Transkript
SCHWERPUNKT
Deszensuschirurgie
Klassische vaginale und neue laparoskopische Techniken in der Übersicht
Genitaldeszensus ist eine anatomische und funktionelle Störung der organtragenden Strukturen im kleinen Becken, welche Betroffene in unterschiedlichem Masse einschränkt (1). Der Deszensus wird durch eine Schwächung der muskulären und ligamentären Haltestrukturen verursacht, die mit einer Operation verstärkt, verdoppelt oder refixiert werden (2).
CORNELIA BETSCHART1, NICOLE KELLER1, 2, DANIELE PERUCCHINI1, 3, GABRIEL SCHÄR1, DAVID SCHEINER1
Cornelia Betschart
Bis ins Alter von 85 Jahren werden 19% aller Frauen wegen eines Genitaldeszensus operiert (3). Das sich laufend erweiternde operative Spektrum wird im Folgenden mit Vor- und Nachteilen vorgestellt.
Grundsätzliche Überlegungen vor der Chirurgie
Eine wichtige Frage vor einer Therapiewahl ist, in welchem Kompartiment der Deszensus vorliegt: als isolierte Zystozele, als apikaler Deszensus oder als Rekto- oder Enterozele? Nicht selten liegen Kombinationen vor, bei denen die Zystozele am häufigsten vertreten ist. Die Blase ist wiederum das Organ, das nach einer chirurgischen Korrektur am häufigsten einem Rezidiv unterworfen ist. Weiter stellt sich die Frage, ob es sich beim Deszensus um eine Erstmanifestation oder um ein Rezidiv handelt. Hierzu gibt es
1 Klinik für Gynäkologie, Universitätsspital Zürich, 2 Frauenklinik Spital Grabs, 3 Blasenzentrum AG
Merkpunkte
n Vaginale, laparoskopische und roboterunterstützte Verfahren haben die abdominalen Deszensustechniken abgelöst.
n Auf der Basis von den Symptomen und Vorstellungen der Patientin wird das geeignete Verfahren mit ihr gewählt.
n Die apikale Fixation (Level I) ist entscheidend für die Verminderung der Rezidivrate, unabhängig vom Zugangsweg.
n Vaginale Verfahren haben eine niedrige Komplikationsrate und gelten als sichere, lang erprobte Operationen mit möglicherweise einem etwas höheren Rezidivrisiko und einer leicht erhöhten Dyspareunierate, wobei Letztere mit geeigneten Studien noch zu überprüfen ist.
n Die Rezidivraten bei jüngeren, aktiven Frauen sind grundsätzlich höher einzustufen, ebenso die Prolapsstadien III und IV, sodass hier die laparoskopisch Mesh-unterstützten Verfahren an Bedeutung gewonnen haben.
n Evidenzbasierte RCT-Vergleiche der verschiedenen Operationstechniken zur entscheidenden Frage der Level-I-Fixation liegen noch nicht vor.
in der Therapie unterschiedliche Entscheidungspfade (Abbildung 1). Risikofaktoren für Rezidive sind: n jüngeres Alter und nicht, wie möglicherweise er-
wartet, das höhere Alter n genetische Prädisposition/Bindegewebsschwäche n ein primär höhergradiger Deszensus n Deszensusoperation bei erhöhtem BMI n chronisch intraabdominale Druckerhöhungen wie
Obstipation und chronische Bronchitis n vorausgegangene Deszensusoperationen in einem
anderen Kompartiment und n ein erweiterter Hiatus genitalis. Dieser ist ein Sur-
rogatmarker für eine höher gelegene Levatoravulsion, d. h . ein Ausriss des M. levator aus seiner Enthesis an der Symphyse. Levatoravulsionen sind in der Regel geburtstraumatisch verursacht (4). Die Levatoravulsion geht unabhängig von der operativen Technik (d. h. ob vaginal oder laparoskopisch angegangen) mit einer höheren Rezidivrate einher (5, 6). Als Risikofaktor darf zudem die Hysterektomie als die nach der Sectio am häufigsten durchgeführte gynäkologische Operation nicht unerwähnt bleiben. Ein mit der Hysterektomie einhergehendes Risiko ist das Auftreten eines Beckenbodendeszensus im Langzeitverlauf. Bei der Wahl der Operationstechnik gibt es patientinnenbezogene Faktoren: individueller Leidensdruck, gleichzeitiges Vorliegen einer Inkontinenz oder Darmbeschwerden, sexuelle Aktivität, Wunsch nach Uteruserhalt, bestehender Kinderwunsch, nicht zu unterschätzende internistische Vorerkrankungen, Vorstellungen über den Zugangsweg sowie die Haltung der Patientin gegenüber Meshes (Abbildung 1). Aufseiten der Operateure sind bei der Wahl des operativen Verfahrens die persönlichen Erfahrungen und die Expertise in der chirurgischen Technik von entscheidender Bedeutung.
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SCHWERPUNKT
Kann einem Post-HysterektomieDeszensus vorgebeugt werden?
Rund 90% der Hysterektomien werden aus benignen Gründen durchgeführt, dazu gehören Blutungsstörungen, Dysmenorrhö, Endometriose und Myome (7). Umso wichtiger ist es, sich den Fragen über die Langzeitwirkung dieses Eingriffs auf die Beckenbodengesundheit im späteren Leben zu stellen und eventuelle präventive Massnahmen zu ergreifen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Prolaps nach einer Hysterektomie eintritt, wird um den Faktor 1,7 bis 2 erhöht (Hazard Ratio). Pathoätiologisch liegt dem Post-Hysterektomie-Deszensus die kompromittierte Integrität des uterosakralen-kardinalen Ligamentkomplexes zugrunde. Ob die Hysterektomie laparoskopisch oder vaginal durchgeführt wird, hat keinen Einfluss auf die Häufigkeit eines Post-Hysterektomie-Deszensus, es sei denn, die vaginale Hysterektomie wurde aus Gründen eines Deszensus durchgeführt (8). Die American Association of Gynecologic Laparoscopists (AAGL) empfiehlt zur Prophylaxe die apikale Fixierung zum Zeitpunkt der Hysterektomie (9), was sich in der Realität jedoch kaum durchgesetzt hat. Als Verfahren, die sich zur Vorbeugung eines Post-Hysterektomie-Deszensus anbieten, zählen die Operation nach Moskowicz, wo der Douglas-Raum in einer Tabaksbeutelnaht unter Einnähen respektive Doppelung des uterosakral-kardinalen Komplexes in der Mittellinie verschlossen wird. Beim zweiten Verfahren handelt es sich um einen Douglas-Verschluss nach McCall, bei dem die uterosakral-kardinalen Ligamente lateral gefasst und in die Kolpotomie eingenäht werden, was den Scheidenstumpf anhebt. Bei der dritten Technik wird das Peritoneum in einer Tabaksbeutelnaht verschlossen, was allenfalls eine passive Bewegung des uterosakral-kardinalen Komplexes zur Mittellinie hin bewirkt. In einer Metaanalyse aus dem Jahr 2021, deren Hauptaussage auf einer prospektiven Studie beruhte, welche die 3 oben erwähnten Techniken verglich, fand sich bei der Nachuntersuchung nach 3 Jahren bei 2 der 32 Frauen (6%) in der McCallDouglas-Verschluss-Gruppe ein Deszensus zweiten Grades; im Vergleich trat das bei 10 von 33 Frauen (30%) in der Moskowicz-Gruppe und bei 13 von 33 Frauen (39%) in der Gruppe mit Peritonealverschluss auf (10).
Vaginale Deszensuskorrekturen
Vaginale autologe Gewebekorrekturen haben eine lange Tradition und basieren auf der Wiedervereinigung und der Stärkung von körpereigenen Faszien und Bindegewebe. Obsolet sind Duplikaturen von Muskelgewebe, z. B. Raffungen des Levator ani wegen später auftretender Dyspareuniebeschwerden. Die autologen Verfahren sind kompartimentspezifisch oder in Kombination mit einer apikalen Fixation
Chirurgische Therapie bei Prolaps der Beckenbodenorgane (POP) gemäss ICI 2017
(= International Consultation on Incontinence)
Zu berücksichtigende Faktoren Möglicher Weg Bevorzugte Option Weitere Daten erforderlich
POPChirurgie
Blasenfunktion Darmfunktion Risiko für Prolapsrezidiv
Rekonstruktive Chirurgie
Obliterative Chirurgie
apikales Kompartiment
anteriores Kompartiment
posteriores Kompartiment
Scheidenstumpf
Uterus
Graft repair
autologer Repair (Nähte)
Hysterektomie ± BSO1
Hysteropexie
Vaginale Hysterektomie
subtotale Hysterektomie
ASC2
ASC+ Hysterektomie
Vaginale SS3Hysteropexie
Sakrale Hysteropexie
LSC4+ Repair
Sakrospinale Kolpopexie
Uterosakrale Kolpopexie
Abkürzungen: 1 BSC: Bilaterale Salpingo-Oopherektomie 2 ASC: Abdominale sakrale Kolpopexie 3 SS: sakrospinal 4 LSC: Laparoskopische sakrale Kolpopexie
Abbildung 1: Algorithmus der International Consultation on Incontinence (ICI) zu den Deszensuskorrekturen für rekonstruktive und obliterative Verfahren. Der linke Teil zeigt schematisch die Empfehlungen für die operative Therapie des apikalen Deszensus (Level I nach DeLancey), rechts sind die Empfehlungen für die operativen Therapie der Zysto- oder Rektozele (Level II nach DeLancey) zu sehen.
ans Ligamentum sakrospinale oder ans Ligamentum sakrouterinum durchführbar, was der Fixation im Level I nach DeLancey entspricht (Tabelle). Wird die Raffung der vorderen oder hinteren Vaginalwand durchgeführt (Diaphragma- oder Kolpoperineoplastik), entspricht das einer Level-II-Korrektur nach DeLancey. Die Fixation des Levels III nach DeLancey ist die distalste Korrektur ausgehend von der Vagina und entspricht der Introitusplastik zur Verstärkung des Perinealkeils oder der Korrektur der pubovesikalen Ligamente bei Inkontinenz. Vorteil aller vaginalen Verfahren, inklusive der Kolpokleisis (Scheidenverschluss), ist die Möglichkeit für eine Operation in Regionalanästhesie. Die Erfolgsraten der autologen Techniken liegen zwischen
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SCHWERPUNKT
Tabelle:
Vaginale, laparoskopische und roboterunterstützte Techniken im Vergleich in der Deszensuschirurgie
Operation
Anteriores Mittleres Posteriores Bemerkungen
Kompartiment Kompartiment Kompartiment
Vaginale Techniken
Diaphragmaplastik/
✔
Schnell (Vicryl) oder langsam (PDS)
vordere Raffung
resorbierbare Fäden
Kolpoperineoplastik/
✔
Schnell (Vicryl) oder langsam (PDS)
hintere Raffung
resorbierbare Fäden
Anteriore Mesheinlage
✔
✔
Fixation mittleres Kompartiment, sofern Mesh mit
vordere Vaginalwand
apikaler Verankerung im Ligamentum sacrospinale
Posteriore Mesheinlage
Obsolet wegen Mesherosionsrate und fehlenden
hintere Vaginalwand
Hinweises für Outcomeverbesserung
McCall-Kolposuspension
✔
Resorbierbare oder nicht resorbierbare Fäden
Uterosakrale ✔
Resorbierbare oder nicht resorbierbare Fäden
Ligamentfixation
Sakrospinale Fixation
✔
Resorbierbare oder nicht resorbierbare Fäden
Manchester-Fothergill
✔
Apikale Fixation kombiniert mit Verkürzung der
deszendierenden Zervix
Hysteropexie ✔
Bei Kinderwunsch oder Wunsch nach Uteruserhalt
Kolpokleisis
✔ ✔ ✔
Vollständiger Scheidenverschluss zur Behebung
des Deszensus aller drei Kompartimente
Bilateral Sacrospinous
✔
Colposuspension Mesh
Laparoskopische oder roboterunterstützte Techniken
Sakrokolpopexie
✔
✔
✔
Nicht resorbierbares Mesh
Hysterokolpopexie
(✔)
✔
(✔) Nicht resorbierbares Mesh bei Wunsch nach
Uteruserhalt, nicht geeignet bei noch nicht
abgeschlossener Familienplanung
Lateraler Zystozelenrepair ✔
✔
Nicht resorbierbares Mesh
nach Dubuisson
Mesh-Rektopexie
✔ Resorbierbares oder nicht resorbierbares Mesh
nach d’Hoore
Uterosakrale ✔
Kein Mesh notwendig
Ligamentfixation
Lateral Repair
✔
Kein Mesh notwendig; kombinierbar mit
nach Richardson
laparoskopischer Burch-OP, sofern eine
Belastungsinkontinenz vorliegt
Pektopexie ✔
Nicht resorbierbares Mesh bei rein apikalem
Deszensus
70 und 95% (11, 12). Die initial hohen Rezidivraten von 30% in der Studie von Olsen wurden von Clark und Kollegen einer prospektiven Survivalanalyse über 5 Jahre unterzogen, bei der sich im selben Kompartiment mit den autologen vaginalen Verfahren nur noch eine Reoperationsrate von 13% nachweisen liess – sowohl für den Prolaps als auch für die Inkontinenz (13).
Wie wird Erfolg verstanden? Immer stellt sich die Frage, wie Erfolg definiert wird. Zur Antwort auf diese Frage hat die Arbeit von Barber und Kollegen wesentlich beigetragen, indem aufgezeigt werden konnte, dass nicht das anatomische perfekte Resultat entscheidend mit dem Operationserfolg korreliert, sondern einzig das subjektive Gefühl der Patientin bezüglich «spürbarer Vor-
wölbung» (14). Dazu passt, dass 97% der Frauen > 70 Jahre eine Senkung ≥ Stadium I haben, und zwar ohne Beschwerden. Bei Anwendung einer Senkungseinteilung nach POP-Q haben 60 bis 70% der Frauen ein Rezidiv, wenn der POP-Q-Grad 1 als Rezidiv definiert wird, ohne dass eine Korrelation mit Symptomen besteht (15). Wird hingegen im selben Kollektiv Erfolg erstens als «keine Senkung über den Hymenalsaum hinaus», zweitens als «Fehlen von Senkungssymptomen» und drittens als «Fehlen einer Reoperation» gewertet, wiesen nur noch 12% der Patientinnen ein Rezidiv auf (16). Die alleinige POP-Q-Anwendung wird somit den Bedürfnissen der Patientinnen in der Outcomemessung nicht gerecht. Derzeit werden zur Outcomemessung vor allem zusammengesetzte Endpunkte unter Ein-
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SCHWERPUNKT
Abbildung 2: Laparoskopische apikale Fixation (Sakrokolpopexie) bei Scheidenstumpfprolaps. 2a: Rote Inzisionslinie zur Präparation der Blase von der Vaginalvorderwand, welche nach einer Diaphragmaplastik deutlich vernarbt sein kann. Zur besseren Demarkation der Organgrenzen empfiehlt sich eine Füllung der Blase mit NaCl. 2b: Präparation der Zystozele bis zum Meatus internus urethrae. Auffallend ist die Medialisierung der beiden Ureteren, bedingt durch die Voroperation (Diaphragmaplastik). 2c: Iatrogene Durchtrennung des rechten Ureters kurz vor dem Eintritt in die Blase. Jetflow aus dem durchtrennten Ureter mit Ureterozystoneostomie in derselben Operation. Bei guter Lateralisation des Ureters rechts nach der Neuimplantation des Ureters in die Blase wurde das anteriore Mesh während derselben Operation eingelegt, das ohne Mesherosion in der Folge.
bezug der Lebensqualität anhand standardisierter Fragebögen, der Re-Operationsrate und des klinischen Befundes (POP-Q) von den internationalen Gesellschaften IUGA und ICS propagiert. Weitere Vorteile der vaginalen Verfahren sind die kürzere Operationszeit und die niedrige Komplikationsrate. Die Indikation für die vaginalen Verfahren ist im ICI-Algorithmus skizziert (Abbildung 1). Nachteile der vaginalen Verfahren sind die Inzisionen zur Kolpotomie und die viel diskutierte Dyspareunie. Die Dyspareunie ist ein Symptom, worüber aufgeklärt werden muss. In der Metaanalyse von Zhang war die Dyspareunierate in der Gruppe der sakrospinalen Fixation mit 14,4% signifikant höher als in der Gruppe der abdominalen Sakrokolpopexie mit 4,7% (17). Es dürfte davon ausgegangen werden, dass die Dyspareunierate bei der laparoskopischen Sakrokolpopexie durch die geringere Wahrscheinlichkeit für Adhäsionen noch niedriger ausfallen dürfte. Die relativ höhere Dyspareunierate liess sich aber nicht in allen Studien nachweisen, welche vaginale und laparoskopische Verfahren im Retrospekt verglichen haben (18). Die Beobachtung der Autorinnen und Autoren deckt sich vielmehr mit der Studie von Lukacz und Kollegen, wo unabhängig von der operativen Technik 3 von 4 Frauen nach einem Deszensuseingriff weniger Dyspareunie aufwiesen. Die De-novoDyspareunie wird < 4% angegeben. Die präoperative Dyspareunie war ein wichtiger prädiktiver Faktor für postoperative Kohabitationsbeschwerden (19). Zu erwähnen sind in dem Zusammenhang die vaginalen Meshes, zu deren Einsatz die Autorinnen und Autoren bei sexuell aktiven Frauen aus Sorge vor der Dyspareunie Abstand nehmen. In einigen Ländern ist die Einlage von vaginalen Netzen von den Behörden nicht mehr zugelassen respektive nur in Studien. Die Mesherosionsrate ist bei vaginalen Netzen gegenüber den laparoskopischen erhöht. Die Lebensqualität und die Rezidivrate im Verlauf von 3 Jahren ist nach vaginalen Meshes und autologen vaginalen Verfahren vergleichbar (20). Die ICS empfiehlt, vaginale Meshes nur im Rahmen von Studien einzulegen (siehe roter Pfeil in Abbildung 1). Laparoskopische oder roboterunterstützte Deszensuskorrekturen Die laparoskopischen rekonstruktiven Verfahren haben fast vollständig die abdominalen Korrekturen abgelöst, und zwar hauptsächlich aufgrund ihrer geringeren Invasivität. Die Mehrzahl der laparoskopischen Verfahren sind Mesh-unterstützt (Tabelle), so beispielsweise die Zystozelenkorrektur mit Apexfixierung mit oder ohne Uteruserhalt bei der Korrektur nach Dubuisson oder der Korrektur des Deszensus aller 3 Kompartimente, bei der neben der Zystozele, dem Scheidenapex oder Uterus auch die Rektozele in der Technik der Sakrokolpopexie mitversorgt werden kann. Liegt zusätzlich zum urogynäkologischen Deszensus eine rektale Intussuszeption vor, kann diese laparoskopisch mit einer Mesh-Rektopexie nach d’Hoore versorgt werden, was von den Patientinnen als Kombinationseingriff und somit einer einzeitigen Operation geschätzt wird. Im Zuge der Interdisziplinarität ist den laparoskopischen und zunehmend roboterunterstützten Verfahren den Vorzug zu geben, da die urologischen und viszeralchirurgischen Kolleginnen und Kollegen in der vaginalen Chirurgie nicht ausgebildet sind. Es gibt auch laparoskopische Verfahren, welche ganz ohne Meshinterponat auskommen, zum Beispiel die laparoskopische sakrouterine Fixation mit Annaht und Duplizierung der Ligamenta sakrouterina an die 18 GYNÄKOLOGIE 4/2022 SCHWERPUNKT Kolpotomie oder Zervixhinterwand. Die laparoskopische Technik lässt die Visualisierung des Ureterverlaufs gut zu. In einer randomisierten Studie zur vaginalen oder laparoskopischen sakrouterinen Ligamentfixation im Rahmen der Hysterektomie fand sich kein Unterschied in der Rezidiv- und Komplikationsrate nach 12 Monaten (21). Eine andere Studie, welche die vaginale und die laparoskopische Hysteropexie bei Frauen mit Wunsch nach Uteruserhalt verglich, fand ebenfalls vergleichbare Resultate mit leicht unterschiedlichen Komplikationsmustern nach einem Jahr: Eine überaktive Blase (OAB) und De-novo-Stuhlinkontinenz traten häufiger in der laparoskopischen Gruppe auf, während die Dyspareunie vermehrt in der Gruppe mit der vaginalen Hysteropexie vorkam (22). Zu erwähnen ist, dass diese Resultate sekundäre Endpunkte waren und dass im primären Endpunkt, der Rezidivrate, es zu keinem Unterschied zwischen den beiden Gruppen kam. Sakrokolpopexie Das Studienprotokoll zum randomisierten Vergleich des Scheidenstumpfprolapses mit laparoskopischer apikaler Fixation (Sakrokolpopexie) und vaginaler sakrospinaler Fixation nach Richter durch eine niederländische Gruppe ist seit 2017 publiziert. Doch liegen bis anhin keine Studienresultate vor, was zeigt, wie schwierig die Realisation randomisierter kontrollierter operativer Studien sind (23). Auch ist dabei zu bemerken, dass die Evidenz der ICI-Empfehlung zur Scheidenstumpfprolapskorrektur mit einer Sakrokolpopexie nicht auf prospektiven, randomisierten Studien beruht (linker Entscheidungspfad in Abbildung 1). Aus eigener Erfahrung darf festgehalten werden, dass unter Verwendung von leichtgewichtigen Netzen und einer schonenden Operationstechnik die postoperative Dyspareunierate gering ist. Die Sakrokolpopexie (Abbildung 2) ist eine Operation für erfahrene Operateurinnen und Operateure. Der Einstieg der Blasenpräparation kann zur besseren Demarkation der Blase mit einer Blasenfüllung erleichtert werden (Abbildung 2a). Bei Rezidivoperationen ist die Präparation der Blasenhinterwand meist durch die Vernarbungen bei der Diaphragmaplastik erschwert. Zudem können durch die Diaphragmaplastik die Ureteren tendenziell medialisiert sein (Abbildung 2b), was die Gefahr der Ureterläsion erhöht (Abbildung 2c). Je nachdem ist auch die Peritonealisierung über dem Mesh bei weniger elastisch und vernarbtem Peritoneum nicht einfach und nur unter einer gewissen Spannung durchzuführen. Schlussbemerkungen Die Entwicklung in der Deszensuschirurgie ist nicht abgeschlossen. Die Diskussionen über neue Techni- ken und Behandlungskonzepte in der Therapie des urogenitalen Deszensus werden zukünftig intensiv geführt werden. Entsprechende anatomische Kenntnisse, chirurgische Expertise und Überprüfungen in klinischen Studien sind hierzu gefordert. Komplexe Fälle profitieren von einer Vorstellung an einem interdisziplinären Beckenboden-Board, wie es für die Zertifizierung von Beckenbodenzentren gefordert ist. n PD Dr. med. Cornelia Betschart (Erstautorin und Korrespondenzadresse) Klinik für Gynäkologie Universitätsspital Zürich 8091 Zürich E-Mail: cornelia.betschart@usz.ch Interessenkonflikte: keine. Quellen: 1. Berger MB, Kolenic GE, Fenner DE, Morgan DM, DeLancey JOL.: Structural, functional, and symptomatic differences between women with rectocele versus cystocele and normal support. Am J Obst Gynecol. 2018;218(5):510.e1-.e8. 2. Pierce LM, Coates KW, Kramer LA, Bradford JC, Thor KB, Kuehl TJ.: Effects of bilateral levator ani nerve injury on pelvic support in the female squirrel monkey. Am J Obst Gynecol. 2008;198(5):585 e1-8. 3. Smith FJ, Holman CD, Moorin RE, Tsokos N.: Lifetime risk of undergoing surgery for pelvic organ prolapse. Obstetrics & Gynecology. 2010;116(5):1096-100. 4. 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