Transkript
SCHWERPUNKT
Aktuelle Impfempfehlungen für Schwangere und Stillende
Indikationen, Grenzbereiche, Einschätzungen
Impfungen sind eine wichtige Säule der Gesundheitsprävention. Das gilt auch und insbesondere für Schwangere und Stillende. In der Schwangerschaft und Stillzeit dürfen und sollen anstehende Impfungen, die keinen Aufschub dulden, verabreicht werden (ausser Lebendimpfstoffe in der Schwangerschaft). Darüber hinaus können Impfungen explizit für den Schutz des ungeborenen Kindes sinnvoll sein. Dazu gehören diejenigen gegen Pertussis und Influenza, zukünftig evtl. auch gegen RSV.
ULRICH HEININGER
Ulrich Heininger
Schweizerischer Impfplan 2024
In der Schweiz werden die nationalen Impfempfehlungen von der EKIF (Eidgenössische Kommission für Impffragen) und dem BAG erarbeitet und jährlich publiziert (1). Sie sind in folgende Kategorien untergliedert: n Basisimpfungen: für alle Personen ohne Kontrain-
dikationen empfohlen. n Ergänzende Impfungen: sie dienen der optimalen
individuellen Gesundheitsvorsorge. n Indikationsimpfungen: für bestimmte Personen-
gruppen empfohlene Impfungen, z. B. solche in der Schwangerschaft, auf die in diesem Beitrag näher eingegangen wird. Die aktuellen Basis- und ergänzenden Impfempfehlungen der Schweiz sind in der Tabelle dargestellt (vgl. auch Kasten «Linktipp»). Bei fehlenden Impfungen bzw. fehlender Impfdokumentation sollen Nachholimpfungen in Abhängigkeit vom aktuellen Alter der Betroffenen erfolgen (siehe Kasten «Linktipp»). Gesundheitsfachpersonen müssen ihre Patientinnen und Patienten über diese Empfehlungen aufklären! Die Kosten für diese Impfungen (Ausnahme: Reiseimpfungen, welche privat bezahlt werden müssen, sowie beruflich bedingte Impfungen, für welche der
Merkpunkte
n Gesundheitsfachpersonen müssen ihre Patientinnen und Patienten über die jeweils aktuellen, für sie relevanten Basis- und ergänzenden Impfempfehlungen in der Schweiz aufklären!
n In der Stillzeit sind grundsätzlich alle Impfungen möglich, auch Lebendimpfungen. Einzige Ausnahme ist die für Reisende in Endemiegebiete bestimmte Gelbfieberimpfung.
n Alle Impfungen mit Lebendimpfstoffen sind in der Schwangerschaft kontraindiziert. Die versehentliche Gabe einer Lebendimpfung in der Schwangerschaft ist jedoch keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch.
n Inaktivierte («Tot-») Impfstoffe dürfen in der Schwangerschaft nach sorgfältiger Nutzen-/Risiko-Abwägung verabreicht werden.
n Die Pertussis- und die Influenzaimpfung sind in jeder Schwangerschaft ausdrücklich empfohlen!
Arbeitgeber die Kosten trägt) werden regelhaft von den Krankenkassen erstattet.
Impfungen in der Stillzeit
In der Stillzeit sind grundsätzlich alle Impfungen möglich, auch Lebendimpfungen. Einzige Ausnahme ist die für Reisende in Endemiegebiete bestimmte Gelbfieberimpfung, weil die enthaltenen abgeschwächten Impfviren via Muttermilch möglicherweise auf das gestillte Kind übergehen können. In seltenen Einzelfällen hat dies offenbar zu Erkrankungen des gestillten Kindes geführt, wohingegen alle anderen Lebendimpfungen und auch Totimpfstoffe (wie z. B. gegen FSME) als unbedenklich gelten (2). In den Fachinformationen der in der Schweiz zugelassenen Totimpfstoffe finden sich jedoch Warnhinweise, welche im Aufklärungsgespräch mit der Stillenden vor einer geplanten Impfung thematisiert werden müssen. Dort steht dann beispielsweise: «Es ist nicht bekannt, ob Bestandteile von [Name des Impfstoffs] in die Muttermilch übertreten.» Oftmals folgt aber als motivierender Nachsatz: «Medizinisches Fachpersonal sollte die Vorteile einer Impfung mit [Name des Impfstoffs] während der Stillzeit gegen das Risiko abwägen.» Ich persönlich komme in aller Regel dann zu der Folgerung, dass der Nutzen das Risiko überwiegt und berate die Patientinnen und Patienten bzw. deren Sorgeberechtigten entsprechend.
Impfungen in der Schwangerschaft
Lebendimpfstoffe Alle Impfungen mit Lebendimpfstoffen sind in der Schwangerschaft kontraindiziert. Dies gilt in erster Linie aus forensischen Gründen, um impfende Ärzte und Ärztinnen vor Diskussionen und Anschuldigungen zu schützen im Falle einer Fehlbildung des Neugeborenen (ob diese durch die Lebendimpfung ausgelöst
19 GYNÄKOLOGIE 3/2024
SCHWERPUNKT
Bundesamt für Gesundheit Tabelle 1: Synopsis Schweizerischer Impfplan 2024
Empfohlene Basisimpfungen und ergänzende Impfungen durch EKIF/BAG
Säuglinge, Kinder und Jugendliche
Alter * Monate
Impfung
Geburt
2
3 **
4 5**
DTP
DTPa
DTPa
Polio
IPV IPV
Hib Hib Hib
Hepatitis B
1) HBV
HBV
Pneumokokken Rotaviren Men. B
PCV PCV
RV 2)
RV 2)
BB
Men. ACWY
MMR
Varizellen
HPV
Herpes Zoster
Influenza
Jahre
Erwachsene
9 12 *** 12 –18 4 –7 11–14 /15 25
45 ≥ 65
DTPa IPV
DdTTpPaa / IPV
dTpa ü 8)
dTpa 11) 12) dT 11) 12) üü
dT 11) 12) ü
Hib ü 4)
HBV
(HBV) 9) ü 13)
ü 13)
ü 13)
PCV ü 4)
PCV 14)
B 5) B 5)
ACWY 5)
ACWY 5)
MMR 3) MMR 3)
ü 6)
ü 6)
ü 6)
ü 6)
VZV VZV
ü 7)
ü 7)
ü 7)
ü 7)
HPV 10) (HPV) 10)
ü 6) ü 7)
HZ 15) jährlich16)
Kombinationsimpfung
ü Impfstatus kontrollieren und ggf. nachimpfen.
Aktuell in der Schweiz verfügbare Impfstoffe: siehe www.infovac.ch
März 2024
Für altersbasierte Impfempfehlungen werden folgende Empfehlungskategorien je nach Impfziel differenziert: Basisimpfung: Impfziele sind individueller Schutz und Schutz der öffentlichen Gesundheit Ergänzende Impfung: als Impfziel steht der individuelle Schutz im Vordergrund
* Zur Präzisierung des Alters: Alter 12 Monate bedeutet ab 1. Geburtstag bis einen Tag vor dem Alter von 13. Monaten. 4 –7 Jahre bedeutet vom 4. Geburtstag bis zum Tag vor dem 8. Geburtstag. ** Die Impfzeitpunkte im Alter 3 und 5 Monate für die Meningokokken B-Impfung wurden v. a. gewählt, um die Fieberhäufigkeit nach Impfung zu reduzieren. Eine gleichzeitige Verabreichung mit
den anderen Säuglingsimpfungen im Alter von 2 und 4 Monaten ist nach entsprechender Information an die Eltern und ggf. prophylaktischer Paracetamol-Gabe möglich.
*** Die im Alter von 12 Monaten empfohlenen drei Injektionen (je 1 Dosis eines DTPa-IPV-Hib-HBV-, PCV- und MMRV-Impfstoffs) können gleichzeitig oder in beliebigen, kurzen Abständen zueinander geimpft werden. Die Impfung gegen DTPa-IPV-Hib-HBV und Pneumokokken soll vor dem Alter von 13 Monaten abgeschlossen sein. Die Impfung gegen DTPa-IPV-Hib-HBV kann vor dem Alter von 12 Monaten, aber nicht vor dem Mindestalter von 11 Monaten verabreicht werden. Je nach Einschätzung des individuellen Masern-Expositionsrisikos ist die Gabe der zweiten MMRV-Dosis im Alter von 12(–15) Monaten möglich.
1) Die HBV-Impfung ist unerlässlich für Neugeborene von HBsAg-positiven Müttern. Sie erfolgt in 4 Dosen im Alter von 0 (gleichzeitig mit HBIG), 1, 2 und 12 Monaten. Bei Geburt und mit 1 Monat erfolgt die Impfung mit einem Einzelimpfstoff, mit 2 und 12 Monaten mit einem hexavalenten Kombinationsimpfstoff. Eine Überprüfung des Impferfolgs durch eine serologische Kontrolle (antiHBs und HBsAg) ist 4 Wochen nach der letzten Dosis durchzuführen.
2) Die erste Rotavirus-Impfdosis ist ab einem Alter von 6 Wochen möglich (Höchstalter 15 Wochen und 6 Tagen), der Mindestabstand zwischen den beiden Dosen beträgt 4 Wochen. Die zweite Dosis sollte spätestens bis zum Alter von 23 Wochen und 6 Tagen gegeben werden. Nach der vollendeten 24. Lebenswoche ist die Impfung kontraindiziert. Sie wird oral verabreicht und kann gleichzeitig mit den anderen zum selben Zeitpunkt empfohlenen Säuglingsimpfungen verabreicht werden.
3) Bei einem Masern-Ausbruch in der Umgebung oder bei Kontakt mit einem Masern-Fall ggf. zusätzliche Impfdosis ab dem Alter von 6 Monaten, siehe Kapitel 1.1. Je nach Einschätzung des individuellen Masern-Expositionsrisikos ist die Gabe der 2. MMRV-Dosis im Alter von 12(–15) Monaten möglich.
4) Nachholimpfungen von Kindern gegen Hib und Pneumokokken sind bis zum 5. Geburtstag (< 60 Monate) empfohlen. Die Zahl der Dosen hängt vom Alter bei Beginn der Impfung ab (siehe Kapitel 2). Nur für die Pneumokokken-Impfung gelten separate Empfehlungen für Risikopersonen, siehe Kapitel 3.1.
5) Die Impfdosen gegen Meningokokken ACWY und B für Kleinkinder (12–18 Monate) und Jugendliche können gleichzeitig verabreicht werden. Die Gabe mit anderen Impfungen, welche ebenfalls mit 12 Monaten oder im Jugendlichenalter empfohlen werden, ist ebenfalls möglich. Meningokokken-Nachholimpfung (gegen B und ACWY) bei Kleinkindern bis zum 5. Geburtstag und bei Jugendlichen bis zum 20. Geburtstag empfohlen. Impfschemata, siehe Kapitel 1.1 oder Tabelle 2.
6) Alle unvollständig oder ungeimpften Kinder, Jugendlichen sowie nach 1963 geborenen Erwachsenen (u.a. Frauen im gebährfähigen Alter/Wöchnerinnen und Personen, die beruflich Kontakt zu Schwangeren haben) benötigen insgesamt 2 Dosen, minimales Intervall 1 Monat.
7) Für Personen bis zum Alter < 40 Jahren, welche die Varizellen anamnestisch nicht durchgemacht haben und die bisher keine oder nur 1 Impfdosis erhalten haben (insgesamt 2 Dosen, minimales Intervall 1 Monat). Bei unvollständigem Impfschutz gegen Masern, Mumps und Röteln kann die Impfung auch mit einem kombinierten, quadrivalenten MMRV-Impfstoff und mit anderen gleichzeitig empfohlenen Impfungen erfolgen.
8) Vollständige Polio-Impfung im Kindesalter: Total 4 Dosen, 2 davon ausserhalb des ersten Lebensjahres. Wurden 3 Dosen innerhalb des ersten Lebensjahrs verabreicht («3 +1»-Impfschema), sind total 5 Impfdosen im Kindesalter nötig.
9) Wenn nicht im Säuglingsalter geimpft, soll die HBV-Impfung möglichst im Alter 11–15 Jahre erfolgen, sie ist in diesem Altersfenster mit einem 2-Dosen-Schema («Erwachsenen-Impfstoff») möglich. Sie kann gleichzeitig mit der HPV-Impfung oder anderen notwendigen Impfungen verabreicht werden.
10) Im Alter von 11–14 Jahren gilt ein 2-Dosen-Schema (Zeitpunkte 0, 6 Monate) und mit 15–26 Jahren (vor dem 27. Geburtstag) ein 3-Dosen-Schema (Zeitpunkte 0, 2, 6 Monate). Die HPV-Impfungen können gleichzeitig mit allen anderen, gegebenenfalls notwendigen Impfungen verabreicht werden. Die HPV-Impfung von noch ungeimpften Personen im Alter von 15–19 Jahren wird als Nachholimpfung und im Alter von 20–26 Jahren als ergänzende Impfung empfohlen.
11) Zwischen 25– 64 Jahren werden dT-Auffrischimpfungen im Intervall von 20 Jahren empfohlen, ab 65 Jahren im Intervall von 10 Jahren. Dabei bestimmt das Alter bei Verabreichung einer Auffrischimpfung das Intervall zur nächsten Auffrischimpfung. Für Patienten mit einer Immundefizienz sind dT-Auffrischimpfungen weiterhin alle 10 Jahre empfohlen. Kürzere Intervalle als 20 Jahre (oder 10 Jahre) können je nach Risikosituation indiziert sein (z. B. Exposition mit einem Diphtherie-Fall, Reise in hochendemische Diphtheriegebiete oder bei begrenztem Zugang zu medizinischer Versorgung). Ein dT-Impfstoff ist derzeit nicht verfügbar: dTpa oder dT-IPV Impfstoff gemäss Ersatzempfehlung verwenden (siehe www.bag.admin.ch/impfstoffversorgung).
12) Pertussis-Auffrisch- oder Nachholimpfung mit 1 Dosis (-pa): für alle Personen im Alter von 25 Jahren sowie unabhängig vom Alter bei regelmässigem Kontakt mit Säuglingen < 6 Monate (z. B. werdende Väter, Betreuungspersonen), falls letzte Dosis ≥ 10 Jahre zurückliegt und für schwangere Frauen in jeder Schwangerschaft (unabhängig vom Impfstatus, siehe Kapitel 3.1.).
13) HBV-Nachholimpfungen bei Erwachsenen jeden Alters (ab 16 Jahren, 3-Dosen-Impfschema), ausser es besteht kein Expositionsrisiko.
6 14) Einmalige Impfdosis mit einem Pneumokokken-Konjugatimpfstoff für alle Personen im Alter von ≥ 65 Jahren, welche noch keine PCV-Impfung im Erwachsenenalter erhalten haben. 15) 2 Dosen (Zeitpunkte 0 und 2 Monate) mit dem adjuvantierten Subunit-Impfstoff. 16) Ab dem Alter von 65 Jahren gibt es gute Gründe alternativ zum Standardimpfstoff den Hochdosisimpfstoff zu verwenden. Details zur Kostenübernahme, siehe Kapitel 3.1.
Richtlinien und Empfehlungen
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SCHWERPUNKT
sein könnte). Theoretisch wäre es ja vorstellbar, dass die abgeschwächten aber vermehrungsfähigen Viren via Plazenta aus dem mütterlichen Blut auf das ungeborene Kind übergehen und dieses schädigen könnten. Die Evidenz spricht aber dagegen. So ist z. B . gezeigt worden, dass die MMR-Impfung in der Schwangerschaft das Fehlbildungsrisiko für die Neugeborenen nicht erhöht (3). Die versehentliche Anwendung einer Lebendimpfung in der Schwangerschaft ist deshalb keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch.
Inaktivierte («Tot-») Impfstoffe Diese Impfstoffe dürfen hingegen auch Schwangeren gegeben werden, sofern sie aktuell indiziert sind. Die entsprechenden Texte in den Fachinformationen der Impfstoffe sind leider nicht sonderlich motivierend formuliert, z. B.: «Es sind weder kontrollierte Studien bei Tieren noch bei schwangeren Frauen verfügbar. [Name des Impfstoffs] soll daher nur bei dringend benötigtem Schutz gegen FSME-Infektionen und nur nach sorgfältiger Nutzen/Risiko-Abwägung angewendet werden.» Das kann im Einzelfall abschreckend wirken, zumal der Begriff «dringend benötigt» nicht klar definiert ist. Wer aber jemals eine nicht oder unvollständig geimpfte Patientin mit dauerhaften Lähmungen (zum Beispiel) durch FSME betreut hat, wird wohl die entsprechende Impfung auch in der Stillzeit als indiziert und wohl auch als «dringend benötigt» ansehen, wenn sich die Betroffene in einem Risikogebiet (aktuell die gesamte Schweiz ausser dem Kanton Tessin) aufhält. Ob eine Impfung just in den neun Monaten einer Schwangerschaft dringend indiziert ist oder ob sie auf die Zeit nach der Entbindung verschoben werden kann, hängt von vielen individuellen Faktoren ab. Dazu gehören u.a. das Expositionsrisiko, individuelle Gesundheitsfaktoren (z. B. chronische Grundkrankheiten) sowie die Bereitschaft der betroffenen Person. Dies kann nur in einem persönlichen Aufklärungsgespräch thematisiert werden im Sinne eines «shared decision making».
Explizit in der Schwangerschaft empfohlene Impfungen Pertussis Aktuell empfehlen BAG und EKIF (1) nur einmal eine Pertussisimpfung für Erwachsene, nämlich im Alter von 25 Jahren (Tabelle) – dies weil die Verhinderung von Pertussis bei Erwachsenen (leider) bislang kein Impfziel ist, sondern lediglich die Verhinderung der bedrohlichen Fälle bei Neugeborenen und jungen Säuglinge. Häufigste Ansteckungsquelle für diese sind Personen aus ihrer nächsten Umgebung (4). Deshalb gibt es zwei relevante risikobasierte Pertussis-Impfindikationen: 1. Alle Erwachsenen, welche regelmässig (wobei die
Häufigkeit bzw. Intensität nicht definiert ist!) privat
oder beruflich Kontakt zu Säuglingen im Alter von < 6 Monaten haben, sollen immer dann eine Pertussisimpfung erhalten, wenn die letzte Dosis ≥ 10 Jahre zurückliegt (sogenanntes «Cocooning»). Dadurch soll das Pertussis-Expositionsrisiko der jungen Säuglinge reduziert werden, bis sie selbst durch eigene Impfungen (beginnend ab dem Alter von 2 Monaten) ausreichend geschützt sind und somit den in Bezug auf Pertussis gefährlichsten Lebensabschnitt ohne Schaden überstanden haben. 2. Schwangere sollen unabhängig vom Abstand zur letzten Impfung gegen Pertussis (oder Diphtherie/ Tetanus) im 2. oder 3. Trimenon in jeder (!) Schwangerschaft diese Impfung erhalten. Die EKIF empfiehlt als optimalen Zeitraum die 13. bis 26. Schwangerschaftswoche (1). Weil es keine Pertussis-Einzelimpfstoffe gibt, erfolgt die Impfung immer in Kombination mit der Diphtherie- und der Tetanusimpfung (ggf. auch mit Polio; Tdap, Adacel® oder Boostrix® bzw. Tdap-IPV, Adacel-Polio® bzw. Boostrix-Polio®). Die Pertussisimpfung in der Schwangerschaft hat sich als die effizienteste Massnahme zum Schutz Neugeborener und junger Säuglinge vor Pertussis erwiesen und wird in der Schweiz auch zunehmend umgesetzt (5). In England, wo sie als erstes flächendeckend angewendet wurde, konnte eine Schutzwirkung von 93% für die Neugeborenen ermittelt werden (6). Das erklärt sich einerseits durch den transplazentaren Transfer der protektiven anti-Pertussis-IgG-Antikörper der Mutter, welche durch die Impfung in der Schwangerschaft eine Boosterung erfahren haben (= direkter Schutz), andererseits auch durch indirekten Schutz (geringeres Ansteckungsrisiko dank Impfung der Mütter). Die Umsetzung der Impfempfehlung in der Schwangerschaft wird durch positive und motivierende Formulierungen in den Fachinformationen von Diphtherie-Tetanus-azellulären Pertussis-Impfstoffen unterstützt, z. B.: «Sicherheitsdaten, basierend auf Publikationen aus 4 randomisierten, kontrollierten Studien (310 Schwangerschafts-Outcomes), 5 retrospektiven Beobachtungsstudien (124 810 Schwangerschafts-Outcomes) und auf passiver Beobachtung von Frauen, die [Name des Impfstoffs] während des zweiten oder dritten Trimenons verabreicht bekamen, zeigten keine impfstoffbezogene unerwünschte Wirkung auf die Schwangerschaft oder auf die Gesundheit des Fetus/ Neugeborenen. In prospektiven klinischen Studien wurde die Verabreichung von [Name des Impfstoffs] während des ersten und zweiten Trimenons der Schwangerschaft nicht untersucht. Wie bei anderen inaktivierten Impfstoffen ist eine Schädigung des Fetus nach einer Impfung mit [Name des Impfstoffs] in keinem Trimenon der Schwangerschaft zu erwarten.» Leider wird noch in zu wenigen Ländern diese für den Schutz der Neugeborenen so wichtige Impfempfehlung umgesetzt (7, 8).
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SCHWERPUNKT
Linktipp
Schweizerischer Impfplan 2024 (Stand März 2024) https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/i-und-b/richtlinienempfehlungen/allgemeine-empfehlungen/schweizerischer-impfplan.pdf. download.pdf/schweizerischer-impfplan-de.pdf
Der Autor bezieht sich auf ■ Tabelle 1: Synopsis Schweizerischer Impfplan 2024 Empfohlene Basisimpfungen und ergänzende Impfungen durch EKIF/BAG und ■ Tabelle 2: Nachholimpfschemata für ungeimpfte Kinder und Erwachsene (empfohlene Basis und ergänzende Impfungen)
Influenza Die Influenza («echte Grippe») ist eine meist plötzlich einsetzende akute Krankheit. Typische Manifestationen sind Zeichen einer Atemwegsinfektion (Rhinitis, Pharyngitis, Husten), hohes Fieber, Schüttelfrost, Abgeschlagenheit, Kopf-, Rücken- und Gliederschmerzen. Die unkomplizierte Krankheit dauert etwa zwei Wochen. Bedrohlich ist die hyperakute Verlaufsform, in der es zu einem akuten Herz-Kreislauf-Versagen oder auch einer foudroyanten Pneumonie kommen kann und die letal verlaufen kann. Davon sind Schwangere häufiger betroffen als nicht schwangere gleichaltrige Personen. Diese Erkenntnis wurde eindrücklich während der letzten Influenza-Pandemie 2009 bestätigt. Auch junge Säuglinge können besonders bedrohlich an Grippe erkranken, teilweise mit ähnlichen Krankheitszeichen wie bei einer schweren Sepsis. Aus diesen Gründen, das heisst also direkter Impfschutz der Schwangeren sowie indirekter Schutz des Kindes durch transplazentaren spezifischen IgG-Antikörpertransfer, wird die Influenzaimpfung seit 2009 allen Schwangeren in der Schweiz jeweils im Herbst und Winter eines jeden Jahres empfohlen. Die ursprüngliche Einschränkung auf das 2. und 3. Trimenon (ausser für Schwangere mit chronischen Grundkrankheiten, denen es schon von Beginn an in jedem Trimenon empfohlen war) wurde vor einigen Jahren aufgehoben. Seitdem gilt die Empfehlung für alle Schwangeren zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft. Die in der Schweiz zugelassenen Influenzaimpfstoffe enthalten Antigene von jeweils zwei Influenza-A und -B-Subtypen. Da seit 2021 weltweit keine Influenza-B-Subtypen vom Stamm Yamagata mehr nachgewiesen wurden, ist mit einer baldigen Rückkehr von quadri- auf trivalente (nur Antigene von 2 A- und dem B-Virussubtyp Stamm Victoria) zu rechnen. Die Verträglichkeit der Influenzaimpfung ist gut, lokale Reaktionen wie Rötung, Schwellung oder Schmerzen an der Injektionsstelle, sind (mit zirka 10% Wahrscheinlichkeit auftretend) nicht häufiger als bei Nichtschwangeren und das gleiche gilt für die weniger häufigen systemischen unerwünschten Ereig-
nisse wie Fieber oder Kopfschmerzen, welche auf die Impfung zurückzuführen wären. Die Schutzwahrscheinlichkeit der Influenzaimpfung in der Schwangerschaft für die Mutter variiert von Saison zu Saison (in Abhängigkeit vom Abdeckungsgrad der im Impfstoff enthaltenen Virusantigene und den in der jeweiligen Saison zirkulierenden Influenzaviren, so genannter «match» bzw. «mismatch») und liegt in der Grössenordnung von 50 bis 70% in Bezug auf Verhinderung einer Arztkonsultation. Neugeborene und Säuglinge geimpfter Mütter haben in den ersten 6 Lebensmonaten ein um zirka 90% reduziertes Risiko einer Hospitalisierung wegen Influenza im Vergleich zu Gleichaltrigen, deren Mütter nicht geimpft wurden (9).
COVID-19 Schwangere stellten insbesondere in der Frühphase der COVID-19-Pandemie eine Risikogruppe für besonders schwere Krankheitsverläufe dar und wurden deshalb auch von BAG und EKIF zu den besonders gefährdeten und somit bevorzugt zu impfenden Personen gerechnet. In der Folgezeit hat sich in der Bevölkerung eine grossflächige Immunität durch rezidivierende SARS-CoV-2-Infektionen mit und ohne Krankheitszeichen und/oder wiederholte COVID-19 Impfungen ausgebildet. Dies hat dazu geführt, dass schwere Krankheitsverläufe deutlich seltener auftreten und die Impfempfehlungen aktuell (2024) auf Personen im Alter ab 16 Jahren mit besonders gefährdenden Grundkrankheiten beschränkt werden (1). Schwangerschaft allein gehört nicht mehr dazu, ist aber auch keine Kontraindikation für eine indizierte oder gewünschte COVID-19-Impfung.
Fazit und Ausblick
Impfungen in der Schwangerschaft können eine sehr
sinnvolle Präventionsmassnahme sein. Während Le-
bendimpfstoffe bei Schwangeren kontraindiziert
sind, dürfen und sollen inaktivierte indizierte Impfun-
gen nach Aufklärung der Schwangeren verabreicht
werden. Die Beurteilung der Dringlichkeit erfolgt da-
bei auf individueller Ebene. Zudem gibt es Impfun-
gen, die explizit in jeder Schwangerschaft zum Schutz
von Mutter und ungeborenem Kind empfohlen wer-
den, nämlich gegen Pertussis und Influenza. Eine
weitere solche explizite Impfempfehlung könnte es
bald gegen RSV geben, wenn ein erster solcher Impf-
stoff in der Schweiz zugelassen ist und von BAG und
EKIF evaluiert wurde.
n
Prof. Dr. Ulrich Heininger Leitender Arzt und Chefarzt Stv. Pädiatrie Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) 4031 Basel
Interessenkonflikte: «siehe https://www.infovac.ch/de/infovac/wer-sind-wir (Biosketch Ulrich Heininger)»
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SCHWERPUNKT
Quellen: 1. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesund-leben/gesundheitsfoerderung-und-praevention/impfungen-prophylaxe/schweizerischer-impfplan.html 2. Alain S et al.: State of the art: Could nursing mothers be vaccinated with attenuated live virus vaccine? Vaccine 2012;30(33):4921-4926. 3. Munoz FM, Englund JA.: Vaccines in pregnancy. Infect Dis Clin North Am 2001;15: 253–271. 4. Heininger U et al.: Prospective Nationwide Surveillance of Hospitalizations due to Pertussis in Children, 2006–2010. Pediatr Infect Dis J 2014;33:147–151. 5. Cremer M et al.: Interventional study to improve pertussis and influenza vaccination uptake in pregnant women. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2024;295:201209. 6. Dabrera G et al.: A case-control study to estimate the effectiveness of maternal pertussis vaccination in protecting newborn infants in England and Wales, 20122013. Clin Infect Dis 2015;60:333–337. 7. Abu-Raya B et al.: Vaccination in Pregnancy against Pertussis: A Consensus Statement on Behalf of the Global Pertussis Initiative. Vaccines (Basel). 2022 Nov 23;10(12):1990. doi: 10.3390/vaccines10121990. 8. Olson-Chen C et al. : The current state of pertussis vaccination in pregnancy around the world, with recommendations for improved care: Consensus statements from the Global Pertussis Initiative. Int J Gynaecol Obstet 2024;165(3):860-869. 9. Benowitz I, Esposito DB et al.: Influenza vaccine given to pregnant women reduces hospitalization due to influenza in their infants. Clin Infect Dis 2010;51(12):13551361.
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