Transkript
FORTBILDUNG
Burn-out am Arbeitsplatz und Rehabilitation
Burn-out ist eine Stress-Belastungsstörung, die aus einem Zusammenspiel zwischen der Arbeitssituation und dem individuellen Mitarbeiter entsteht. Klinisch besteht eine starke Überlappung von Burn-out und Depression sowie häufig einem neurasthenischen Syndrom. An eine Akutbehandlung fügen sich eine sorgfältige Rehabilitationsphase und eine begleitete Reintegration am Arbeitsplatz an. Welche Aspekte dabei berücksichtigt werden müssen, wird nachfolgend diskutiert.*
Barbara Hochstrasser
Barbara Hochstrasser
Begriffsdefinition
D er Begriff Burn-out umfasst ein ursprünglich arbeitspsychologisches Konzept, welches als ein durch chronischen Stress bedingtes Erschöpfungssyndrom verstanden wird. Dabei wird der Arbeit als hauptsächlichem Stressfaktor die grösste Bedeutung zugeschrieben. Gemäss Maslach und Jackson (1) manifestiert sich Burn-out in drei Dimensionen: emotionale Erschöpfung, Demotivierung und subjektiv wahrgenommene reduzierte Leistungsfähigkeit. Diese drei Dimensionen entsprechen den drei Faktoren, die sich im Maslach-Burn-out-Inventar, dem von ihnen entwickelten Fragebogen, abbilden. Sie beschrieben Burn-out in ihren ersten Publikationen als «psychologisches Syndrom von Menschen, die mit Menschen arbeiten» (2). Dabei wurden der intensive interpersonelle Austausch
*Addendum: Burn-out ist keine eigenständige psychiatrische Diagnose, sondern klinisch ein Syndrom, dass eine hohe Überlappung mit Depression (ICD-10: F32 und F33), Neurasthenie (ICD-10 F48) Angststörungen ICD10: F4x) und sekundärer Sucht (ICD-10: F 10) aufweist. Der Begriff der «Erschöpfungsdepression» nach Kielholz (29) ist eine geeignete Bezeichnung. Bei einem klinisch behandlungsbedürftigen Burn-out-Syndrom findet sich im Allgemeinen eine Depression mit neurasthenischer Komponente. Die vorliegenden Empfehlungen zu Behandlung, Rehabilitation und Reintegration beziehen sich auf die Behandlung der identifizierten psychischen Störung, verknüpft mit einem Burn-out-Syndrom bei vornehmlich arbeitsbezogener Belastung. Jedoch gilt es zu bedenken, dass auch Burn-out als Risikozustand für eine psychiatrische Störung sinnvollerweise behandelt werden sollte, um eine solche psychische Störung zu vermeiden.
in sozialen Berufen und die damit verknüpfte emotionale Belastung als wesentliche verursachende Prinzipien gesehen. In ihrer weiteren Forschung bei verschiedenen Berufsgruppen und in der Allgemeinbevölkerung kamen sie allerdings zum Schluss, dass Burn-out ein allgemeines Phänomen darstelle, welches als Ausdruck einer mangelnden Übereinstimmung zwischen Arbeitsplatz und individuellem Arbeitnehmer entstehe (3). Cherniss (4) postulierte, dass Burn-out das Resultat einer missglückten Anpassung an den beruflichen Alltag, vornehmlich bei jungen Professionellen, sei. Pines (5) sah Burn-out im Kontext eines Werteverlustes bei zunehmender Orientierung an materiellen Werten und dem Mangel an sinnorientierten oder spirituellen Lebenszielen. Shirom und Melamed (6) beschrieben Burnout als einen Verlust an psychischer, körperlicher und geistiger Energie. Obwohl verschiedene Autoren unterschiedliche Burn-out-Definitionen und unterschiedliche Erfassungsinstrumente verwenden, lässt sich in allen Konzepten die Erschöpfung als hauptsächliches Symptom identifizieren.
Die klinische Präsentation von Burn-out Als klinisches Syndrom findet Burn-out erst seit einiger Zeit Beachtung. Die am häufigsten auftretenden Symptome von Burn-out lassen sich in vier Gruppen unterteilen (Kasten 1). Jedoch präsentiert sich die Symptomatik je nach Individuum sehr unterschiedlich. Der «neurasthenischen» Komponente muss besondere Beachtung geschenkt werden, da sie sowohl für die Therapie als auch die Rehabilitation eine entscheidende Bedeutung hat. Patienten mit fortgeschrittenen Stadien eines Burn-outs weisen häufig eine erhöhte Ermüdungstendenz bei kleinsten Belastungen auf, verknüpft mit einer ausgeprägten Erholungsunfähigkeit. Psychiatrisch zeigt sich eine deutliche Überlappung von Burn-
3/2015
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
17
FORTBILDUNG
Kasten 1:
Häufige Symptome bei Burn-out
Psychische Symptome Emotionale Erschöpfung Gefühlslabilität Nervosität
Ängste, Panik Reizbarkeit
Niedergeschlagenheit
Somatische Symptome Mangelnde Erholung Müdigkeit, Schwere Vegetative Symptome
Multiple Schmerzen Häufige Erkältungen
Reduzierte Belastbarkeit, neurasthenische Komponente
Kognitive Symptome Konzentrationsstörungen Gedächtnisstörungen Entscheidungsschwierigkeiten Formulierungsprobleme Reduzierte geistige Flexibilität
Veränderung im Verhalten Hyper-/Hypoaktivität Sozialer Rückzug Reduzierte Leistung
Absentismus Unfälle
Vernachlässigung der Freunde und Hobbys
Arbeitsbedingte Faktoren
Individuelle Faktoren
Arbeitsüberforderung vegetative Stresssymptome
Erschöpfung
Erholung
Andauernde Überforderung
Burnout Z73.0 Risikozustand Erschöpfung, Zynismus, reduzierte Leistungseinschätzung
Regeneration
Chroni zierter Stress
Leistungseinschränkung
Folgekrankheiten (Depression, Angsterkrankungen
Substanzenmissbrauch Tinnitus)
Somatische und psychische Erkrankungen (Multiple Sklerose, Demenz,
Krebs, Psychose)
Abbildung: Stellungnahme der DGPPN zu Burn-out, 2012 (3)
out mit Depression, Angst- und Schlafstörungen sowie mit Neurasthenie und sekundärem Suchtverhalten. Somatisch gilt es, differenzialdiagnostisch eine Reihe von neurologischen, endokrinologischen, onkologischen, infektiösen und autoimmunen Störungen auszuschliessen. In den ICD-10 (7) gilt Burn-out nicht als eine eigenständige psychiatrische Diagnose, sondern als eine «Störung, verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung» und wird als «Z73.0 Erschöpfungssyndrom (Burn-out)» bezeichnet. Burn-out muss jedoch als ein Prozess eines zunehmenden Verlustes von Energie und Motivation verstanden werden, der sich von einer vorübergehenden Stresssymptomatik bei zunehmender Chronifizierung zu einem dauerhaften Erkrankungszustand weiterentwickelt, der letztlich in eine psychische Störung mündet. Die deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie (DGPPN) definierte Burn-out dementsprechend auch als einen Risikozustand, der zu psychiatrischen und somatischen Folgeerkrankungen führen kann (8) (siehe Abbildung). Diese Sichtweise wird ebenfalls vom Schweizer Expertennetzwerk für Burn-out (SEB) und von der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD) eingenommen. Neurobiologisch entspricht Burn-out einer allostatischen Belastung (9) mit einer Dysregulation der Hypo-
thalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse (10). Bei zunehmender depressiver Symptomatik geht Burnout mit einer verminderten Neuroplastizität (11) und damit einer reduzierten Resilienz einher.
Burn-out im beruflichen Kontext Risikofaktoren für die Entstehung von Burn-out sind einerseits individueller und andererseits arbeitsbezogener Natur. Diesbezüglich sprechen Leiter und Maslach (3) von einem «Mismatch» zwischen Arbeitssituation und individuellem Arbeitnehmer. Sie identifizierten sechs kritische Arbeitsbedingungen, die eine Burn-out-Entwicklung begünstigen (Kasten 2). Arbeitsüberlastung ist hochsignifikant korreliert mit Burn-out (12). Die heutige Arbeitswelt zeichnet sich durch eine ständige Verfügbarkeit, häufige Veränderungen, hohen Zeitdruck, der Forderung nach hoher Effektivität und ständiger Weiterbildung, häufig wechselnden Vorgesetzten oder Arbeitsstrukturen sowie zunehmend über elektronische Medien gesteuerte Kommunikation aus. Damit entstehen neue Rollen und Aufgaben, oftmals verknüpft mit Unklarheit über den Inhalt der Rolle und die Entscheidungskompetenzen des einzelnen Mitarbeiters. Vertraute Beziehungen zu Vorgesetzten und Teammitgliedern werden durch die häufigen Wechsel aufgebrochen. Die Unternehmung, für die man sich bei der Anstellung gerne eingesetzt hat, verändert ihre Strategien und Ziele, sodass es zu Wertekonflikten zwischen dem Mitarbeiter und der Unternehmung kommen kann. So konnte nachgewiesen werden, dass sogenannte «illegitimate tasks» zu einem erhöhten Stresserleben von Arbeitnehmern führt (13). Unter «illegitimate tasks» werden Aufgaben verstanden, die nicht den primären, vom Arbeitnehmer als seine Hauptaufgaben verstandenen und erwünschten Herausforderungen entsprechen. So werden zum Beispiel in sozialen Berufen zunehmend finanzielle Überlegungen und administrative Aufgaben relevant. Da sie nicht den persönlichen Werten der Mitarbeiter, die sich für soziale Belange engagieren wollen, entsprechen, sind diese Prioritäten für sie störend und führen zu Stress. Ein Mangel an sozialer Unterstützung kann als weiterer Risikofaktor wirksam werden. Leiter (14) konnte nachweisen, dass sogenannt «unzivilisiertes Verhalten» deutlich mit Burn-out, Kündigungsabsichten und reduziertem Engagement korreliert. Unter «unzivilisiertem Verhal-
&18 3/2015
PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
ten» versteht er leicht unangenehme Begegnungen, Rücksichtslosigkeit, Unhöflichkeit, Sarkasmus und Infragestellung der Kompetenz. Als Gründe für unzivilisiertes Verhalten angegeben wurden Druck, ein durch Härte geprägter Führungsstil und eine Arbeitskultur, die von unzivilisiertem Verhalten unter Kollegen gekennzeichnet ist. Interventionen, die unzivilisiertes Verhalten reduzierten, führten jedoch zu einer besseren Befindlichkeit der Mitarbeiter. Soziale Unterstützung, sei dies durch den Vorgesetzten, durch Teamkollegen, Freunde, Familie oder Ehepartner, wirkt als Stresspuffer (13) und vermindert das Burn-out-Risiko. Siegrist (15) belegte wiederholt, dass eine Gratifikationskrise am Arbeitsplatz zu einer erhöhten Häufigkeit von kardiovaskulären Erkrankungen, von Depressionen und Burn-out führen kann. Dabei nimmt Siegrist Bezug auf den psychologischen Arbeitskontrakt. Er versteht Arbeit als eine Art Tauschhandel zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer gibt seine Arbeitskraft und sein Engagement in die Arbeit ein, er erwartet aber als Gegenleistung vom Arbeitgeber neben dem Lohn auch Wertschätzung, Gestaltungsfreiraum und Partizipation, persönliche und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, Arbeitssicherheit und soziale Integration. Unter einer Gratifikationskrise versteht er die Frustration dieser Belohnungserwartungen. Nach Schaufeli und Buunk (16) ist Burn-out einerseits die Folge eine Gratifikationskrise und andererseits der Ausdruck eines Missverhältnisses zwischen Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen (17). Ein missglücktes Zusammenspiel zwischen persönlichen Variablen und organisationsbedingten Faktoren kann also zu Stress und Burn-out führen. Das Modell des «Person-Environment-Fit» nach Edwards (18) sieht in der Passung zwischen: a) den Bedürfnissen der Person und den Möglichkeiten
am Arbeitsplatz; b) den Fähigkeiten der Person und den Arbeitsanfor-
derungen; c) den Werten der Person und den in der Organisation
gelebten Werten die Voraussetzungen für ein gesundes und engagiertes Arbeitsleben. Dementsprechend kann eine mangelnde Passung zwischen den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Werten der einzelnen Person und den Gegebenheiten am Arbeitsplatz ein Burn-out begünstigen. Gemäss der «Selbstbestimmungstheorie» von Deci et al. (19) ist für die Befriedigung grundlegender psychologischer Bedürfnisse entscheidend, ob eine Person ihr Potenzial ausschöpfen kann und vor gesundheitlichen Folgen gefeit ist. Als grundlegende Bedürfnisse definieren sie Autonomie, Zugehörigkeit und Kompetenz (sich selbst als wirksam und erfolgreich in der Bewältigung von Herausforderungen zu erleben). Werden diese Grundbedürfnisse am Arbeitsplatz über die Zeit hinweg unregelmässig befriedigt, oder finden sich bei verschiedenen Individuen unterschiedliche Wahrnehmungen bezüglich der erlebten Bedürfnisbefriedigung, so kann dies im Zusammenspiel mit hoher Belastung und mangelnden Ressourcen die Entstehung von Burn-out fördern (20). Nach Lazarus (21) führt jede neue, potenziell belastende Situation zu zwei kognitiven Bewertungsprozessen: Einerseits wird mittels der primären Bewertung beurteilt,
ob die aktuelle Situation bedrohlich oder als Chance gewertet werden soll. Andererseits wird mittels der sekundären Bewertung beurteilt, ob die notwendigen Ressourcen und Fähigkeiten zur Bewältigung der Situation zur Verfügung stehen, das heisst, inwiefern die Person in der Lage ist, die Situation angemessen zu bewältigen. Subjektive Stressempfindung entsteht nach Lazarus dann, wenn eine Person sich bezüglich der Bewältigung einer gegebenen Situation überfordert fühlt, also nicht über die notwendigen Bewältigungsstrategien verfügt. Gomes et al (22) konnten zeigen, dass die Wahrnehmung einer Stresssituation als Bedrohung die Entstehung eines Burn-outs begünstigt. Als individuelle Risikofaktoren für Burn-out lassen sich neben einer möglichen biologischen Stressvulnerabilität eine Reihe von persönlichen Kognitionen, Einstellungen und Verhaltensweisen identifizieren (Kasten 3). Besonders sei hier auf den Mangel an Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit als hauptsächlichem persönlichem Risikofaktor hingewiesen.
Rehabilitation und Reintegration am Arbeitsplatz Die Behandlung eines Burn-outs umfasst drei Phasen: Akuttherapie, Rehabilitation und Reintegration. Eine erfolgreiche Therapie von Burn-out hat die Zielsetzung, eine vollständige Remission der Depression, eine Wiederherstellung der Belastbarkeit und Leistungsfä-
Kasten 2:
Sechs kritische Arbeitsbedingungen als Risikofaktoren für Burn-out (27, 29)
Arbeitsüberlastung Mangelnde Autonomie Mangelnde Wertschätzung
Mangelnder Teamgeist Mangelnde Fairness Wertekonflikte
Übermässige Arbeitsmenge, Zeitdruck, Komplexität Mangelnder Handlungsspielraum Ungenügendes (positives) Feedback und ungenügende Wahrnehmung Einzelkämpfertum, Konflikte im Team Mangelnde Gerechtigkeit in der Organisation Werte und Ziele des Arbeitnehmers und des Unternehmens stimmen nicht überein
Kasten 3:
Individuelle Risikofaktoren für Burn-out (23–26)
Mangel an Selbstvertrauen und Selbsteffizienz Hohes Leistungsstreben Verausgabungsbereitschaft Perfektionsstreben Interpersonelle Kränkbarkeit Hohes Bedürfnis nach Anerkennung von aussen Aufopfernde Haltung Unsicher-ängstlicher Bindungsstil Äussere Kontrollüberzeugung Emotionsorientierter Bewältigungsstil Resignations- und Vermeidungstendenz Mangelnde Konfliktfähigkeit Alleinstehend
3/2015
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
19
FORTBILDUNG
higkeit und die Entwicklung angemessener Bewältigungsstrategien herbeizuführen. In leichteren Fällen von Burn-out ist es möglich, die Arbeit in einem reduzierten Pensum aufrechtzuerhalten. Allerdings muss der Arbeitseinsatz der Belastungsfähigkeit des Patienten angepasst und dergestalt gewählt werden, dass er den hauptsächlichen Stressfaktoren nicht mehr ausgesetzt ist. Bei einer schwereren Burn-out-Problematik, einer massiven Stressbelastung am Arbeitsplatz und wenig Distanzierungsfähigkeit ist es indes ratsam, eine vorübergehende Krankschreibung vorzunehmen. Es soll hier nicht spezifisch auf die Akuttherapie eingegangen werden (vergleiche dazu «Therapieempfehlungen») (27). Jedoch sollen die Aspekte, die hinsichtlich einer nachhaltigen Rehabilitation und einer erfolgreichen Reintegration relevant sind, dargestellt werden. Eine Berücksichtigung der Schnittstelle zwischen dem Patienten und seinem Arbeitskontext ist unabdingbar. Zielsetzung muss sein, eine gute Übereinstimmung zwischen den Ressourcen und Bedürfnissen des Patienten und den Anforderungen und Gegebenheiten am Arbeitsplatz zu schaffen.
Analyse der bisherigen Arbeitssituation Eine gründliche Analyse der bisherigen Arbeitssituation, der spezifischen Belastungsfaktoren und der unter Umständen stressverstärkenden Einstellungen und Bewältigungsstrategien des Patienten ist die Basis, auf der eine Erfolg versprechende Reintegration möglich wird. Die Bewusstwerdung der eigenen Schwächen und der besonders verletzbaren Selbstaspekte und der eigenen Fähigkeiten und Stärken ist ausschlaggebend für eine nachhaltige Verbesserung der gesundheitlichen Störung. Der Fokus der Therapie sollte auf der Entwicklung neuer Ressourcen und angemessener Bewältigungsstrategien sowie auf der Förderung der vorhandenen Kompetenzen liegen. Mögliche interpersonelle Konfliktsituationen am Arbeitsplatz, die die Entwicklung des Burn-outs begünstigten, müssen mit dem Patienten reflektiert und aufgearbeitet werden. Dabei geht es besonders darum zu erkennen, inwiefern das eigene Selbst- und Fremdkonzept oder fixierte kognitive Konstrukte das Konflikterleben und die Stresserfahrung verstärken. Mögliche traumatisch erlebte Rückweisungen oder Überforderungssituationen sind speziell sorgfältig aufzuarbeiten. Zudem geht es um die Klärung, welche Konfliktbereiche veränderbar sind, was der Patient zur Klärung beitragen kann und wo die Situation womöglich als unveränderbar akzeptiert werden muss.
Persönliche Bedürfnisse des Patienten Neben der Bewusstwerdung der eigenen Ressourcen müssen auch die spezifischen Bedürfnisse eines Patienten an seine Arbeitssituation geklärt werden. Auch hier gilt es, eine realistische Beurteilung zu erarbeiten, welche dieser Bedürfnisse innerhalb des Arbeitsumfelds befriedigt werden können. Stellt sich heraus, dass der bisherige Arbeitsplatz die zentralen berufsbezogenen Bedürfnisse grundsätzlich nicht befriedigen kann, muss die Frage einer Neuorientierung gestellt werden. Hier angesagt ist auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und Lebenszielen und wie diese im zukünftigen Lebensentwurf (besser als bis anhin) berücksichtigt werden können.
Medizinische Dimension Die Beachtung eines möglichen depressiven Residuums mit Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten und der neurasthenischen Komponente ist zentral. Häufig zeigen sich Affektschwankungen, die verknüpft sind mit Erschöpfung und Anspannung bei zu grosser oder zu langer Belastung. Das Erreichen einer normalen Belastbarkeit kann bis zu zwei Jahre dauern. Es bewährt sich, den Patienten aufzufordern, mittels einer Skala von 1 bis 10 seine Stimmung, seine Anspannung und seine Energie über die Zeit zu beobachten und gleichzeitig die eigenen Aktivitäten zu registrieren (Energiemonitoring). Damit lernt der Patient, welche Aktivitäten mit welchem Energieaufwand leistbar sind und wie er seine Kräfte demnach einteilen muss. Ein depressives Residuum verlangt nach der entsprechenden medikamentösen Anpassung.
Einbindung der Sozialversicherungen Im Anschluss an die Akuttherapie folgt eine Rehabilitationsphase unterschiedlicher Dauer, in der der Patient vorerst ohne Arbeitsbelastung in seinem persönlichen Umfeld seine Belastbarkeit testet und die neu gelernten Bewältigungsstrategien festigt. Die Unterstützung dieser Phase durch ein Case Management der Taggeldversicherung oder die IV (bei langer Arbeitsunfähigkeit) ist bei guter Abstimmung zwischen Arzt, Patient und CaseManager sehr wertvoll. Mit zunehmender Belastbarkeit ist die Eingliederung in ein Praktikum oder ein Arbeitsversuch möglich. Diese Einsätze sollten zeitlich limitiert, durch Erholungsphasen unterbrochen und therapeutisch sowie durch ein Jobcoaching begleitet sein. Im Fall einer guten Beziehung zum angestammten Arbeitgeber können diese Arbeitsversuche am bisherigen Arbeitsplatz mit klar definierten Aufgaben erfolgen.
Reintegration in die Arbeit Vor der Reintegration in den Arbeitsplatz ist ein gemeinsames Gespräch mit dem Arbeitgeber, dem Patienten und dem Case-Manager anzustreben. Das Gespräch dient der Abstimmung zwischen der spezifischen Leistungsfähigkeit und den Bedürfnissen des Patienten und den Möglichkeiten des Arbeitgebers, ihnen entgegenzukommen. Dabei werden die Teilschritte bis zu einer vollständigen Arbeitsleistung vorgezeichnet, und eine möglichst gute Passung zwischen den aktuellen Ressourcen des Patienten und den Arbeitsanforderungen wird angestrebt. Es ist wichtig zu betonen, dass die Rehabilitation nach einem Burn-out eine längere Zeit beansprucht und eine zu frühe Steigerung der Leistungsanforderung ein hohes Risiko für einen Rückfall birgt. Die Arbeitsleistung sollte bei Reintegration am Arbeitsplatz der festgestellten Belastbarkeit angepasst werden. Es empfiehlt sich, anfänglich kurze Leistungssequenzen mit grösseren Pausen dazwischen zu planen. Das kann zum Beispiel heissen, als ersten Schritt eine 30-prozentige Arbeitsfähigkeit mit je drei halben Arbeitstagen mit jeweils einem Ruhetag dazwischen zu planen. Regelmässige Erholung und Abschalten von der Arbeit sind gesundheitsfördernd. Wie Sonnentag et al. (28) aufzeigten, ist das Abschalten von der Arbeit und die Erfahrung, Aufgaben wirksam bewältigt zu haben, verbunden mit einer besseren Erholungsfähigkeit und ermöglicht eine bessere körperliche und psychische
&20 3/2015
PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
Gesundheit. Um den Wiedereinstieg möglichst unproblematisch zu gestalten, sollten die Mitglieder des Arbeitsteams vom Vorgesetzten in Absprachen mit dem Patienten so weit wie nötig informiert und unterstützt werden. Obschon es durchaus möglich ist, dass eine Person, die ein Burn-out erlitten hat, wieder an den angestammten Arbeitsplatz zurückzukehrt, ist es ratsam, eine angepasste Arbeitssituation mit möglicherweise anderen Aufgaben oder Kompetenzen zu schaffen. Die finanzielle Absicherung durch die Sozialversicherungen ist ein wichtiger sicherheitsgebender Faktor, der eine angepasste Reintegration ermöglicht.
Schlussfolgerungen
Burn-out ist die Folge einer mangelnden Passung zwi-
schen Arbeitnehmer und Arbeitsumfeld. Sowohl orga-
nisationale als auch individuelle Faktoren spielen eine
ausschlaggebende Rolle. Für eine nachhaltige Rehabi-
litation ist die therapeutische Auseinandersetzung mit
der Schnittstelle zwischen dem Patienten und seinem
Arbeitsplatz unabdingbar. Eine Analyse der bisherigen
Arbeitssituation, der für den Patienten relevanten Stress-
faktoren und seiner oft ungünstigen Bewältigungs-
strategien dient der Entwicklung einer realistischen
Einschätzung der persönlichen Ressourcen und Schwä-
chen. Die Klärung der eigenen Bedürfnisse bezüglich
der Arbeit, der persönlichen Werte und Lebensziele
sowie die Entwicklung angemessener Copingstrategien
dienen der Vorbereitung einer Erfolg versprechenden
Arbeitsreintegration. Wichtig ist das Monitoring bezüg-
lich Energie, Stimmung und Anspannung in Abhängig-
keit von Aktivität und Leistungsanforderung. Dies dient
als Basis zur Beurteilung der Belastbarkeit. Die Re-
integration am Arbeitsplatz muss eine gute Passung
zwischen den Ressourcen, Bedürfnissen und der Belast-
barkeit des Patienten und den Anforderungen am Ar-
beitsplatz anstreben. Eine vollständige Rehabilitation
nach Burn-out kann bis zwei Jahre dauern. Die Re-
integration muss schrittweise und in Absprache mit Ar-
beitgeber und Case-Manager erfolgen.
G
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Barbara Hochstrasser, M.P.H
Chefärztin
Privatklinik Meiringen
Postfach 612
3060 Meiringen
E-Mail: barbara.hochstrasser@privatklinik-meiringen.ch
Literaturverzeichnis
1. Maslach, C. and S.E. Jackson.: The measurement of experienced burnout. Journal of occupational behaviour, 1981. 2: p. 99–113.
2. Maslach, C. and S.E. Jackson: Burnout in health professions: A social psychological analysis, in Social Psychology of Health and Illness G. Sanders and J. Suls, Editors. 1982, Erlbaum: Hillsdale, N.J.
3. Leiter, M.P. and C. Maslach: Six areas of worklife:a model of the organizational context of burnout. Journal of Health and Human Service Administration JHHSA, 1999: p. 472–489.
4. Cherniss, C.: Professional burnout in human service organisations. 1980, New York: Praeger.
5. Pines, A. and E. Aronoson: Career Burnout: Causes and Cures, ed. N.Y. Free Press. 1988.
6. Shirom, A. et al.: Burnout, mental and physical health: A Review of the evidence and a proposed explanatory model International Review of Industrial and Organizational Psychology 2005.20 (269–309).
7. Weltgesundheitsorganisation, ed. Internationale Klassifikation psychischer Störungen, Kapitel V (F), Klinisch-diagnostische Leitlinien ed. M.W. Dilling H, Schmitt M.H (Herausgeber) 1993, Hans Huber Verlag, Bern.
8. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, P.u.N.D. Positionspapier zum Thema Burnout: 07.03.2012. [Internet] 2012.
9. McEwen, B.: Allostasis and allostatic load. Implications for neuropsychopharmacology Neuropsychopharmacology 2000. 22: p. 108–124.
10. Menke, A., et al.: Dexamethasone stimulated gene expression in peripheral blood indicates glucocorticoid-receptor hypersensitivity in job-related exhaustion. Psychoneuroendocrinology, 2014. 44: p. 35– 46.
11. Krishnan, V. and E. Nester: The molecular neurobiology of depression. Nature, 2008. 485: p. 894–902.
12. Lee, T., B. Ashfort.: A meta-analytic examination of the correlates of the three dimensions of job burnout. Journal of applied Psychology, 1996. 81(2): p. 123–133.
13. Kottwitz, M.U., et al.: Illegitimate tasks associated with higher cortisol levels among male employees when subjective health ist low: an inter-indvidual analysis. Scandinavian Journal of Environmental Health 2013. 39(3): p. 310–318.
14. Leiter, M.P., et al.: The impact of civility interventions on employee social behavior, distress and atttidues. J of Applied Psychology, 2011. 96(6): p. 1258–1274.
15. Siegrist, J., Berufliche Gratifikationskrisen und depressive StörungenAktuelle Forschungsevidenz. Nervenarzt 2013. 84: p. 33–37.
16. Schaufeli, W. and B.P. Buunk: eds. Burnout: An overview of 25 years of research and theorizing. 2 ed ed. The handbook of work and health psychology ed. M.J. Schabracq, J.A. Winnubst, and C.C. Cooper. 2003, Wiley: West Sussex, UK. 383–429.
17. Demerouti, E., et al.: The job demands-ressources model of burnout. J Appl Psychol, 2001. 86: p. 499–512.
18. Edwards, R.: The relationship between person-environment-fit and outcomes: An intergrative theoretical framework, in Perspectives on organizational fit, C. Ostroff and T.A. Judge, Editors. 2007, Joeeey-Bass: San Franciso. p. 209–258.
19. Deci, E.: Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development and well-beeing. The American Psychologist, 2000. 95: p. 834–848.
20. Van den Broeck, A. et al.: Explaining the relationship between job characteristics, burnout and engagement: The role ob baisc psychological need statisfaction. Work&Stress, 2008. 22: p. 277–294.
21. Lazarus, R.S. and S. Folkman: Stress, Appraisal, and Coping, ed. Springer. 1984, New York.
22. Gomes, A.R., S. Faria, and A.M. Goncalves: Cognitive appraisal as a mediator in the relationship between stress and burnout. Work & Stress 2013. 14: p. 351–367.
23. Schaarschmidt, U. and A. Fischer: Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebnismuster, Manual 1996, Frankfurt: Swets Test Services.
24. Schramm, E. and M. Berger: Interpersonelle Psychotherapie bei arbeitsbedingten depressiven Erkrankungen. Der Nervenarzt, 2013. 84(7): p. 791–798.
25. Kaluza, G.: Stressbewältigung, Trainigsmanual zur psychologoischen Gesundheitsförderung. 2004, Heidelberg: Spinger Medizin Verlag.
26. Rössler, W., et al.: Zusammenhang zwischen Burnout und Persönlichkeit, Ergebnisse aus der Zürich Studie. Der Nervenarzt, 2013. 84: p. 799–805.
27. Hochstrasser, B. and M.E. Keck: Therapieempfehlungen des Schweizer Expertennetzwerks Burnout (SEB) zur Behandlung von Burnout. submitted.
28. Sonnentag, S., C. Binnewies, and E.J. Mojza.: Staying well and engaged when demands are high: the role of pschological detachment. Journal of Applied Psychology, 2010. 95: p. 965–976.
29. Burisch, M.: Das Burnout Syndrom: Theorie der inneren Erschöpfung, Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2006.
Merksätze:
G In den ICD-10 gilt Burn-out nicht als eine eigenständige psychiatrische Dia-
gnose, sondern als eine «Störung verbunden mit Schwierigkeiten bei der Le-
bensbewältigung», und wird als «Z73.0 Erschöpfungssyndrom (Burn-out)»
bezeichnet.
G Der «neurasthenischen» Komponente muss besondere Beachtung geschenkt
werden, da sie sowohl für die Therapie als auch die Rehabilitation eine ent-
scheidende Bedeutung hat.
G Risikofaktoren für die Entstehung von Burn-out sind ein Mismatch zwischen
Arbeitssituation und individuellem Arbeitnehmer.
G Eine erfolgreiche Therapie von Burn-out hat die Zielsetzung, eine vollständige
Remission der Depression, eine Wiederherstellung der Belastbarkeit und Leis-
tungsfähigkeit und die Entwicklung angemessener Bewältigungsstrategien her-
beizuführen.
G Eine vollständige Rehabilitation nach Burn-out kann bis zwei Jahre dauern. Die
Reintegration muss schrittweise und in Absprache mit Arbeitgeber und Case-
Manager erfolgen.
3/2015
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
21