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IM FOKUS: GASTROENTEROLOGISCHE TUMOREN
UEG Week 2023, Kopenhagen
Gastrointestinale Karzinome
Mikrosatelliteninstabilität prognostisch wichtig
Tumore mit Mikrosatelliteninstabilität stellen eine bedeutende Untergruppe der gastrointestinalen Karzinome dar. Obwohl sie schlecht auf eine Chemotherapie ansprechen, sind sie prognostisch günstiger als andere Karzinome des Gastrointestinaltrakts, zumal sie stark immunogen sind und unter anderem von T-Zellen infiltriert werden. Damit sind diese Tumoren ausgezeichnete Kandidaten für Immuntherapien. Tatsächlich zeigen klinische Studien mit Checkpoint-Inhibitoren spektakuläre Ergebnisse mit komplettem Ansprechen bei bis zu 100 % der Studienpatienten.
Bei rund 15 % aller kolorektalen Karzinome besteht keine chromosomale Instabilität, sondern eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI). Als Mikrosatelliten werden kurze, meist nichtcodierende DNA-Sequenzen von zwei bis sechs Basenpaaren Länge bezeichnet, die im Genom eines Organismus mit häufigen Wiederholungen anzutreffen sind. Zugrunde liegen dysfunktionale DNA-Reparaturmechanismen, die bei der DNA-Replikation den Einbau von falschen Basen («mismatch») in neu hergestellte DNA-Stränge entdecken und korrigieren sollten («mismatch repair»). Durch den Ausfall des Reparatursystems häufen sich nach und nach in der neu replizierten DNA Mutationen an, die zu Längenveränderungen der Mikrosatelliten führen.
Erworbene Mutation und hereditäre Erkrankung
Die Mehrzahl der Karzinome mit Mikrosatelliteninstabilität entsteht auf Basis eines erworbenen Ausfalls («epigenetic silencing») eines für ein Reparaturprotein kodierenden Gens (meist MLH1). Im Gegensatz dazu besteht beim selteneren hereditären non-polypösen kolorektalen Karzinom (Lynch-Syndrom) eine Mutation der Keimbahn. Beim autosomal-dominant vererbten Lynch-Syndrom treten auch in anderen Organen bereits in jungen Jahren Tumoren auf. «In beiden Fällen liegt der Erkrankung eine eingeschränkte Fähigkeit der Zelle, Mutationen zu reparieren, zugrunde. Kolorektale Karzinome mit Mikrosatelliteninstabilität, MSI-high, weisen daher im Vergleich zu anderen kolorektalen Karzinomen eine um mindestens den Faktor 100, zuweilen
aber auch um den Faktor 1000, höhere Mutationslast auf», sagt dazu Dr. AnaMaria Bucalau vom Hôpital Erasme, Cliniques Universitaires de Bruxelles. Darüber hinaus sind die genetischen Sequenzen in den Mikrosatelliten alteriert. Eine sporadische Mikrosatelliteninstabilität ist korreliert mit einer Lokalisation im rechten Kolon, schlechter histologischer Differenzierung und dem Subtyp des muzinösen Adenokarzinoms. Diese Karzinome sprechen auch schlechter auf eine Chemotherapie an. Bei Patienten im Stadium II ohne Risikofaktoren kann der Nachweis einer Mikrosatelliteninstabilität als Argument gegen eine adjuvante Chemotherapie gesehen werden. Allerdings liegen bislang keine prospektiv randomisierten Studien zur Wirksamkeit von Chemotherapie auf der Basis der Mikrosatelliteninstabilität vor. Dennoch ist die Prognose von kolorektalen Karzinomen mit Mikrosatelliteninstabilität besser als bei Karzinomen mit chromosomaler Instabilität. Dahinter dürfte nicht zuletzt die Produktion immunogener Peptide infolge der veränderten Mikrosatelliten stehen, die eine massive Immunantwort gegen den Tumor mit ausgeprägter Infiltration durch Immunzellen verursacht. Darunter befinden sich auch T-Zellen mit hoher Expression des Immuncheckpoints PD1. Daraus erklärt sich das gute Ansprechen von MSI-high-Tumoren auf eine Therapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren (1, 2).
Gute Daten für Immuntherapie beim fortgeschrittenen Karzinom
Dies zeichnete sich bereits vor fast zehn Jahren mit ersten Phase-II-Daten ab, die
bei Patienten mit Mismatch-Repair-Defizienz im Vergleich zu anderen Kolonkarzinomen ein deutlich besseres Ansprechen auf den PD1-Inhibitor Pembrolizumab und daraus resultierend klinische Vorteile zeigten (3). In der Phase-III-Studie KEYNOTE-177 wurde schliesslich Pembrolizumab in einem Kollektiv von Patienten, in deren Tumorgewebe eine Mikrosatelliteninstabilität vorlag, in der Firstline-Therapie mit verschiedenen Chemotherapien als «standard of care» (SOC) verglichen. Die Studie ergab eine klinisch bedeutsame und signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (PFS) um 40 % bei deutlich reduzierter Toxizität (22 statt 6 % Grad 3–4 Nebenwirkungen). Das Gesamtüberleben als sekundärer Endpunkt wurde klinisch relevant, jedoch statistisch nicht signifikant verlängert, was durch eine hohe Rate an Cross-Over sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Studie erklärt wird (4). Eine entsprechende Zulassung für die Therapie von metastasierten kolorektalen Tumoren, die eine MSI aufweisen, liegt vor. Der Nachweis der MSI kann immunhistochemisch erfolgen. In der Secondline verglich die Studie SAMCO-PRODIGE 54 Avelumab, einen Inhibitor des PD1-Liganden, mit einer SOC-Chemotherapie. Dabei erwies sich Avelumab als überlegen im Hinblick auf das PFS. Dieses lag nach einem Jahr bei 31,2 % (95 %-Konfidenzintervall [KI]: 20,1– 42,9 %) in der Verum- und bei 19,4 % (95 %-KI: 10,6–30,2 %) in der Kontrollgruppe. Der Vorteil nahm mit längerem Follow up zu. Nach 18 Monaten waren schliesslich 27,4 % (95 %-KI: 16,8–39,0 %) der Avelumab- und 9,1 % (95 %-KI: 3,2– 18,8 %) der Kontrollpatienten progressionsfrei (5). Bucalau weist allerdings darauf hin, dass sich – typisch für Immuntherapien – der Effekt erst nach mehreren Behandlungsmonaten zeigt und Avelumab in der initialen Phase der Therapie sogar schlechter abgeschnitten hat als die Vergleichstherapie, weshalb in vielen Indikationen Im-
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muncheckpoint-Inhibitoren heute als Komponenten von Kombinationstherapien zum Einsatz kommen. Solche Kombinationen werden derzeit in mehreren Indikationen untersucht, auch in der Indikation des kolorektalen Karzinoms mit Mikrosatelliteninstabilität.
Spektakuläre Resultate im neoadjuvanten Setting
Wie bei anderen Karzinomen wird auch beim kolorektalen Karzinom mit Mikrosatelliteninstabilität versucht, die Immuntherapien früher im Therapiealgorithmus bzw. früher im Krankheitsverlauf einzusetzen. Im Falle des lokal fortgeschrittenen MSI-high-Rektumkarzinoms verlief dieser Versuch in einer ersten Phase-IIStudie spektakulär erfolgreich. Die neoadjuvante Therapie mit dem PD1-Inhibitor Dostarlimab führte bei 100 % der behandelten Patienten zur kompletten klinischen Remission (6). Beim MSI-high-Kolonkarzinom führte eine neoadjuvante Therapie mit zunächst der Kombination von Nivolumab und Ipilimumab, gefolgt von einem Zyklus Nivolumab-Monotherapie in einem Kollektiv von Hochrisikopatienten mit Stage 3 Tumoren in fast 70 % zum kompletten pathologischen Ansprechen (pCR). Dabei war die Remissionsrate bei Patienten mit Lynch-Syndrom besonders hoch, doch auch sporadische MSI-high-Tumore zeigten ein sehr gutes Ansprechen (7). Bucalau unterstreicht, dass mittlerweile mit mehreren Checkpoint-Inhibitoren in unterschiedlichen Regimen ähnlich hohe Ansprechraten bei kolorektalen Karzinomen mit Mikrosatelliteninstabilität demonstriert werden konnten.
Ermutigende Daten auch beim Magenkarzinom
Doch eine Mikrosatelliteninstabilität tritt nicht nur beim kolorektalen Karzinom auf, sondern wird auch bei rund 10 % aller Magenkarzinome gefunden. Hier ähnliche therapeutische Ansätze zur Anwendung zu bringen, liegt also nahe. Allerdings betont Bucalau, dass die entsprechende Forschung beim Magenkarzinom noch nicht so weit fortgeschritten ist. Die in den letzten Monaten präsentierten Studienergebnisse bezeichnet sie allerdings als «sehr erfolgversprechend». In der
Phase-II-Studie NEONIPIGA wurde eine neoadjuvante Kombinationstherapie mit Nivolumab und Ipilimumab, gefolgt von Operation und adjuvanter Therapie mit Nivolumab untersucht. Dieses Regime erwies sich als den Erwartungen entsprechend verträglich und führte zu einer hohen Zahl von Respondern. Bei mehr als der Hälfte der Patienten führte die neoadjuvante Therapie zur kompletten Regression ohne nachweisbare Tumorzellen. Über ein Follow Up von einem Jahr blieben 94 % der Patienten frei von Ereignissen. Über 18 Monate kam es in der gesamten Kohorte zu lediglich einem Todesfall (8). Die Studie DANTE’S PEAK untersuchte die Zugabe von Atezolizumab zum FLOT-Schema, das aus einer Kombination der Wirkstoffe 5-Fluorouracil, Folinsäure (Leucovorin), Oxaliplatin und Docetaxel (Taxan) besteht und die Standardchemotherapie beim Magen- und Ösophagus-Karzinom darstellt. In die Studie war auch eine kleine Zahl von Patienten mit MSI-high-Tumoren eingeschlossen. Insgesamt wurden in dieser Studie sehr erfreuliche Ergebnisse mit hohen Ansprechraten im Kombinationsarm gesehen, so Bucalau. Besonders deutlich profitierten Patienten mit hoher PD-L1-Expression oder MSI-high-Tumoren (9).
Ein möglicher Schritt in
Richtung organerhaltende
Therapie
In der Studie INFINITY wird das STRIDERegime bestehend aus Tremelimumab und Durvalumab als neoadjuvante (Kohorte 1) oder definitive (Kohorte 2) Behandlung des MSI-high-Magen- bzw. -Gastroösophagealkarzinoms untersucht (10). Erste Ergebnisse wurden dieses Jahr im Rahmen des ASCO GI-Kongresses präsentiert. Sie zeigen hohe Ansprechraten mit 60 % pCR und 80 % «Major pCR», was einer Reduktion der Tumorzellen um mindestens 90 % entspricht. Allerdings war die Chance auf ein komplettes Ansprechen bei T4-Tumoren wesentlich geringer als in den Stadien T2– T3. Mit Spannung erwartet werden die Ergebnisse der Kohorte 2, in der bei komplettem Ansprechen auf eine chirurgische Therapie verzichtet und stattdessen
über 5 Jahre ein engmaschiges Follow up
durchgeführt werden soll. Bucalau:
«Diese Studie sollte wichtige Informatio-
nen liefern, bei welchen Patienten eine
organerhaltende Therapie des MSI-high-
Magen- bzw. -Gastroösophagealkarzi-
noms möglich ist. Immuntherapie wird
der neue Standard in der Therapie des
frühen MSI-highkolorektalen Karzinoms
und möglicherweise auch beim MSI-
high-Magenkarzinom werden. Aktuell
laufen zahlreiche Studien, die bei der Klä-
rung der noch offenen Fragen helfen sol-
len».
n
Reno Barth
Quelle: UEGW 2023, Session «What's new in 2023? Organ-sparing treatment for upper GI cancer», am 15. Oktober in Kopenhagen.
Referenzen: 1. Mlecnik B et al.: Integrative Analyses of Colorectal
Cancer Show Immunoscore Is a Stronger Predictor of Patient Survival Than Microsatellite Instability. Immunity. 2016;44(3):698-711. 2. de la Chapelle A.: Microsatellite instability. N Engl J Med. 2003;349(3):209-10. 3. Le DT et al.: PD-1 Blockade in Tumors with MismatchRepair Deficiency. N Engl J Med. 2015;372(26):250920. 4. André T et al.: Pembrolizumab in Microsatellite-Instability-High Advanced Colorectal Cancer. N Engl J Med. 2020;383(23):2207-2218. 5. Taïeb J et al.: Avelumab vs Standard Second-Line Chemotherapy in Patients With Metastatic Colorectal Cancer and Microsatellite Instability: A Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol. 2023;9(10):1356-1363. 6. Cercek A et al.: PD-1 Blockade in Mismatch RepairDeficient, Locally Advanced Rectal Cancer. N Engl J Med. 2022;386(25):2363-2376. 7. Chalabi M et al.: Neoadjuvant immune checkpoint inhibition in locally advanced MMR-deficient colon cancer: The NICHE-2 study. ESMO 2022, Late Breaking Abstract LBA7. 8. André T et al.: Neoadjuvant Nivolumab Plus Ipilimumab and Adjuvant Nivolumab in Localized Deficient Mismatch Repair/Microsatellite Instability-High Gastric or Esophagogastric Junction Adenocarcinoma: The GERCOR NEONIPIGA Phase II Study. J Clin Oncol. 2023;41(2):255-265. 9. Al-Batran SE et al.: Surgical and pathological outcome, and pathological regression, in patients receiving perioperative atezolizumab in combination with FLOT chemotherapy versus FLOT alone for resectable esophagogastric adenocarcinoma: Interim results from DANTE, a randomized, multicenter, phase IIb trial of the FLOT-AIO German Gastric Cancer Group and Swiss SAKK. J Clin Oncol 2022; 40(suppl): abtr. 4003. 10. Pietrantonio F et al.: INFINITY: A multicentre, singlearm, multi-cohort, phase II trial of tremelimumab and durvalumab as neoadjuvant treatment of patients with microsatellite instability-high (MSI) resectable gastric or gastroesophageal junction adenocarcinoma (GAC/GEJAC). J Clin Oncol 41, 2023 (suppl 4; abstr 358).
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