gab es grosse Unterschiede in der Gedächtnisleistung. Unter anderem im Hippocampus zeigte sich ein direkter Zusammenhang zwischen der Hirnaktivität während des Abspeicherungsprozesses und der späteren Gedächtnisleistung. Personen mit besserem Gedächtnis zeigten dabei eine stärkere Aktivierung dieser Hirnareale. Bei anderen gedächtnisrelevanten Hirnbereichen in der hinteren Hirnrinde war indes kein solcher Zusammenhang festzustellen. Zudem konnten funktionelle Netzwerke über verschiedene Hirnregionen identifiziert werden, die mit der Gedächtnisleistung verknüpft waren. Die Hirnsignale einer einzelnen Person würden jedoch keine Rückschlüsse auf deren Gedächtnisleistung zulassen. Die Ergebnisse sind in «Nature Communications» publiziert. Gemäss den Autoren böten die Ergebnisse die Grund-
lage für zukünftige Forschungsarbeiten, die darauf abzielten, biologische Merkmale wie genetische Marker mit Hirnsignalen in Verbindung zu bringen. Die aktuelle Studie ist Teil eines gross angelegten Forschungsprojekts des Forschungsclusters Molecular and Cognitive Neurosciences des Departements Biomedizin der Universität Basel und der Universitären Psychiatrischen Kliniken. Ziel dieses Projekts ist es, ein tieferes Verständnis von Gedächtnisprozessen zu gewinnen und die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in klinische Anwendungen zu überführen. vh l
Quelle: Medienmitteilung Universität Basel Referenz: Geissmann L et al.: Neurofunctional underpinnings of individual differences in visual episodic memory performance. Nat Commun. 2023;14(1):5694.
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Hirnscans von MS-Patienten helfen COVID-19-Folgen zu verstehen
Watte im Kopf, Gedächtnisprobleme, Verlust des Geruchsinns – die Auswirkungen einer COVID-19-Erkrankung auf das Gehirn sind vielfältig, die Mechanismen dahinter weitgehend rätselhaft. Denn: krankheitsbedingte Änderungen im Gehirn sind kaum nachzuweisen, wenn von den betroffenen Personen keine Vergleichsdaten aus der Zeit vor der SARS-CoV-2Infektion vorliegen. Patienten mit Multipler Sklerose (MS) müssen das Gehirn jedoch in der Regel jährlich einem MRT-Scan unterziehen. Die dabei entstandenen Bilder bieten gemäss vom SNF unterstützte Forscher der Universität Bern und des Inselspitals Bern damit die Chance, die Auswirkungen einer Coronainfektion wie etwa Long-COVID sichtbar zu machen. Um zu evaluieren, ob eine solche Analyse
machbar ist, führten die Forschenden eine kleine Studie durch: Sie werteten insgesamt 113 MRT-Bilder von 14 MS-Patienten des Berner Inselspitals aus, die eine SARS-CoV-2-Infektion erlitten hatten und deren MS-Erkrankung im untersuchten Zeitraum stabil geblieben war. Für die Analyse wurde das Volumen verschiedener Hirnareale über mehrere Jahre bis kurz vor und dann einige Monate nach der COVID-19-Erkrankung bestimmt. Die Auswertung zeigte, dass das Volumen der grauen Hirnmasse insgesamt konstant blieb. Aber der Gyrus parahippocampalis, bei Geruchssinn und Erinnerungsvermögen beteiligt, war nach der COVID-19-Erkrankung statistisch kleiner. Diese regionale Änderung fiel aufgrund der geringen Grösse bei der Bestimmung des
Gesamtvolumens nicht ins Gewicht. Das Resul-
tat deckt sich mit dem Ergebnis einer der oben
erwähnten Studien aus Grossbritannien.
Die Vorstudie habe laut dem Berner Team zu-
nächst einmal belegt, dass dieser Ansatz im
Prinzip funktioniere. Sie rufen nun MS-For-
schungsgruppen auf der ganzen Welt dazu auf,
die Scans ihrer Patientinnen und Patienten mit
dieser Methode zu analysieren. Das hierfür ent-
wickelte Softwarepaket stellen sie frei zur Ver-
fügung. Interessant wäre unter anderem die
Frage, ob die gemessenen Veränderungen re-
versibel sind oder bleiben.
vh l
Quelle: Schweizerischer Nationalfonds (SNF) Referenz: Rebsamen M et al.: Multiple sclerosis as a model to investigate SARS-CoV-2 effect on brain atrophy. CNS Neurosci Ther. 2023;29(2):538-543.
SAMW-Leitfaden zur Betreuung und Therapie von älteren Süchtigen
Die Behandlung und die Versorgung alternder Menschen mit einer Abhängigkeit werden aufgrund der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren stark an Bedeutung gewinnen. Im Herbst 2021 hatte der Fachverband Sucht eine Erhebung bei Heim- und Hausärztinnen und -ärzten durchgeführt, um das Bedürfnis nach einem unterstützenden Instrument zu erfassen. Darauf basierend hat der Fachverband Sucht in Zusammenarbeit mit Fachpersonen aus der Sucht- und Hausarztmedizin, der Alterspsychiatrie und mit Pfle-
gefachpersonen aus der stationären und ambulanten Versorgung ein berufsethischer Leitfaden «Sucht im Alter» entwickelt. Die SAMW beteiligte sich mit der Expertise aus ihrer Zentralen Ethikkommission an der Erarbeitung, stellte die französische Übersetzung des Leitfadens sicher und unterstützt die Bekanntmachung. Der Leitfaden konzentriert sich auf persönliche Haltungsfragen, enthält Praxisbeispiele und bietet konkrete Empfehlungen für den Berufsalltag. Grundsatzfragen geben Denkanstösse
zur Selbstreflexion und grundlegende Infor-
mationen zu Abhängigkeiten und Konsum im
Alter runden den Leitfaden ab.
vh l
Quelle: SAMW/Medienmitteilung
Leitfaden Sucht im Alter rosenfluh.ch/qr/suchtimalter
Neue App für psychisch belastete Menschen bietet Hilfe zur Selbsthilfe
Die upway App ist eine webbasierte, mehrsprachige Community-Plattform, die psychisch belasteten Menschen und ihrem Umfeld einen direkten Zugang zu Menschen in ähnlicher Situation in der ganzen Schweiz vermittelt. Die User können sich in offenen, geschlossenen oder privaten Gruppen vernetzen und anonym über alles reden, was sie belastet. In regionalen Gesprächsgruppen ist es darüber hinaus möglich, Kontakte zu knüpfen, um praktische Hilfe im Alltag anzubieten. Ganz nach dem Motto: Hilf dir – hilf anderen. Fachstellen können das Angebot unterstützen. Zusätzlich zur Community-Funktion enthält die
upway App hilfreiche Informationen zu Themen der psychischen Gesundheit und zu Behandlungsmöglichkeiten sowie ein Verzeichnis regionaler Fach- und Anlaufstellen. Fachpersonen und Institutionen registrieren sich in der App, beschreiben ihre Dienstleistungen im Detail und veröffentlichen ihre Kontaktdaten. So sind sie für Hilfesuchende, die einen einfachen Zugang zu fachlicher Betreuung durch Therapeuten, Ärzte oder Fachstellen benötigen, besser sichtbar. Durch Einbezug der upway App in ihre Beratungstätigkeit können Fachpersonen ihren Klienten einen zusätzlichen Service bieten, wenn die eigenen Ressourcen vielleicht
nicht ausreichen. Damit schliesst die upway
App als niederschwelliges Unterstützungsan-
gebot eine Lücke im Gesundheitswesen.
Hinter der upway App steht der nicht gewinn-
orientierte Verein upway. Das Angebot finan-
ziert sich in der Startphase durch Beiträge von
Stiftungen und Firmen sowie demnächst durch
Usergebühren und steht in der ganzen Schweiz
auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Eng-
lisch zur Verfügung.
vh l
Quelle: Medienmitteilung Verein upway, https://upwayapp.com
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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Erste klinische Anwendung von Psilocybin bei Depression
Die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich bietet als erste Universitätsklinik weltweit Psilocybin-assistierte Therapien für Erwachsene mit einer schwer zu behandelnden Depression an. Nachdem in diversen Studien nachgewiesen werden konnte, dass der psychedelische Inhaltsstoff der Pilze die depressive Stimmung von Patienten positiv beeinflussen kann, wird Psilocybin seit diesem Sommer klinisch angewendet. Obwohl es heute viele gute Therapiemethoden für depressive Menschen gibt, gelten rund 30 bis 40 Prozent der Betroffenen als therapieresistent. Sie haben auf mindestens zwei ver-
schiedene Antidepressiva und eine zusätzliche pharmakologische Kombination nicht angesprochen. Vor diesem Hintergrund hat die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich in den letzten Jahren intensiv an neuen, innovativen Ansätzen wie z. B. zu Psilocybin geforscht. Eine der neuesten Studien zu Psilocybin wurde in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich durchgeführt. Von den Teilnehmern zeigten mehr als die Hälfte nach der Behandlung keine Depression mehr, weshalb sich die Klinik dazu entschieden hat, die Therapie bei sorgfältig ausgewählten Patienten anzubieten. Dabei wird eine kontrollierte einmalige
Dosis Psilocybin zusammen mit psychothera-
peutischer Unterstützung verwendet, um
chronisch rigide Denkmuster lockern zu kön-
nen, neue Einsichten, Blickwinkel und Verhal-
tensmuster zu lernen und die Stimmung zu
verbessern. Die Klinik hat umfangreiche Si-
cherheitsprotokolle und Behandlungsrichtli-
nien entwickelt, um die bestmögliche
Betreuung und Unterstützung sowie die Qua-
litätssicherung zu gewährleisten.
vh l
Quelle: Medienmitteilung Universität Zürich Referenz: von Rotz R et al.: Single-dose psilocybin-assisted therapy in major depressive disorder: A placebo-controlled, double-blind, randomised clinical trial. EClinicalMedicine. 2022;56:101809.
Lässt soziale Isolation das Gehirn schneller altern?
In einer Studie der Universitätsmedizin Leipzig und dem Max-Planck-Institut für Kognitionsund Neurowissenschaften wurden die Zusammenhänge zwischen sozialer Isolation und der kognitiven Leistungsfähigkeit untersucht. Dabei zeigte sich, dass bei Menschen über 50 Jahre und mit wenig sozialen Kontakten eine beschleunigte Abnahme der grauen Substanz im Hippocampus und der Hirnrinde stattfindet. Zudem legen die Längsschnittdaten von 1900 Teilnehmern des Forschungsprojekts nahe, dass Menschen, die ihr soziales Netz bewahren oder ausbauen, ihre Gehirnstruktur und Denkleistung besser erhalten als solche, die sozial isoliert leben.
Die soziale Isolation wurde bei den Teilnehmern der Studie mit standardisierten Fragebögen erfasst. Sie durchliefen eine mehrtägige umfangreiche Testung, in der ihre medizinische Biografie und der aktuelle Gesundheitsstatus untersucht wurden. Mit einer Kombination kognitiver Tests wurde die Leistung der Probanden in Bezug auf Gedächtnis, Aufmerksamkeit und mentale Flexibilität ermittelt. Hochauflösende 3-Tesla-MRT-Bilder und computergestützte Auswerteroutinen erfassten die Gehirnstruktur. Die Ergebnisse untermauern gemäss den Autoren die Relevanz sozialer Isolation für Demenz, eine schwere Erkrankung an der weltweit viele
Millionen Menschen leiden. Dank der grossen
Stichproben und wiederholten Testungen in
der Leipziger Bevölkerungsstudie LIFE der Uni-
versität Leipzig konnte der Zusammenhang
von sozialer Isolation, Gehirnstruktur und kog-
nitiven Funktionen in besonders hoher Qualität
untersucht werden.
vh l
Quelle: Pressemitteilung Universität Leipzig Referenz: Lammer L et al.: Impact of social isolation on grey matter structure and cognitive functions: A population-based longitudinal neuroimaging study. Elife. 2023;12:e83660.
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