Transkript
SCHWERPUNKT
Eierstockkrebs – die «stille Gefahr»
Krankheitsbild und das Problem der späten Diagnose
Trotz einer insgesamt tiefen Inzidenz ist Eierstockkrebs (bzw. Ovarialkarzinom) mit einer hohen Sterblichkeit verbunden. Wegen sehr unspezifischer Symptomatik erfolgt die Diagnose meist spät. Im Folgenden werden Problematik sowie neuere Ansätze zur Verbesserung der Diagnostik und der Therapie beschrieben.
SARA IMBODEN, MICHAEL MUELLER
Sara Imboden
Epidemiologie
In der Schweiz erkranken 650 Frauen/Jahr am Ovarialkarzinom (Krebsliga-Bericht 2022), das entspricht einer Inzidenz von 8,3/100 000, was im Vergleich zu anderen Malignomen tief ist. Leider aber ist das Ovarialkarzinom die häufigste Todesursache bei gynäkologischen Tumoren. Das ist dadurch bedingt, dass das Ovarialkarzinom bei 70% der Patientinnen erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert wird. Im Frühstadium sehen wir eine 5-Jahres-Überlebensrate von 60 bis 90%, im Stadium FIGO III/IV hingegen sinkt diese auf 20 bis 30%. Durch die radikaleren Operationen und die neuen Erhaltungstherapien konnte die Mortalität in Europa um 13% gesenkt werden, was dazu motiviert, die Therapie des Ovarialkarzinoms weiterhin zu verbessern (1).
Neue Ansätze im Management
In den letzten 10 Jahren hat sich die Behandlung in zertifizierten Zentren zunehmend etabliert. Diese zertifizierten Zentren arbeiten gemäss definierten nationalen und europäischen Qualitätskriterien (z. B.: Deutsche Krebsgesellschaft [DKG], European Society of Gynaecological Oncology [ESGO]) und werden in regelmässigen Abständen auditiert, um einen hohen Behandlungsstandard zu sichern. Ein Schritt in Richtung Zentralisierung der Therapie bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom wird ferner im Rahmen der Leistungszuteilungen im HSM-Bereich «Komplexe gynäkologische Tumoren» (HSM = hoch spezialisierte Me-
Merkpunkte
n Das Ovarialkarzinom ist selten, aber mit einer hohen Mortalität assoziiert und bedarf deshalb einer hoch spezialisierten, möglichst personalisierten Therapie.
n VUS ist Goldstandard, ein standardisiertes Vorgehen mit dem O-RADS-Score hilft bei der Einleitung der weiteren Schritte.
n Die histologische Sicherung ist bei postmenopausalen Patientinnen oft nötig.
dizin) stattfinden. Diese Leistungszuteilung soll 2023 in der Schweiz eingeführt werden. Eine entsprechende Zentralisierung ist in vielen europäischen Ländern schon erfolgt.
Das Krankheitsbild im Überblick
Zu den Risikofaktoren für das Ovarialkarzinom gehören n Anzahl lebenslanger Ovulationen (d. h. keine
Schwangerschaft, frühes Menarchealter und spätes Menopausenalter) n Ovarialkarzinom in der Familienanamnese n Rauchen n gutartige gynäkologische Erkrankungen (einschliesslich Endometriose, polyzystisches Ovarialsyndrom und entzündliche Erkrankungen des Beckens) n Adipositas und n möglicherweise Verwendung von Talkpulver (2). n Der wichtigste Risikofaktor ist eine Keimbahnmutation, allen voran die BRCA-Mutationen. 2010 wurde das dualistische Modell der Pathogenese des Ovarialkarzinoms durch Kurmann und Kollegen publiziert und damit die Herkunft des epithelialen Ovarialkarzinoms aus dem Tubenepithel beschrieben. Dieses Modell gilt weiterhin, hinzu kommen jedoch immer mehr Kenntnisse über somatische und auch Keimbahnmutationen. Die 5 häufigsten histologischen Typen des Ovarialkarzinoms sind: hochgradig serös (HGSC), klarzellig (CCC), endometrioid (EC), niedriggradig serös (LGSC) und muzinös (MC) (Tabelle).
Symptome Das grösste Problem für Diagnostik und Therapie beim Ovarialkarzinom ist die unspezifische Symptomatik, was die frühe Diagnostik erschwert. Zu möglichen Symptomen zählen n Bauchumfangzunahme n Völlegefühl und Verdauungsbeschwerden
6 GYNÄKOLOGIE 5/2022
SCHWERPUNKT
Adnexbefund
sehr wahrscheinlich benigne Risiko > 1% O-RADS 2
vaginaler Ultraschall
normales Ovar oder physiologischer Befund
O-RADS-1
Unphysiologischer Befund Positive IOTA-Kriterien, Alter, CA-125 Risikokalkulation, www.iotagroup.org
kleines Malignitätsrisiko Risiko 1–10% O-RADS 3
intermediäres Malignitätsrisiko Risiko 10–50% O-RADS 4
konservatives Management ggf. Verlaufskontrolle nach 6 Wochen
hohes Malignitätsrisiko Risiko > 50% O-RADS 5
wenn asymptomatisch, konservatives Management Verlaufskontrolle nach 3, 6, 12 Monaten
chirurgisches Management durch Facharzt für Gynäkologie
Evaluation zur Überweisung an Abteilung Gynäkoonkologie
Abbildung: ESGO/ISUOG/IOTA/ESGE-Konsensus-Statement 2021, angepasst für die Schweiz Abkürzungen: O-RADS = Ovarian-Adnexal Reporting & Data System IOTA-Kriterien = International Ovarian Tumor Analysis
n andauernde Schmerzen im Unterbauch oder n aussergewöhnliche Zyklusstörungen. Häufig wird ein Adnexbefund als Zufallsbefund bei einer abdominellen Diagnostik wie Ultraschall oder Computertomogramm gesehen.
Diagnostik
Die UK Collaborative Trial of Ovarian Cancer Screening (UKCTOCS) konnte leider auch mit dem multimodalen Screening (CA-125 und vaginaler Ultraschall) keinen Überlebensvorteil aufzeichnen, sodass weiterhin kein Screening für das Ovarialkarzinom zu empfehlen ist (3). Die im Jahr 2021 publizierten ESGO/ISUOG/IOTA/ ESGE-Konsensus-Statements für die präoperative Diagnostik bei Adnextumoren (4) empfehlen die Anwendung der O-RADS-Scores (5). Das ist eine Integration des IOTA-ADNEX-Modells (www.iotagroup. org) mit klinischen Merkmalen (Menopausenstatus, Tumormarker) und gibt eine praktische Hilfestellung für das weitere Vorgehen (s. Algorithmus in der Abbildung). Trotz der heutigen diagnostischen Optionen bleibt häufig – vor allem bei der postmenopausalen Patientin – nur die histologische Sicherung mittels Laparoskopie, um eine Malignität auszuschliessen. In diesem Fall ist das operative Vorgehen immer so zu handhaben, als handle es sich um eine Malignität, das heisst, es werden eine Spülzytologie und eine saubere, komplette Adnexektomie ohne Ruptur des
Befunds und Entfernung in einem Bergebeutel
durchgeführt.
n
PD Dr. med. Sara Imboden (Erstautorin, Korrespondenzadresse) Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital 3010 Bern E-Mail: sara.imboden@insel.ch
Interessenkonflikte: keine.
Tabelle:
Zusammenfassung der Einteilung der Ovarialkarzinome, basierend auf dem dualistischen Modell von Kurmann und Kollegen
Typ 1
Histologie
niedriggradig seröse Karzinome
niedriggradig endometrioid
klarzellig
muzinös
Vorstufen
Borderline Tumoren
Endometriose
Klinik
Diagnose oft im Stadium I
grosse Tumoren
langsames Wachstum
Molekulare Merkmale genetisch stabiler
ARID1A, CTNNB1, PIK3Ca usw.
Typ 2 hochgradig seröse Karzinome Karzinosarkome undifferenzierte Karzinome
seröse tubare, intraepitheliale Karzinome (STIC) Diagnose meist im fortgeschrittenen Stadium diffus intraabdominal metastasiert P36-Mutation in 90% BRCA-Mutation HRD (= homologe Rekombinationsdefizienz)
GYNÄKOLOGIE 5/2022
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SCHWERPUNKT
Quellen: 1. Dalmartello M, La Vecchia C, Bertuccio P, Boffetta P, Levi F, Negri E, Malvezzi M.: European cancer mortality predictions for the year 2022 with focus on ovarian cancer. Ann Oncol. 2022 Mar;33(3):330-339. 2. Lheureux S, Gourley C, Vergote I, Oza AM.: Epithelial ovarian cancer. Lancet. 2019 Mar 23;393(10177):1240-1253. 3. Menon U, Gentry-Maharaj A, Burnell M, et al.: Ovarian cancer population screening and mortality after long-term follow-up in the UK Collaborative Trial of Ovarian Cancer Screening (UKCTOCS): a randomised controlled trial. Lancet. 2021 Jun 5;397(10290):2182-2193. 4. Timmerman D, Planchamp F, Bourne T, et al.: ESGO/ISUOG/IOTA/ESGE Consensus statement on pre-operative diagnosis of ovarian tumors. Int J Gynecol Cancer. 2021 Jul;31(7):961-982. 5. Hiett AK, Sonek JD, Guy M, Reid TJ.: Performance of IOTA simple rules, simple rules risk assessment, ADNEX model and O-RADS in differentiating between benign and malignant adnexal lesions in North American women. Ultrasound Obstet Gynecol. 2022 May;59(5):668-676.
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