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FIRST-TO-DISCUSS-Newsletter Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Menopause (SGEM)
Diabetes mellitus und Menopause: Zusammenhänge und klinische Folgerungen
Hintergrund: Diabetes mellitus hat eine Prävalenz von 10% in der westlichen Erwachsenenbevölkerung (davon 10% Typ-1-Diabetes mellitus [T1DM] und 90% Typ-2-Diabetes [T2DM]), eine weitere Zunahme ist aufgrund der Alterung der Bevölkerung und der grassierenden Adipositasepidemie zu erwarten.
Die hormonellen Veränderungen in der Menopause führen zu metabolischen Veränderungen: Die Verringerung der Fettoxidation und der Rückgang des Energieverbrauchs begünstigen eine Zunahme des Gesamtkörperfetts und insbesondere des viszeralen Fetts, bei gleichzeitiger Abnahme der fettfreien Masse (Muskeln). Dies kann zu einer Insulinresistenz (noch verstärkt durch relativen Androgenüberschuss in der Menopause) führen, welche das Risiko für T2DM erhöht (1).
Zusammenfassung der Studie
Ziel dieses Reviews war, die Literatur über den Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und Menopause kritisch auszuwerten sowie mehrere Schlüsselfragen zu beantworten. n Beeinflusst Diabetes mellitus die
Alterung der Eierstöcke oder das Einsetzen der Menopause? Wahrscheinlich ja: Frauen mit T1DM und früh aufgetretenem T2DM können früher in die Wechseljahre kommen als Frauen ohne Diabetes mellitus. Mögliche Ursachen sind die autoimmune Zerstörung der Ovarialfollikel, mikrovaskuläre Komplikationen und ein schlecht eingestellter Zucker, was alles zur Alterung der Eierstöcke beiträgt. n Steigt das Risiko, nach der Menopause an Diabetes mellitus zu erkranken, unabhängig vom Alter? Wahrscheinlich ja. Ein früheres Alter bei der Menopause wurde mit einem höheren Risiko für T2DM im späteren Leben in Verbindung gebracht. n Was sind zusätzliche Risiken für postmenopausale Frauen mit DM? Postmenopausale Frauen mit Diabetes mellitus haben ein höheres Risiko für mit Diabetes mellitus assoziierte kardiovaskuläre Erkrankungen (CVD) als
altersgleiche Männer mit Diabetes mellitus. Postmenopausale Frauen mit T1DM oder T2DM haben eine 2bis 3-mal höhere Gesamtmortalität und CVD-spezifische Mortalität als postmenopausale Frauen ohne Diabetes mellitus, unabhängig von der ethnischen Herkunft. Postmenopausale Diabetikerinnen haben ein höheres Frakturrisiko als Frauen ohne Diabetes mellitus gleichen Alters, unabhängig von der Knochendichte (BMD). Chronische Entzündung, Sarkopenie, Glukosetoxizität auf die Knochenmatrix und mikrovaskuläre Komplikationen (Sturzneigung) sind mögliche Vermittler des erhöhten Frakturrisikos bei Diabetes mellitus. CAVE: Die bei T2DM eingesetzten Medikamente Thiazolidindione und Canagliflozin können die BMD verringern und die Knochenresorption und das Frakturrisiko erhöhen und sollten vermieden werden. n Welchen Einfluss hat eine menopausale Hormontherapie (MHT)? Die Anwendung von MHT verbessert die Insulinsekretion der β-Zellen, die Glukoseaufnahme und die Insulinempfindlichkeit. MHT mit Östrogenen kann somit das Risiko für T2DM bei postmenopausalen Frauen wirksam senken. Aufgrund des komplexen Gleichgewichts zwischen Risiken und Nutzen der MHT und weil die Wirkung der MHT auf die Diabetesprävention in randomisierten, klinischen Studien nicht als primäres Ergebnis untersucht wurde, soll die MHT jedoch nicht für die alleinige Prävention von T2DM eingesetzt werden. MHT kann die Nüchternglukosewerte, das HbA1c und die Insulinresistenz bei Frauen mit bereits bestehendem Diabetes mellitus verbessern. Bei Betreuung dieser Frauen gilt es,
Dr. med. Ursula Gobrecht-Keller Kaderärztin Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsspital Basel
Kommentierte Studie: Lambrinoudaki I, Paschou SA, Armeni E et al.: The interplay between diabetes mellitus and menopause: clinical implications. Nat Rev Endocrinol 18, 608–622 (2022). doi.org/10.1038/s41574-022-00708-0)
besonders gut auf eine optimale Stoffwechsel-, Herz-Kreislauf- und Knochengesundheit zu achten.
Empfehlungen
Die Autoren empfehlen im Einklang mit den EMAS Clinical Guidelines (2) folgendes Vorgehen im Falle von menopausalen Beschwerden (oder POI) bei Frauen mit Diabetes mellitus: n Frauen in der Perimenopause oder
früh (< 10 Jahre) nach der Menopause mit Diabetes mellitus von < 10 Jahren Dauer ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren können mit oralen Östrogenen behandelt werden, da diese eine bessere Wirkung auf die Glukosehomöostase haben als transdermale Präparate. n Bei Frauen mit einer längeren Dauer des Diabetes mellitus ohne Schädigung der Zielorgane oder mit kardiovaskulären Risikofaktoren wie Adipositas, Dyslipidämie oder Rauchen werden transdermale Östrogene bevorzugt, da diese mit einem geringeren Thromboembolierisiko einhergehen. n Frauen mit einem hohen CVD-Risiko sollte keine MHT angeboten werden (einer oder mehrere der folgenden Risikofaktoren = etablierte CVD, Schädigung anderer Zielorgane [Niere!], 3 oder mehr wichtige kardiovaskuläre Risikofaktoren und früh einsetzender T1DM von langer Dauer [> 20 Jahre]).
GYNÄKOLOGIE 1/2023
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n Bei Frauen mit intaktem Uterus sollte ein metabolisch neutrales Gestagen verwendet werden (z. B. mikronisiertes Progesteron, Dydrogesteron oder niedrig dosiertes orales oder transdermales Norethisteron).
Kommentar
Eine gute Übersicht über die aktuelle Literatur mit praktischer Anleitung, wel-
che bei der Beratung, der Betreuung
und der Behandlung der menopausalen
Frau (mit oder ohne Diabetes mellitus)
im klinischen Alltag hilfreich ist.
n
Dr. med. Ursula Gobrecht-Keller Frauenklinik Universitätsspital Basel E-Mail: ursula.gobrecht@usb.ch Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel: keine.
Referenzen: 1. Mauvais-Jarvis F, Manson JE, Stevenson JC, Fonseca VA.: Menopausal hormone therapy and type 2 diabetes prevention: evidence, mechanisms, and clinical implications. Endocr Rev. 2017 Jun 1;38(3):173-188. doi: 10.1210/er.2016-1146. 2. Slopien R, Wender-Ozegowska E, Rogowicz-Frontczak A, et al.: Menopause and diabetes: EMAS clinical guide. Maturitas. 2018 Nov;117:6-10. doi: 10.1016/j. Maturitas.2018.08.009. Epub 2018 Aug 23.
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