Transkript
KONGRESS AKTUELL
EAN-Kongress 2023
CGRP-Antagonisten auch bei älteren Migränepatienten wirksam und verträglich
Im Rahmen des Kongresses der European Academy of Neurology (EAN) war die Rolle der CGRP-Antagonisten in der Anfallsprophylaxe der Migräne ein wichtiges Thema. In einer spanischen Studie konnte gezeigt werden, dass auch ältere Patienten, die aus den meisten klinischen Studien ausgeschlossen waren, von diesen Therapien profitieren. Und in einer Pro-und-Kontra-Debatte kamen die hohen Kosten dieser Medikamente zur Sprache.
A ntikörper gegen CGRP (calcitonin generelated peptide) oder dessen Liganden haben die Optionen in der Migränetherapie in den letzten Jahren erheblich erweitert und sich sowohl in Studien als auch im klinischen Alltag in der Prophylaxe von Migräneattacken bewährt, wie Dr. Gonzalez-Martinez vom Hospital Universitario de la Princesa in Madrid ausführte. Allerdings war bislang nur schwache Evidenz für die Altersgruppe jenseits der 65-Jahre-Grenze vorhanden, da diese Patienten aus den meisten dieser Studien ausgeschlossen waren. Gonzalez-Martinez betont in diesem Zusammenhang, dass auch unter den über 65-Jährigen ein signifikanter Prozentsatz unter Migräne leidet. Komorbiditäten und Polypharmazie in dieser Altersgruppe schränken die Wahlmöglichkeiten in der Therapie jedoch ein und zwingen zum Einsatz gut verträglicher Therapien. Nun untersuchte eine spanische Gruppe in einer multizentrischen Fallkontrollstudie Wirksamkeit und Verträglichkeit von Anti-CGRP-Antikörpertherapien in der älteren Population und gelangte zu dem Ergebnis, dass Patienten über 65 Jahre mindestens so gut auf die Therapien ansprechen wie Patienten unter 55 Jahre. Alle Patienten entsprachen den Voraussetzungen der spanischen Krankenversicherung für die Behandlung mit Anti-CGRP-Antikörpern, das heisst, sie litten an mindestens 8 Tagen im Monat unter Migräne und hatten auf mindestens 3 präventive Therapien nicht angesprochen. Im Fall der chronischen Migräne musste auch ein gescheiterter Therapieversuch mit Onabotulinumtoxin A nachweisbar sein. Die Untersuchung belegte bei den Studienpatienten jenseits der 65 Jahre hohe Ansprechraten. Im Vergleich zu den Kontrollen war die
Reduktion der monatlichen Kopfschmerztage in den Wochen 8 bis 12 signifikant geringer, die Reduktion der monatlichen Migränetage in den Wochen 20 bis 24 höher. Nebenwirkungen traten in den beiden Gruppen mit gleicher Häufigkeit auf. In der univariaten Analyse waren eine tiefere Zahl monatlicher Kopfschmerztage sowie eine Diagnose einer episodischen Migräne mit einem 50-prozentigen Ansprechen assoziiert (1). Damit zeige die Studie, dass Anti-CGRP-Antikörpertherapien in der älteren Migränepopulation wirksam und verträglich sind, so Gonzalez-Martinez, und es für diese Therapie kein oberes Alterslimit gäbe. Allerdings habe die Studie über ihr offenes Design und die relativ kleine Zahl von Patienten hinaus einige Limitationen, da ausschliesslich Patienten eingeschlossen waren, die an spezialisierten Kopfschmerzzentren behandelt wurden.
Eine Frage der gesamtgesellschaftlichen Kostenwahrheit Dennoch werden Anti-CGRP-Antikörper im aktuellen Konsensus der European Headache Foundation und der European Academy of Neurology nur als Therapien der dritten Wahl gelistet (2). Diese Entscheidung der beiden Fachgesellschaften war Gegenstand einer Pro-und-Kontra-Debatte im Rahmen des EAN-Kongresses. Prof. Messoud Ashina vom Rigshospitalet Glostrup (DK) vertrat die Ansicht, dass Anti-CGRP-Antikörper in dieser Indikation erste Wahl sein sollten, da sie eine mit den konventionellen Therapien (Betablocker, Antikonvulsiva, Antidepressiva) mindestens vergleichbare Wirksamkeit zeigen, dabei jedoch besser vertragen werden. So konnte
beispielsweise für den Anti-CGRP-Antikörper
Erenumab im Vergleich zum Antikonvulsivum
Topiramat eine signifikant und deutlich überle-
gene Wirksamkeit gezeigt werden. Dabei lag
die Abbruchrate über 24 Wochen bei 10,6% –
im Vergleich zu 38,9% mit Topiramat (3). Hinzu
komme der Vorteil der schnellen Wirkung. Mit
den konventionellen Therapien seien in der
Regel Therapieversuche über 2 bis 6 Monate
mit mehrfachen Titrationsphasen erforderlich,
bevor ihre maximale Wirksamkeit erreicht wer-
den kann (4).
Dem hält Prof. Cristina Tassorelli, Präsidentin
der International Headache Society, ein schwer
beherrschbares Kostenproblem entgegen.
Zwar seien die Anti-CGRP-Antikörper an sich
keine besonders teuren Therapien, doch ergä-
ben sich angesichts der grossen Vebreitung
der Migräne extrem hohe Gesamtkosten, die
Tassorelli allein für Italien mit mehr als zehn
Milliarden Euro pro Jahr beziffert. Dies sei für
die Krankenversicherung schlicht und einfach
nicht zu stemmen. Einig waren sich die Disku-
tanten allerdings im Hinblick auf die Betrach-
tungsweise der Kosten. Ziehe man nämlich die
gesamtgesellschaftlichen Kosten inklusive des
Verlusts an Produktivität, abgebrochener Aus-
bildungen und Arbeitslosigkeit in Betracht, so
ergäbe sich wohl ein deutlich anderes Bild und
eine wirksame Prävention von Migräne-
attacken sei zu den aktuellen Preisen vermut-
lich kosteneffektiv. Leider sei eine solche Be-
trachtungsweise derzeit nicht gegeben, da, so
Tassorelli, eine entsprechende Kommunikation
zwischen unterschiedlichen Ministerien und
Ressorts oft nicht stattfinde.
l
Reno Barth
Quelle: Jahreskongress der European Academy of Neurology, 1. bis 4. Juli in Budapest.
Referenzen: 1. Gonzalez-Martinez A et al.: Multicenter real-world case-
control study of effectiveness, tolerability and anti-CGRP response predictors in the elderly. Abstract OPR-056, presented at EAN 2023, Budapest. 2. Eigenbrodt AK et al.: Diagnosis and management of migraine in ten steps. Nat Rev Neurol. 2021;17(8):501514. 3. Reuter U et al.: Erenumab versus topiramate for the prevention of migraine – a randomised, double-blind, active-controlled phase 4 trial. Cephalalgia. 2022;42(2):108-118. 4. Silberstein SD et al.: Evidence-based guideline update: pharmacologic treatment for episodic migraine prevention in adults: report of the quality standards subcommittee of the American Academy of Neurology and the American Headache Society. Neurology. 2012;78(17):1337-45.
42
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
4/2023