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UPDATE / INTERVIEW
Women’s Health Congress, Lausanne, Januar 2024
Social Freezing: Wissenschaft und Bedürfnisse jenseits des Geschäfts
«Jeder Antrag auf Erhalt der Fruchtbarkeit ist seiner Natur nach medizinisch gerechtfertigt»
Gehäuft möchten heute Frauen im fertilen Alter ihren Kinderwunsch auf für sie günstigere Zeiten verschieben und dazu eine «Fertilitätsreserve» anlegen durch Einfrieren eigener Eizellen für eine spätere IVF-Therapie. Was inzwischen vor einer zytostatischen Therapie infolge eines Malignoms etabliert ist und von Krankenkassen bezahlt wird, kostet bei gesunden Frauen nicht unerheblich. Die Frage bleibt: Lohnt sich die medizinische Prozedur?
tens ein Kind zu bekommen, werden vor dem 35. Lebensjahr erzielt.
Reproduktionsmedizinerin Dr. med. Anna Surbone, CHUV Maternité in Lausanne, referierte zum Thema Social Freezing anlässlich des diesjährigen Women’s Health Congresses. Sie gab uns Antworten auf wichtige Fragen.
Anna Surbone
SZ-GYNÄKOLOGIE: Frau Dr. Surbone, bei jungen Frauen, die vor einer Tumortherapie stehen, wird die Entnahme und Kryokonservierung von Ovargewebe standardmässig angeboten. Wie erleben Sie die Nachfrage einer nicht medizinisch begründeten Fertilitätsreserve? Hat die Nachfrage eventuell zugenommen angesichts vermehrter weiblicher Selbststimmung? Dr. med. Anna Surbone: Jeder Antrag auf Erhalt der Fruchtbarkeit ist seiner Natur nach medizinisch gerechtfertigt. Mit der altersbedingten Abnahme der Eizellreserve und der Eizellqualität findet die Fertilitätserhaltung ihren Platz in einer Welt, in der die Mutterschaft in einem immer fortgeschritteneren Alter erreicht wird. Die Nachfrage ist vor allem aufgrund des gestiegenen Bewusstseins der Frauen und der vertieften Kenntnisse über die Reproduktionsbiologie in der Bevölkerung gestiegen.
Das Alter der Frau spielt eine grosse Rolle in der assistierten Reproduktion. Wie alt dürfen die Frauen bei Abnahme von Oozyten höchstens sein, damit sich die Kryokonservation für die Einleitung einer späteren Schwangerschaft «lohnt»? Surbone: Die Erfolgsrate des Fruchtbarkeitserhalt durch Kryokonservierung von Eizellen hängt vom Alter der Frau zum Zeitpunkt der Kryokonservierung und der Anzahl der gewonnenen Eizellen ab. Die besten Ergebnisse in Bezug auf die Chance, mindes-
Es gibt auch Frauen, die noch Mitte 40 spontan schwanger werden und Kinder gebären. Woran liegt diese Altersabhängigkeit bei der Eizellgewinnung, und wie stehen die Chancen auf eine spätere Schwangerschaft? Surbone: Die Rede ist von «Chancen». Dies sind statistische Daten: Die Chancen nehmen mit zunehmendem Alter stark ab, aber das bedeutet nicht, dass es nie Ausnahmen geben wird. Späte Spontanschwangerschaften gibt es zwar, werden aber mit zunehmendem Alter immer seltener.
Wie verlaufen technisch die Entnahme und Kryokonservierung von Eizellen respektive Ovargewebe? Welche Risiken bestehen für die Frau? Surbone: Bei der nicht medizinischen Kryokonservierung sind es in der Regel die Eizellen, die kryokonserviert werden. Die Kryokonservierung von Eierstockgewebe wird normalerweise nicht ausserhalb der Fertilitätserhaltung vor einer gonadotoxischen Behandlung angewendet und erfordert eine Operation (Laparoskopie). Ausserdem ist sie «verstümmelnd», da ein Teil des Eierstocks entfernt wird. Bei der Kryokonservierung von Eizellen wird zunächst eine kontrollierte ovarielle Stimulation mit engmaschiger Nachkontrolle durch Ultraschalluntersuchungen und Hormonuntersuchungen durchgeführt. Die Stimulation der Eierstöcke dauert durchschnittlich 12 Tage. Anschliessend werden die Eizellen vaginal unter Ultraschallkontrolle, in den meisten Fällen unter Sedierung, entnommen. Nach der Entnahme werden die Eizellen eingefroren und in flüssigem Stickstoff bei minus 196°C kryokonserviert. Die Risiken hängen hauptsächlich mit der Stimulation der Eierstöcke zusammen, die zu einem so genannten «ovariellen Hyperstimulationssyndrom» führen kann. Dies ist eine potenziell schwerwiegende Komplikation, die aber mit den derzeitigen Stimulationsprotokollen glücklicherweise recht selten ist. Die Eizellentnahme birgt, wie jeder chirurgische Eingriff,
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auch Risiken (Infektionen, Blutungen, Schäden an anderen Organen), aber glücklicherweise sind auch diese Risiken gering und werden auf weniger als 1% geschätzt.
Wie sieht die juristische Situation in der Schweiz aus? Dürfen Eizellen unbegrenzt kryokonserviert werden? Ist gesichert, dass diese nur auf Wunsch für die Frau verwendet werden? Surbone: In der Schweiz können kryokonservierte Eizellen 5 Jahre aufbewahrt werden, einmal darf der Vertrag erneuert werden. Nur die Frau, deren Eizellen kryokonserviert sind, darf sie verwenden. Die Eizellspende ist in der Schweiz im Moment verboten.
Wer sucht typischerweise Ihre Beratung? Die Frau Ende 30 ohne derzeit festen Partner mit Hochschulstudium gutem Einkommen? Surbone: Die Profile und die Lebensgeschichten sind vielfältig. Da kann es sich um die Studentin oder die verheiratete Frau handeln oder auch um die junge Alleinstehende, die im Moment keine Kinder möchte, bis hin zur Patientin, die an Erkrankungen leidet, welche eine Verschiebung der Schwangerschaft erfordern oder die Fruchtbarkeit beeinträchtigen können, zum Beispiel bei Endometriose.
Gibt es Zahlen, wie häufig die Kryokonservierung später für eine Fertilitätstherapie genutzt wird? Oder auch nicht genutzt wird wegen spontaner Konzeption? Surbone: In den Studien verwendeten etwa 12 bis 16% der Frauen, die die Kryokonservierung von Eizellen in Anspruch nahmen, ihre Eizellen. Die Zahl ist in der Tat niedrig, und die Gründe für diese geringe Nutzung sind vielfältig. Da kann es sich um spontan eingetretene Schwangerschaften, die Abwesenheit eines Partners, um ein Lebensveränderungsprojekt handeln und vieles mehr.
Und schliesslich: Wieviel kostet heute ein Social free-
zing?
Surbone: Der Preis ist von Zentrum zu Zentrum un-
terschiedlich, aber im Durchschnitt sollten Sie mit
4000 bis 6000 Franken für einen Stimulationszyklus
der Eierstöcke rechnen. Der Endpreis hängt von der
Anzahl der Eizellen ab, die in einem Zyklus entnom-
men werden können, und damit von der Anzahl der
Zyklen, die erforderlich sind, um eine angemessene
Anzahl von Eizellen zu erhalten.
n
Frau Dr. Surbone, ganz herzlichen Dank für das Interview.
Interview und Übersetzung aus dem Französischen: Bärbel Hirrle
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