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FIRST-TO-DISCUSS-Newsletter Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Menopause (SGEM)
Einfluss der lebenslangen kumulativen Östrogenexposition auf das Apoplex-Risiko
Hintergrund: Es gibt viele Risikofaktoren für einen Schlaganfall. Welchen kumulativen Einfluss reproduktive Faktoren auf das Schlaganfallrisiko im Allgemeinen und seine Subtypen im Speziellen haben, wurde jedoch bisher nicht ausreichend untersucht. Das Ziel der prospektiven Kohortenstudie war es daher, die Assoziation der lebenslangen, auf reproduktiven Faktoren basierenden, kumulativen Östrogenexposition mit dem Schlaganfall und seinen Subtypen bei postmenopausalen Frauen zu untersuchen.
Prof. Dr. med. Petra Stute Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsfrauenklinik Bern
Zusammenfassung der Studie
Die China-Kadoorie-Biobank(CKB)-Studie ist eine prospektive Kohortenstudie, in die zwischen 2004 und 2008 über 0,5 Millionen Personen im Alter von 30 bis 79 Jahren eingeschlossen wurden. In die vorliegende Analyse wurden nur Frauen mit normalem Menarchen- und Menopausenalter, intaktem Uterus und intakten Ovarien eingeschlossen, die weder einen Schlaganfall noch ein Malignom in der Anamnese aufwiesen. Die lebenslange kumulative Östrogenexposition wurde anhand von drei zusammengesetzten Indikatoren bewertet: n reproduktive Lebensspanne (RLS; Def.
RLS [Alter] = Menopausenalter [Jahre] – Menarchenalter [Jahre]), n endogene Östrogenexposition (EEE; Def. EEE [Jahre] = RLS [Jahre] – Dauer der Schwangerschaften mit Lebendgeburt [Jahre] – Dauer der Schwangerschaften mit Totgeburt [Jahre] – Dauer der Schwangerschaften mit Abort bzw. Abruptio [Jahre] – Dauer der Laktation [Jahre], n Dauer der Anwendung von kombinierten oralen Kontrazeptiva (COC) [Jahre]) und Gesamt-Östrogen-Exposition (TEE; TEE [Jahre] = RLS [Jahre] + Dauer der Schwangerschaften mit Lebendgeburt [Jahre] + Dauer der Schwangerschaften mit Totgeburt [Jahre] + Dauer der Schwangerschaften mit Abort bzw. Abruptio [Jahre] + Dauer der Laktation [Jahre] + Dauer der Anwendung von kombinierten oralen Kontrazeptiva (COC) [Jahre]). Schlaganfall und seine Subtypen, ischämischer Schlaganfall (IS), intrazerebrale Blutung (ICH) und Subarachnoidalblutung (SAH) wurden durch Verknüpfung mit einem Krankheitsregister und Krankenversicherungsdaten während der Nach-
beobachtung (2004–2015) identifiziert. Multivariable adjustierte Cox-Proportional-Hazard-Regressionsmodelle wurden angewandt, um die adjustierte Hazard Ratio (aHR) und 95%-Konfidenzintervalle (KI) für das Schlaganfallrisiko nach Quartilen von RLS, EEE bzw. TEE zu schätzen. Insgesamt wurden 122 939 postmenopausale Frauen im Alter von 40 bis 79 Jahren ohne vorherigen Schlaganfall bei Studienbeginn eingeschlossen. Bei Baseline betrug das mittlere Alter 58,3 Jahre, der mittlere Body-Mass-Index lag im Normal- bis Übergewichtsbereich; die meisten Frauen waren weitestgehend gesunde Nichtraucherinnen, die meist keinen Alkohol tranken (96,1%) und keine COC angewandt hatten (89,9%).
Ergebnisse Während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 8,9 Jahren wurden 15 139 neu aufgetretene Schlaganfälle identifiziert, darunter 12 853 IS-, 2580 ICHund 269 SAH-Fälle. Das entsprach einer Inzidenzrate von etwa 1435 Schlaganfällen pro 1000 Personenjahre nach der Menopause. Im Vergleich zum niedrigsten Quartil (Q1) der RLS wies das höchste Quartil (Q4) ein geringeres Risiko für Schlaganfälle insgesamt (aHR: 0,95; 95%-KI: 0,92–0,98), IS (aHR: 0,95; 95%-KI: 0,92–0,98) und ICH (aHR: 0,87; 95%-KI: 0,81–0,94) auf. Sowohl die EEE als auch die TEE zeigten einen abgestuften Zusammenhang mit dem anschliessenden absteigenden Risiko eines Gesamtschlaganfalls, IS und ICH, mit einem P-Trend < 0,001 für alle diese Assoziationen. Eine hohe, auf reproduktiven Faktoren basierende kumulative Östrogenexposition war also mit einem verringerten Schlaganfallrisiko assoziiert.
Kommentierte Studie: Hou L et al.: Lifetime cumulative effect of reproductive factors on stroke and its subtypes in postmenopausal chinese: A prospective cohort study. Neurology. 2023 Feb 1:10.1212 doi: 10.1212/WNL.0000000000206863. Epub ahead of print. PMID: 36725338.
Kommentar
Die Autoren haben sehr aufwendig die
lebenslange, kumulative Östrogenexpo-
sition anhand anamnestischer Angaben
zu reproduktiven Faktoren ermittelt. Der
gefässprotektive Effekt von Östrogenen
wurde bestätigt. Erschreckend ist jedoch
die hohe Inzidenzrate: Demnach haben
innerhalb eines Jahres von 1000 Frauen
gleich mehrere mehr als einen Schlagan-
fall erlitten! Gemäss der World Stroke
Organization erlitten 2022 weltweit > 6
Mio. Frauen einen Schlaganfall. Die alter-
sadjustierte Inzidenz betrug knapp 150
pro 100 000 Frauenjahre und liegt damit
deutlich unter der in der vorliegenden
Studie genannten Inzidenz. Die Limitatio-
nen der Studie sind die rein anamnesti-
sche Datenbasis und die fehlende Adjus-
tierung für z. B. genetische sowie Lebens-
stilfaktoren. Auch fehlen Angaben zur
Anwendung einer Hormonersatztherapie
(HRT). Nach wie vor wird eine HRT weder
zur Prävention eines Schlaganfalls emp-
fohlen noch um nach einem Apoplex
dessen Mortalität zu senken.
n
Prof. Dr. med. Petra Stute E-Mail: petra-stute@insel.ch Internet: www.meno-pause.ch
Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel: keine.
Referenzen: 1. Feigin VL et al.: World Stroke Organization (WSO): Global Stroke Fact Sheet 2022. Int J Stroke. 2022;17(1):18-29. 2. Kremer C et al.: European Stroke Organisation guidelines on stroke in women: Management of menopause, pregnancy and postpartum. Eur Stroke J. 2022;7(2):I-XIX.
GYNÄKOLOGIE 3/2023
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