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Schwerpunkt
Gesetzliche Initiativen zur Verbesserung der pädiatrischen Arzneimitteltherapie
Peter Kleist1, Hans Stötter2
Abstract Nach wie vor ist der Off-Label-Einsatz von Arzneimitteln in der Pädiatrie sehr hoch, weil diese unzureichend in den entsprechenden Altersgruppen untersucht worden sind. Zur Förderung der Erforschung, Entwicklung und Zulassung von Kinderarzneimitteln ist in der Europäischen Union (EU) seit Januar 2007 eine neue Kinderverordnung in Kraft. Die Anträge auf Zulassung neuer Arzneimittel sowie die Anträge auf Zulassungserweiterung patentgeschützter Arzneimittel müssen nun die Ergebnisse von pädiatrischen Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit beinhalten, falls das Arzneimittel zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen bedeutsam sein könnte. Als Gegenleistung wird der Patentschutz um sechs Monate verlängert. Eine entscheidende Rolle übernimmt die europäische Arzneimittelagentur (EMEA), die bestimmt, ob klinische Studien in der Pädiatrie durchgeführt werden sollen, und das pädiatrische Prüfkonzept genehmigt. Der freie Zugang zu den Daten der pädiatrischen Studien über internetbasierte Datenbanken soll mehr Transparenz schaffen, und der Ausbau von pädiatrischen Studiennetzwerken sowie spezielle Fördermittel für die nicht kommerzielle Forschung sollen die Situation für patentfreie Arzneimittel verbessern. Spezielle Massnahmen der Arzneimittelüberwachung zielen darauf ab, die Sicherheit der Arzneimittel für Kinder zu erhöhen. Die dadurch erreichten Fortschritte für die therapeutische Versorgung von Kindern werden auch in der Schweiz wirksam sein. Mit der EU vergleichbare gesetzliche Rahmenbedingungen fehlen hier allerdings noch.
der Off-Label-Einsatz in der Pädiatrie immer noch sehr hoch. Im Bereich der neonatologischen Intensivmedizin liegt er bei 90 Prozent und in der allgemeinmedizinischen und kinderärztlichen Praxis bei 20 bis 50 Prozent aller Arzneiverordnungen (1). Vor allem Herz-Kreislauf-Mittel, Bronchodilatatoren, Antibiotika und Analgetika werden häufig in Altersgruppen, Indikationen, Dosierungen, Applikationswegen und pharmazeutischen Formulierungen eingesetzt, die ausserhalb der behördlich erteilten Zulassung liegen (2). In der Schweiz ist wie in anderen Ländern eine Off-Label-Anwendung zwar grundsätzlich möglich (3); der Arzt trägt jedoch die alleinige Verantwortung, und der Patient wird zu einer Versuchsperson, da die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Therapie nicht ausreichend untersucht worden sind. Es gibt zahlreiche Hinweise dafür, dass das Risiko eines therapeutischen Versagens oder das Auftreten schwerer unerwünschter Wirkungen erhöht ist (1, 4). Kinder sind – leider – immer noch die «Waisenkinder der Medizin» (5).
Das «therapeutische Dilemma»
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen und reagieren anders auf Arzneimittel. Ausserdem stellen Kinder eine sehr heterogene Population dar. Abhängig vom Reifezustand der Organsysteme können in verschiedenen Altersstufen erhebliche Unterschiede in der Pharmako-
1GlaxoSmithKline AG, Münchenbuchsee, 2Swissmedic, Schweizerisches Heilmittelinstitut, Bern
kinetik und -dynamik von Arzneistoffen auftreten. Weil viele Arzneimittel ausschliesslich oder zunächst nur an Erwachsenen untersucht worden sind und für Säuglinge und Kleinkinder oftmals keine geeigneten galenischen Formen zur Verfügung stehen, weist die medikamentöse Behandlung von Kindern erhebliche Lücken auf. Dass etwas unternommen werden muss, ist also heute keine Frage mehr. Mangels therapeutischer Alternativen ist
Die Verantwortung von Gesetzgebern und Arzneimittelbehörden
Es ist zu erwarten, dass sich die Situation aufgrund der jüngsten Initiativen der Arzneimittelbehörden grundlegend ändert. In den USA wurden die gesetzlichen Grundlagen zur Förderung der pädiatrischen Arzneimittelforschung bereits vor einigen Jahren gelegt und vor Kurzem durch zusätzliche Massnahmen verstärkt (6–8). Diese beinhalten sowohl Anreize als auch Verpflichtungen für die
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pharmazeutische Industrie. Über 900, an mehr als 56 000 Kindern durchgeführte Studien führten daraufhin zu einer neuen beziehungsweise verbesserten Information über eine pädiatrische Anwendung von 159 Arzneimitteln (Stand Mai 2009). Die in der Europäischen Union verabschiedete «Kinderverordnung» (9), die am 26. Januar 2007 in allen EU-Staaten in Kraft getreten ist, entstand unter grossem politischem Druck. Mit der Gesetzesinitiative sollten die notwendigen Rahmenbedingungen für eine Verbesserung der Arzneimittelsicherheit in der Pädiatrie geschaffen werden. Es war nicht länger akzeptabel, dass die Hälfte der Arzneimittel, mit denen 100 Millionen Kinder und Jugendliche (20% der EU-Gesamtbevölkerung) behandelt werden, nicht an Kindern untersucht und nicht für die Anwendung an Kindern zugelassen waren (10). Ziel der Kinderverordnung ist es, die Versorgung der Kinder in Europa mit adäquat geprüften Arzneimitteln zu verbessern, indem Erforschung, Entwicklung und Zulassung von Kinderarzneimitteln intensiviert werden. Neben Anreizen und verpflichtenden Auflagen für pharmazeutische Unternehmen zur Entwicklung von Arzneimitteln für Kinder wurden in der Verordnung auch zusätzliche Massnahmen zur Verhinderung redundanter Studien und zur Überwachung der Arzneimittelsicherheit bei Kindern aufgenommen. Darüber hinaus kommt schliesslich der europäischen Arzneimittelagentur EMEA (European Medicines Agency) eine tragende Rolle zur Förderung der pädiatrischen Forschung zu. Die folgenden Abschnitte fassen die wesentlichen europäischen Neuerungen zusammen. Dabei wird auch ein Blick auf die gegenwärtige Situation in der Schweiz geworfen.
Das Wichtigste auf einen Blick
Forschungsförderung und mehr Transparenz Der seit Juli 2007 innerhalb der EMEA tätige, mit 33 Experten besetzte Pädiatrieausschuss nimmt eine Schlüsselfunktion im Rahmen der europäischen Regelungen ein. Der Pädiatrieausschuss verfügt über weitreichende Kompeten-
zen: Er beurteilt und genehmigt die von den Zulassungsantragstellern vorzulegenden pädiatrischen Prüfkonzepte (siehe unten) und kontrolliert deren Einhaltung. Er kann einen Aufschub zur Vorlage pädiatrischer Daten oder Ausnahmeregelungen aussprechen und beide auch, falls sich neue Gesichtspunkte ergeben, wieder aufheben. Er bestimmt, ob für patentgeschützte Arzneimittel pädiatrische Studien durchgeführt werden müssen. Im Auftrag der EMEA überprüft er die auf Basis der pädiatrischen Prüfkonzepte generierten Daten und beurteilt die Wirksamkeit und Sicherheit der Arzneimittel für die Anwendung bei Kindern. Vor Kurzem hat er die Prioritäten für die Erforschung von Arzneimitteln festgelegt, für die kein Patentschutz mehr besteht (11). Handlungsgrundlage für den Pädiatrieausschuss sind die Feststellung therapeutischer Bedürfnisse und entsprechende, nach Indikationsgebieten geordnete Listen von solchen Arzneimitteln, für die eine Notwendigkeit zur Durchführung weiterer klinischer Studien besteht. Diese Listen sind öffentlich zugänglich (12). Die europäische Arzneimittelagentur wird durch die Kinderverordnung zudem verpflichtet, die Einrichtung nationaler pädiatrischer Studiennetzwerke zu fördern und zu koordinieren. Solche sind – neben krankheitsspezifischen Studiengruppen wie zum Beispiel PENTA für HIV-erkrankte Kinder – in verschiedenen europäischen Ländern bereits etabliert, beispielsweise in Deutschland, Grossbritannien und Frankreich (PaedNet, MCRN und RIPPS) (13). Die Förderung von Studiennetzwerken auf europäischer Ebene entbindet die einzelnen EU-Mitgliedstaaten nicht, zusätzlich eigene Anreize für die Erforschung von Kinderarzneimitteln zu schaffen. Um mehr Transparenz zu erzielen, werden aktuell internetbasierte pädiatrische Datenbanken eingerichtet, in denen einerseits Informationen über vorhandene Arzneimitteldaten (Listung aller pädiatrischen Arzneiformen pro Land; Eudrapharm) und andererseits über abgeschlossene und laufende pädiatrische klinische Studien (EudraCT) enthalten sind. Diese Studiendatenbank, zu der momentan noch beschränkter Zutritt be-
steht (14), soll zukünftig für jeden öffentlich zugänglich sein – also auch für Schweizer Kinderärzte und Patientengruppen. Zurzeit laufen noch entsprechende Programmierungsarbeiten, um bestimmte Datenfelder zum Studienprotokoll und zu den Studienergebnissen für jeden einsichtlich zu machen (15). Ein wichtiger Aspekt des öffentlichen Zugangs zur Studiendatenbank besteht in der Vermeidung einer unnötigen Durchführung oder Duplizierung von Studien bei Kindern. Dies ist in der Verordnung so festgelegt und stellt somit eine gesetzliche Verpflichtung für die EMEA dar. Für die finanzielle Förderung von nicht kommerzieller Forschung mit Arzneimitteln ohne Patentschutz ist ein eigener Fonds eingerichtet worden (MICE, Medicines Investigation for Children in Europe), der mit dem 7. Forschungsrahmenprogramm der EU gekoppelt ist. Weiterhin bietet die EMEA den pharmazeutischen Unternehmen kostenlos wissenschaftliche Beratung und konkrete Hilfestellung bei der Studienprotokollentwicklung und der Auswahl geeigneter Studienzentren an. Die von der EMEA übernommene Verantwortung ist gross und die Messlatte liegt hoch. Der Schweizerischen Heilmittelbehörde Swissmedic fehlen für entsprechende Massnahmen (noch) der gesetzliche Auftrag und die erforderlichen Mittel. Allerdings überprüft Swissmedic seit 2003 systematisch die Angaben bezüglich der Anwendung und Dosierung bei Kindern in der Arzneimittelinformation sowohl bei Neuzulassungen als auch bei bereits auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln. Unvollständige oder unpräzise Angaben sind zu ergänzen. Auch ein Fehlen pädiatrischer klinischer Studien ist explizit zu erwähnen (16).
Anreize für pharmazeutische Unternehmen Herstellern von patentgeschützten Arzneimitteln wird in der EU eine sechsmonatige Verlängerung des Patentschutzes gewährt, wenn Studien an Kindern gemäss des genehmigten pädiatrischen Prüfplans durchgeführt werden – unabhängig von deren Ausgang. Voraussetzung ist jedoch, dass das Arzneimittel in allen EU-Mitgliedstaaten zugelassen ist.
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Damit verschiebt sich die Generikafähigkeit einer Substanz um ein halbes Jahr. Arzneimittel ohne Patentschutz erhalten eine spezielle Zulassung (PUMA, Paediatric Use Marketing Authorisation) und einen zehnjährigen Unterlagenschutz für die pädiatrische Anwendung – insofern ein Hersteller neue Studien durchführt, die anschliessend einen therapeutischen Nutzen für Kinder aufzeigen oder eine eigens für Kinder geeignete Arzneiformulierung entwickelt. Ein anderer (generischer) Hersteller kann diese Anwendung während der Schutzfrist von zehn Jahren nicht für sich beanspruchen. Bei Arzneimitteln für seltene Krankheiten, die oft keinen Patentschutz geniessen, wurde eine spezielle Regelung festgelegt und der Unterlagenschutz sogar auf zwölf Jahre verlängert.
Welche Anreize bestehen in der Schweiz? Um die Durchführung klinischer Studien bei Kindern zu fördern, gewährt Swissmedic eine verlängerte Datenschutzdauer von fünf Jahren für die Entwicklung des Arzneimittels zur Behandlung von Kindern. Für die Zulassung von Arzneimitteln zur Behandlung seltener Erkrankungen können die Gebühren erlassen werden (16). Sowohl die Verlängerung des Datenschutzes als auch ein Gebührenerlass sind separat zu beantragen. Alle darüber hinaus gehenden Anreize, namentlich die von der pharmazeutischen Industrie gewünschte Verlängerung des Patentschutzes, bedürfen jedoch einer neuen gesetzlichen Grundlage und sind daher nicht in kurzer Zeit zu realisieren.
Verpflichtende Massnahmen und Sanktionen Die Erteilung einer Zulassung für neue, das heisst bisher nicht im EU-Raum zugelassene Arzneimittel oder eine Ausdehnung der Zulassung patentgeschützter Arzneimittel für neue Indikationen, Applikationswege oder Dosierungen hängt von der Vorlage eines genehmigten pädiatrischen Prüfkonzepts ab. Bereits in der frühen klinischen Entwicklungsphase ist ein pharmazeutisches Unternehmen verpflichtet, der Arzneimittelagentur (d.h. dem Pädiatrieausschuss) ein pädiatrisches Prüfkonzept (17) vorzulegen, in
dem das geplante Entwicklungsprogramm für alle relevanten Altersgruppen (Frühgeborene, Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder bis 2 Jahre, Kinder von 2 bis 11 Jahren und Jugendliche ab 12 Jahre) entsprechend der ICH-E11Richtlinie (18) darzulegen ist. Die ICHE11-Richtlinie beschreibt, in welcher Situation, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Weise pädiatrische Daten zu erheben sind. Im darauf aufbauenden pädiatrischen Prüfkonzept sind unter anderem die beantragte Indikation zu erläutern sowie die geplanten Massnahmen in Bezug auf die Entwicklung geeigneter Darreichungsformen und die Strategie zur Generierung notwendiger pharmakologischer, toxikologischer und klinischer Daten aufzuzeigen. Weiterhin sind die geplanten klinischen Studien und die Fristen detailliert aufzuführen. Die Einhaltung des Prüfkonzepts wird von den Behörden überwacht. Strebt ein pharmazeutisches Unternehmen eine Indikationserweiterung an, dann muss das pädiatrische Prüfkonzept die Entwicklung des Arzneimittels in allen bereits für Erwachsene zugelassenen Indikationen und Anwendungsmöglichkeiten berücksichtigen. Lediglich medizinische Aspekte (z.B. ein fehlender therapeutischer Nutzen oder ein erhöhtes Risiko) können mit einer Ausnahmeregelung verbunden sein. Das Ausklammern einer oder mehrerer Altersgruppen ist explizit zu begründen. Das Prüfkonzept bedarf – wie bereits oben erwähnt – der Genehmigung durch den Pädiatrieausschuss. Ein Zulassungsgesuch für die Behandlung von Erwachsenen kann vonseiten der Behörde abgelehnt werden, wenn nicht gleichzeitig ein genehmigtes pädiatrisches Prüfkonzept vorgelegt wird. Das genehmigte pädiatrische Prüfkonzept ist bindend. Ein Zulassungsgesuch muss sich auf die Ergebnisse der gemäss des pädiatrischen Prüfkonzepts durchgeführten Studien abstützen. Erfolgt eine Zulassung, ist die pharmazeutische Firma nach der Markteinführung zu einer speziellen Überwachung der Anwendungssicherheit bei Kindern verpflichtet. Wurde mit dem genehmigten Prüfkonzept ein Aufschub für die Durchführung von Studien an Kindern gewährt, müssen die Ergebnisse der Kinderstudien fristge-
mäss eingereicht werden, ansonsten kann das pharmazeutische Unternehmen mit einer Busse von bis zu 5 Prozent des mit dem betreffenden Arzneimittel in der EU erzielten Jahresumsatzes sanktioniert werden. Ein Verstoss kann auch in der Fachinformation des Arzneimittels Erwähnung finden. Beabsichtigt ein Hersteller, ein (auch) für die Behandlung von Kindern zugelassenes Arzneimittel vom Markt zurückzuziehen, muss er dies vorab der Behörde mitteilen. Ausserdem wird die Originalfirma verpflichtet, die relevanten Unterlagen an eine neue Vertriebsfirma weiterzureichen.
Wie sieht die aktuelle Situation in der Schweiz aus? Ende 2006 wurde durch Swissmedic die Anleitung zum Einreichen von Zulassungsgesuchen für Arzneimittel mit neuen aktiven Substanzen (sogenannte NAS-Anleitung; [19]) im Hinblick auf pädiatrische Informationen angepasst. Gestützt auf die oben erwähnte, in den USA, in der EU und in Japan gesetzlich implementierte ICH-E11-Richtlinie (18) und auf die jüngste europäische Gesetzgebung ist die Einreichung eines pädiatrischen Prüfkonzepts und der Ergebnisse der Studien an Kindern auch in der Schweiz vorgesehen. Zulassungsantragsteller können aber in der Schweiz zurzeit nur dazu angeregt werden – ohne rechtliche Verpflichtung, aber in Wahrnehmung einer Selbstverantwortung und im Interesse der Arzneimittelsicherheit bei der Behandlung von Kindern – entsprechende Daten freiwillig einzureichen.
Schlussbemerkungen und Ausblick für die Schweiz
Wie das amerikanische Beispiel bereits gezeigt hat und es seit Inkrafttreten der EU-Verordnung zunehmend auch in Europa spürbar wird, kann ein duales System von Pflichten von und Anreizen für die pharmazeutische Industrie die pädiatrische Forschung und Entwicklung markant fördern. Darüber hinaus übernehmen der Gesetzgeber und die Arzneimittelagentur in der EU einen nicht unerheblichen Teil der Verantwortung: dies
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geschieht in Form von Beratung und Unterstützung der Industrie bei der Protokollentwicklung und der Auswahl geeigneter Studienzentren, der Förderung der nicht kommerziellen pädiatrischen Arzneimittelforschung und durch die Schaffung von mehr Transparenz bei der Arzneimittelinformation mittels der Einrichtung öffentlich zugänglicher Datenbanken. Bis Ende Mai 2009 hat der Pädiatrieausschuss 473 pädiatrische Prüfkonzepte evaluiert, 155 positive Bescheide ausgesprochen und 93 Ausnahmen akzeptiert. Bezogen sich im Jahr 2007 die Prüfkonzepte überwiegend noch auf bereits zugelassene Arzneimittel, so hat sich das Verhältnis im Jahr 2009 zugunsten neuer Arzneimittel umgekehrt. Nur 6 Prozent der 2009 gestellten Anträge betrafen Arzneimittel ohne Patentschutz (20). Diese Zahlen zeigen bereits, dass die grössten Effekte in Bezug auf neue und patentgeschützte Arzneimittel grösserer pharmazeutischer Unternehmen zu erwarten sind. Wie stark die zurzeit noch rudimentären europäischen Forschungsstrukturen ausgebaut werden können und ob die bereitgestellten Fördermittel für die notwendige Untersuchung essenzieller patentfreier Arzneimittel langfristig ausreichen, wird sich zeigen müssen. Es wäre zu begrüssen, wenn in der Schweiz möglichst bald die formellrechtlichen Grundlagen für eine mit der EU vergleichbare, aus Verpflichtungen und wirksamen Anreizen bestehende Regelung geschaffen werden. Im März 2007 wurden 80 Vertreter unterschiedlicher Organisationen vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) zum Regelungsbedarf der pädiatrischen Arzneimitteltherapie in der Schweiz befragt. Der Konsultationsbericht, der seit Juli 2007 vorliegt (21), bringt den mehrheitlich geäusserten Wunsch einer Anlehnung an die EU-Regelungen zum Ausdruck. Zudem wird auch die zweite Etappe der Heilmittelgesetzrevision (22) das Thema Kinderarzneimittel zum Inhalt haben. Über das Genannte hinaus wäre eine stärkere Annäherung von pädiatrischforschenden Einrichtungen in der Schweiz an die bestehenden Netzwerke in den Nachbarländern sowie die Schweizer Beteiligung an EU-Forschungspro-
grammen wünschenswert – inklusive staatlich bereitgestellter Fördergelder.
Korrespondenz: Dr. med. Peter Kleist GlaxoSmithKline AG Talstrasse 3–5, 3053 Münchenbuchsee Tel. 031-862 24 60 E-Mail: peter.m.kleist@gsk.com
Dr. med. Hans Stötter Swissmedic, Schweizerisches Heilmittelinstitut Hallerstrasse 7, 3000 Bern 9 Tel. 031-322 02 11 E-Mail: hans.stoetter@swissmedic.ch
Interessenverbindungen: keine
Dieser Beitrag ist die überarbeitete und aktualisierte Fassung einer Publikation in der Schweizerischen Ärztezeitung (Kleist P, Stötter H. Die Entwicklung von Kinderarzneimitteln: Es tut sich etwas! Schweizerische Ärztezeitung 2007; 88: 800–804).
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