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KONGRESSBERICHT
Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO), 9. bis 13. September 2022
Mammakarzinom
Langzeitdaten bestätigen etablierte Therapien
Bei der diesjährigen ESMO-Jahrestagung wurden finale Daten aus Studien bei frühem und fortgeschrittenem Brustkrebs mit knapp 6, 10 und 15 Jahren Nachbeobachtungszeit präsentiert, deren Ergebnisse heute sehr relevant sind. Die zielgerichtete CDK4/6-Hemmung zeigte bei 5 Jahren Nachbeobachtung überragende Resultate. Eine indische Studie verdeutlichte, dass auch einfach durchführbare Interventionen, die die Mikroumgebung des Tumors einbeziehen, grosse Wirkung entfalten können.
Die Therapie des Mammakarzinoms ist Vorreiter für viele innovative Strategien in der Onkologie und schaut auf teilweise sehr lange Studienlaufzeiten zurück.
Früher ER/PR-positiver Brustkrebs: Langzeitdaten unter AI-Therapie
Rekrutierung und Design der Phase-III-Studie DATA mit adjuvanter Aromatasehemmer-(AI-)Therapie gehen auf das Jahr 2006 zurück, jetzt liegen finale Daten der Nachbeobachtung vor. Untersucht wurde die 6- versus 3-jährige Gabe von Anastrozol nach 2 bis 3 Jahren adjuvanter Tamoxifen-Therapie (1). Primärer Endpunkt war das krankheitsfreie Überleben (DFS), einer der sekundären Endpunkte war das Gesamtüberleben (OS),
Auf einen Blick
n Postmenopausale Patientinnen mit ER- und PR-positivem frühem Brustkrebs sowie involvierten Lymphknoten und grossen Tumoren profitieren vermutlich von einer verlängerten sequenziellen Aromatasehemmertherapie über mehr als 5 Jahre.
n Für pN-positive Brustkrebspatientinnen, die Kandidatinnen für eine adjuvante Chemotherapie sind, sollte die dosisdichte EC-PChemotherapie (q2w) bevorzugt werden – unabhängig vom Hormonrezeptorstatus. Zusätzliches 5-FU brachte keinen zusätzlichen Nutzen.
n Aktualisierte Daten der MONARCH-3-Studie bestätigen plazebokontrolliert die Überlegenheit der Abemaciclib-haltigen Therapie beim fortgeschrittenen HR-positiven, HER2negativen Brustkrebs. Trotz einer medianen OS-Verlängerung um mehr als 1 Jahr war die Signifikanzgrenze bezüglich des OS noch nicht erreicht.
n Peritumorales Lidocain vor der Extirpation des primären Mammakarzinoms verlängert das DFS und das OS signifikant.
beide bestimmt nach 3-jähriger Therapie mit Anastrozol. 931 respektive 929 Patientinnen wurden in die beiden Therapiearme randomisiert und 827 versus 833 in die ITTAnalyse eingeschlossen. Innerhalb von 10 Jahren Nachbeobachtungszeit zeigte sich im DFS ein Unterschied von 3,1% zugunsten der 6-jährigen Anastrozol-Behandlung (69,1% vs. 66,0%). Die Risikoreduktion laut Kaplan-Meier-Auswertung betrug 14% (Hazard Ratio [HR] = 0,86; 95%-KI: 0,72–1,01; p = 0,073). Bei der Subgruppe der Patientinnen, die sowohl einen positiven Östrogenrezeptor-(ER-) als auch Progesteronrezeptor-(PR-)Status aufwiesen, war die 6-jährige Gabe mit einem absoluten Unterschied in der DFS-Rate von 6,4% der 3-jährigen Gabe überlegen. Nach 10 Jahren lebten 70,8% versus 64,4% dieser Subgruppe (76% der ITT-Population) krankheitsfrei mit einer Risikoreduktion für einen Krankheitsrückfall von 23% (HR = 0,77; 95%-KI: 0,63– 0,93; p = 0,008). Einen absoluten Unterschied von 8,0% erreichten Patientinnen mit ER-, PR- und Lymphknoten-(pN-)positiver Erkrankung (51% der ITT-Population) und einen Unterschied von 13,6%, wenn der Tumor zudem eine Grösse ≥ 2 cm aufwies (Tabelle). Auch bezüglich des OS wurde bei den genannten Subgruppen ein steigender absoluter Überlebensgewinn mit stärkerer Selektion der behandelten Kohorte von 1,7% (ITT) auf 4,0% (ER+, PR+), 4,7% (ER+, PR+, pN+) und 8,1% (ER+, PR+, pN+, ≥ 2 cm) beobachtet.
Prädiktive Faktoren für eine verlängerte Therapie Die Verlängerung der Aromatasehemmung auf mehr als 5 Jahre der sequenziellen Therapie könne somit zwar nicht
für alle postmenopausalen Frauen mit Hormonrezeptor-(HR-)positivem Brustkrebs empfohlen werden, folgern die Studienleiterinnen und -leiter. Bei Nachweis von ER- und PR-positivem HR-Status und bei vorliegen von weiteren diversen prognostischen Faktoren könnten Patientinnen identifiziert werden, die einen höheren absoluten Nutzen von der erweiterten adjuvanten Behandlung hätten, so die Schlussfolgerung.
Nodalpositiv: Nutzen der dosisdichten adjuvanten Chemotherapie
Eine Studie mit einer ebenfalls sehr langen Nachbeobachtungszeit bei frühem Brustkrebs untersuchte den Stellenwert von 5-FU innerhalb Anthrazyklin-haltiger Regime. Zu Zeiten des Beginns der italienischen GIM2-Studie (2003) wurde dieser kontrovers diskutiert, was auch heute noch zum Teil vorkommt. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 15,2 Jahren wurden nun die letzten finalen Ergebnisse der 2 × 2-faktoriellen Studie präsentiert (2). Die Ergebnisse bestätigen, dass Patientinnen mit pN-positivem, frühem Brustkrebs von der zusätzlichen 5-FU-Gabe zu EC-P (Epirubicin + Cyclophosphamid, danach folgt Paclitaxel) bezüglich des DFS und des OS nicht profitieren. Bestätigt wurde aber ein grosser, lang anhaltender Nutzen der dosisdichten Chemotherapie (q2w) im Vergleich zu einem Standardintervall (q3w). Der absolute Unterschied der DFS- bzw. der OSRate betrug nach 15 Jahren 9% versus 7%. Dieser Nutzen wurde sowohl bei HR-positiven als auch HR-negativen Tumoren gesehen. Der absolute Unterschied zwischen den 15-Jahres-Raten der 2- versus 3-wöchigen Applikation betrug 7% (DFS) und 9% (OS) bei HR-positiver und jeweils 13% bei HR-negativer Erkrankung. Die dosisdichte Chemotherapie soll deshalb das bevorzugte Regime für pN-positive Brustkrebspatientinnen sein, die Kandidatinnen für eine adjuvante Chemotherapie sind, unabhängig vom HR-Status.
26 GYNÄKOLOGIE 5/2022
KONGRESSBERICHT
Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO), 9. bis 13. September 2022
Tabelle: DATA-Studie mit verlängerter Aromatasehemmertherapie bei frühem Brustkrebs
Krankheitsfreies Überleben (DFS) bei Subgruppen (mod. nach [1])
n = 1660
10-Jahres-DFS
Subgruppen
% von ITT
6 Jahre 3 Jahre
Anastrozol
Alle Patientinnen
100%
69,1%
66,0%
ER+ und PR+
76%
70,8%
64,4%
ER+, PR+, pN+
51%
68,7%
60,7%
ER+, PR+, pN+, Tumor ≥ 2 cm
26%
70,0%
56,4%
∆
3,1% 6,4% 8,0% 13,6%
HR (95%-KI)
p-Wert
0,86 (0,72–1,01) 0,77 (0,63–0,93) 0,74 (0,59–0,93) 0,64 (0,47–0,88)
0,073 0,008 0,011 0,005
Fortgeschrittener Brustkrebs: Abemaciclib mit deutlich längerem OS
Langzeitergebnisse mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 5,8 Jahren wurden auch für die MONARCH-3-Studie präsentiert (3). Insgesamt 493 Brustkrebspatientinnen mit fortgeschrittener HR-positiver, HER2-negativer Erkrankung erhielten 2:1-randomisiert den CDK4/6-Hemmer Abemaciclib oder Plazebo, jeweils in Kombination mit Anastrozol oder Letrozol. Primärer Studienendpunkt war das von einem Prüfarzt ermittelte progressionsfreie Überleben (PFS).
Aktualisiertes PFS: Noch weitere Verbesserung im Follow-up Die Studie erreichte, mit einer Nachbeobachtungszeit von 26,7 Monaten für die finale PFS-Analyse, eine signifikante Verlängerung um median 13,4 Monate (medianes PFS: 29,0 vs. 14,8 Monate). Das OS war zu diesem Zeitpunkt mit 29,5% Ereignissen noch unreif. Auch mit der längeren Nachbeobachtungszeit war mit einer Hazard Ratio von 0,754 (95%-KI: 0,584–0,974) und einem p-Wert von 0,0301 die vordefinierte Signifikanzgrenze für das OS immer noch nicht erreicht: Das mediane OS wurde im Abemaciclib-Arm um 12,6 Monate – von 54,5 auf 67,1 Monate – verlängert. Zu bemerken ist, dass 31,5% der Patientinnen im Kontrollarm, aber nur 10,1% im Abemaciclib-Arm nach Progress einen CDK4/6-Inhibitor als Nachfolgetherapie erhielten. Auch die Patientinnen in der Subgruppe mit Viszeralmetastasen lebten median 16,3 Monate länger unter Abemaciclib versus Plazebo (medianes OS: 65,1 vs. 48,8 Monate), ebenfalls ohne die vordefinierte statistische Signifikanzgrenze zu erreichen (HR = 0,708; 95%-KI: 0,508–0,985; p =
0,0392). Die finalen OS-Daten werden im nächsten Jahr erwartet. Mit der Aktualisierung des PFS wurde die Überlegenheit der Abemaciclib-haltigen Therapie bestätigt (HR = 0,518; 95%-KI: 0,415–0,648; p < 0,0001). Nach 5 Jahren lebten 26,7% versus 9,6% der Patientinnen ohne Progress. Das chemotherapiefreie Überleben wurde durch Abemaciclib von median 30,6 auf 46,7 Monate verlängert (HR = 0,636; 95%-KI: 0,505– 0,801). Es wurden keine neuen Sicherheitssignale für Abemaciclib beobachtet. Einfaches Verfahren reduziert Sterberisiko bei frühem Brustkrebs um 29% Ein einfaches Vorgehen, um das Überleben von Brustkrebspatientinnen zu verlängern, ist die peritumorale Injektion von Lokalanästhetika vor der Operation (OP), wie eine spannende indische Studie zeigte (4). Hintergrund ist die Förderung der Metastasenentwicklung durch eine OP-induzierte Hypoxie. Hypoxie beeinflusst prometastatische Signalwege durch Depolarisierung der Zellmembran und eine damit verbundene Öffnung der Natriumkanäle. Durch die lokalanästhetische Injektion von Lidocain kann die Aktivierung gehemmt werden. Ein Cochrane-Review konnte bisher keine ausreichende Evidenz für die metastasenhemmende Wirksamkeit von Lidocain zeigen. Eine multizentrische, randomisierte Studie mit 1583 Patientinnen mit operablem Brustkrebs konnte aber nun Klarheit schaffen. Die Patientinnen erhielten randomisiert das Lokalanästhetikum rund um den Tumor injiziert oder kein Lokalanästetikum vor sowie eine adjuvante Radiatio und systemische Therapie entsprechend dem Therapiestandard nach der brusterhaltenden OP oder einer modifizierten radikalen Mastektomie. Die Patientinnen waren durchschnittlich 51 Jahre alt und zu etwa 60% in der Postmenopause. 3 Viertel der Tumoren waren zwischen 2 und 5 cm gross, 2 Drittel HR-positiv, in 77% der Fälle HER2-negativ und zu einem Viertel tripelnegativ. Die Lymphknoten waren bei 45% der Patientinnen involviert. Sterberisiko um 26% verringert Durch die Injektion des Lokalanästheti- kums wurde das Risiko für einen Krank- heitsrückfall um 26% reduziert (HR = 0,74; 95%-KI: 0,58–0,95; p = 0,017). Nach 6 Jahren lebten 86,1% der Patientinnen mit versus 81,7% ohne Lidocain-Injektion frei von der Krebserkrankung. Das Risiko, zu versterben, konnte durch das einfache Verfahren um 29% gesenkt werden (HR = 0,71; 95%-KI: 0,53–0,94; p = 0,019). Die 6-Jahres-OS-Rate betrug 89,9% versus 86,2%. Es gab keine Patientinnensub- gruppe, die nicht von der Lidocain-Injek- tion profitiert hätte, und es wurden keine Lidocain-bedingte Nebenwirkungen be- obachtet. n Ine Schmale Quelle: ESMO-Kongress 2022, Paris, 9. bis 13. September 2022. Referenzen: 1. Tjan-Heijnen VCG et al.: Extended adjuvant aromatase inhibition after sequential endocrine therapy: Final results of the phase 3 DATA trial. ESMO 2022, Abstr. #133O. 2. Del Mastro L et al.: Dose-dense adjuvant chemotherapy in early-stage breast cancer patients: End-of-study results from a randomized, phase III trial of the Gruppo Italiano Mammella. ESMO 2022, Abstr. #134O. 3. Goetz MP et al.: MONARCH 3: Interim overall survival results of abemaciclib plus nonsteroidal aromatase inhibitor as initial therapy in patients with HR+, HER2- advanced breast cancer. ESMO 2022, Abstr. #LBA15. 4. Badwe RA et al.: Effect of peri-tumoral infiltration of local anaesthetic prior to surgery on survival in early breast cancer. ESMO 2022, Abstr. #137MO. GYNÄKOLOGIE 5/2022 27