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SCHWERPUNKT
Die sexuelle Lustlosigkeit der Frau in der (Peri-)Menopause
Ist Testosteron die Lösung?
Ein vermindertes Interesse an Sexualität ist häufig und nimmt in der Perimenopause und später stetig zu. Wenn auch der Leidensdruck in diesem Alter abnimmt, wünschen sich nicht wenige Frauen therapeutische Hilfe. Hinreichend bekannt ist, dass Androgene das weibliche Interesse positiv beeinflussen können, das Interesse an einer Testosteron-Substitution ist gross. Der Artikel soll klären, wann an diese Behandlungsmöglichkeit gedacht werden kann und worauf zu achten ist.
ELIANE SARASIN
Eliane Sarasin
Die sexuelle Lustlosigkeit ist die häufigste sexuelle Funktionsstörung der Frau und gleichzeitig auch der häufigste Anlass für eine sexualmedizinische Beratung (1–3). Nicht selten bringen Therapieversuche unterschiedlichen Ansatzes nicht den erhofften Erfolg. Dies begründet sich durch die Tatsache, dass die Ursachen vielfältig sind, sich teilweise überlagern und fast immer eine somatische, psychische und interpersonelle Dimension haben. Auch ist der Leidensdruck der betroffenen Frauen unterschiedlich. Nicht jeder Betroffenen scheint die Lust zu fehlen. Ein erheblicher Leidensdruck entsteht vielmehr durch negative paardynamische Konsequenzen oder dem Gefühl, dem gesellschaftlich vermittelten Sollzustand nicht zu genügen. Es gibt jedoch auch im vorgerückten Alter Frauen, welche unter dem Verlust ihres sexuellen Interesses leiden und unabhängig vom partnerschaftlichen Einfluss eine erfüllende Sexualität zurückgewinnen möchten. In den letzten 20 Jahren sind zahlreiche Untersuchungen und Metaanalysen zu Androgenen und weiblicher Sexualität veröffentlicht worden, welche eine positive Assoziation nicht von der Hand weisen kön-
Merkpunkte
n Sexuelle Lustlosigkeit (HSDD) ist die häufigste sexuelle Funktionsstörung der Frau. Sie bedarf einer eingehenden somatischen, laborchemischen und psychosozialen Abklärung, da die Ursachen mannigfach sind.
n Obwohl laboranalytische und klinische Parameter fehlen, um einen Androgenmangel bei der Frau zu definieren, zeigt sich in ausgewählten Fällen ein positiver Einfluss von Testosteron auf die weibliche Lust.
n Eine systemische perkutane Testosterontherapie kann aufgrund der Datenlage (und Ausschluss anderer Ursachen) eine Option bei HSDD in der späten Perimenopause, (iatrogenen) Menopause und Postmenopause darstellen. Diese Therapie sollte bis zum Vorliegen neuer Studienresultate lediglich der HSDD vorbehalten werden.
nen. Zur Klärung der nicht einheitlichen Datenlage haben sich 2019 elf renommierte internationale Fachgesellschaften zusammengefunden und das «Global Consensus Position Statement» zur TestosteronTherapie bei der Frau publiziert (4), welches sich auf qualitativ hochstehende, plazebokontrollierte, randomisierte Studien (RCT) bezieht. Ziel waren klare Richtlinien bezüglich Indikation, Nutzen und Risiken einer Testosterontherapie bei der Frau. In einem Folgeartikel zwei Jahre später wurde das Positionspapier erneut aufgenommen und für den klinische Alltag «anwendungsfreundlicher» ausgeführt (5). Dieser Artikel stützt sich auf dessen Empfehlungen.
Definition und Klassifikation der weiblichen Luststörung
In der aktuellen Version des diagnostischen und statistischen Manuals psychischer Störungen (DSM-5) wurde die weibliche Lust- und Erregungsstörung neu zu einer einzigen Störungskategorie zusammengelegt («sexual interest/arousal disorder in women»). Im Gegensatz zur vorherigen Definition im DSM-4 findet nun auch das fehlende Ansprechen auf sexuelle Stimuli Beachtung bezugnehmend auf das zirkuläre Modell der weiblichen Sexualität von Rosemary Basson aus dem Jahr 2000 (6). Im DSM-4 hingegen lag der Fokus auf dem Verhalten der betroffenen Frau, wie es der englische Begriff «hypoactive sexual desire disorder» (HSDD) aussagt. HSDD wird definiert als «anhaltender oder wiederkehrender Mangel oder das Fehlen sexueller Fantasien und des Verlangens nach sexueller Aktivität mit dadurch ausgelöstem Stress und/oder zwischenmenschlichen Schwierigkeiten» (7). Wie auch im DSM-5 muss die Störung über eine Zeitdauer von mindestens sechs Monaten vorliegen. Zur Einschätzung eines Testosteroneffekts auf Klinik und therapeutisches Ansprechen bei sexueller Lust-
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losigkeit ist es einfacher, wenn Lust- und Erregungsstörung getrennt beurteilt werden. So basieren denn auch die zahlreichen wissenschaftlichen Studien und Übersichtsartikel auf dem eigentlich veralteten Begriff der HSDD.
Prävalenz der sexuellen Lustlosigkeit
Zahlreiche repräsentative Studien zeigen übereinstimmend, dass ein vermindertes sexuelles Interesse bei 25 bis 45% aller Frauen besteht. In der PRESIDEStudie (2008), welche über 30 000 Frauen in den USA nach sexuellen Funktionsstörungen befragte und auch den Leidensdruck einbezog, reduzierte sich die Prävalenz auf 8,9% bei den 18- bis 44-Jährigen, auf 12,3% bei den 45- bis 64-Jährigen und auf 7,4% bei den über 65-Jährigen. In einer Partnerschaft zu leben, war der grösste Risikofaktor für Leidensdruck (8). Eine aktuellere australische Erhebung (mit Berücksichtigung des Leidensdrucks) ergab sogar eine Prävalenz von 32% bei Frauen zwischen 40 und 65 Jahren und von 14% bei Frauen über 65 Jahren (9). Deutlich höher war der Anteil von sexuell lustlosen Frauen, deren Menopause iatrogen verfrüht eingeleitet war, gegenüber ihrer gleichaltrigen Kontrollgruppe. Kein signifikanter Unterschied in der Häufigkeit fand sich hingegen bei Frauen nach dem 50. Lebensjahr, unabhängig davon, ob die Menopause chirurgisch oder natürlich eingetreten war (10). Zusammenfassend resultiert, dass sexuelle Lustlosigkeit in der zweiten Lebenshälfte häufig ist, auch wenn der Leidensdruck mit zunehmendem Alter in den Hintergrund rückt. Letzteres könnte dadurch erklärt sein, dass der Stellenwert der Sexualität abnimmt, nicht zuletzt auch durch die hohe Rate von sexuellen Funktionsstörungen beim männlichen Partner oder weil schlicht ein Partner fehlt. Zunehmend melden sich heute Frauen in der Sprechstunde, welche auch nach der Menopause der Sexualität einen hohen Stellenwert einräumen und das wei-
Zunehmend melden sich heute Frauen in der Sprechstunde, welche auch nach der Menopause der Sexualität einen hohen Stellenwert einräumen und das weichende
Interesse nicht akzeptieren möchten.
chende Interesse nicht akzeptieren möchten. Angesichts der Tatsache, dass im Jahr 2030 über eine Milliarde der weiblichen Bevölkerung postmenopausal ist, deutet dies auf ein relevantes Kollektiv, welches sich eine Behandlung wünscht.
Der Androgenhaushalt bei der Frau
Wenn auch Östrogen als vorherrschendes Sexualhormon der Frau gilt, sind die Androgenspiegel im Se-
rum ausser in der präovulatorischen und mitt-lutealen Phase des Zyklus höher. Wir wissen heute, dass Östrogene wie Androgene – und zwar bei beiden Geschlechtern – für die Regulation biologischer Prozesse entscheidend sind. Dies gilt auch für die Sexualfunktion der Frau – angefangen bei der intrauterinen Entwicklung der Sexualorgane, über die Aufgaben in der reproduktiven Lebensphase bis zur wichtigen Mittlersubstanz für das sexuelle Verhalten. In der Prämenopause werden Testosteron und seine Vorläufer im Ovar und in der Nebenierenrinde produziert, wobei 50% des zirkulierenden Testosterons aus der Umwandlung von Andostendion und Dehydroepiandrosteron (DHEA) im peripheren Gewebe stammt (11). In erster Linie ist Testosteron für die Estradiolsynthese von Bedeutung. Daneben übt Testosteron auch selbst und als sein aktiver Metabolit Dihydrotestosteron (DHT) direkt über Androgenrezeptoren einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf wichtige Funktionen im weiblichen Körper aus. Androgenrezeptoren befinden sich in fast allen Organen (u.a. Gehirn, Genitale, Brust und Muskeln). Die Androgenkonzentration nimmt im Laufe des Lebens stetig ab als Folge der zunehmend eingeschränkten Funktion der Ovarien und auch einer verminderten Vorläuferproduktion in der Nebennierenrinde. Im Gegensatz zum raschen Östrogenabfall kommt es bei der natürlichen Menopause nicht zu einem so deutlichen Einschnitt im Androgenhaushalt. Bis etwa zur siebten Lebensdekade nehmen die
Bis etwa zur siebten Lebensdekade nehmen die Konzentrationen
von Androgenen und Präandrogenen konstant ab.
Konzentrationen von Androgenen und Präandrogenen konstant ab. Bei der iatrogen induzierten vorzeitigen Menopause lässt sich hingegen analog dem Östrogen ein abrupter Abfall der Androgene beobachten. In der Postmenopause erfolgt die direkte Testosteronsynthese reduziert nur noch in der Nebennierenrinde, weiterhin findet die Bildung über Vorstufen im peripheren Gewebe statt. Nach wie vor wird kontrovers diskutiert, ob das postmenopausale Ovar tatsächlich Androgene produziert (12).
Laboruntersuchung von Testosteron
Bis 98,5% des Testosterons sind an Plasmaproteine gebunden, davon der grösste Anteil ans Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG) und Albumin. Das bioaktive freie Testosteron im Blut macht nur etwa 1 bis 1,5% des Gesamttestosterons aus.
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Üblicherweise erfolgt die Hormonbestimmung aus dem Serum. Da die Messung vom freien Testosteron sehr stark abhängig von Messmethode und Labor variieren kann, wird dieses in der Regel nicht direkt gemessen. Möglich ist eine indirekte Berechnung des bioaktiven Testosterons unter Einbezug von Gesamttestosteron, SHBG und eventuell Albumin. Im Global Consensus wird empfohlen, sich auf die Messung des Gesamttestosterons zu beschränken.
mit ihrem Sexualleben ziemlich zufrieden waren, auch wenn sie nie oder nur selten Lust verspüren. Es bestätigte sich wiederum, dass fehlendes sexuelles Interesse nicht immer behandlungsbedürftig ist (15). Zusammenfassend resultiert, dass die Androgenkonzentration im peripheren Blut mit sexueller Lust zwar korrelieren kann, die Studienlage jedoch nicht konsistent ist. Insbesondere findet sich kein absoluter Androgengrenzwert, welcher eine HSDD defi-
Androgene und Libido
Die häufig vorkommende sexuelle Lustlosigkeit mit zunehmendem Alter legt nahe, diese auf die Abnahme der Sexualhormone zurückzuführen. Eine systemische Östrogen-Progesteron-Therapie konnte keine nachweislich direkte Auswirkung auf das weibliche Begehren zeigen (13). Unbestritten ist der positive Effekt von topischem Östrogen auf das weibliche Lusterleben. Dieser beruht jedoch primär auf Reduktion der Schmerzen bei der Penetration. Ein Zusammenhang zwischen Libido und Androgenen wird seit vielen Jahren diskutiert. In einer Untersuchung an ovarektomierten Ratten wurde nach Gabe des nicht aromatisierbaren Dihydrotestosteron (DHT) ein deutlich stärkeres begehrendes wie rezeptives sexuelles Verhalten beobachtet. Frühe Studien an Frauen zeigten uneinheitliche Resultate. Eine grosse australische Studie aus dem Jahr 2005 untersuchte den Zusammenhang zwischen zirkulierenden Androgenkonzentrationen und der Sexualfunktion bei über 1000 Frauen zwischen 18 und 75 Jahren. Dabei zeigte sich kein klinisch bedeutsamer Zusammenhang zwischen den Spiegeln von freiem wie gebundenem Testosteron und der Sexualfunktion in allen Altersgruppen. Einzig zeigte sich ein knapp signifikanter Zusammenhang zwischen DHEA-S und sexueller Lust bei prämenopausalen Frauen, welche nicht unter einer hormonellen Antikonzeption standen. Auch korrelierte ein DHEA-S unterhalb der 10. Perzentile mit einem eingeschränkten Ansprechen auf sexuelle Reize («sexual responsiveness») bei Frauen über 45 Jahren. Die meisten Studienteilnehmerinnen mit tiefem DHEA-S hatten jedoch keine sexuelle Dysfunktion (14). Eine auffallend häufigere Luststörung bei jungen Frauen mit vorzeitiger iatrogener Menopause gegenüber ihrer gleichaltrigen noch prämenopausalen Kontrollgruppe deutet wiederum auf einen positiven Einfluss von Testosteron (10). Die US-amerikanische SWAN-Studie untersuchte über 3000 Frauen zwischen 42 und 52 Jahren und konnte eine positive Korrelation von Testosteron und DHEA mit der Masturbationsfrequenz nachweisen, wobei Testosteronwerte im unteren Quartil mit einer tieferen Masturbationsfrequenz, geringeren Libido und Erregungsfähigkeit assoziiert waren. Allerdings zeigte diese Studie auch, dass die meisten Frauen
Es findet sich kein absoluter Androgengrenzwert, welcher eine HSDD
definiert.
niert. Gründe sind die schwierige laborchemische Messung, die Tatsache, dass zirkulierende Werte nicht unbedingt Aussage zu intrazellulären Konzentrationen machen, und dass die komplexe .Regulation der Androgenrezeptoren nicht berücksichtigt wird. Auch sind die Aktivitäten von Aromatase und 5-Alfa-Reduktase wie auch die Androgenrezeptoraktivität und -dichte individuell unterschiedlich (5).
Warum eine Testosteron-Therapie bei HSDD – bei wem und wie?
Obwohl kein laborchemischer Grenzwert zur Diagnose einer HSDD definiert werden kann, kann Testosteron eine Modulation auf das weibliche Sexualverhalten nicht abgesprochen werden. Auch wenn die gesamte Komplexität der zentralen und peripheren Wirkmechanismen von Testosteron auf die weibliche Sexualfunktion nicht vollständig geklärt ist, so sprechen Studienlage wie auch klinische Evidenz in ausgewählten Fällen für eine Testosterongabe im Bereich der physiologischen prämenopausalen Serumwerte. Eine 2014 publizierte Metaanalyse zur Testosteronbehandlung bei postmenopausalen Frauen zeigte signifikante Verbesserungen der Libido, Erregungsfähigkeit und Orgasmusfrequenz (16). Es wird jedoch betont, dass Daten zur Langzeitsicherheit fehlen. Der positive Effekt von Testosteron in der Postmenopause scheint nicht abhängig von einer gleichzeitigen Östrogensubstitution zu sein (17). Das globale Konsensuspapier empfiehlt eine Testosterontherapie bei HSDD bei Frauen mit vorzeitiger Menopause nach Ovarektomie oder postmenopausalen Frauen, welche nicht auf anderweitige und modifizierbare Faktoren zurückzuführen ist (4). Dabei sollten physiologische Testosteronspiegel der Prämenopause erreicht werden. Die betroffenen Frauen können zudem zeitgleich eine Östrogentherapie erhalten. Die International Society for the Study of Women’s Sexual Health (ISSWSH) geht sogar so weit, dass sie auch eine Testosteron-Gabe bei HSDD für Frauen in der späten Perimenopause in Betracht
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zieht (18). Für die Empfehlung einer Testosterontherapie bei sexueller Lustlosigkeit in der Prämenopause ist die Datenlage ungenügend. Einigkeit besteht unbestritten, dass vor einer Testosteron-Therapie eine eingehende körperliche wie laborchemische Untersuchung und auch psychosoziale Exploration erfolgen müssen, um nicht die vielzähligen Gründe der sexuellen Lustlosigkeit zu verpassen, welche einer anderweitigen Therapie bedürfen. Eine frühe iatrogene Menopause ist nicht automa-
Einigkeit besteht unbestritten, dass vor einer Testosteron-Therapie
eine eingehende körperliche wie laborchemische Untersuchung und auch
psychosoziale Exploration erfolgen müssen, um nicht die vielzähligen Gründe der sexuellen Lustlosigkeit
zu verpassen, welche einer anderweitigen Therapie bedürfen.
tisch eine Indikation für eine Testosteron-Substitution. Allerdings sollte man sich des erhöhten Risikos für eine Störung der sexuellen Appetenz aufgrund des raschen Abfalls der Androgenen bewusst sein. Trotzdem sollte dieses Patientinnenkollektiv bei Symptomen der HSDD den gleichen biopsychosozialen Abklärungen zugeführt werden.
Anwendung Wenn ein Therapieversuch mit Testosteron angezeigt ist, soll eine transdermale Verabreichung bevorzugt werden. Testosteron-Injektionen, subkutane Implantate oder andere Formulierungen führen häufig zu supraphysiologischen Spiegeln und konsekutiv zu unerwünschten Nebenwirkungen. Nach Aufklärung über den Off-Label-Use sowie Nutzen und Risiken und Einholen eines «Informed Consent» können Testosteron-Formulierungen verschrieben werden. Es empfiehlt sich die Verordnung von transdermalem Testosteron in Form eines Pflasters, welches 300 mcg Testosteron pro Tag freisetzt, analog dem vor Jahren vom Markt genommenen Testosteron-Pflaster «Intrinsa» oder einer Crème, die täglich 5 mg Testosteron in 0,5 ml Basis (10 mg/ml) abgibt. So werden systemische Werte erreicht, die im normalen prämenopausalen Bereich liegen (19). Leider existieren (mit Ausnahme von Australien) keine offiziell zugelassenen Testosteron-Präparate für die Frau, so dass entweder empfohlen wird, ein für Männer entwickeltes transdermales Präparat in einem Zehntel der regulären Dosis zu verschreiben oder aber auf eine individuelle Magistralrezeptur
auszuweichen. Letzteres bedingt die Zusammenarbeit mit einer ausgewiesenen Apotheke, welche die notwendigen Qualitätsvorgaben erfüllt. Vor der Testosteron-Therapie bei HSDD sollte der Ausgangswert vom Gesamttestosteron im Serum bestimmt werden (Cave: NICHT zur Diagnosestellung!) mit Wiederholung alle 3 bis 6 Woche unter Therapie. Sobald stabile Testosteronwerte im prämenopausalen Bereich gemessen werden, reicht eine serologische Überwachung alle 4 bis 6 Monate. Auch das SHBG sollte vor Therapiebeginn bestimmt werden, da Frauen mit Werten oberhalb des Normbereichs weniger wahrscheinlich von einer Therapie profitieren (5). Die Testosteron-Anwendung sollte im Bereich der Wade, Oberschenkelaussenseite oder Gesäss erfolgen. Wichtig ist, die Patientin aufzuklären, dass eine Übertragung des Wirkstoffs bei engem Körperkontakt möglich ist. Es empfiehlt sich nach Auftragen des Gels gut die Hände zu waschen. Bei der Anwendung von transdermalem Testosteron kann es bis zu sechs Wochen dauern, bis sich einer Verbesserung der HSDD-Symptome einstellt, der maximale Effekt wird nach 12 bis 16 Wochen beobachtet. Nach spätestens 6 Monaten ohne subjektive Verbesserung, sollte die Therapie abgesetzt werden. Bei guter Wirkung empfiehlt sich eine Therapiepause nach 12 Monaten («drug holiday»), um abzuschätzen, ob ein Weiterführen angezeigt ist. Noch fehlen Lang-
Leider existieren (mit Ausnahme von Australien) keine offiziell zugelassenen
Testosteron-Präparate für die Frau.
zeitdaten, welche über 2 Jahre hinausgehen (20). Ob gerecht oder nicht: Die Testosteron-Therapie zur Behandlung der sexuellen Lustlosigkeit in der Menopause ist nicht kassenpflichtig.
Risiken und Nebenwirkungen der Testosteron-Therapie
Kurzfristige Nebenwirkungen sind dosisabhängig und bei einer physiologischen Dosierung entsprechend der Prämenopause insgesamt selten. Es handelt sich vor allem um eine Zunahme von Akne und Hirsutismus. Stimmveränderungen, Klitorisvergrösserung und androgenetische Alopezie sind im Normalfall lediglich supraphysiologischen Dosisspiegeln vorbehalten (21). Regelmässige klinische Untersuchungen werden empfohlen. Treten trotz prämenopausalen Testosteronspiegeln relevante Androgenisierungszeichen auf, liegt dies eventuell an einer tiefen SHBG-Konzentration, was bei Typ-II-Diabetes, Adipositas oder metabolischem Syndrom vorkommen kann.
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Eine laborchemische Messung der Leberfunktion und der Nüchternblutfette wird vor Therapiebeginn empfohlen. Obwohl diese Werte durch die empfohlene Testosterondosis nicht beeinflusst werden, gelten Leberfunktionsstörungen und Hyperlipidämie als Kontraindikationen für eine Testosteron-Therapie. Eine jährliche Laborbestimmung obiger Werte sollte mit der gynäkologischen und senologischen Untersuchung kombiniert werden, solange die Frau die Testosterontherapie weiterführt. Ein nicht signifikanter Trend für ein erhöhtes Vorkommen von tiefen Venenthrombosen wurde unter Testosteron beobachtet. Da allerdings in den meisten Studien gleichzeitig eine Östrogensubstitution durchgeführt wurde, kann die Risikoerhöhung nicht eindeutig zugeordnet werden. Es fehlen Langzeitsicherheitsdaten zum Brustkrebsrisiko. Auch finden sich keine Daten zur systemischen Testosteron-Therapie nach Brustkrebsdiagnose. Zumindest eine Dichtezunahme in der Mammografie unter Testosteron konnte nicht nachgewiesen werden (4).
Ist DHEA eine Alternative bei sexueller Lustlosigkeit?
In Anbetracht, dass DHEA ein wichtiger Vorläufer von Testosteron und Östrogen ist, mit zunehmendem Alter dessen Konzentration abnimmt und in einigen Studien eine positive Korrelation zwischen Serumspiegel und Libido gefunden wurde, liegt eine DHEA-Substitution als Therapieversuch bei HSDD auf der Hand. Die Studienlage ist jedoch uneinheitlich und zum Teil von zweifelhafter Qualität. Eine Metaanalyse von 2014 konnte einen positiven Effekt von DHEA auf das sexuelle Begehren bei postmenopausalen Frauen mit normaler Nebennierenfunktion nicht bestätigen (16). Der Global Consensus rät von einer oralen DHEA-Verabreichung zur Behandlung der sexuellen Lustlosigkeit in der Menopause bei erhaltener Nebennierenfunktion ab. Unbestritten ist der positive Effekt auf die Sexualfunktion durch die vaginale DHEA-Therapie bei Vorliegen eines urogenitalen Menopause-Syndroms.
Testosteron auch für Antriebslosigkeit?
Vor allem in der Laienpresse häufen sich in letzter Zeit Beiträge, welche einer Testosteron-Therapie in und nach der Menopause weitere positive Effekte wie mehr Antrieb, bessere Gemütsstimmung und gesteigerte geistige Fitness, aber auch anabole Wirkung auf Knochen und Muskel zusprechen. Die wissenschaftliche Datenlage kann eine TestosteronTherapie bei den genannten Indikationen nicht unterstützen. Es gilt jedoch einzuräumen, dass die vorliegenden Studien primär auf den Testosteron-Effekt bei HSDD ausgelegt waren und die oben erwähnten
angepriesenen und durchaus wünschenswerte Effekte gar nicht untersucht haben (22).
Zusammenfassung
Frauen mit sexueller Lustlosigkeit können unter ho-
hem Leidensdruck stehen und wünschen sich dann
eine schnelle Lösung ihres Problems. Eine sorgfältige
Abklärung mit Berücksichtigung aller relevanter bio-
psychosozialer Faktoren ist jedoch unabdingbar.
Nach Ausschluss anderweitiger Ursachen kann eine
systemische perkutane Testosteron-Therapie eine
Option für Frauen mit HSDD in der späten Perimeno-
pause, (iatrogenen) Menopause und Postmenopause
darstellen. Die Datenlage spricht für eine zumindest
moderate Verbesserung. Allerdings gibt es keinen
Testosteron-Grenzwert im Serum, welcher die Dia-
gnose der sexuellen Lustlosigkeit untermauern würde.
Ein Therapieversuch unter Beibehalten von prämeno-
pausalen Serumspiegel geht mit einem überschauba-
ren Nebenwirkungspotenzial einher. Daten zur Lang-
zeitsicherheit fehlen jedoch, genauso wie ein offiziell
zugelassenes Präparat für die Frau. Bis zum Vorliegen
weiterer Studien gibt es keine wissenschaftlichen Er-
kenntnisse zu weiteren Indikationen.
n
Dr. med. Eliane Sarasin Swiss Breast Care c/o Klinik Bethanien 8044 Zürich E-Mail: e.sarasin@swissbreastcare.ch
Interessenkonflikte: keine.
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