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KONGRESSBERICHT
SGGG-Jahreskongress, Interlaken Juni 2024
SGGG-Jahreskongress 2024
Kontrazeption bei vaskulären Risiken
Beim diesjährigen SGGG-Jahreskongress wurde neben themenbezogenen Vortragsreihen in einer Reihe kurzer Satellitensymposien über neuere Daten zur Verhütung in Risikosituationen und Therapien bei menopausalen Störungen berichtet. Zum Thema Antikonzeption gab es einen spannenden Überblick.
Stresstest Schwangerschaft – Verhütung bei vaskulärem Risiko
Internistin Dr. med. Thenral Socrates und Gynäkologe Dr. med. Philipp Quaas, beide Universitätsspital Basel (USB), betonten im Rahmen ihrer Vorträge am Coffee-Symposium der Firma Exeltis (1), dass eine Schwangerschaft grundsätzlich ein kardiovaskulärer Stresstest für die Frau bedeute. Neueren Untersuchungen zufolge sei Hypertonie in der Schwangerschaft insbesondere bei vorbestehenden Risiken ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung späterer Gefäss- und Stoffwechselstörungen (v.a. ab 50. Lebensjahr der Frau), so Dr. Socrates. Wie Dr. Quaas weiter erläuterte, kommt der Wahl der hormonellen Kontrazeptionsmethode gerade angesichts eines potenziellen Risikos für venöse Thromboembolie (VTE) eine wichtige Rolle zu. Dabei werden kombinierte Pillen (COC)
häufig als ungeeignet bis kontraindiziert eingestuft - auch bei niedriger EE-Dosierung (< 50 mgr) und abhängig von der Gestagenkomponente. Quaas erinnerte an die grosse Umbrella-Studie (2), die 58 Metanalysen grosser Studien evaluierte: Sie wies nach, dass bei Frauen über 35 Jahren das VTE-Risiko unter COC dreifach, bei Raucherinnen vierfach und bei Adipositas (BMI über 30) etwa zehnfach erhöht ist. Andererseits fand die Umbrella-Studie keine Assoziation zwischen kardiovaskulären Risiken und der Einnahme von Gestagenpillen («progestin-only-pills», POP). POP entspräche in vielen Risikokonstellationen der Kategorien 1 und 2 nach WHO-MEC und sei damit eine äusserst wertvolle Alternative zu COC, betonte Quaas. «Drospirenone alone» In diesem Zusammenhang erläuterte der Gynäkologe die Kontrazeption mit der POP Drospirenon («DRSP alone»; Slinda®): Im untersuchten Studienkollektiv (über 20 000 Zyklen und z. T. Frauen mit Risikofaktoren für eine VTE) zeigte sich keine Veränderung hämostatischer Parameter. Auch der SGGG-Expertenbrief (No. 79) zum VTE-Risiko unter hormoneller Kontrazeption dokumentiert, so Quaas, dass unter den POP mit Drospirenon und Desogestrel kein erhöhtes Risiko entsteht: Hier empfiehlt die SGGG die Gestagenpillen als Methode der Wahl bei Frauen mit vorbestehenden kardiovaskulären Risiken. Wichtig bei der Verordnung in der Praxis gerade bei jungen Frauen ist dabei auch: Bei kurzfristigem Vergessen (verspäteter Einnahme) ist die kontrazeptive Sicherheit unter Slinda® im Vergleich zu anderen Pillen noch gegeben, da die Pille eine lange Halbwertzeit hat. Weitere Vorteile dieser POP: Unerwartete Blutungen und Schmierblutungen werden in der Langzeitanwendung immer seltener und treten deutlich weniger auf als unter der POP mit Desogestrel. Auch verlängerte Blutungen werden in der Langzeiteinnahme nach 7 bis 9 Zyklen verringert, und zwar um 73%. Mehr als die Hälfte der Anwenderinnen er- Tabelle: VTE-Risikoerhöhung (entsprechend 2 bis 4-fach) unter Anwendung einiger gängiger Kontrazeptiva bzw. Applikationsformen (Auswahl) in verschiedenen medizinischen Konstellationen Die Zahlen in der Tabelle entsprechen den WHO-MEC-Kategorien 1–4: Die Kategorien 1 und 2 bedeuten, dass die Methode in der entsprechenden Konstellation angewandt werden kann. Bei den Kategorien 3 und 4 sollte man die Methode nicht anwenden. (https://fphandbook.org/sites/default/files/inline-images/Categories1-AppendixD_1.png) Medizinische Konstellation COC POP Implantat Postpartum (< 21 Tage, kein Stillen) 3- bis 4-fach erhöhtes Risiko 1 1 Postpartum (21–42 Tage, kein Stillen) 2- bis 3-fach erhöht 1 1 Stillen, < 6 Wochen postpartum 4-fach erhöht 2 2 Stillen, 6 Wochen bis 6 Monate postpartum 3-fach erhöht 1 1 Raucherinnen ≥ 35 Jahre alt 3- bis 4-fach erhöht 1 1 Multiple Risikofaktoren 3- bis 4-fach erhöht 2 2 f. arterielle kardiovaskuläre Erkrankung Diabetes über > 20 Jahre
3- bis 4-fach erhöht
2 2
Diabetes mit Komplikationen
3- bis 4-fach erhöht
2 2
Hypertonie (sBP > 160 mmHg oder dBP >100 mmHg) 4-fach erhöht
2 2
Thrombophilie
4-fach erhöht
2 2
Tiefe Venenthrombose bzw. Präeklampsie
4-fach erhöht
2 2
in der Anamnese
Injektion («Drei-Monats-Spritze») 1 1 3 1 1 3
3 3 3 2 2
LNG-IUS
1–2 3 3 1 1 2
2 2 2 2 2
36 GYNÄKOLOGIE 4+5/2024
KONGRESSBERICHT
SGGG-Jahreskongress, Interlaken Juni 2024
reicht eine Amenorrhö nach rund einem
Jahr (Zyklus 11 bis 13). Bei Dysmenorrhö
erwies sich die Einnahme von Slinda®
ebenfalls als sehr effektiv. Im doppelblin-
den, prospektiven, randomisierten Stu-
dienvergleich mit Desogestrel zeigte
diese einen günstigen Einfluss auf den
Stoffwechsel mit verringerten Choleste-
rol- und Triglyzeridwerten und ohne rele-
vanten Einfluss auf Glukose- und Insulin-
spiegel sowie Hämostase (3).
Eine gute Übersicht über Risiken unter
den gängigen hormonalen Kontrazep-
tiva in verschiedenen medizinischen
Konstellationen gab Quaas in der Ta-
belle (hier in übersetzter Version): Dabei
sind die COC mit 3- bis 4-facher Risiko-
erhöhung in den unten aufgeführten Si-
tuationen ungeeignet (Kategorien 3 und
4 nach WHO-MEC).
n
Bärbel Hirrle Ich bedanke mich bei Herrn Dr. Philipp Quaas herzlich für die Durchsicht.
Quellen: 1. Coffee-Symposium der Firma Exeltis: «Kardiovaskuläres Risiko und Gynäkologie im Jahr 2024: Trends in der Verhütung» anlässlich des Jahreskongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Interlaken, 27. Juni 2024. Vortrag: Dr. med. Philipp Quaas: Die Gestagen-Monopille als Lösung für Patientinnen mit Risikofaktoren. 2. Brabaharan SH et al: Association of Hormonal Contraceptive Use With Adverse Health Outcomes: An Umbrella Review of Meta-analyses of Randomized Clinical Trials and Cohort Studies. JAMA Network Open 2022; 5: e2143730. https://doi.org/10.1001/jamanetworkopen.2021.43730 3. Palacios S et al: Efficacy and cardiovalcular safety oft the new estrogen-free contraception pill containing 4 mg drospirenone alone in a 24/4 regime. BMC Womens Health 2020 Oct 2;20(1):218. doi: 10.1186/s12905-020-01080-9.
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