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KONGRESSBERICHT/JOURNAL CLUB
SGGG-Jahreskongress 2022, 23. bis 25. Juni 2022
Schwangerschaftsvorsorge
Viele Schwangere sind unzureichend mit Mikronährstoffen versorgt
Wie gut ist der Ernährungsstatus bei Schwangeren in der Schweiz heute? Gibt es spezielle Gruppen werdender Mütter, die für Mangelzustände besonders gefährdet sind? Welche Supplemente sind für die ungeborenen Kinder essenziell? Eine neue Studie am Universitätsspital Zürich fand jetzt heraus, dass werdenden Müttern einiger Bevölkerungsgruppen (v. a. aus dem Mittleren Osten) insbesondere Eisen, Vitamin D und Jod fehlen und dass eine entsprechende Supplementation ab der Frühschwangerschaft essenziell ist.
Bekannt ist hinlänglich, dass in der Schwangerschaft ein Mehrbedarf an einigen Mikronährstoffen besteht, damit das Ungeborene sich gesund entwickeln kann bzw. potenzielle Fehlbildungen (wie Spina bifida bei Folsäuremangel) verhindert werden. Besonders Frauen mit einseitiger oder auch veganer Ernährung und Lebensweise ist dringend angeraten, sich bei Kinderwunsch rechtzei-
tig und adäquat zu informieren und sich erforderliche Supplemente (v. a. Folsäure) neben gesunder Ernährung verordnen zu lassen. In der Frühschwangerschaft wird der Eisen- und der Vitamin-D-Status erhoben; zudem werden die Schilddrüsenwerte zum Ausschluss einer Unterfunktion (Hypothyroidismus) bestimmt, bei der Jodmangel als eine mögliche Ursache gilt.
Mutterschutz: Arbeitsbedingungen ansprechen und verbessern helfen!
Ohne es zu wissen, sind Schwangere im Beruf oft Risiken ausgesetzt, die sich negativ auf den Schwangerschaftsverlauf bzw. die Entwicklung ihres Kindes auswirken können. Eine Untersuchung an Westschweizer Zentren zeigte, dass 93% im Untersuchungskollektiv sogar multiplen Risiken ausgesetzt waren.
Die frühzeitige Identifizierung von Noxen und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen während der Schwangerschaft sollten gefördert werden, folgerten die Studienleiter. Neben körperlichen, sozialen und emotionalen Veränderungen sind Frauen in der Schwangerschaft besonders vulnerabel für verschiedene Belastungen am Arbeitsplatz. Dazu gehören das Tragen schwerer Lasten, langes Stehen oder die Exposition gegenüber chemischen oder infektiösen Noxen, was gemäss den internationalen und den Schweizer Mutterschutzrichtlinien für die Dauer der Schwangerschaft zu vermeiden ist. Weitgehend ungeklärt ist, inwieweit eine gezielte ärztliche Intervention am Arbeitsplatz zum Schutz der Frauen zielführend ist. Eine Schweizer Studie untersuchte eine arbeitsmedizinische Intervention zum Schutz der schwangeren Beschäftigten in den Jahren 2015 bis 2021. Die teilnehmenden Frauen wurden von ihren Frauenärztinnen/ -ärzten oder ihren Arbeitgeberinnen/-gebern zur Prüfung der Arbeitsbedingungen zugewiesen. Von 312 schwangeren Frauen waren fast alle (98%) mindestens einem Risiko am Arbeitsplatz ausgesetzt, 93% mehreren Risiken. Besprechungen mit den Arbeitgebern (n = 260) ergaben, dass selten vorbeugend (risikoadaptiert) gehandelt wurde und nur bei etwa einem Drittel der Fälle die Arbeitsbedingungen für eine Schwangerschaft adäquat waren. Bei der gezielten Intervention durch die Ärzte konnte dann bei 40% der schwangeren Frauen der Arbeitsplatz angepasst werden, sodass die Frauen weiterarbeiten konnten. Die Einführung protektiver Massnahmen am Arbeitsplatz war aber nicht immer möglich, entweder aus organisatorischen oder personellen Gründen seitens des Unternehmens. Insgesamt ermöglichen die frühe Identifikation von Belastungen und die eventuelle Intervention am Arbeitsplatz Prävention, was vorteilhaft für den Erhalt der Arbeitskraft ist. hir
Quelle: Abderhalden-Zellweger A, Vonlanthen J, Probst I, Renteria S-C, Moschetti K, Brunner L, Krief P.: Assess and promote maternity protection at work: evaluation of a specialised occupational medicine consultation for pregnant workers. SGGG-Jahreskongress 2022. Abstractbook, Poster. Abstr. #P150.
Studie am USZ: Fast die Hälfte hat Vitamin-D-, fast ein Viertel Eisenmangel
In einer Studie unter der Leitung von PD Dr. med. Katharina Quack Lötscher, Universitätsspital Zürich (USZ), wurde über 5 Jahre der Status von Mikronährstoffen in Blutproben von Schwangeren analysiert, die bei der ersten Kontrolle (13 + 6 Schwangerschaftswochen, SSW) zwischen Januar 2017 und Dezember 2021 an der Klinik für Geburtshilfe entnommen worden waren. Dabei brachte sie die Raten an Anämieund Hypothyroidismus-Diagnosen sowie an Eisen- und Vitamin-D-Mangelzuständen in Zusammenhang mit möglichen Determinanten verschiedener Schwangerengruppen. Zu diesen zählten mütterliches Alter, Parität, Ethnie, BMI-Gruppe, Kontrazeptionsmethode, Mehrlingsschwangerschaft und Raucherstatus. Die Faktoren wurden in die Regressionsanalyse eingeschlossen. Die Daten von 1005 schwangeren Frauen konnten ausgewertet werden: n Vitamin-D-Mangel war mit 49,2% am
häufigsten, danach folgten n Eisenmangel (bei 24,2%) n Hypothyroidismus (bei 16,1%) und n Anämie (bei 4%). Die Frauen waren im Schnitt 33,2 Jahre alt (Spanne 17–51 Jahre). Fast alle (90,2%) waren spontan schwanger geworden, 42,3% erwarteten ihr erstes Kind. 64,7% hatten einen normalen BMI, 6,9% hatten geraucht bzw. rauchten aktuell weiter. 2,6% der Frauen hatten eine Mehrlingsschwangerschaft.
Frauen aus dem Mittleren Osten besonders betroffen
Die multiple Regressionsanalyse zeigte, dass ein höheres Lebensalter der Schwangeren signifikant seltener mit einem Eisen- und Vitamin-D-Mangel assoziiert ist (pro Jahr Odds Ratio [OR]: 0,94 respektive 0,89). Schwangere, die aus Ländern des Mittleren Ostens stammten, hatten signifikant und fast 5-fach erhöhte Risiken für eine Anämie (OR: 4,8). Bei dieser Gruppe war
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ferner der Hypothyroidismus um das 2-Fache (OR: 2,0), der Vitamin-D-Mangel um das 3,5-Fache (OR: 3,5) erhöht, verglichen mit den Referenzwerten. Die Studienleiterin und ihr Team folgern, dass junge Frauen neben Infos zur Folsäuregabe besser über den Wert der Mikronährstoffe informiert werden sollten, und zwar am besten schon vor einer
Schwangerschaft. Das betrifft vor allem Eisen, Vitamin D und Jod. Ganz besonders junge Migrantinnen aus Ländern des Mittleren Ostens (wie Syrien, Iran, Irak und Afghanistan) sollten gezielt angesprochen und besser über den vermehrten Bedarf an bestimmten Mikronährstoffen in der Schwangerschaft informiert werden und Angebote (Sup-
plemente) für die adäquate Versorgung
mit Vitamin- und Mineralstoffen sowie
Jod erhalten.
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Bärbel Hirrle Quelle: Quack Lötscher KC (USZ): Micronutrient status at the first pregnancy control. SGGG-Jahreskongress 2022. Abstractbook, Poster. Abstr. #P149.
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