Transkript
POSITIONSPAPIER SGZ
Aktualisiertes Positionspapier der Schweizerischen Gesellschaft für Zytologie (SZG)
Zervixkarzinomvorsorge: Was ist neu?
Dieses Update (2024) der Stellungnahme von 2019 der Schweizerischen Gesellschaft für Zytologie führt neue Elemente in die Debatte «Primäres HPV-Screening versus Zytologie» ein. Die vormaligen Bedenken behalten jedoch ihre Gültigkeit.*
Sophia Taylora, Jessica Barizzib, Ines Raineric, Massimo Bongiovannid, Pierre Mainil-Varlete
a Service d’Histocytopathologie, Institut Central des Hôpitaux, Sion; b Istituto Cantonale di Patologia, Ente Ospedaliero Cantonale (EOC), Locarno; c Institut Arnaboldi AG, MEDISYN SA, Winterthur; d UNILABS, Lausanne; e Cytopath – Unilabs, Carouge
Im Jahr 2019, nach der Veröffentlichung neuer Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für
Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG)
(1), veröffentlichte die Schweizerische
Gesellschaft für Zytologie (SGZ) im Swiss
Medical Forum ein Positionspapier über
die mögliche Verwendung von Tests zum
Nachweis von humanen Papillomviren
Med. dipl. Sophia Taylor
(HPV) als primäre Screeningmethode für Gebärmutterhalskrebs (2). Im August
2021 publizierte das nationale Exper-
tengremium für Früherkennung (Cancer
Screening Committee), das im Rahmen der «Nationalen Strategie ge-
gen Krebs» eingerichtet wurde, Empfehlungen zur Früherkennung von
Gebärmutterhalskrebs (3) und empfahl, dass die Zytologie weiterhin
als Screeningtool für Frauen im Alter zwischen 21 und 29 Jahren ver-
wendet werden sollte, gefolgt von einem primären HPV-Test zwischen
30 und 70 Jahren (mit zytologischer Triage bei Bedarf) alle drei Jahre.
Es wurde auch empfohlen, dass HPV-Tests von der Grundversicherung
als Teil der Früherkennung abgedeckt werden sollten. Wo stehen wir
jetzt?
Aktuelle Situation in der Schweiz Nach den neuesten Statistiken (2022) bleiben Inzidenz- (4,93/ 100 000) und Mortalitätsrate (1,25/100 000) von Gebärmutterhalskrebs in der Schweiz sehr niedrig (4). Im internationalen Vergleich hat die Schweiz die niedrigste Inzidenzrate in der westlichen Welt und eine der niedrigsten weltweit (5).
Die Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung in der Schweiz ist immer noch opportunistisch, das heisst, es handelt sich nicht um ein zentral organisiertes System: Es beruht darauf, dass Gynäkologinnen und Gynäkologen ein Screening empfehlen oder Frauen eine Untersuchung anfragen. Ein zytologischer Screeningtest wird von der Grundversicherung alle drei Jahre erstattet. Die Ergebnisse der Gesundheitsumfrage des Bundesamtes für Statistik von 2017 (6) zeigten deutliche Unter-
* Dieser Artikel darf nach Angabe nach Angabe der Autoren und des EMH-Verlags in der Schweizer Zeitschrift für Gynäkologie zweitpubiziert werden. Erstpublikation: Swiss Medical Forum 2024;24(16) (aktuell online abrufbar).
schiede in der Teilnahme am Screening: 60% der Frauen hatten in den letzten zwölf Monaten eine Gynäkologin oder einen Gynäkologen aufgesucht, 22% zwischen 1 und 3 Jahren zuvor und die verbleibenden 18% mehr als 3 Jahre zuvor oder gar nicht. Daraus können wir schliessen, dass 18% der Frauen in der Schweiz, möglicherweise mehr, nicht regelmässig am Screening teilnehmen.
In der Schweiz werden fast alle Gebärmutterhalskrebs-Screeningtests mit Dünnschichtzytologie («liquid-based cytology» [LBC]) durchgeführt. Diese Methode wird seit 25 Jahren verwendet und weist im Vergleich zu konventionellen Papanicolaou-(PAP-)Abstrichen viele Vorteile auf: Zum Beispiel zeigt sie eine höhere Sensitivität, ergibt eine niedrigere Anzahl von nicht repräsentativen Abstrichen, ermöglicht die Testung auf Pathogene (z.B. HPV, Herpes oder Chlamydien) aus demselben Probenmaterial und erleichtert das Durchmustern der Abstriche. Letzteres ermöglicht sogar computerassistiertes Vorscreening zuerst mittels einer Bilderkennungs-Software und neuerdings auch künstlicher Intelligenz. Die Technologie zur zytologischen Analyse von gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen hat sich somit seit ihrer Einführung in den 1920er-Jahren erheblich weiterentwickelt und tut dies auch weiterhin.
Das Gebärmutterhalskrebs-Screening mit LBC basiert derzeit auf visueller Ablesung – mit oder ohne computerassistiertes Vorscreening – durch hochqualifiziertes und spezialisiertes Personal, Zytotechnikerinnen und -techniker sowie Zytopathologinnen und -pathologen. Die Schweiz verfügt über eine ausgezeichnete Expertise auf diesem Gebiet.
Die meisten Studien, welche die Überlegenheit des HPV-Tests gegenüber der Zytologie als Screeningtest zeigen, wurden mit konventionellen Abstrichen unter unbekannten Qualitätskontrollbedingungen durchgeführt. Es wäre daher unklug, Daten aus diesen Studien direkt auf die Situation in der Schweiz zu übertragen.
Neue Daten aus Studien In den Niederlanden, wo das Screening organisiert, zentralisiert und sorgfältig dokumentiert ist, fand der Wechsel vom zytologiebasierten zum primären HPV-Screening bereits 2017 statt. Es ist interessant, sich deren veröffentlichten Ergebnisse anzusehen. Einige sind sehr ermutigend, wie eine erhöhte Erkennungsrate für präkanzeröse Vorstufen («cervical intraepithelial neoplasia» [CIN], 3) und invasive Karzinome (7).
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Andere sind weniger ermutigend, insbesondere ein Rückgang der Screeningteilnahme, der zunächst auf Probleme bei der Umsetzung der neuen Strategie zurückgeführt wurde, aber seitdem weiterhin anhält (8), trotz der Möglichkeit der Selbstentnahme.
Die niederländischen Autorinnen und Autoren berichten zudem, dass die Rate klinisch nicht signifikanter Diagnosen (≤ CIN1) beim primären HPV-Screening um das 2,2-Fache höher ist als beim zytologischen Screening, während die Rate klinisch signifikanter Diagnosen (CIN2+) nur um das 1,3-Fache höher ist (7,9). Dies unterstreicht die enorme Bedeutung der gewählten Triage-Strategie zur Bewältigung positiver HPV-Ergebnisse.
In den Niederlanden werden Selbstentnahmekits angeboten, um nicht ausreichend untersuchte Frauen zu erreichen - eine Strategie, die in einer Reihe von Studien gute Ergebnisse erzielt hat. Die landesweite Umsetzung der Selbstentnahme war sehr erfolgreich: 30% der Frauen im Alter von >30 Jahren, die diese Option wählten, waren zuvor noch nie untersucht worden (10). Die Rate der HPV-Positivität und der Erkennung von Krebsvorstufen, CIN2 und CIN3, sind jedoch bei diesen Proben niedriger als in Proben, die von ärztlichem Personal entnommen wurden (10), aus Gründen, die noch zu klären sind.
Darüber hinaus zeigte eine kleine Studie, die 2017 (11) in der Schweiz durchgeführt wurde, keine höhere Teilnahmerate bei Frauen, denen die Selbstentnahme angeboten wurde. Diese Frauen waren zudem zurückhaltender, nach einem positiven HPV-Ergebnis eine Gynäkologin oder einen Gynäkologen aufzusuchen. Die potenzielle Rolle der Selbstentnahme beim Zervixkarzinomscreening – insbesondere im Hinblick auf die nicht ausreichend untersuchte Bevölkerung – und die Zuverlässigkeit der erzielten Ergebnisse sind demnach noch nicht vollständig geklärt.
Andere veröffentlichte Arbeiten haben sich auf invasive Zervixkarzinome konzentriert, die bei einem HPV-Test negativ waren: bis zu 15,7% in einer kürzlich durchgeführten Studie (12). Einige seltene Subtypen von Gebärmutterhalskrebs sind nicht mit dem Vorhandensein von HPV assoziiert, daher sind einige HPV-negative Krebserkrankungen selbst mit einem validierten HPV-Test zu erwarten. HPV-negative Zervixkarzinome haben eine schlechtere Prognose als HPV-positive Karzinome (13). Obwohl diese viel seltener sind, wäre es bedauerlich, eine Screeningstrategie zu wählen, die sie a priori nicht erkennen kann.
Viel besorgniserregender im Hinblick auf das Gesundheitswesen ist der Anteil von Plattenepithelkarzinomen (der häufigsten Art des Zervixkarzinoms), die mit einem HPV-Test während des Screenings nicht erkannt werden: bis zu 13,5% der Fälle in der oben aufgeführten Studie. In einer anderen Studie werden 22,9% angegeben (14). Dies ist deutlich höher als der Anteil, den die Weltgesundheitsorganisation (WHO) (15) nennt: 5–7%. Diese WHO-Zahlen beziehen sich auf Fälle, die umfangreichen Labortests unterzogen wurden, einschliesslich der Sequenzierung zum Nachweis des viralen Genoms. Die hier zitierten Studien beschreiben dagegen Screeningkohorten, bei denen Proben nur einmal und mit einem einzigen Test getestet werden, und stellen somit «Real-Life-Bedingungen» dar.
Schlussfolgerung Wir bringen hier einige neue Gesichtspunkte in die Debatte «Primäres HPV-Screening versus Zytologie» ein. Die Bedenken, die wir in unserem ersten Positionspapier von 2019 (2) vorgebracht haben, sind je-
doch nach wie vor gültig. Zur Erinnerung: Alle Studien, die die Überlegenheit des primären HPV-Screenings gezeigt haben, wurden innerhalb eines organisierten Screeningsystems durchgeführt – ein Konzept, das in den aktuellen europäischen Empfehlungen aufgegriffen wird (16) – und nicht in einem opportunistischen Screening wie dem unserem, in dem der Vorteil noch zu beweisen ist.
Es wird nicht empfohlen, HPV-Tests als primäre Screeningstrategie mit einem Intervall von drei Jahren zu verwenden. Das Intervall sollte auf fünf Jahre verlängert werden (16,17). Da HPV-Tests viel sensitiver sind als die Zytologie – sie detektieren das Vorhandensein des Virus, nicht die Läsionen, die es verursacht –, generieren sie mehr positive Ergebnisse und erfordern zusätzliche Triage-Untersuchungen, um mögliche präkanzeröse Läsionen zu identifizieren. Diese höhere Sensitivität kann durch die Verlängerung des Screeningintervalls ausgeglichen werden.
Das primäre HPV-Screening ist nur kosteneffektiv, wenn das Screeningintervall auf fünf Jahre verlängert wird. Da HPV-Tests immer noch deutlich teurer sind als die Dünnschichtzytologie, werden die Kosten steigen, falls das Screening nicht strikt auf einen Test alle fünf Jahre beschränkt ist – was nur in einem organisierten Screeningsystem möglich ist. Die zusätzlichen Triage-Tests und -Untersuchungen verursachen ebenfalls Kosten zusätzlich zum Preis des Tests.
Letztlich stellt die Nichtteilnahme am Screening die grösste Herausforderung dar, denn die nicht untersuchte (oder nicht mehr untersuchte) Bevölkerung hat ein höheres Risiko, an einem Zervixkarzinom zu erkranken, das zudem wahrscheinlich in einem fortgeschritteneren Stadium diagnostiziert wird. Ob die Nichtteilnahme auf soziale Isolation, Sprachbarrieren, kulturelle Gründe, hohes Alter, körperliche Behinderung oder andere Ursachen zurückzuführen ist, die Einführung des primären HPV- Screenings wird diese Situation wahrscheinlich nicht beeinflussen.
Um die Korrespondentinnen und Korrespondenten zu zitieren, die eine Antwort (18) auf unser erstes Positionspapier (18) geschrieben haben, einschliesslich Mitglieder der AKOL (SGGG/SSGO-KolposkopieArbeitsgruppe): «... in diesem Kontext (dieser Vorbehalte) müssen die Empfehlungen der SGGG/SSGO als experimentell und flexibel verstanden werden und erfordern eine Neubewertung, sobald die genannten Vorbehalte aufgehoben sind.» Wir können nur hoffen, dass sie eines Tages aufgehoben werden.
Das Zervixkarzinom-Screening in der Schweiz, obwohl opportunistisch, ist ausgezeichnet und kostengünstig. Frauen nehmen bereitwillig daran teil; Gebärmutterhalskrebs ist selten. Eine Änderung unserer aktuellen Screeningstrategie sollte nur in Betracht gezogen werden, wenn sie keine höheren Kosten im Gesundheitswesen verursacht und Frauen in der Schweiz noch besser vor Gebärmutterhalskrebs schützt.
Med. dipl. Sophia Taylor (Korrespondenzadresse) Service d’Histocytopathologie Institut Central des Hôpitaux (ICHV) 1950 Sion E-Mail: sophia.taylor@hopitalvs.ch
Interessenkonflikte: ST ist Präsidentin, JB und IR sind Past-Präsidentinnen der Gesellschaft für Zytologie (SGZ). Die Autorinnen und Autoren haben deklariert, keine potenziellen Interessenkonflikte zu haben.
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Literatur: 1. Recommandations SSGO pour la prévention du cancer du col de l’utérus, avis
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