Transkript
&K U R Z B Ü N D I G
Parkinson: Alpha-Synuclein-bindende Antikörper helfen nicht
Bisher wurde vermutet, dass α-SynucleinAblagerungen den degenerativen Prozess beim Morbus Parkinson verursachen können, da die für die Krankheit typischen LewyKörperchen aus α-Synuclein bestehen. Daher war die Hoffnung gross, mit α-Synucleinbindenden Antikörpern eine ursächliche Therapie gegen die Parkinson-Krankheit gefunden zu haben. Diese Hoffnung wurde je-
doch enttäuscht. 2 kürzlich im «New England Journal of Medicine» publizierte randomisierte, plazebokontrollierte Phase-II-Studien ergaben, dass 2 verschiedene α-Synucleinbindende Antikörper, Cinpanemab (1) und Prasinezumab (2), bei Patienten in frühen Stadien der Parkinson-Erkrankung keine nennenswerten Effekte hatten, weder auf die klinische Progression der Erkrankung noch
auf Veränderungen in der zerebralen Bildgebung.
Quelle: Medienmitteilung Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)/vh
Referenzen: 1. Lang AE et al.: Trial of Cinpanemab in early parkinson’s
disease. N Engl J Med. 2022;387(5):408-420. 2. Pagano G et al.: Trial of Prasinezumab in early-stage
Parkinson’s disease. N Engl J Med. 2022;387(5):421-432.
Metaanalyse: Bei akuter Depression ist eine Kombinationstherapie besser
Was wirkt bei einer akuten Depresssion besser und ist verträglicher: eine antidepressive Kombinations- oder eine Monotherapie? Zu dieser Fragestellung führten Henssler et al. einen systematischen Review mit Metaanalyse mit 39 randomisierten, klinischen Studien (n = 6751 Patienten) durch. Es zeigte sich, dass die Patienten von einer Kombination signifikant stärker profitierten als von einer Mono-
therapie und dass Kombinationen aus Reuptakehemmern und α2-AutorezeptorAntagonisten (Mianserin, Mirtazapin, Trazodon) wirksamer waren als andere Kombinationen. Bupropionhaltige Kombinationen waren dagegen nicht wirksamer als Monotherapien. Hinsichtlich Nebenwirkungen und Studienabbrüchen infolge Nebenwirkungen wurden keine signifikanten Unterschiede be-
obachtet. Nach Ansicht der Autoren biete sich eine Kombination aus Reuptakehemmern plus α2-Autorezeptor-Antagonisten bei schwer erkrankten Patienten als mögliche Erstlinientherapie sowie bei Nonrespondern an. vh l
Quelle: Henssler J et al.: Antidepressants vs antidepressant monotherapy for treatment of patients with acute depression: a systematic review and meta-analysis. JAMA Psychiatry. 2022;79(4):300-312.
Nutzen der Physiotherapie bei Spannungskopfschmerzen
Ein systematischer Review mit Netzwerk-Metaanalyse befasste sich mit der Wirkung von Physiotherapie auf Spannungskopfschmerzen und auf die Lebensqualität dieser Patienten. In die Analyse flossen 15 randomisiert kontrollierte Studien ein. Im Vergleich mit Kontrollgruppen und Standardtherapie reduzierte dabei die transkutane elektrische Stimulation, kombiniert
mit Physiotherapie, den Schmerz am stärksten. Zur Verringerung der Kopfschmerzfrequenz war dagegen die Kombination aus Manualtherapie (Gelenkmobilisierung) plus Bewegungsübungen am wirksamsten. Die Analyse zeigt damit, dass für eine kurzfristige Linderung von Schmerzintensität und Häufigkeit eine Kombination aus passiven Physiotherapie-
techniken sowie Übungen und/oder transkutaner elektrischer Stimulation die effektivste physiotherapeutische Intervention darstellt. vh l
Quelle: Jung A et al.: Effectiveness of physiotherapy interventions on headache intensity, frequency, duration and quality of life of patients with tension-type headache. A systematic review and network meta-analysis. Cephalalgia. 2022;42(9):944-965.
Sobek-Forschungspreis für Arbeit aus Basel
Die Sobek-Stiftung verleiht jährlich Forschungspreise für herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Multiple-Sklerose-(MS-)Grundlagenforschung. Den mit 15 000 Euro dotierten Nachwuchspreis 2022 verlieh der wissenschaftliche Beirat der Stiftung unter anderem Prof. Dr. Anne-Katrin Pröbstel, Leitende Ärztin in der Neurologie am Universitätsspital Basel und Forschungsgruppenleiterin an den Departmenten Biomedizin und Klinische Forschung sowie
dem Research Center for Clinical Neuroimmunology and Neuroscience der Universität Basel. Sie erhielt den Preis für ihre wissenschaftliche Arbeit im Bereich der B-Zell-vermittelten Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems. Die Basler Neurologin erforscht schwerpunktmässig die Rolle von Autoantikörpern im Zusammenwirken mit einem Myelinprotein und deren klinische Bedeutung und Wirkmechanismen bei demyelinisierenden Er-
krankungen wie der Multiplen Sklerose. Neben der Entwicklung einer zellbasierten, diagnostisch relevanten Testmethode erforscht sie die Mechanismen der B-Zell-Aktivität im Darm als wichtige immunregulatorische Grösse und ihre Auswirkungen auf die Pathologie des zentralen Nervensystems bei MS.
Quelle: Medienmitteilung AMSEL
4/2022
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
53
&K U R Z B Ü N D I G
Soziale Isolation erhöht das Demenzrisiko
Soziale Isolation führt zu einem geringeren Hirnvolumen in Regionen, die für kognitive Funktionen wichtig sind, was in einem um 26% höheren Demenzrisiko resultiert, unabhängig von anderen Risikofaktoren wie beispielsweise Depression und Einsamkeit. Das zeigte eine Studie, die 462 619 durchschnittlich 57-jährige Menschen aus Grossbritannien während 12 Jahren vor der Pandemie begleitete. Neben klinischen und biologischen Parametern wurden ein MRI, Denk- und Gedächtnistests durchgeführt sowie nach sozialen Parametern
gefragt. Als sozial isoliert galt, wer mindestens 2 von 3 Fragen mit Nein beantwortete: 1. Zusammenleben mit anderen? 2. Freundes- oder Familienbesuche mindestens 1-mal/Monat? 3. Soziale Aktivitäten wie Verein, Treffen oder Freiwilligenarbeit mindestens 1-mal/Woche? Von den Teilnehmenden gaben 9% (n = 41 886) an, sozial isoliert zu sein, und 6% (n = 29 036) fühlten sich einsam. Während der Studienlaufzeit entwickelten 4998 Personen eine Demenz. Das betraf 1,55% (n = 649) aus der Gruppe der sozial Isolierten, während
der Anteil bei den nicht Isolierten mit 1,03%
(n = 4349) tiefer lag.
Bei den sozial Isolierten zeigte das MRI ausser-
dem einen signifikanten Unterschied beim
Hirnvolumen, insbesondere in Arealen, die für
Lernen und Denken wichtig sind. Möglicher-
weise sei soziale Isolation ein früher Indikator
für ein erhöhtes Demenzrisiko, so das Fazit der
Autoren.
vh l
Quelle: Shen C et al.: Associations of social isolation and loneliness with later dementia. Neurology. 2022;10.1212/ WNL.0000000000200583.
Neue Therapieoption bei unkontrollierter fokaler Epilespie
In der Schweiz leiden etwa 80 000 Patienten an Epilepsie (1). Bei ungefähr 2 Drittel der Patienten können die Anfälle mit einer Therapie kontrolliert werden, die anderen erleiden trotz medikamentöser Behandlung weiterhin Anfälle (2). Eine unkontrollierte Epilepsie ist eine grosse Belastung für die Patienten: Komorbiditäten, psychologische und soziale Probleme erschweren ihren Alltag (2), mit möglichen Folgen beispielsweise bei der Arbeit, beim Autofahren oder bei Freizeitaktivitäten. Viele Patienten benötigen für die Erlangung von Anfallsfreiheit mehrere Epilepsietherapien. Wenn eine Therapie die Anfälle nicht unterdrückt, sinkt die Chance für eine Anfallskontrolle bei jeder zusätzlichen Therapie weiter (3). Als neue Kombinationsoption ist seit Kurzem Cenobamat in der Schweiz verfügbar. Es ist indiziert als Add-on bei fokalen Anfällen mit oder ohne sekundäre Generalisierung bei Patienten, deren Epilepsie trotz vorheriger Therapie mit mindestens 2 Antiepileptika nicht ausreichend kontrolliert wurde. Die Grundlage für die Zulassung lieferte die multizentrische, doppelblind randomisierte, 4-armige Phase-III-Studie mit 437 Patienten mit fokalen Anfällen trotz Therapie mit 1 bis 3 Medikamenten. Die Patienten erhielten randomisiert entweder Cenobamat 100, 200, 400 mg oder Plazebo. Die Behandlungsdauer von gesamthaft 18 Wochen teilte sich in eine 6-wöchige Titrationsphase und in eine 12-wöchige Erhaltungsphase auf. Als primäre Endpunkte galten die Reduktion der 28-Tage-Anfallshäufigkeit in der Erhaltungsphase sowie die Ansprechrate. Letztere war als Anteil Patienten
mit einem Rückgang der Anfallshäufigkeit ≥ 50% definiert. Nach 18 Wochen zeigte sich in den Verumgruppen eine dosisabhängige signifikante Reduktion der Anfallsfrequenz sowie eine höhere Ansprechrate im Vergleich zu Plazebo. Die Anfallsfrequenz sank unter den Dosierungen von 200 und 400 mg median um 55% (Interquartile Range [IQR]: –73,0 bis –23,0%; p = 0,0001 bzw. IQR: –85,0 bis –28,0%; p = 0,0001) gegenüber Plazebo. Die Responderrate in der Erhaltungsphase lag bei 56% unter 200 mg (55 bis 98; Odds Ratio [OR]: 3,74; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 2,06–6,80; p < 0,0001) und bei 64% unter 400 mg (61 bis 95; OR: 5,42; 95%-KI: 2,84–9,67; p < 0,0001). Die Therapie wurde im Allgemeinen gut vertragen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Somnolenz, Schwindel und Fatigue von milder bis moderater Natur. Therapiebedingte Nebenwirkungen traten bei 76% unter 200 mg und bei 90% unter 400 mg auf versus Plazebo mit 70%. 14 bzw. 20% Prozent der Teilnehmenden brachen die Studie deswegen ab, in der Plazebogruppe waren es 5%. Eine schwere Arzneimittelreaktion mit Eosinophilie und systemischen Symptomen (DRESS) trat unter 200 mg auf, zu Todesfällen kam es nicht (2). Die Studie zeigte damit, dass eine Add-on-Therapie mit Cenobamat die Häufigkeit fokaler Anfälle dosisabhängig reduziert, mit der grössten Reduktion unter der höchsten Dosis. Bei Patienten mit unkontrollierten fokalen Anfällen scheint Cenobamat den Autoren zufolge eine wirksame Therapieoption zu sein (2). Eine weitere doppelblind randomisierte Studie mit 222 Patienten, die während 12 Wochen entweder Cenobamat 200 mg oder Plazebo erhielten, bestätigte die Ergebnisse mit einer verbesserten Frequenzkontrolle und einer guten Verträglichkeit (3). Um das Risiko für ein DRESS zu minimieren, ist eine langsame Titration von Vorteil. In einer Open-Label-Studie wurde ein Titrations- schema von initial 12,5 mg/Tag Cenobamat mit einer 2-wöchentlichen Erhöhung auf 25, 50, 150 und 200 mg/Tag getestet. Eine weitere Erhöhung um 50 mg alle 2 Wochen bis zur Zieldosis von 400 mg war optional. Unter die- sem Schema trat kein DRESS auf (4). An einem Medienbriefing berichteten Exper- ten über ihre Erfahrung mit Cenobamat. Ge- mäss Prof. Ley Sander, Institut für Neurologie, Unversity College London, habe die neue Op- tion ein Game-Changer-Potenzial, wodurch die Lebensqualität der damit behandelten Patienten ganz erheblich erhöht werden könne. Dazu gehöre beispielsweise die für Pa- tienten sehr wichtige Wiedererlangung des Führerausweises nach der gesetzlich geforder- ten anfallsfreien Zeit. vh l Quelle: Medienbriefing Arvelle, 10. Juni 2022 in Zürich Referenzen: 1. https://www.epi.ch/ueber-epilepsie/ 2. Krauss GL et al.: Safety and efficacy of adjunctive cenobamate (YKP3089) in patients with uncontrolled focal seizures: a multicentre, double-blind, randomised, placebo-controlled, dose-response trial. Lancet Neurol. 2020;19(1):38-48. 3. Chen Z et al.: Treatment outcomes in patients with newly diagnosed epilepsy treated with established and new antiepileptic drugs: a 30-year longitudinal cohort study. JAMA Neurol 2018;75:279-286. 4. Sperling MR et al.: Cenobamate (YKP3089) as adjunctive treatment for uncontrolled focal seizures in a large, phase 3, multicenter, open-label safety study. Epilepsia. 2020;61(6):1099-1108. doi:10.1111/epi.16525. 54 PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE 4/2022