Transkript
SCHWERPUNKT
Lipidstoffwechsel-Störungen bei Frauen
Was Gynäkologen wissen sollten zu Risikoerhebung und Behandlung 2023
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die Haupttodesursache sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Während die allgemein bekannten kardiovaskulären Risikofaktoren (kvRF) (Hypertonie, Dyslipidämie, Rauchen, Diabetes) für Männer und Frauen gleich gelten, haben Frauen zusätzliche Risikokonstellationen, welche im Zusammenhang mit hormonellen Veränderungen stehen.
LUCY BOLT1,2, LUISE ADAM1,3, MANUEL R. BLUM1,2, NICOLAS RODONDI1,2
Lucy Bolt Luise Adam
Dyslipidämie
Wann und wie soll eine Dyslipidämie abgeklärt werden? Allgemein wird empfohlen, bei Frauen und Männern ab 40 Jahren oder postmenopausal alle fünf Jahre ein Lipidprofil zu bestimmen respektive eine systematische kardiovaskuläre Risikobestimmung durchzuführen (1, 2). Frühere Bestimmungen sind indiziert bei kardiovaskulären Ereignissen, Vorliegen einer positiven Familienanamnese für kardiovaskuläre Ereignisse/familiäre Dyslipidämie, bei Nikotinkonsum, arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus oder Adipositas (3). Es ist wichtig, mögliche Ursachen einer Dyslipidämie zu erkennen: Hierzu gehören neben der familiären Dyslipidämie auch sekundäre Ursachen wie Diabetes mellitus, Adipositas, Anorexie, Hypothyreose, Alkohol- und Nikotinkonsum, nephrotisches Syndrom, Lebererkrankungen, Medikamente, aber auch Schwangerschaft (4). Zusätzlich zur Abnahme eines
1 Berner Institut für Hausarztmedizin 2 Lipidsprechstunde, Universitätsklinik für Allgemeine
Innere Medizin, Bern 3 Angiologie/Gefässzentrum, Kantonsspital Baden
Merkpunkte
n Das Lipidprofil der Frau variiert im Zusammenhang mit Hormonveränderungen in Pubertät, Schwangerschaft, Prä- und Postmenopause.
n Bei der Diagnose Dyslipidämie sollten zuerst sekundäre und familiäre Ursachen ausgeschlossen werden.
n Der Nutzen einer primärpräventiven Statintherapie bei älteren Personen ist unklar: Die STREAM-Studie (Abbildung 2) untersucht das Absetzen von primärpräventiven Statinen bei älteren Patientinnen und Patienten.
n Für die Sekundärprävention braucht es ein erhöhtes Bewusstsein für die Erkennung und Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen bei Frauen.
Lipidprofils (= Gesamtcholesterin [GC], Triglyzeride [TG], Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin [LDL-C], High-Density-Lipoprotein-Cholesterin [HDL-C]) ist daher oft im Rahmen der ersten Standortbestimmung ebenfalls eine Screeninguntersuchung bezüglich sekundärer Ursachen sinnvoll, insbesondere eine TSH-Bestimmung. Weitere Screeninguntersuchungen werden auf Grundlage der Anamnese und der klinischen Untersuchung eingeleitet. Die aktuellen Guidelines empfehlen eine Nüchternbestimmung des Lipidprofils nur noch bei einem metabolischen Syndrom, Diabetes mellitus oder Hypertriglyzeridämie (1). In allen anderen Fällen ist die LDL-C-Bestimmung auch im nicht nüchternen Zustand zuverlässig.
Wann an eine familiäre Dyslipidämie denken? An eine familiäre Dyslipidämie sollte bei sehr hohen LDL-C-Werten (≥ 4,9 mmol/L) und Triglyzerid-Werten (> 5 mmol/L), vorzeitigen kardiovaskulären Ereignissen in der persönlichen oder in der Familienanamnese oder beim Vorhandensein von Lipidstigmata wie Xanthelsamen oder Arcus senilis (Abbildung 1) gedacht werden (1). Die familiäre Hypercholesterinämie (FH) ist die häufigste monogenetische Lipidstörung (1). Mit Hilfe der Dutch-Lipid-Clinical-NetworkKriterien lässt sich eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit einer FH machen (1, 5). Auch wenn bei einem LDL-C ≥ 4,9 mmol/L ein Anfangsverdacht für eine FH besteht, bestätigt sich bei lediglich 2 bis 10% der Patientinnen und Patienten diese Diagnose durch Nachweis einer Mutation (6–8) (eine Untersuchung, die in der Schweiz nicht rückerstattet ist). Dabei ist eine genaue Familienanamnese und klinische Untersuchung sehr wichtig für diese Diagnose. Die weitaus häufigste Ursache für eine Dyslipidämie ist die polygenetische («allgemeine») Dyslipidämie (4).
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a
b
Abbildung 1: a) Arcus senilis (Gerontoxon) ©Duangjan/Adobe Stock b) Xanthelasmen ©Svetlana/Adobe Stock
Wann und wie behandeln? Grundpfeiler der Behandlung aller Dyslipidämien ist die Optimierung der Lebensstilmassnahmen (Gewichtsabnahme, körperliche Betätigung, mediterrane Ernährungsweise, Rauchabstinenz) und Kontrolle der weiteren kardiovaskuläre Risikofaktoren (kvRF) (1). Nach Ausschluss sekundärer und familiärer Ursachen wird das individuelle kardiovaskuläre Risiko mit Hilfe von Prognosetools bestimmt (z. B. AGLA-Risikorechner) (9). Personen, die bereits ein kardiovaskuläres Ereignis hatten (Sekundärprävention), wird ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko zugeschrieben (2). Die Scores sollten in diesen Fällen nicht benutzt werden. Als Besonderheit im Rahmen der Risikostratifizierung kann das Lipoprotein (a) bestimmt werden, beispielsweise bei FH oder sonstiger familiärer Häufung kardiovaskulärer Ereignisse. Ein hohes Lipoprotein (a) ist ein unabhängiger und weitgehend genetisch determinierter kvRF und soll eine Optimierung des Lebensstils und der restlichen kvRF auslösen (1). Eine gezielte Therapie ist aktuell nur im Rahmen von Studien verfügbar (10). Sofern kein sehr hohes Risiko vorliegt oder im Rahmen einer Sekundärprävention, sollte vor Therapiebeginn der Lipidstatus nach 2 bis 3 Monaten wiederholt werden, um die Dyslipidämie zu bestätigen (1). Patientinnen und Patienten mit einem niedrigen Risiko wird aktuell keine Pharmakotherapie empfohlen,
bei moderatem Risiko sollte ein Statin erwogen werden (1, 8). Personen mit einem hohen und sehr hohen Risiko sollte ein hochwirksames Statin (Rosuvastatin, Pitavastatin, Atorvastatin) verschrieben werden (1). Vergleichsstudien darüber, welches Statin am besten geeignet ist, gibt es praktisch keine. Das Ziel-LDL-C unter Therapie richtet sich nach dem individuellen kardiovaskulären Risiko (1). Wird dieses mit der maximal tolerierten Statintherapie in der Sekundärprävention oder bei einem kardiovaskulären Risiko > 30% für die nächsten 10 Jahre alleine nicht erreicht, sollte die Zugabe von Ezetimib oder einem PCSK 9-Inhibitor (z. B. Repatha®) erfolgen (11, 12). Beide Medikamente sind auch zur alleinigen Therapie bei Statinunverträglichkeit geeignet, wobei ein klarer klinischer Vorteil nur in der Sekundärprävention oder im Rahmen eines sehr hohen kardiovaskulären Risikos (> 30% über 10 Jahre) gezeigt werden konnte (1, 11, 12). Die Verschreibung eines PCSK 9Inhibitors bedarf keiner Kostengutsprache, wenn die Indikation und das erste Rezept durch einen Lipidspezialisten ausgestellt wird. Ein relativ neu zugelassenes Medikament ist Bempedoinsäure (Nilemdo®), welches bei unzureichender LDL-C-Senkung unter maximal tolerierter Statindosis oder bei Statinintoleranz durch einen Lipidspezialisten verordnet werden kann (13). Zur Therapie der Hypertriglyzeridämie ist die Umsetzung der Lebensstilmassnahmen noch vor der Pharmakotherapie von höchster Bedeutung – insbesondere mit Alkoholabstinenz, Steigerung der körperlichen Betätigung und Gewichtsabnahme (9). Einen Spezialfall bilden Personen mit einer FH. Guidelines empfehlen eine lipidsenkende Therapie für alle Personen mit einem LDL-C ≥ 4,9 mmol/L unabhängig von weiteren kvRF (1). Obwohl bis zu 7% der Gesamtbevölkerung LDL-C Werte ≥ 4,9 mmol/L aufweisen, konnte wie erwähnt in nur 2 bis 10% dieser Personen eine entsprechende Mutation für FH nachgewiesen werden (6–8). Insbesondere bei jungen, sonst gesunden Patienten sollte der Beginn einer Statintherapie deshalb erst nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung unter Mitbetreuung eines Lipidspezialisten erfolgen.
Wann und wie behandeln bei älteren Patientinnen und Patienten? Insbesondere bei älteren (≥70 Jahre) Patienten ist das Nutzen-Risikoverhältnis einer Statintherapie in der Primärprävention nicht geklärt (14), wobei die aktuellen Daten keine klaren Vorteile in der Primärprävention zeigen (15). Mit dem Alter steigt das Risiko für Statinnebenwirkungen, welche die Lebensqualität negativ beeinflussen (16). In einer randomisierten Studie konnte eine leichte Verbesserung der Lebensqualität nach Absetzen einer Statintherapie gezeigt werden (17). Die Frage bezüglich der Sicherheit und
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der Vorteile für die Muskeln, Lebensqualität und Stürze nach Absetzen von Statinen bei älteren Patienten (≥70 Jahre) untersucht die aktuell rekrutierende, schweizweite, randomisiert kontrollierte STREAM-Studie (Abbildung 2) (18). Geeignete Patientinnen und Patienten können durch alle Ärzte (inkl. Gynäkologen) zugewiesen/eingeschlossen werden (Tabelle 1).
Nebenwirkungen der lipidsenkenden Therapie Die häufigsten Statin-induzierten Nebenwirkungen sind muskuläre Beschwerden, welche in randomisiert kontrollierten Studien in bis zu 5% beschrieben werden, jedoch in Observationsstudien deutlich häufiger beobachtet wurden (10-20%) (19). Diese beinhalten Myalgien sowie leichte bis mittelschwere Myopathien (mit Erhöhung der Kreatinkinase) bis hin zu Rhabdomyolysen (20). Zu den Risikofaktoren für das Auftreten von muskulären Nebenwirkungen gehören hohes Alter, exzessive körperliche Betätigung, diverse Medikamente, Hypothyreose und das weibliche Geschlecht (20). Eine Bestimmung der Kreatinkinase ist routinemässige nicht empfohlen und sollte nur bei Auftreten von Myalgien erfolgen (9). Weitere Nebenwirkungen sind die meist vorübergehende Hepatoxizität (weshalb bei Patienten mit Leber- oder Alkoholproblemen nach Therapiebeginn oder Dosiserhöhung nach 8 bis 12 Wochen eine Kontrolle der Transaminasen erfolgen sollte (9)) und das gering erhöhte Risiko, einen Diabetes mellitus zu entwickeln. Für die Therapie mit Statinen überwiegt der protektive Effekt der Statine klar (20).
Indikationen für eine Zuweisung an eine/einen Lipidspezialistin/en Eine Zuweisung ist in folgenden Situationen empfohlen: relative Kontraindikationen für eine Statintherapie (chronische Hepatopathie, Nephropathie, Interaktionen mit anderen Medikamenten), Verdacht auf eine familiäre Dyslipidämie, schwere Hypertriglyzeridämie, Misserfolg einer Behandlung, Nebenwirkungen, Unklarheit bezüglich Nutzen einer Behandlung (intermediäres Risiko, erhöhtes Lipoprotein [a]).
Dyslipidämie – Besonderheiten bei der Frau
Das Lipidprofil variiert im Leben der Frau in Abhängigkeit der hormonellen Veränderungen einhergehend mit der Pubertät, Schwangerschaft/Stillzeit sowie in der Prä- und Postmenopause (Tabelle 2) (21).
Kindheit/Pubertät Die erstmalige Bestimmung eines Lipidstatus sollte bei Kindern mit einer positiven Familienanamnese für eine familiäre Hypercholesterinämie (FH) im Alter von 5 bis 10 Jahren erfolgen (1). Bei Diagnose einer
Abbildung 2: 23 klinische Standorte der STREAM-Studie im Mai 2023 (© Berner Institut für Hausarztmedizin, aktualisiert abrufbar unter www.statin-stream.ch.)
Tabelle 1:
Verschiedene Möglichkeiten für Ärzte/Ärztinnen, ihre potenziell geeigneten Patientinnen und Patienten in die STREAM-Studie einzuschliessen
1. Rekrutierer
Erkennen und informieren von potenziellen Teilnehmerinnen,
Kontaktherstellung mit einem Zentrum, 100 CHF pro
randomisierte/n Patient/in, Zeitaufwand 10 Min./Patient
2. Rekrutierer plus
Zusätzlich: Einholung der Einverständniserklärung mit durch
das Studienteam vorbereiteten Unterlagen nach einmaligem
Onboarding als Studienarzt, 200 CHF pro randomisierte/n
Patient/in,Zeitaufwand 20 Min./Patient, erste Studienkonsul-
tation möglich per Telefon und ohne Notwendigkeit, ein
Studienzentrum zu besuchen
Einschlusskriterien
≥ 70 Jahre, ≥2 chronische Erkrankungen
(z.B. arterielle Hypertonie), ≥1 Jahr Statin
Ausschlusskriterien
Sekundärprävention mit vorbestehendem Herzinfarkt oder
Schlaganfall
Für weitere Informationen Tel: 031-632 00 68, E-Mail: statin-stream@insel.ch
www.statin-stream.ch
FH kann mit einer Therapie meist zugewartet werden (1). Wichtig ist die Umsetzung von Lifestyle-Massnahmen vor und in der Pubertät, insbesondere Nikotinkarenz, sowie Kontrollen des Lipidprofils bei Eintritt ins Erwachsenenalter.
Prämenopause Prämenopausal haben Frauen generell ein Lipidprofil, welches weniger proatherogen ist (LDL-C und Triglyzeride tiefer, HDL-C höher) als jenes gleichaltriger Männer (Tabelle 2) (21). Veränderungen des Lipidprofils zeigen sich im Verlauf des Menstruationszyklus. Während das totale Cholesterin und das LDL-C ihre maximalen Werte während der follikulären Phase erreichen und in der lutealen Phase wieder sinken, zeigt das HDL-C die höchsten Werte in der follikulären Phase und periovulatorisch (22). Dies ist von physiologischer Relevanz, da Cholesterin für die Synthese von Steroidhormonen von höchster Bedeutung ist und diese bei
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SCHWERPUNKT
Tabelle 2:
Übersicht der Lipidvariationen bei der Frau
Pubertät
Schwangerschaft Prämenopause
Lipidprofil Lipidprofil für Mädchen
Cholesterin ↑
und Jungen gleich
Triglyceride ↑
↓ Proatherogenes Lipidprofil als bei Männern, zyklusabhängige Schwankungen
Wann messen? Cholesterin nur in
Dyslipidämie nach der Bestimmung ab 40 Jahren, vorher
Ausnahmefällen be-
Schwangerschaft
in Abhängigkeit anderer kvRF
stimmen (bei Vd. a. FH) und Stillen abklären
Was beachten: Bei Vorliegen einer FH
Mögliche teratogene Einschätzung Risikos: z. B. SCORE/
ggf. andere Familien-
Effekte einiger Lipid- AGLA-Risikorechner (9),
mitglieder screenen
senker (z. B. Statine) bei FH: erste Einschätzung durch
Lipidexperten u. nur Progesteron-
Monopräparate zur hormonellen
Verhütung
Postmenopause ↑ Proatherogenes Lipidprofil
Alle 5 Jahre wenn unauffällig, sonst jedes Jahr
Hormonersatztherapie nicht empfohlen bei erhöhtem Risiko oder nach kardiovaskulärem Ereignis
Abkürzungen: FH = familiäre Hypercholesterinämie, kvRF = kardiovaskuläre Risikofaktoren
Eintritt einer Schwangerschaft hochreguliert werden muss (22). Die Bedeutung dieser Veränderungen für die Bestimmung eines Lipidprofils im Rahmen der kardiovaskulären Risikobestimmung ist hingegen noch nicht geklärt (22).
rell ist hier die Notwendigkeit einer Therapie unklar. Bei insgesamt fehlender Therapiekonsequenz sollte während der Schwangerschaft und bis zwei Monate nach dem Abstillen kein Lipidstatus gemessen werden.
Schwangerschaft Im Rahmen einer Schwangerschaft kommt es wie oben erwähnt zu einem physiologischen Anstieg des Cholesterins und der Trigylzeride mit einem Höhepunkt kurz vor dem Geburtstermin (21). Die Einnahme eines Statins während der Schwangerschaft bleibt umstritten (23). Bei vorliegenden Hinweisen auf potenziell teratogene Effekte wurden diese präkonzeptionell und während der Schwangerschaft als kontraindiziert angesehen. In neueren Kohortenstudien wurden teratogene Effekte nicht beobachtet, sodass die US Food and Drug Administration (FDA) im Jahr 2021 das Label «kontraindiziert» entfernt hat. Es gibt jedoch Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Frühgeburten und niedriges Geburtsgewicht (24). Eine Statintherapie während der Schwangerschaft sollte deshalb eher nicht weitergeführt werden (insbesondere in der Primärprävention) (23). Statine sollten weiterhin unter sicheren Verhütungsmethoden eingenommen, drei Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abgesetzt und erst nach dem Abstillen wieder eingenommen werden (1). Weitere mögliche Therapieoptionen während der Schwangerschaft, insbesondere bei Patientinnen mit einer FH, sind Gallensäurebinder (Cholestyramin) und in Extremfällen die Lipidapharese (1), obwohl die Notwendigkeit einer Therapie unklar ist. Besteht eine Hypertriglyzeridämie, kann sich diese während einer Schwangerschaft verstärken und das Risiko für eine Pankreatitis erhöhen (21). Mögliche Therapieoptionen sind ebenfalls Gallensäurebinder, Fibrate, Niacin und Omega-3-Fettsäuren (21); gene-
Postmenopause Mit der Menopause und den damit verbundenen hormonellen Veränderungen mit Reduktion des Östrogens kommt es zu einer Zunahme um 10 bis 15% des LDL-C und der Triglyzeride sowie zu einer Abnahme des HDL-C. Das Lipidprofil wird somit proatherogener und das kardiovaskuläre Risiko steigt (Tabelle 1) (25).
Hormonersatztherapien Der Effekt einer Hormonersatztherapie zur Behandlung von Menopause-assoziierten Beschwerden auf das kardiovaskuläre Risiko blieb lange umstritten. Durch den LDL-C-senkenden Effekt von Östrogenen erhoffte man sich einen positiven Effekt. Die neuesten Metaanalysen zeigen jedoch, dass es aktuell keine Evidenz dafür gibt, dass eine Hormonersatztherapie einen kardioprotektiven Effekt aufweist (26). Das Risiko für Schlaganfälle und venöse Thromboembolien sowie von Myokardinfarkt und Herztod bei kombinierter kontinuierlicher Hormonersatztherapie wird sogar erhöht (26). Aus diesem Grund wird insbesondere eine mehrjährige Hormonersatztherapie zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos nicht empfohlen und sollte bei Patientinnen mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko (z.B. mit einer FH) überhaupt nicht eingesetzt werden (1, 25).
Frauen und kardiovaskuläre Erkrankungen
Obwohl mehr Frauen als Männer an kardiovaskulären Erkrankungen sterben und diese für Männer und
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Frauen die Haupttodesursache darstellen, gibt es
Evidenz, dass Frauen bezüglich ihres kardiovaskulä-
ren Risikos und des Bedarfs an therapeutischen Inter-
ventionen ein tieferes Bewusstsein haben als Männer
(2). In vielen kardiovaskulären Studien sind Frauen
unterrepräsentiert (1, 2, 27). Während Guidelines Un-
terschiede in der Risikostratifizierung zwischen den
Geschlechtern anerkennen, werden nur wenige ge-
schlechtsspezifische Empfehlungen abgegeben (1, 2).
Nebst den klassischen und in den Scores zur Risiko-
stratifizierung enthaltenen Risikofaktoren gelten bei
Frauen zusätzlich eine frühe Menarche und Meno-
pause, polyzystisches Ovarialsyndrom, Hypertonie
während der Schwangerschaft, Gestationsdiabetes,
Status nach Präeklampsie, Frühgeburt und Totgeburt
als kardiovaskuläre Risikofaktoren (kvRF) (2, 27). Der
Irrglaube, dass die kardiovaskuläre Erkrankung pri-
mär ein Problem des Mannes ist, ist sowohl in der
Öffentlichkeit als auch beim Gesundheitspersonal
verbreitet (27). Dies zeigt sich in einer schlechteren
Kontrolle der kvRF und in einer verzögerten Diag-
nose von Myokardinfarkten (27), weil sich die Symp-
tome der Frau häufig von den «klassischen» Sympto-
men eines Myokardinfarktes unterscheiden (27).
Sowohl Statine als auch andere lipidsenkende Thera-
pien haben einen ähnlichen Wirkungseffekt in der
Primär- und Sekundärprävention bei Männern und
Frauen (1, 21). Trotzdem erhalten Frauen in der Se-
kundärprävention weniger häufig eine lipidsenkende
Therapie und setzen Statine häufiger ab (21). Diese
Beobachtungen sollten ein erhöhtes Bewusstsein in
der Erkennung, Risikostratifizierung und Behandlung
von kardiovaskulären Erkrankungen bei Frauen zur
Folge haben.
n
Prof. Dr. med. Nicolas Rodondi, MAS (Korrespondenzadresse) Lipidsprechstunde Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Inselspital 3010 Bern E-Mai: Lipidsprechstunde.Medpol@insel.ch
Transparenz: Die STREAM-Studie wird durch einen Grant des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt, um den Nutzen von Statinen in der Primärprävention bei älteren Patientinnen und Patienten zu untersuchen (IICT 33IC30-193052 an Nicolas Rodondi).
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