Transkript
Im Fokus: Mammakarzinom
Hyperthermie – eine lohnenswerte Erweiterung des radioonkologischen Portfolios
Vom Spezialwissen zum Standard
Das Prinzip der Hyperthermie als äusserst effizientes Mittel zur Verstärkung einer Radiotherapie («Radiosensitizer») ist bereits seit langem bekannt (1). Mit der sukzessive wachsenden Evidenz hat die Oberflächenhyperthermie mittlerweile beispielsweise beim Mammakarzinom auch Einzug in die onkologischen Leitlinien gefunden (2–4). Zudem sind sowohl für die Oberflächen- als auch für die Tiefenhyperthermie zwischenzeitlich ausgereifte Systeme käuflich erwerbbar. Aktuell scheint die Methode auf dem Sprung vom Spezialwissen einzelner Wegbereiter hin zum in allen Landesteilen verfügbaren Standard zu sein.
WINFRIED ARNOLD
SZO 2022; 4: 30–31
Winfried Arnold
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Foto: zVg
Investition in die Oberflächenhyperthermie am Luzerner Kantonsspital
An der Radio-Onkologie des Luzerner Kantonsspitals (LUKS) wurde im Juni 2022 eine Einheit für wassergefilterte Infrarot-A-Oberflächenhyperthermie in Betrieb genommen. In der Abwägung der Argumente vor der Kaufentscheidung wurden unterschiedliche Aspekte in Betracht gezogen: Die Radio-Onkologie des LUKS versorgt die gesamte Zentralschweiz mit strahlentherapeutischen Leistungen. Im Jahr 2015 lebten im Einzugsgebiet knapp 800 000 Menschen. Gemäss den Prognosen des Bundesamts für Statistik ist sowohl von einer Zunahme der Gesamtbevölkerung als auch von einer deutlichen Zunahme der onkologisch besonders relevanten Altersgruppe von > 65 Jahren auszugehen. Im Jahr 2015 betrug der Anteil der Bevölkerungsgruppe > 65 Jahre 17,2%. Bis zum Jahr 2045 wird ein Anstieg dieses Anteils auf 27,7% erwartet (5). Diese erwartbaren bzw. bereits im Gang befindlichen Veränderungen erfordern frühzeitiges Handeln, um die Herausforderungen im Gesundheitssystem bewältigen zu können. Für die Radio-Onkologie bedeutet dies unter anderem, sich auf weiter steigende Fallzahlen einzustellen und geeignete Behandlungsmodalitäten für ältere Menschen bereitzustellen. Ein wichtiger Faktor ist dabei die Behandlungsdauer. Kurze Konzepte mit wenigen Behandlungstagen (Hypo-
fraktionierung), möglichst im ambulanten Setting, sind klar zu bevorzugen. Gleichzeitig hat im geriatrischen Bereich die Verträglichkeit der Therapie einen besonders hohen Stellenwert. Hier bietet die Oberflächenhyperthermie als praktikabel anwendbarer Radiosensitizer, der eine Reduktion der Bestrahlungsdosis ermöglicht, optimale Voraussetzungen. Beim rezidivierten Mammakarzinom besteht das sogenannte «Notter-Schema» beispielsweise aus lediglich 5 Fraktionen zu je 4 Gy (1x/Woche) (6). Durch den verstärkenden Effekt der Wärme kann die Bestrahlungsdosis massiv reduziert werden.
Bis anhin mussten Patienten für Therapien in Kombination mit Hyperthermie an externe Partner überwiesen werden. Erfahrungsgemäss kam die Therapie bei einem Teil der gestellten Indikationen nicht zustande, weil der weite Anfahrtsweg nicht in Frage kam. Mit der Inbetriebnahme der eigenen Anlage kann nun auch gebrechlichen Patienten und/oder jenen mit weiten Anfahrtswegen ein zweckmässiges Therapieangebot gemacht werden. Gleichzeitig entlasten die Therapiekonzepte mit wenigen Fraktionen die radioonkologische Infrastruktur – sowohl maschinell als auch personell (Stichwort Fachkräftemangel). Als Ausbildungsstandort in Konkurrenz um junge vielversprechende KollegInnen gewinnt unsere Abteilung an Attraktivität.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2022
Im Fokus: Mammakarzinom
Die Radio-Onkologie als Querschnittsfach ist mit dem Institut für Radio-Onkologie wesentlicher Bestandteil des nach den Kriterien der Deutschen Krebsgesllschaft (DKG) als «European Cancer Center» zertifizierten Tumorzentrums des LUKS. Dieses definiert als Anspruch an seine Leistung «… mit unseren zertifizierten Organzentren, Kliniken und Institutionen eine umfassende und bestmögliche Therapie für Krebspatienten.» (9). Die Erweiterung des Portfolios durch die Oberflächenhyperthermie ist Teil der Erfüllung dieses Anspruchs und kommt durch die Radio-Onkologie als Teil des Tumorzentrums mehreren Organzentren zugute. Zudem wird die Teilnahme an Studienprotokollen, als Beitrag zur Weiterentwicklung der Methode, angestrebt.
Imagegewinn bei Patienten: schonende Therapie
Im klinischen Alltag wird evidenzbasierten modernen onkologischen Therapien von einem Teil der Patienten mit grosser Skepsis oder gar Ablehnung begegnet. Von diesen oftmals irrationalen Ängsten und Vorurteilen ist auch die Radio-Onkologie betroffen. Die Hyperthermie bietet die Chance, Skeptikern eine Brücke zur evidenzbasierten Onkologie zu bauen. Das therapeutische Prinzip der regionalen Überwärmung ist – zum Beispiel in Analogie zum Fieber – für den Laien in verständlicher, nachvollziehbarer Form gut zu erklären. In diesem Kontext ist aus Sicht eines zertifizierten Tumorzentrums allerdings auf eine saubere Abgrenzung zu alternativmedizinischen Angeboten ohne wissenschaftliche Evidenz zu achten. Die Durchführung der Hyperthermie erfolgt in möglichst entspannter angenehmer Lagerung und wird von den Patienten als nicht unangenehme Wärme beschrieben, es entsteht keine Hitze. Insgesamt kann von einer schonenden Therapie gesprochen werden, welche auch von ängstlichen Patienten gut angenommen wird. Zu diesem noch frühen Zeitpunkt kann festgestellt werden, dass die ersten Wochen nach der Inbetriebnahme der Oberflächenhyperthermie am LUKS sehr erfreulich verlaufen sind. Die bisherigen Fallzahlen liegen deutlich über den Erwartungen und konnten im wertschätzenden Kontakt mit den Kollegen der Partnerspitäler im SHN planmässig durchgeführt werden. Das Feedback der Patienten ist sehr positiv. Auch für die Mitarbeitenden ist eine solche Innovation, nach mehr als zwei Jahren pandemischen Alltags, eine erfreuliche Veränderung und Motivation.
Dr. med. univ (A) Winfried Arnold, MA Leitender Arzt Radio-Onkologie Luzerner Kantonsspital E-Mail: winfried.arnold@luks.ch
Interessenkonflikte: Keine
Swiss Hyperthermia Network
Im «Swiss Hyperthermia Network» (SHN) sind schweizweit 17 Partnerkliniken zusammengeschlossen, um potenziellen Patienten in der Schweiz den Zugang zur Hyperthermie zu ermöglichen. Das Ziel ist eine evidenzbasierte, interdisziplinäre Indikationsstellung für alle Patientinnen und Patienten (7). Im wöchentlich stattfindenden Online-Tumorboard findet die Indikationsprüfung statt, welche für die Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung Bedingung ist. Durch die regelmässige Teilnahme am Tumorboard können auch zuweisende Kliniken, welche Hyperthermie selbst nicht anbieten, anhand der diskutierten Fälle einen guten Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen der Methode bekommen. Die Einschätzung des Potenzials im eigenen Einzugsgebiet im Rahmen des Beschaffungsvorgangs wurde so wesentlich erleichtert. Das SHN bietet einen Wissens- und Erfahrungsschatz, der bei Einführung und Implementation der Hyperthermie genutzt werden kann.
Leistungspflicht der obligatorischen Krankenversicherung In der Schweiz besteht für die «regionäre Oberflächenhyperthermie zwecks Tumortherapie in Kombination mit externer Strahlentherapie oder Brachytherapie» die Leistungspflicht der obligatorischen Krankenversicherung bei folgenden Indikationen: ■ inoperable Brust-/Brustwandrezidive bei Mammakarzinom in vorbestrahltem Areal ■ inoperable Lymphknotenmetastasen von HNO-Tumoren in vorbestrahltem Areal ■ oberflächliche Lymphknotenmetastasen und Lokalrezidive bei malignem
Melanom sowie ■ Tumor-Lokalrezidive mit Kompressionssymptomatik in palliativer Situation.
Eine zusätzliche Voraussetzung für die Leistungspflicht der Krankenkasse ist, dass die Behandlung an einer Klinik erfolgt, die dem SHN angeschlossen ist, und dass die Indikationsstellung an dessen Tumorboard erfolgt (8). Dieser Umstand ist den Pionierleistungen der Kollegenschaft im SHN zu verdanken. Die gesicherte Vergütung ermöglicht es den bestehenden Standorten einerseits, die Methode weiter zu etablieren, Erfahrung zu sammeln und auch wissenschaftlich zu publizieren. Andererseits bietet es Neueinsteigern Planungssicherheit für die Investition in eine Hyperthermieanlage in Bezug auf Erlös und Finanzierbarkeit. Zudem signalisiert die Leistungspflicht sowohl den Patienten als auch den Zuweisenden, dass es sich um eine gesicherte evidenzbasierte Methode handelt. Fälle, die keiner der oben angeführten vier Indikationen entsprechen, für die jedoch trotzdem eine Oberflächenhyperthermie sinnvoll erscheint, werden ebenfalls im SHN-Tumorboard besprochen und es wird eine Kostengutsprache eingeholt.
Diese klaren Regeln ermöglichen die Berechnung der Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlage.
Referenzen: 1. Horsman MR, Overgaard J.: Hyperthermia: a potent enhancer of radiotherapy.
Clin Oncol (R Coll Radiol). 2007;19(6):418-426. 2. AGO: Leitlinie Loko-Regionäres Rezidiv, 13.04.2022. AGO – Arbeitsgemein-
schaft Gynäkologische Onkologie e.V.; www.ago-online.de 3. S3 Leitlinie Mammakarzinom, Juni 2021, S. 215; www.leitlinienprogramm-onko-
logie.de 4. Harms W et al.: DEGRO practical guidelines for radiotherapy of breast cancer
VI: therapy of locoregional breast cancer recurrences. Strahlenther Onkol. 2016;192(4):199-208. 5. Kohli R: Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Kantone, 2015–2045. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik. 2016. 6. Notter M et al.: Hypofractionated re-irradiation of large-sized recurrent breast cancer with thermography-controlled, contact-free water-filtered infra-red-A hyperthermia: a retrospective study of 73 patients. Int J Hy-perthermia. 2017;33(2):227-236. 7. Kantonsspital Aarau. Kantonsspital Aarau 2022, Radio-Onkologie, Hyperthermie. Abgerufen am 10. Oktober 2020 von https://www.ksa.ch/zentren-kliniken/ radio-onkologie/leistungsangebot/swiss-hyperthermia-network 8. Eidgenössisches Departement des Inneren. Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenversicherung. (1.1.2020). Abgerufen am 29.1.2020 von www.admin.ch: www.admin.ch 9. Luzerner Kantonsspital (2022). Luzerner Kantonsspital. Von www.luks.ch abgerufen
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2022
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