Transkript
Fortbildung
Morbus Parkinson richtig behandeln
Jedes Stadium der Erkrankung erfordert eine genaue medikamentöse Einstellung
Daniel Waldvogel
Die Diagnose der Parkinsonschen Erkrankung
und Nucleus caudatus) führt. Der Aus-
gleich dieses Mangels durch exogen
beruht auf dem Feststellen der motorischen Kardinal- hinzugefügtes Dopamin ist nahelie-
gend. Dies erfolgt durch die Gabe des
symptome Bradykinesie, Rigor und (Ruhe-)Tremor.
Vorläufers von Dopamin, L-Dopa beziehungsweise Levodopa, da Dopa-
Diese Kardinalsymptome dominieren zu Beginn
min selbst die BlutHirn-Schranke nicht überwinden kann. Damit L-Dopa nicht
der Erkrankung das klinische Bild. Im Verlaufe der
schon vor dem Übertritt ins zentrale Nervensystem abgebaut wird, muss es
Erkrankung gewinnen die nicht motorischen
mit einem nur peripher wirksamen Decarboxylase-Hemmer (Carbidopa
Symptome zunehmend an Bedeutung, ebenso wie die
in Sinemet®, Benserazid in Madopar®) kombiniert werden.
L-Dopa ist die wirksamste, am besten
fast obligat auftretenden Komplikationen der
verträgliche und preiswerteste Thera-
pie des M. Parkinson. Hauptsächlicher
dopaminergen Therapie. Das Wissen um die nicht
Nachteil von L-Dopa ist die kurze Halbwertszeit. Diese führt zu einer
motorischen Symptome und die Therapie-
unphysiologischen pulsatilen Stimulation der postsynaptischen Rezepto-
komplikationen ist deshalb von grösster Wichtigkeit
ren, was als Ursache für das frühere und häufigere Auftreten von Dyskine-
sien bei Therapiebeginn mit L-Dopa
für die korrekte Behandlung des Parkinson-Patienten. angesehen wird. Neue Studien prüfen,
Der nachfolgende Artikel soll darauf eingehen.
ob die frühe Zugabe von COMT-Hemmern das Auftreten der Dyskinesien
verzögern kann, Resultate stehen je-
doch noch aus.
Gemäss Richtlinien der Arbeitsgruppe
E inleitend sei auf die wichtige Langzeitstudie von Hely et al. (1) verwiesen, ebenso auf eine aktu-
lange wie möglich mit einer Therapie zuzuwarten, beruht auf einem Missverständnis der pathophysiologischen
der Therapiekommission der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft wird empfohlen, L-Dopa bei älteren
elle Reviewarbeit von Truong et al. (2) Abläufe der Erkrankung. Heute wird und/oder psychoorganisch veränder-
zum Thema der nichtmotorischen im Gegenteil sogar diskutiert, ob die ten Patienten als Initialtherapie ein-
Symptome.
frühe Therapie nicht vielleicht neuro- zusetzen. L-Dopa sollte auch bei Pa-
protektiv sein könnte (3). Auf jeden Fall tienten gebraucht werden, bei denen
Medikamentöse Therapie der
kann man festhalten, dass es keinen man sich rasch ein Bild über das An-
motorischen Symptome
guten Grund gibt, dem Patienten die sprechen machen muss, also in einer
1. Frühtherapie
«Honeymoon»-Phase vorzuenthalten. diagnostisch unklaren Situation, wo
Im Anfangsstadium der Erkrankung Levodopa: Der Morbus Parkinson ist es gilt, zwischen einem typischen und
ist die Therapie so erfolgreich, dass definiert durch den Untergang der einem atypischen Parkinson zu unter-
man häufig von der «Honeymoon-Pe- nigralen Zellen, was zu einem striatalen scheiden. Als «Nicht-Ansprechen» auf
8 riode» spricht. Das frühere Dogma, so Dopaminmangel (Striatum = Putamen die Therapie gilt gemäss Richtlinien
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der Movement Disorders Society, Es stellt sich also die Frage, ob die Derivaten kann es selten zu retro-
wenn nach zwei bis drei Monaten Agonisten eine günstige Wirkung ha- peritonealer und pulmonaler Fibrose
täglicher Einnahme von 1000 mg ben, die im UPDRS-Score nicht zum kommen, es wurden auch Verdickun-
nichtretardiertem L-Dopa keine Bes- Ausdruck kommt, was zum Beispiel gen und Dysfunktion der Herzklappen
serung der Symptome festzustellen für Pramipexol für die Depression be- beschrieben (9), weshalb den Nicht-
ist. hauptet wird (7). Zur postulierten Ergot-Derivaten im Moment der Vor-
zug gegeben wird (10).
Ein «Nicht-Ansprechen» auf L-Dopa
Alternativen: Anticholinergika können allenfalls bei einem jungen Patienten
ist ein gewichtiges Argument für das Vorliegen
mit dominantem Tremor erwogen
eines atypischen Parkinson.
werden. Bei älteren Patienten ist davon dringend abzuraten. Anticholin-
ergika können einen fatalen Einfluss
Da Dopamin auch auf das Brechzen- neuroprotektiven Wirkung der Agoni- auf Kognition und Verhalten haben,
trum in der Medulla oblongata wirkt, sten wird hervorgehoben, dass in den sind zudem bei Prostatahyperplasie
empfiehlt es sich, die Therapie mit durchgeführten bildgebenden Studien und Glaukom kontraindiziert und ver-
niedrigen Dosen zu beginnen. Bei wegen der unterschiedlichen Wir- stärken die ohnehin meist störende
schlechter Verträglichkeit kann, da kung von L-Dopa und Agonisten auf Obstipation und Orthostase.
die Medulla oblongata ausserhalb der die Rezeptoren nicht zwischen einem Seit 2006 ist der neue MAO-B-Hemmer
Blut-Hirn-Schranke liegt, der nur pe- neuroprotektiven Effekt und einem Rasagilin (Azilect®) in der Schweiz er-
ripher wirkende Dopaminantagonist Artefakt unterschieden werden kann hältlich, welcher im Prinzip wegen
Domperidon (Motilium®) hinzugege- (8). Nachteil der initialen Therapie seiner leichten symptomatischen Wir-
ben werden (3 × 10 mg). Die Auf- mit Agonisten sind die längere Dauer kung als Initialtherapie eingesetzt
nahme von L-Dopa aus dem Gastro- bis zum Erreichen der wirksamen werden kann. Ob Rasagilin eine ver-
intestinaltrakt ist ebenso wie der Dosis, die höhere Nebenwirkungsrate laufsbeeinflussende Wirkung hat, ist
Transport durch die Blut-Hirn-Schranke und die höheren Kosten.
noch nicht genügend untersucht (11).
ein aktiver Prozess, der mit anderen Dopaminagonisten werden unterteilt Die symptomatische Wirkung liegt
neutralen Aminosäuren konkurren- in Ergot-Derivate und Nicht-Ergot- weit hinter jener der dopaminergen
ziert. L-Dopa sollte deshalb nüchtern Derivate (siehe Tabelle). Häufige Ne- Stimulation zurück. Dies gilt auch für
und vor allem nicht mit proteinreichen benwirkungen sind die schon vom den Glutamatantagonisten Amanta-
Mahlzeiten eingenommen werden.
L-Dopa bekannten Probleme der Übel- din. Amantadin wird heute bevorzugt
Dopaminagonisten: Da das Risiko von keit und Hypotonie, daneben sieht zur Therapie von Dyskinesien einge-
Dyskinesien und motorischen Fluk- man Ödeme, Schläfrigkeit, Verwirrt- setzt (vgl. unten).
tuationen in den ersten Jahren der Be- heit, Halluzinationen. Bei den Ergot-
handlung bei Dopamin-
agonisten kleiner als bei L-Dopa ist (4–6), werden Agonisten bei jüngeren Patienten
Tabelle: Liste der gebräuchlichsten L-Dopa-Präparate und Agonisten und ihre ungefähre Äquivalenzdosis
gerne als Initialtherapie eingesetzt. Interessant ist, dass in den grossen Vergleichsstudien von Pramipexol und Ropinirol versus L-Dopa die Patienten
Wirkstoff L-Dopa
Markenname
Madopar® Madopar DR®
Anfangsdosis
2 × 50 mg/Tag 100 mg/Tag
Dosisbereich 200–1000 mg
Äquivalenzdosis
100 mg 120 mg
mit den Agonisten bezüglich
Sinemet®
2 × 50 mg/Tag
200–1000 mg 100 mg
der UPDRS-(Unified Parkin-
Sinemet CR® 100 mg/Tag
120 mg
son’s Disease Rating Scale)Werte, welche zur Quantifizierung der Einschränkung gebraucht werden, stets schlechter waren als die Patienten unter L-Dopa. Bezüglich der
Agonisten Nicht-Ergot-Derivate Ropinirol Pramipexol Rotigotin
Requip® Sifrol® Neupro®
0,25–0,75 mg/Tag 4–24 mg/Tag 0,125–0,375 mg/Tag 1,5–5 mg/Tag 2 mg 8–16 mg
4–5 mg 1 mg ?
subjektiven Einschätzung der behandelnden Ärzte und der «quality of life measurements» waren die Gruppen identisch.
Ergot-Derivate Cabergolin Pergolid
Cabaser® Permax®
0,5 mg/Tag 0,125 mg/Tag
2–6 mg/Tag 1,5–3 mg/Tag
1,25 mg 1 mg
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2. Spättherapie Die nigrale Dopaminproduktion nimmt im Verlaufe der Jahre kontinuierlich ab. Dies führt zu einer immer stärkeren Abhängigkeit des Patienten von der exogenen Dopaminsubstitution. Die durch die exogene Zufuhr erreichbaren Spiegel sind dabei nie so konstant wie die physiologischen. Erstes Zeichen dafür ist das «wearing off», das Nachlassen der Wirkung gegen Ende des Dosierungsintervalles. Bei weiterem Fortschreiten der Krankheit mit immer geringerer Speicherfähigkeit von Dopamin reflektieren die zentralen Dopaminspiegel zunehmend die fluktuierenden peripheren Medikamentenspiegel. In der Folge kommt es zur «pulsatilen» striatalen Stimulation, welche als wichtiger Grund für die Ausbildung der Dyskinesien angesehen wird. Man unterscheidet zwischen den «peak-dose»Dyskinesien und den biphasischen Dyskinesien (zu Beginn und gegen Ende der Dosierungsintervalle auftretend). Pro Behandlungsjahr entwickeln etwa 10 Prozent der Patienten Dyskinesien (12), das heisst, dass wir dieses Problem nach zehn Jahren bei (fast) allen Patienten sehen. Die stark fluktuierenden Spiegel erklären auch das Phänomen des plötzlichen Wechsels zwischen «on» und «off», wobei mit der Zeit fast nur noch ein Wechsel zwischen «on mit Dyskinesien» und «off» gesehen wird. Ein wichtiges Problem bei fortgeschrittener Erkrankung ist das «Freezing», die Unfähigkeit der Ganginitiation oder das plötzliche «Klebenbleiben» an einer bestimmten Stelle (13). Es ist wichtig, zwischen «off»- und «on»-Freezing zu unterscheiden, da das «on»-Freezing nicht zu einer Erhöhung der dopaminergen Stimulation verleiten soll, sondern durch Verhaltenstricks wie Zählen oder Übersteigen eines echten oder imaginären Hindernisses bekämpft werden muss. Medikamentös: Die Therapie des fortgeschrittenen Morbus Parkinson bedingt die schrittweise Einführung verschiedener Strategien (14). Einer der wichtigsten Schritte ist die Kombination der
L-Dopa-Therapie mit einem Dopaminagonisten, unabhängig, mit welcher Substanz die Therapie begonnen wurde. Dopamin wird über zwei Wege abgebaut, nämlich über die Catechol-OMethyl-Transferase (COMT) und die Monoamin-Oxidase (MAO). Es stehen heute zwei COMT-Hemmer zur Verfügung, nämlich Entacapon und Tolcapon, sowie zwei MAO-Hemmer, Selegelin und Rasagilin. Der Abbau von Dopamin und L-Dopa findet auch ausserhalb des ZNS statt. Beim peripheren Abbau über COMT entsteht 3-O-Me thyldopa, welches mit L-Dopa an der BlutHirn-Schranke konkurriert. Dies erklärt, weshalb auch der nur peripher wirksame COMT-Hemmer Entacapon hilft, die Fluktuationen zu dämpfen. Entacapon hat eine ähnliche Halbwertszeit wie L-Dopa (15, 16) und wird deshalb in der Standarddosis von 200 mg zusammen mit jeder L-DopaDosis gegeben. Dies kann auch in Form von Stalevo® erfolgen, der Kombination von L-Dopa, Carbidopa und Entacapon. Tolcapon (17–19) wirkt peripher und zentral. Es hat eine längere Halbwertszeit und kann deshalb meist dreimal täglich verabreicht werden (3 × 100 mg). Bei Tolcapon müssen die Transaminasen kontrolliert werden. Die häufigsten Nebenwirkungen leiten sich aus der erhöhten Dopaminwirkung ab, daneben zu beachten sind Durchfälle und Verfärbung des Urins. Selegilin hat nur einen beschränkten Platz in der Therapie der Fluktuationen, vielversprechender scheint der neuere irreversible MAO-B-Hemmer Rasagilin. Dieser zeigte in einer plazebokontrollierten, multizentrischen Studie eine ähnliche Wirkung wie Entacapon bezüglich Reduktion der Off-Zeit (20). Das Nebenwirkungsprofil scheint günstig, es war in dieser Studie nicht unterschiedlich zu Plazebo. Zu beachten ist die Warnung, dass auch MAO-B-Hemmer nicht mit lang wirkenden Serotoninwiederaufnahme-Hemmern (SSRI) kombiniert werden sollten. Eine kontinuierlichere Stimulation der Dopaminrezeptoren und somit lang-
fristig ein Rückgang der Fluktuationen und Dyskinesien kann teilweise durch den Gebrauch einer Apomorphin-Pumpe gelingen. Apomorphin ist der wirksamste Dopaminagonist, kann aber nicht oral eingenommen werden. Der Gebrauch der Apomorphin-Pumpe ist nicht ganz einfach, Therapieinitiierung und Überwachung sollen erfahrenen Zentren vorbehalten bleiben. Eine andere Möglichkeit der kontinuierlichen Stimulation ist der Gebrauch von Duodopa®, wo gelförmiges L-Dopa von einer Pumpe über eine PEG-Sonde ins Duodenum infundiert wird. Der Preis des Systems ist prohibitiv teuer (Jahreskosten des Medikamentes bei ca. 50 000 Franken). Chirurgisch: Eine ausführliche Besprechung der Parkinson-Chirurgie sprengt den Rahmen dieses Artikels, es sei hier auf eine kürzlich erschienene Übersichtsarbeit verwiesen (21). Patienten, welche für einen chirurgischen Eingriff infrage kommen, müssen gut auf L-Dopa ansprechen (Ausnahme Tremor), medikamentös nicht beherrschbare Fluktuation und/ oder Dyskinesien haben, kognitiv keine Einschränkung zeigen und möglichst in einem sozialen Umfeld eingebettet sein, das die schwierigen postoperativen Adaptationen auffangen kann. Der Eingriff ist erfahrenen Zentren vorbehalten, welche auch die nötige umfassende präoperative Evaluation (Bewegungsstörungsspezialist, Neuropsychologie, Psychiatrie) und die postoperativ aufwendige Betreuung des Patienten sicherstellen können. Nur noch selten werden Patienten, die älter als 70 sind, operiert.
3. Therapie der Komplikationen Dyskinesien: Beim Auftreten von Dyskinesien muss versucht werden, den schmalen Bereich zwischen «off» und «on mit Dyskinesien» durch die oben besprochene feine Anpassung der dopaminergen Stimulation möglichst lange zu treffen. Eine positive Wirkung, wenn auch zeitlich beschränkt, kann die Zugabe von Amantadin-Hydrochlorid (Symmetrel®) in einer Dosis von 3 × 100 mg
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täglich haben (22). Häufige Nebenwirkungen von Amantadin sind Verschlechterung der Kognition und Livedo reticularis. Auch Clozapin (Leponex®, Clopin®) hat eine günstige Wirkung auf die Dyskinesien (23). Halluzinationen: Wichtiger erster Schritt beim Auftreten von Halluzinationen ist das Absetzen von Anticholinergika, trizyklischen Antidepressiva, Antihistaminika, Amantadin. Falls dies vom Patienten toleriert wird, sollte die dopaminerge Therapie reduziert werden. Bei Persistenz der Halluzinationen erfolgt die Zugabe atypischer Neuroleptika, wobei nur Quetiapin (Seroquel®) und Clozapin als bei Parkinson einsetzbar gelten. Beide Medikamente sollten sehr vorsichtig eingeschlichen werden (Quetiapin 12,5 mg tägl., Clozapin 6,25 mg tägl.), bei Clozapin sind wegen der Gefahr der Agranulozytose regelmässige BlutbildKontrollen nötig. Eine Alternative kann der Einsatz von CholinesteraseHemmern sein (vgl. «Demenz»). Andere: Dopamin wirkt nicht nur auf die motorischen Basalganglien-Schleifen, sondern auch auf die limbischen. Dies erklärt eine Reihen von Problemen, welche bei hoher dopaminerger Stimulation auftreten können. Nicht selten und für eine Partnerschaft extrem belastend kann die Hypersexualität sein (24, 25), welche zur Dosisanpassung und/oder Einführung von Clozapin (26) führen muss. Weitere Probleme können erhöhte Risikobereitschaft und kompulsives Verhalten sein (27–29), ein Symptomkomplex, der als hedonistisch homöostatische Dysregulation beschrieben wurde (30); heute wird aber meist vom «DopaminDysregulations-Syndrom» gesprochen.
Medikamentöse Therapie der nichtmotorischen Symptome
1. Demenz Die Demenz bei Parkinson-Patienten zeichnet sich durch eine Störung der frontal exekutiven Funktionen aus (31), worunter wir zum Beispiel die Aufmerksamkeit, die verbale Fluenz, das Abstraktionsvermögen, das Vorausplanen, das rasche Anpassen an
eine neue Situation verstehen. Häufig geht die Demenz auch mit Verhaltensstörungen und Halluzinationen einher. Einfache orientierende Tests in der Praxis sind zum Beispiel das Uhrenzeichnen und die Wortproduktion in einer Minute. Da die Demenz auf die Lebensqualität einen entscheidenden Einfluss hat, ist die frühe Behandlung empfohlen. Es
aktivität besteht, sich zur Behandlung deshalb Anticholinergika anbieten (bevorzugt Tolterodin = Detrusitol®, welches weniger lipophil, also BlutHirn-Schranken-gängig ist als Oxybutinin = Ditropan®) (36). Vor dem Einsatz von Anticholinergika ist sehr sorgfältig abzuwägen, ob eine allfällige kognitive Einschränkung deren Einsatz verbietet.
Das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, ist für Parkinson-Patienten etwa sechsfach höher
als für Gesunde (32).
gilt, Medikamente mit anticholinerger und sedierender Wirkung ab- und allenfalls Cholinesterasehemmer einzusetzen (33, 34). Rivastigmin (Exelon®) ist in der Schweiz für ParkinsonDemenz kassenpflichtig.
2. Depression Die Angaben zur Häufigkeit der Depression bei Parkinson variieren stark, Zahlen bis zu 70 Prozent werden aber angegeben (35). Trotz der Häufigkeit und trotz der Relevanz dieses Problems fehlen gute Studien zur Therapie der Depression bei Parkinson. Wegen der anticholinergen Nebenwirkungen der Trizyklika bevorzugen die meisten Spezialisten die Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (SSRI), wobei zu beachten ist, dass in Einzelfällen die motorischen Symptome durch die SSRI verschlechtert werden können.
3. Autonome Störungen Miktionsprobleme sind sehr häufig. Die Regulation der Miktion umfasst dopaminerge Mechanismen, wobei den verschiedenen Rezeptoren (D1, D2) verschiedene Funktionen zugesprochen werden; der Einfluss der dopaminergen Medikamente auf die Blasenfunktion ist aber noch schlecht untersucht. Für den Praxisalltag wichtig ist, dass meist eine Detrusor-Über-
Ein fast obligates Problem bei Parkinson ist die Obstipation (37). Sie kann den motorischen Manifestationen sogar vorausgehen. Medikamente, insbesondere Anticholinergika, verstärken das Problem. Zur Behandlung empfohlen werden Bewegung, viel Flüssigkeit, genügend Faserstoffe in der Nahrung, pflanzliche Abführmittel wie Plantaginis ovatae (Metamucil®), Macrogol3350 (Transipeg®) (38), allenfalls auch Lactulose oder Laxanzien wie Natrium-Picosulfat oder Bisacodyl. Bei Dyskinesien und in «off»-Phasen kann es zu «Schwitzkrisen» kommen (39). Diesem Problem lässt sich am besten durch die Optimierung der dopaminergen Therapie begegnen. Untersuchungen zur sexuellen Lebensqualität zeigen, dass ParkinsonPatienten sich in dieser Domäne stark eingeschränkt fühlen (40). Bei der Beratung der Patienten ist unbedingt zu erfragen, ob eine medikamentös induzierte Libidoerhöhung (vgl. oben) zu unrealistischen Erwartungen an den Partner führt (41), bevor allenfalls Phosphodiesterasehemmer (42) zur Therapie der Impotenz verschrieben werden.
4. Schlafstörungen Bei den Schlafstörungen sehen wir Einund Durchschlafstörungen, erhöhte Tagesmüdigkeit und REM-assoziierte Verhaltensstörungen. Die durch Rest-
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less-legs-ähnliche Beschwerden verursachten Einschlafstörungen oder die durch nächtliche Akinesie verursachten Durchschlafstörungen lassen sich oft durch eine Anpassung der dopaminergen Therapie lindern, wobei häufig gesehen wird, dass der Schlaf leider trotz guter motorischer Einstellung fraktioniert bleibt. Die REM-assoziierte Verhaltensstörung kann mit Clonazepam (Rivotril®) in niedriger Dosierung (0,5–2 mg) meist gut behandelt werden. Die Tagesschläfrigkeit kann gelegentlich mit regelmässigen «Power-Naps» gebessert werden.
5. Schmerzen Parkinson kann zu Schmerzen führen (43, 44). Typisch sind die Schmerzen bei Rigidität, welche im Einzelfall eine rheumatologische Erkrankung imitieren können. In späteren Stadien häufig sind Schmerzen bei «off» in Form von «off»-Dystonien. Die Anpassung der dopaminergen Therapie oder bei stark schmerzhaften «off»-Dystonien der Einsatz von Madopar Liq® oder dem Apomorphin Pen kann diesen Patienten helfen.
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Zu beachten ist allerdings, dass die
meisten Patienten in einem Alter sind,
in dem Beschwerden infolge degene-
rativer Skelettveränderungen (z.B. eine
lumbale Spinalkanalstenose) gehäuft
vorkommen. Die klinische Diagnose
ist bei Parkinson-Patienten häufig
schwieriger, demzufolge sollte man
die Indikation zur Bildgebung nicht zu
restriktiv stellen.
■
Dr. med. Daniel Waldvogel Facharzt FMH für Neurologie
Klinik St. Anna 6006 Luzern
Interessenkonflikte: keine
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BUCHBESPRECHUNG
Parkinson – umfassend und patientengerecht
Ludwig E., Annecke R.: «Der grosse TRIAS-Ratgeber Parkinson-Krankheit», 152 Seiten mit vielen Abb., Fr. 42,40, 2. überarbeitete Aufl., TRIAS-Verlag in MVS Medizinverlage, Stuttgart 2007
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Die Diagnose Parkinson wirft für alle Betroffenen und deren Angehörige eine Vielzahl von oft sehr beunruhigenden Fragen auf, die der Arzt in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit unmöglich ausführlich und umfassend beantworten kann. Abhilfe schafft hier der vorliegende Ratgeber, der – mit der Neuauflage auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand – dem Patienten all
die Informationen bietet, die dieser braucht, um die Krankheit zu verstehen, um zusammen mit seinem Arzt einen individuellen massgeschneiderten Behandlungsplan zu erstellen und um frühzeitig selbst aktiv werden zu können. Mit den zahlreichen Bewegungs-, Sprech- und Atemübungen lernt der Betroffene, seine Beweglichkeit länger zu erhalten und Sprech- und Schluckstörungen vorzubeugen. Auch erfährt er, wie er in der Lage ist, seinen Leidensdruck zu mildern und sich selbst positiv zu stärken. Empfehlung: Weisen Sie als Arzt auf dieses Buch hin, der Patient wird es Ihnen sicherlich danken.
(nm)
Neurologie 4•2007