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FORTBILDUNG
Ischämischer Hirninfarkt
Plättchenhemmung und Lipidsenkung nach ischämischem Schlaganfall
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Ischämische Schlaganfälle und die dadurch bedingte Krankheitslast nehmen weltweit zu. Die Zunahme ist einerseits dem demografischen Wandel geschuldet, wobei andererseits ein relativer Anstieg in jüngeren Altersgruppen unter 70 Jahren bemerkenswert ist. Ein Grossteil der Schlaganfälle entsteht auf der Basis von definierten Risikofaktoren, die meist modifizierbar sind. Da das Rezidivrisiko nach erstmaligem Schlaganfall deutlich erhöht ist, kommt insbesondere der Vermeidung von erneuten Hirninfarkten eine grosse Bedeutung zu. Die optimale Einstellung der Risikofaktoren ist in der Sekundärprävention entscheidend. In diesem Artikel fassen wir die aktuellen Empfehlungen für die Thrombozytenaggregationshemmung und die Lipidtherapie nach ischämischem Schlaganfall zusammen.
Moritz C. Kielkopf Recep A. Hacialioglu Hakan Sarikaya Mirjam R. Heldner
von Moritz C. Kielkopf1, Recep A. Hacialioglu1, Hakan Sarikaya1 und Mirjam R. Heldner1
Ischämische Schlaganfälle In den letzten 2 Jahrzehnten hat sich der therapeutische Ansatz bei akuten ischämischen Schlaganfällen grundlegend gewandelt. Nach der umfassenden Verwendung der intravenösen Thrombolyse seit vielen Jahrzehnten bietet sich heutzutage bei proximalen intrakraniellen Gefässverschlüssen zunehmend eine endovaskuläre Therapie mit mechanischer Thrombektomie als Alternative oder zusätzliche Behandlung an. Der Anteil von Patienten, die sich für eine Reperfusionstherapie qualifizieren, nimmt zudem durch die Evidenz für die Ausweitung des therapeutischen Fensters zu. Im weiteren Behandlungsverlauf kann leitlinienbasiert die Prognose durch eine optimierte Behandlung auf einer Stroke-Unit mit geschultem Personal verbessert werden. Hirninfarkte stellen in den Industrieländern eine grosse Belastung für das Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft dar. In der Schweiz wurde die Rate der ischämischen Schlaganfälle im Jahr 2004 auf 166 pro 100 000 Einwohner geschätzt (1). Ausgehend von dieser Rate, ist in der Schweiz derzeit von zirka 14 800 ischämischen Schlaganfällen pro Jahr auszugehen. Die wirtschaftliche Belastung durch Hirninfarkte und die damit einhergehenden funktionellen Beeinträchtigungen werden aufgrund der kostenintensiven Nachsorge und der Rehabilitationsmassnahmen bei Schlaganfallüberlebenden im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung noch zusätzlich verstärkt. Hierzu zählen die Kosten für die stationäre Versorgung, die Rehabilitation und in manchen Fällen die
1 Inselspital, Universitätsklinik für Neurologie, Bern
eingeschränkte Möglichkeit, wieder am Berufsleben teilzunehmen oder sich selbst zu versorgen. Vor dem Hintergrund der schweren persönlichen Einschränkung durch Schlaganfälle steht neben den erweiterten Möglichkeiten der Akutbehandlung insbesondere die Vermeidung von Rezidivereignissen durch eine geeignete Sekundärprophylaxe im Vordergrund. Diese soll es weiterhin ermöglichen, dass Patienten trotz wirtschaftspolitischem Druck auf das Gesundheitssystem bestmöglich versorgt und weitere Einschränkungen und Kosten vermieden werden.
Die empfohlene Sekundärprophylaxe nach ischämischem Schlaganfall Der optimalen Sekundärprophylaxe nach ischämischem Schlaganfall kommt aufgrund von Rezidivraten bis zu 15% innerhalb des ersten Jahres und bis zu 40% innerhalb von 10 Jahren eine sehr grosse Bedeutung zu (2). Neben der Reduktion von vaskulären Risikofaktoren ist die korrekte Wahl der Blutverdünnung wichtig und abhängig von der jeweiligen Ätiologie des ischämischen Hirninfarkts. Üblicherweise werden Schlaganfälle mithilfe der TOAST-Klassifikation (Trial of ORG 10172 in Acute Stroke Treatment) klassifiziert und damit die jeweilige Schlaganfallätiologie eingeteilt (3). Eine kardioembolische Ursache von ischämischen Schlaganfällen wird generell bei 20 bis 30% aller Ereignisse angenommen (4). Bei kardioembolischer Ursache ist primär eine medikamentöse Antikoagulation indiziert, wobei die aktuellen Empfehlungen hierzu in einem nachfolgenden Kapitel behandelt werden. Bei der grossen Mehrheit der übrigen Hirnschlagursachen, zu denen insbesondere makroangiopathische, mikroangiopathische sowie andere Ätiologien (u. a. Vaskulitis, Dissektion, Gerinnungsstörungen) gehören, wird primär weiterhin
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eine Thrombozytenaggregationshemmung (TAH) als Sekundärprophylaxe empfohlen. In diesem Artikel berichten wir über die aktuellen evidenzbasierten Empfehlungen und Neuigkeiten zur TAH und Lipidsenkung nach Hirninfarkten. Dabei beziehen wir uns primär auf die aktuellen Empfehlungen der European Stroke Organisation (ESO) mit dem Ziel, ischämische Schlaganfälle um 10% reduzieren zu können, wobei eine optimale Sekundärprophylaxe eine Schlüsselrolle spielt.
Der Einsatz von Thrombozytenaggregationshemmern im klinischen Alltag Die konklusive Einschätzung einer Metaanalyse der ESO zeigt, dass eine TAH-Medikation nach ischämischen Schlaganfällen aller Ätiologien das Risiko für Rezidivschlaganfälle reduziert. Im Mittel wurde über eine Reduktion von 24 Rezidivschlaganfällen bei 1000 behandelten Patienten mit einem ischämischen Schlaganfall berichtet (5). Die Risikoreduktion wird noch deutlicher bei ausschliesslicher Behandlung der nicht kardioembolisch bedingten Schlaganfälle. Des Weiteren zeigt die Metaanalyse auf, dass das Risiko für einen Herzinfarkt durch die TAH signifikant reduziert wurde (5). Weitere Studien belegen, dass die Langzeitergebnisse hierbei unabhängig von der Wahl der TAH-Generika sind. Die PRoFESS-Studie demonstrierte eine simultane Effizienz der Sekundärprophylaxe für Acetylsalicylsäure (ASS) sowie Dipyridamol (Rezidivrate 9%) und Clopidogrel (Rezidivrate 8,8%), sodass es hier keine klare Präferenz gibt (6). Die Wahl des Präparats ist somit eine individuelle Entscheidung und divergiert in verschiedenen Regionen, wobei in der Schweiz primär ASS oder Clopidogrel verwendet wird. Als Zeitpunkt für den Start der TAH-Therapie wird sowohl bei der konservativen Akuttherapie als auch bei der rein mechanischen Thrombektomie der unmittelbare Beginn mit einer TAH-Behandlung empfohlen. Hingegen wird der Beginn einer TAH-Therapie bei Patienten, die eine intravenöse oder intraarterielle Thrombolyse im Rahmen der Akuttherapie erhalten, erst nach sicherem relevantem Blutungsausschluss mittels Verlaufs-MRI/CT nach 12 bis 24 Stunden empfohlen. Der frühe Einsatz der TAH nimmt auch aufgrund des nachgewiesenen grossen Nutzens einer ASS-Monotherapie in den ersten Tagen und Wochen nach dem Hirninfarkt eine sehr bedeutende Rolle ein. So zeigte eine Analyse von 12 Studien zur Sekundärprophylaxe nach Hirninfarkt, dass ASS das Rezidivrisiko in den ersten 12 Wochen halbiert. Dabei war der Effekt in den ersten 2 Wochen am deutlichsten ausgeprägt (7).
Blutverdünnung bei Patienten mit ESUS (embolic stroke of unknown source) Einige Patienten ohne kardiale oder eindeutige arterio-arterielle Emboliequelle weisen einen Hirninfarkt auf, dessen Infarktmuster eine embolische Ursache nahelegt. Diese Infarkte werden zunehmend als ESUS klassifiziert. Im klinischen Alltag stellt sich vermehrt die Frage, inwiefern diese Patienten mit bildmorphologisch embolischem Hirninfarktmuster unklarer Ätiologie mit TAH oder mit einer Antikoagulation zur Sekundärprophylaxe behandelt werden sollten. Grosse multizentrische, randomisierte Studien beschäftigten sich mit dem Thema, wobei insbesondere die NAVIGATE-ESUS- sowie die in Japan durchgeführte RESPECT-ESUS-Studie keine Ände-
rung der Rezidivrate nach ischämischem Schlaganfall für Rivaroxaban respektive Dabigatran im Vergleich zu ASS aufgezeigt haben (8, 9). Bei zugleich tendenziell höherem Blutungsrisiko in der DOAK-Gruppe wird aktuell bei ESUS-Patienten zu einer Langzeit-TAH-Monotherapie, wie oben aufgeführt, geraten. Weitere Studien zur genaueren Evaluation einer möglichen Überlegenheit von DOAK für spezielle ESUS-Subgruppen (Selektion anhand von laborchemischen, bildgebenden Biomarkern) sind derzeit im Gang.
Duale Plättchenaggregationshemmung nach Schlaganfall Generell zeigt sich in der Metaanalyse der ESO, dass eine längerfristige duale TAH (mehr als 90 Tage) das Risiko für Rezidivschlaganfälle nicht signifikant senkt. Die Rate von relevanten Blutungen ist bei eben dieser längerfristigen Therapie erhöht. Darauf basierend wird bei Patienten nach Hirninfarkt oder transitorisch ischämischer Attacke (TIA) weiterhin eine TAH-Monotherapie empfohlen. Empfohlen ist, die TAH-Monotherapie grundsätzlich lebenslang einzunehmen. Bei kurzer Dauer der dualen Plättchenaggregationshemmung (DAPT) kann der Nutzen gegenüber dem Blutungsrisiko überwiegen. So ergibt sich eine signifikante Reduktion der Rezidivraten von frühen Schlaganfällen beim Einsetzen einer DAPT innerhalb von 24 Stunden nach Symptombeginn eines Minor Stroke (NIHSS < 3 Punkte) respektive einer High-Risk-TIA (TIA: transitorische ischämische Attacke) (ABCD-Score > 4 Punkte) (10). Die DAPT in den ersten 4 Wochen nach TIA/ Minor Stroke verhindert in diesem Zeitraum ischämische Rezidivereignisse bei durchschnittlich 2 von 100 Patienten im Vergleich zur Patientengruppe, die in diesem Zeitraum mit einer Monotherapie behandelt wird. Gleichzeitig ist die Blutungsrate nicht signifikant erhöht, sodass insgesamt eine positive Wirkung überwiegt (11). Die DAPT sollte aus ASS und Clopidogrel bestehen, wobei bei Patienten ohne vorbestehende blutverdünnende Therapie in der Regel ein initiales Loading von Clopidogrel mit 300 bis 600 mg p.o. empfohlen ist. Vorab sollten relevant erhöhte Blutungsrisiken (z. B. eine intrazerebrale Blutung, vorgängige Operationen) geprüft und allenfalls sollte eine individuelle Entscheidung getroffen werden. Wichtig ist, die DAPT nach spätestens 4 Wochen auf eine Monotherapie umzustellen, da ansonsten, wie oben aufgeführt, das Risiko für schwere Blutungen im Verhältnis zum Nutzen von wenigen verhinderten Rezidivschlaganfällen überwiegt.
Patienten mit intrakraniellen Stenosen Patienten mit (a)symptomatischen intrakraniellen Gefässstenosen stellen eine relevante Subgruppe der Schlaganfallpatienten dar. Auf die Abklärung und die Behandlung der extrakraniellen symptomatischen und asymptomatischen Karotisstenose wird in einem separaten Artikel in dieser Ausgabe eingegangen. Bei der Diagnose einer symptomatischen intrakraniellen Stenose steht im Gegensatz zur symptomatischen extrakraniellen Karotisstenose primär eine konservative Behandlung im Vordergrund (13). Empfohlen nach der Diagnose einer symptomatischen intrakraniellen Stenose ist eine duale TAH mit ASS und Clopidogrel für 1 bis 3 Monate (14, 15). In der Regel wird anschliessend, ins-
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Tabelle 1:
Zusammenfassung der aktuellen Empfehlungen zur Thrombozytenaggregationshemmung
Schlaganfallätiologie
Sekundärprophylaxe
Kardioembolisch Antikoagulation
Nicht kardioembolisch bei Minor Stroke DAPT mit ASS + Clopidogrel für 30 Tage
(NIHSS < 4) / High-Risk-TIA (ABCD > 4)
Anschliessend TAH-Monotherapie
lebenslang
Nicht kardioembolisch mit pAVK oder KHK Im Verlauf Rivaroxaban 2 x 2,5 mg/Tag
(Xarelto® vasc) zur ASS-Monotherapie
hinzufügen
Symptomatische intrakranielle Stenose DAPT mit ASS + Clopidogrel für
3 Monate, dann Umstellung auf
Monotherapie lebenslang
Tabelle 2:
Lipidsenkung nach Schlaganfall: Empfohlene Therapie
LDL-Cholesterin-Zielwert generell < 1,8 mmol Unzureichende Einstellung bei 6-wöchiger Therapie mit der maximal verträglichen Dosis eines HMG-CoA- Reduktase-Hemmers*
Primäre Therapie mit HMG-CoA-Reduktase-Hemmer Wirkstärke: Rosuvastatin > Atorvastatin > Simvastatin > Pravastatin > Fluvastatin (dosisadaptiert) Ergänzende Therapie mit ● Ezetimibe ● PCSK9-Inhibitoren (Evolocumab, Alirocumab
sowie Inclisiran) ● ggf. Bempedoinsäure
* Keine ausreichende Evidenz zur Verringerung der Schlaganfallrezidivrate in der Metaanalyse, jedoch einstimmige Empfehlung der Experten der ESO
besondere bei stabilem Verlauf, auf eine TAH-Monotherapie umgestellt. Weiterhin ist in diesem Fall eine hoch dosierte lipidsenkende Therapie empfohlen. Inwiefern eine mögliche Fortführung der DAPT über 3 Monate hinaus einen positiven Nutzen-Risiko-Effekt für Hochrisikopatienten bietet, ist aktuell Gegenstand weiterer Studien (16).
Patienten mit ischämischem Hirnschlag und weiterer vaskulärer Pathologie Die Frage nach der optimalen Rezidivprophylaxe bei Vorliegen einer ausgeprägten Atherosklerose, insbesondere bei kardialer Komorbidität im Sinn einer koronaren Herzkrankheit oder peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), wurde kürzlich in verschiedenen Studien untersucht. Die COMPASS-Studie (Cardiovascular Outcomes for People Using Anticoagulation Strategies) umfasste 27 395 Personen mit stabiler atherosklerotischer Erkrankung und verglich die Effizienz der Blutverdünnung mit TAH-Monotherapie mit alleiniger niedrig dosierter Antikoagulation (Rivaroxaban 10 mg/Tag) sowie mit einer Kombination von ASS 100 mg/Tag plus Rivaroxaban 2,5 mg 2-mal täglich (17). Die Kombination aus Rivaroxaban und ASS verringerte das Risiko für den primären Endpunkt kardiovaskulärer Tod, Schlaganfall und Herzinfarkt im Vergleich zur Mo-
notherapie mit ASS. Eine explorative Subgruppenanalyse zeigte, dass die Kombination von Rivaroxaban plus ASS insbesondere das Risiko für einen kardioembolischen Schlaganfall und einen embolischen Schlaganfall unklarer Ursache reduzierte (18). In einer weiteren Untergruppenanalyse von Teilnehmern mit einer extrakraniellen Karotisstenose ergaben sich vergleichbare Ergebnisse hinsichtlich der Reduktion von schweren vaskulären Ereignissen (19). Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse zur Evaluation einer niedrig dosierten, direkten oralen Antikoagulation in Kombination mit TAH bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen ergab einen Trend zur Verringerung des Risikos für Schlaganfälle, wobei das Risiko für intrakranielle Blutungen nicht erhöht war (20). Die Aussagekraft für die Sekundärprophylaxe nach Hirninfarkten ist jedoch insgesamt gering, da lediglich in der COMPASS-Studie eine Untergruppe von Menschen mit vorangegangenem Schlaganfall analysiert wurde und deren Personenanzahl gering war. Zusammenfassend scheint gemäss ESO der Einsatz einer TAH-Therapie in Kombination mit einem niedrig dosierten, direkten oralen Antikoagulans für ausgewählte Patienten eine geeignete Option zu sein. Dies umfasst Personen nach einem ischämischen Schlaganfall oder einer TIA vor mehr als einem Monat, bei denen gleichzeitig eine koronare oder periphere arterielle Erkrankung vorliegt. Es ist zu beachten, dass nur Rivaroxaban (2 × 2,5 mg/Tag) in diesem Zusammenhang untersucht wurde, sodass andere DOAK für diesen Zweck nicht verwendet werden sollten (Tabelle 1).
Lipidsenkung Die Dyslipidämie ist ein wichtiger und modifizierbarer Risikofaktor für die Entstehung eines ischämischen Schlaganfalls. Die Behandlung mit 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A-(HMG-CoA-)Reduktase-Hemmern (Statinen) verringert die Häufigkeit von wiederkehrenden ischämischen Schlaganfällen und reduziert möglicherweise die vaskuläre Morbidität bei Patienten mit einem ischämischen Schlaganfall in der Vorgeschichte (5). Statine sind daher ein wichtiger Bestandteil in der Sekundärprävention des ischämischen Schlaganfalls. Die Bedeutung der lipidsenkenden Therapie in der Sekundärprophylaxe nach ischämischen Schlaganfällen wird auch in den aktuellen Empfehlungen der ESO betont. Die entsprechende Metaanalyse aus 5 grossen Studien zeigt, dass die Einnahme eines HMG-CoA-Reduktase-Hemmers das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall sowie für grössere vaskuläre Ereignisse bei Personen mit vorangegangenem ischämischem Schlaganfall oder TIA verringert, was somit eine hohe Evidenz hat. Die signifikante Reduktion von Schlaganfallrezidiven ergab im Mittel, dass mit der Verwendung eines HMG-CoA-Reduktase-Hemmers 13 erneute Schlaganfälle bei 1000 Behandelten vermieden werden konnten. Diese Anzahl übersteigt den Wert für das höhere Risiko für hämorrhagische Schlaganfälle bei Einnahme eines HMG-CoA-Reduktase-Hemmers, der bei ungefähr 6 Ereignissen pro 1000 Behandelten liegt. Zusammengefasst zeigt die Metaanalyse unter lipidsenkender Therapie einen klaren Trend zur Verringerung der Gesamtzahl an Schlaganfällen und der vaskulären Todesfälle für Patienten mit vorherigen ischämischen Schlaganfällen oder TIA.
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Die richtige Dosierung der cholesterinsenkenden Therapie Bei klarer Empfehlung für den Einsatz einer lipidsenkenden Therapie nach einem ischämischen Schlaganfall ist der LDL-Cholesterin-(C-)Zielwert relevant für die Reduktion von zerebrovaskulären Rezidivereignissen. Die Untergruppenanalysen verschiedener Studien ergaben bei strengerer Senkung des LDL-C-Zielwerts ein geringeres Risiko für einen ischämischen Schlaganfall sowie für kardiovaskuläre Ereignisse. Hierbei zeigte hauptsächlich die Treat-Stroke-to-Target-Studie für Teilnehmer, die einen LDL-C-Spiegel < 1,8 mmol/l (< 70 mg/dl) erreichten, ein geringeres Risiko für einen ischämischen Schlaganfall (21). Insgesamt wurde in weiteren Studien (SPARCL, J-STARS) durch Erreichen eines niedrigen LDL-C-Zielwerts eine signifikante Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen aufgezeigt (22, 23). Vor dem Hintergrund von wenigen vorliegenden spezifischen Daten empfiehlt die ESO (moderate Evidenz) eine generelle Lipidsenkung auf < 1,8 mmol/l (70 mg/dl) für Patienten nach ischämischem Hirnschlag oder TIA. Hierbei gilt es zu beachten, dass der Nutzen der strengen lipidsenkenden Therapie mit niedrigem LDL-C-Zielwert für Patienten mit ausgeprägter Atherosklerose oder mit Atheromathose-assoziiertem Hirninfarkt zunimmt. Zudem gibt es Hinweise, dass bei höchstgradigen oder symptomatischen Stenosen der hirnversorgenden Gefässe ein LDLC-Zielwert von < 1,4 mmol/l angestrebt werden kann, wobei hierfür keine ausreichende Evidenz in den ESO-Leitlinien beschrieben wird (Tabelle 2). Die richtige lipidsenkende Medikation Primär wird für das Erreichen der oben genannten LDLC-Zielwerte eine Medikation mit HMG-CoA-Reduktase-Hemmern bzw. Statinen eingesetzt. Eine häufig gewählte Primärdosis beträgt bei einer Therapie mit Atorvastatin 80 mg/Tag. Es stellt sich hierbei die Frage, inwiefern bei Nichterreichen der LDL-C-Zielwerte unter maximaler Statindosis nach 6 Wochen eine Add-on-Therapie mit Ezetimibe und/oder einem PCSK9-Inhibitor das Risiko für Rezidivschlaganfälle verringert. Die Ergebnisse der Metaanalyse mit Untergruppenanalysen für Patienten mit einer vorangegangenen zerebrovaskulären Erkrankung zeigte keine signifikante Verringerung der Schlaganfälle durch eine Zusatztherapie mit Ezetimibe und/oder PCSK9-Inhibitor (5). Weiterhin zeigte sich kein erhöhtes Risiko für hämorrhagische Hirnschläge in den unterschiedlichen Studiengruppen. Als Resultat der Metaanalyse besteht keine ausreichende Evidenz, um eine Empfehlung für eine Zusatztherapie mit Ezetimibe und/oder einem PCSK9-Inhibitor zur Verringerung des Risikos für einen erneuten Schlaganfall auszusprechen. Das bezieht sich nur auf Patienten, die die empfohlenen LDL-C-Zielwerte trotz Einnahme der maximal verträglichen Dosis eines HMG-CoA-Reduktase-Hemmers über mindestens 6 Wochen nicht erreichen. Dennoch erklärt die ESO einstimmig in ihrer Expertenmeinung, dass sie trotz fehlender ausreichender Evidenz für diese Patienten die zusätzliche Gabe von Ezetimibe empfiehlt. Das erfolgt vor dem Hintergrund, dass jede Senkung des LDL-C-Werts um 1,0 mmol/l (39 mg/dl) das Risiko für schwere Gefässereignisse um etwa einen Fünftel verringert (24). Dieser Effekt wurde auch für die Prävention von Schlaganfällen in grösseren Merkpunkte: ● Die primäre Blutverdünnung nach nicht kardioembolisch bedingtem ischämischem Hirninfarkt oder TIA besteht aus einer thrombozytenaggregationshemmenden Monotherapie, wobei es keine Präferenz für ein spezielles Generikum gibt. ● Das Rezidivrisiko ist in den ersten Wochen nach einem Schlaganfall am höchsten. Bei Minor Stroke oder Hochrisiko-TIA wird bei fehlenden Kontraindikationen eine duale Plättchenaggregationshemmung über 4 Wochen empfohlen, die dann auf eine Monotherapie umgestellt wird. ● Bei symptomatischen intrakraniellen Stenosen wird aktuell ein primär konservatives Therapiemanagement empfohlen, wobei nach entsprechender Diagnosestellung zunächst für 1 bis 3 Monate eine duale Plättchenaggregationshemmung empfohlen ist, die dann auf eine Monotherapie umgestellt wird. ● Im Rahmen der Sekundärprophylaxe nach ischämischem Hirninfarkt oder TIA besteht die klare Empfehlung für den Einsatz einer lipidsenkenden Therapie. Die ESO empfiehlt bei moderater Evidenz eine generelle Lipidsenkung auf < 1,8 mmol/l. Populationen mit erhöhtem vaskulären Risikoprofil nachgewiesen (25). Somit ergeben sich deutliche Hin- weise darauf, dass eine intensivere Cholesterinbehand- lung, die bei einigen Personen auch die Verwendung von Ezetimibe einschliesst, im Vergleich zu einer weni- ger intensiven Behandlung das Risiko für einen wieder- kehrenden ischämischen Schlaganfall und grössere kardiovaskuläre Ereignisse verringert. Der Einsatz eines PCSK9-Hemmers könnte bei Personen mit ischämischer Herzerkrankung oder ischämischem Schlaganfall in Be- tracht gezogen werden, wenn die LDL-C-Zielwerte mit einem HMG-CoA-Reduktase-Hemmer und Ezetimibe nicht erreicht werden können. Hierbei sind in der Schweiz einerseits PCSK9-Antikörper zugelassen (Evolo- cumab [Repatha®], Alirocumab [Praluent®] sowie seit 2021 Inclisiran [Leqvio®], das über eine RNA-Interferenz die Synthese von PCSK9 reduziert und dadurch eine er- höhte hepatische LDL-C-Aufnahme ermöglicht). Neben diesen etablierten cholesterinsenkenden Medikamen- ten, wie den klassischen Statinen, und Ezetimibe sind seit 2020 ATP-Citrat-Lyase-(ACL-)Inhibitoren wie Bempe- doinsäure als Arzneimittel zugelassen. Welche Rolle diese Medikamente langfristig in der (Sekundär-)Präven- tion und der Bekämpfung des Schlaganfalls sowie von neuro- und kardiovaskulären Ereignissen spielen wer- den, bleibt abzuwarten und ist ein spannendes Thema für zukünftige Forschung. l Korrespondenzadresse: Dr. med. Moritz C. Kielkopf Universitätsklinik für Neurologie Freiburgstrasse 18 3010 Bern E-Mailadresse: moritz.kielkopf@insel.ch Prof. Dr. med. Mirjam R. Heldner Universitätsklinik für Neurologie Freiburgstrasse 18 3010 Bern E-Mailadresse: mirjam.heldner@insel.ch 1/2023 PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE 41 Referenzen: 1. Meyer K et al.: Stroke events and case fatalities in Switzerland based on hospital statistics and cause of death statistics. Swiss Med Wkly. 2009;139(5-6):65-699. 2. 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