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SGGG-EXPERTENBRIEF NR. 76
In der GYNÄKOLOGIE werden – nach Auswahl der Herausgeber – an dieser Stelle aktuelle Expertenbriefe publiziert (verifizierte Printform).
Expertenbrief Nr. 76
(siehe auch: http://sggg.ch/de/members_news/1005)
Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. med. Daniel Surbek
Nausea und Erbrechen in der Schwangerschaft, Hyperemesis gravidarum
Evidenzlevel
B. Martinez de Tejada, L. Vonzun, D. U. Von Mandach, A. Burch, M. Yaron, M. Hodel, D. Surbek, I. Hoesli
(↑ βHCG, ↑ Estradiol), mechanische Faktoren (Blähungen, Reflux), psychologische Neigung, evolutionäre Anpassung (Ver-
meidung poteniell toxischer Lebensmittel), genetische Fakto-
Von der Akademie für fetomaternale Medizin (AFMM) genehmigt. ren (↑ GDF15-Plazenta-Gen, IGFBP7-Hormon, RyR2-Gen) (5–8). IIa/III
Höchstwahrscheinlich handelt es sich um eine multifaktorielle
Nausea mit oder ohne Erbrechen (NVP) ist sehr häufig in der Ursache.
Frühschwangerschaft (50–80%). Schweres Erbrechen, genannt Weitere Risikofaktoren umfassen eine hohe Plazentamasse
Hyperemesis gravidarum (HG), kommt in 0,3 bis 3% der Fälle (z. B. bei Mehrlingsschwangerschaft oder Blasenmole) sowie
Ia vor (1). Die am häufigsten erwähnten Kriterien zur Definition von die persönliche und familiäre Krankengeschichte (3).
IIa
HG umfassen anhaltendes Erbrechen, akute Dehydrierung so-
wie Hungern (Ketonurie) und Gewichtsverlust > 5%. Dabei han- Differenzialdiagnose
delt es sich um eine klinische Ausschlussdiagnose, die sich auf Hier sind zu erfragen und ggf. abzuklären:
ein typisches Krankheitsbild und das Fehlen anderer Ursachen n Gastrointestinale Erkrankungen: Gastroenteritis, Gastropa-
IIa (2) stützt, die die Symptome erklären könnten.
rese, Gastritis/Magenulkus (H. pylori), Erkrankungen der
Die Symptome treten typischerweise vor der 9. Schwanger-
Gallenwege, Hepatitis, Darmverschluss, Pankreatitis, Ap-
schaftswoche (SSW) auf und klingen bis zur 16. SSW ab, wobei
pendizitis, innere Hernie nach Magen-Bypass-Operation (9)
sie in seltenen Fällen während der gesamten Schwangerschaft n Urogenitalerkrankungen: Pyelonephritis, Urämie, Ovarial-
IIa bestehen bleiben (10–20%) (3). Ein Wiederauftreten dieser Stö-
torsion, Nephrolithiasis, Myomdegeneration
rungen in nachfolgenden Schwangerschaften ist wahrscheinlich n Endokrine, metabolische, neurologische Erkrankungen: dia-
IIa (24–80%; OR = 26,4) (4).
betische Ketoazidose, Porphyrie, Morbus Addison, Hyper-
Ätiologie und Risikofaktoren
thyreose, Hyperparathyreoidismus, Hyperkalzämie, Migräne, erhöhter intrakranieller Druck, Labyrinthitis
Die genaue Ätiologie ist weiterhin ungeklärt, allerdings wurden n Sonstige Erkrankungen: Arzneimitteltoxizität oder -unver-
verschiedene Theorien vorgeschlagen: hormonale Faktoren
träglichkeit, psychische Erkrankungen
n Schwangerschaftsbedingte Erkrankungen: Präeklampsie
nach der 20. SSW, HELLP-Syndrom, akute Fettleber in der
Zusammenfassung und Empfehlungen
Schwangerschaft.
n Nausea mit oder ohne Erbrechen (NVP) ist sehr häufig (50– 80%) in der Schwangerschaft.
n Schweres Erbrechen (HG) kommt in 0,3 bis 3% der Fälle vor. n Mütterliche und fetale Komplikationen sind bei HG höher. n Frauen sollten in der Frühschwangerschaft bei jeder Arzt-
visite auf NVP untersucht werden. Die PUQE-24-Skala kann für die Quantifizierung der NVP-Symptome hilfreich sein. n Die Behandlung sollte mit diätetischen Massnahmen, Komplementärtherapien und Vitamingabe beginnen. n Bei Weiterbestehen der Symptome sollte eine pharmakologische Behandlung eingeleitet werden, wobei in erster Linie Antihistaminika eingesetzt werden sollten. n Die Behandlung sollte auf die Symptomreduktion, die Verbesserung der Lebensqualität und die Vorbeugung schwerer Komplikationen fokussieren sowie fetale Auswirkungen der pharmakologischen Behandlung möglichst klein halten. n Ein frühzeitiges und schrittweises Vorgehen gemäss Algorithmus wird empfohlen.
Komplikationen
Mütterliche Komplikationen wie Suizidgedanken (32%), Gewichtsverlust >15% und eine mit dem posttraumatischen Stresssyndrom assoziierte Depression (18%), welche die Diagnosekriterien erfüllt, sind häufig. Obwohl selten, wurde auch über schwere mütterliche Morbidität/Mortalität berichtet: Ernährungsdefizite wie Wernicke-Enzephalopathie (verursacht durch Vitamin-B-Mangel), Elektrolytstörungen, thromboembolische Ereignisse, Thyreotoxikose. Ferner wurden auch Fälle von Retinaablösung, Pneumothorax, Rippenfrakturen, Funktionsstörungen der Gallenblase, akute tubuläre Nekrose, Milzruptur, Leberinsuffizienz, Hämatemesis (Blutung aus Riss kleiner Ösophagusgefässe, Mallory-Weiss-Syndrom) sowie eine Zunahme der HG-bedingten Spitalaufnahmen verzeichnet (10– 13). Jedoch wurde eine geringere Abortrate bei Frauen mit HG im Vergleich zu Kontrollfällen beschrieben (14).
III/IIa Ib
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Tabelle:
PUQE-Score zur Ermittlung des Schweregrads von Nausea und Erbrechen in der Schwangerschaft
Wie lange war Ihnen in den letzten 24 Stunden übel?
❒ Nie (1) ❒ 1 Stunde oder weniger (2) ❒ 2–3 Stunden (3) ❒ 4–6 Stunden (4) ❒ > 6 Stunden (5)
Haben Sie in den letzten
24 Stunden erbrochen?
❒ Nein (1) ❒ 1–2 × (2) ❒ 3–4 × (3) ❒ 5–6 × (4) ❒ 7 × oder mehr (5)
leicht: < 6 Punkte mittelschwer: 7–12 Punkte schwer (HG): 13–15 Punkte Ambulante Behandlung empfohlen bei PUQE-Score von 3 bis 12 Stationäre Behandlung empfohlen bei PUQE-Score ≥ 13
Wie oft hatten Sie Brechreiz
in den letzten 24 Stunden?
❒ Nie (1) ❒ 1–2 × (2) ❒ 3–4 × (3) ❒ 5–6 × (4) ❒ 7 × oder mehr (5)
IIa IIb IIb
IV/III IIa
Hinsichtlich fetaler Komplikationen ergab ein systematischer Review von Frauen mit HG eine leichte, jedoch signifikant erhöhte Inzidenz von intrauteriner Wachstumsrestriktion, niedrigem Geburtsgewicht und Frühgeburtlichkeit (15). Diese Anzeichen scheinen gehäuft beobachtet zu werden, wenn die HG während der ganzen Schwangerschaft besteht und mehrere Spitalaufenthalte nötig sind, ohne dass es zu einer Aufholgewichtszunahme kommt. Übersteigt der mütterliche Gewichtsverlust 15%, werden ein kleinerer Kopfumfang, ein signifikant reduziertes kortikales Gesamtvolumen und ein erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen sowie für Autismus beschrieben (16, 17).
Komorbiditäten
Die folgenden Komorbiditäten wurden im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für HG beschrieben: Funktionsstörung der Nebenschilddrüse (adjustierte OR [aOR]: 3,83; 95%-KI: 2,28–6,44), Hypercholesterinämie (aOR: 2,54; 95%KI: 1,82–3,44), Diabetes Typ 1 (aOR: 1,95; 95%-KI: 1,82–2,09) und Funktionsstörung der Schilddrüse (aOR: 1,85; 95%-KI: 1,74– 1,96) (18).
Beurteilung und Einschätzung des Schweregrades
Sämtliche Schwangeren sollten bei jeder Arztvisite nach Nausea und Erbrechen (NVP) gefragt werden, und falls vorhanden, muss der Schweregrad mittels validierter Skala, Gewichtsmessung und Hydratationszustand eingeschätzt werden. Die Anamnese muss andere Diagnosen ausschliessen und den Schweregrad beurteilen können. Es ist empfehlenswert, den Schweregrad der HG anhand eines Scores zu ermitteln. Derzeit haben die meisten Guidelines die Skala Pregnancy-Unique Quantification of Emesis (PUQE-24) (19) implementiert (2, 20). Eine kürzlich publizierte Studie weist darauf hin, dass der alternative HELP-Score eine höhere Sensitivität bei der Identifizierung von Patientinnen mit schwerer HG aufweist, welche Interventionen erfordert (iOS HG Care App © gratis, The HER Foundation) (21). Die Tabelle zeigt, bei welchen Werten eine ambulante und bei welchen eine stationäre Therapie empfohlen wird. Ausser der üblichen Schwangerschaftskontrolle (mit Bestimmung der Vitalparameter und der Gewichtskontrolle) umfasst die weitere klinische Beurteilung
n eine Ultraschalluntersuchung (Ausschluss einer Mehrlingsschwangerschaft oder Blasenmole)
n einen Urinstatus (Ketonurie und Ausschluss eines Harnwegsinfekts) und
n eine Blutuntersuchung (Blutbild, Elektrolyte, Nieren- und Leberfunktionstests, Schilddrüsenfunktionstest).
In schweren Fällen sollten weitere Blutanalysen (z. B. Blutgasanalyse, Status von Vitamin B1) sowie andere Untersuchungen zum Ausschluss einer zugrunde liegenden Pathologie in Betracht gezogen werden.
Behandlung
Das Management und die Behandlung von NVP sollten auf die Symptomreduktion, die Verbesserung der Lebensqualität und die Vorbeugung schwerer Komplikationen fokussieren und dabei die fetalen Auswirkungen der mütterlichen pharmakologischen Behandlung möglichst gering halten. Ein frühzeitiges und schrittweises Vorgehen wird empfohlen (22) (siehe Algorithmus; Abbildung)
Empfehlungen bezüglich Diät und Lebensstil n Ein leerer Magen sollte zu jeder Zeit vermieden werden; es
sollten kleine und regelmässige Mahlzeiten, etwa jede 1 bis 2 Stunden, eingenommen werden (2). n Ein zu voller Magen sollte ebenfalls vermieden werden (feste und flüssige Nahrung nicht mischen, grosse Mahlzeiten vermeiden!) (23). n Empfohlen werden trockene Nahrungsmittel, Snacks mit hohem Proteingehalt und Knäckebrot morgens vor dem Aufstehen (24, 25). n Geschmacksintensive und würzige Speisen sollten vermieden werden, auf Eisenpräparate ist zu verzichten (24).
Komplementärtherapie Ingwer Die Anwendung von Ingwer (als Rhizoma zingiberis) in der Schwangerschaft zur Behandlung von NVP wurde in verschiedenen randomisierten, klinischen Studien beschrieben (1): Hier zeigte sich keine Evidenz für eine Erhöhung des teratogenen Risikos, für Spontanabort oder Unterschiede im Schwangerschaftsverlauf zwischen den Behandlungsgruppen. Ingwer besitzt antiinflammatorische Eigenschaften und senkt bei Tieren die Thromboxan-B(2)- und PG-E(2)-Spiegel (26); deshalb sollte
Ib
IV III IIa/III IIa
Ia
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Abbildung: Algorithmus zur Behandlung bei Hyperemesis gravidarum
Milde NVP Nausea, gelegentlich Erbrechen
Ketonurie: neg. PUQE g 6
Mittelschwere NVP Ketonurie: +++ PUQE 7–12
Schwere NVP oder HG Ketonurie: > +++
Elektrolytstörungen PUQE ≥ 13
Keine Verbesserung nach Therapie der 1. und 2. Linie
Bei Anhalten der Symptome
Diät- und
•Lebensstiländerung Kleine, häufige
• Mahlzeiten Protein- und KH-reiche Diät
• Kein scharfes Essen • Flüssigkeit mit
Elektrolyten zwischen den Mahlzeiten
• Ausreichende Erholung • Multivitamine weiter
bis Unverträglichkeit, dann Folsäure
Komplementärtherapie
• Ingwer • Akupressur, -punktur • Nervenstimulierung P6
Pharmakologische Terapie
•1. Linie Vitamin B1, B6 p.o.
• Esomeprazol p.o. falls Pyrosis
Bei Anhalten der Symptome
Bei Anhalten der Symptome
Pharmakologische Therapie p.o. 2. Linie, 1 Mittel auswählen
Doxylamin Meclozin
3. Linie, 1 Dopaminantagonist beifügen
Clorpromazin Metoclopramid
Psychologische Unterstützung * Arzneimittel alphabetisch aufgelistet
Pharmakologische Therapie, i.v., 4. Linie HT3-Rezeptor-Antagonist:
Ondansetron
• Spitalaufenthalt in • Betracht ziehen
Rehydrierung mit
• Natriumchlorid Elektrolytstörungen langsam ausgleichen (Hyponatriämie, Hypokaliämie)
•Nahrungszusätze Bedarf an Vitaminen i.v. evaluieren. Nach 2 Wo. anhaltenden Erbrechens: Thiamine Infusion 100 mg in 100 ml 0,9% NaCl
• Esomeprazol i.v.
Bei Anhalten der Symptome
Ernährungs- und endokrinologische Beratung Pharmakologische Therapie i.v. 5. Linie
•Methylprednisolon Entrale
• Sondenernährung Parentale Ernährung: evtl. zentraler Zugang Fortsetzen bis Gewicht unter p.o. Einnahme Ernährung langsam wiedereinführen
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Ia IIa/Ia
Ia IIb
Ib
er nicht bei antikoagulierten Patientinnen verwendet werden. Ingwer hat positive Effekte auf die Verringerung von Übelkeitssymptomen gezeigt, hat das Erbrechen jedoch nicht reduziert (1, 27).
Akupressur Dagegen ist nicht erwiesen, dass Akupunktur und Akupressur am P6- oder Neiguan-Punkt (befindet sich drei Fingerbreit proximal der Handgelenksbeugefalte auf der Innenseite, zwischen den beiden Sehnen) Übelkeit und Erbrechen signifikant reduzieren (27, 28). Da dieses Vorgehen jedoch nicht schädlich ist und der Plazeboeffekt stark ist, könnten einige Patientinnen von einem Versuch mit einem Akupressurband profitieren.
Pharmakologische Behandlung: Indikationen und Kontraindikationen Pyridoxin (Vitamin B6) Die Wirksamkeit von oralem Pyridoxin bei der Behandlung der morgendlichen Übelkeit (nicht aber des Erbrechens!) wurde in plazebokontrollierten Studien gezeigt (1). Die orale Einnahme in Kombination mit einem Antihistaminikum (siehe unten) bei Patientinnen mit NVP und intravenös in Kombination mit anderen Vitaminen ist bei hospitalisierten Frauen mit schwerer HG ebenfalls effektiv. Als wasserlösliche Substanz ist Vitamin B6 toxikologisch sicher.
Antihistaminika (H1-Antagonisten) H1-Antagonisten sind bei der Behandlung von NVP unterschiedlichen Grades wirksam, aber die Studien sind hinsichtlich Substanz und Kombination mit Pyridoxin heterogen (29). n Meclozin (Synonym: Meclizin) gilt als sicher in der Schwan-
gerschaft: Es gab keine Anzeichen signifikanter Teratogenität (30). Meclozin ist ausschliesslich in Kombination mit Pyridoxin und Koffein erhältlich, welches den sedierenden Effekt des Antihistaminikums aufgrund seiner zentralen, möglicherweise auch kreislaufstimulierenden Wirkung kompensiert. Ein Zusammenhang zwischen dem Konsum von Koffein in steigender Dosis und erhöhtem Risiko für Abort, Totgeburt, niedriges Körpergewicht (LBW und SGA) sowie für lymphoblastische Leukämie im Kindesalter wurde nachgewiesen (31). Eine Kapsel enthält 25 mg Koffein, ein Suppositorium 20 mg. Die Höchstdosis beträgt 4 Kapseln (100 mg) oder 2 Suppositorien (40 mg) pro Tag – das entspricht einer Maximaldosis von 1 Kaffee (100 mg) pro Tag. Schwangeren Frauen sollte deshalb geraten werden, den sonstigen Koffeinkonsum einzustellen (auf Kaffee und andere koffeinhaltige Produkte verzichten). n Doxylamin wurde vor Kurzem von Swissmedic zur Behandlung von NVP in Kombination mit Pyridoxin zugelassen. Die Wirksamkeit wurde in Beobachtungsstudien breit untersucht, und es wurde kein teratogener Effekt gezeigt. (29, 32, 33). Eine neuere randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studie mit 256 Patientinnen mit NVP konnte die Wirksamkeit des Wirkstoffs beweisen, während sich die Nebenwirkungen nicht vom Plazebo unterschieden, was wahrscheinlich auf die geringe Stichprobengrösse zurückzuführen ist (34).
In einer aktuellen Studie waren die Doxylamin-Pyridoxinund die Metoclopramid-Exposition im 1. Trimenon mit einem signifikant erhöhten Risiko für allgemeine und spezifische schwere kongenitale Fehlbildungen (MCM = major congenital malformations) wie Spina bifida assoziiert (35).
Hinweis: Doxylamin ist aufgrund seiner sedierenden Wirkung (36), die durch seine Plasmahalbwertszeit von 10 Stunden aufrechterhalten wird, zur Schlafverbesserung wirksam.
Dopaminantagonisten n Chlorpromazin wird erfolgreich bei schwerer HG bzw. bei
hospitalisierten Patientinnen eingesetzt. Jedoch existieren nur wenige Daten, welche die Wirksamkeit und die Sicherheit bei NVP belegen. Es handelt sich um ein Neuroleptikum mit sedierender Wirkung! Das Teratogenitätspotenzial wurde in Studien nicht nachgewiesen (30); langjährige Erfahrungen zeigen allerdings keine teratogenen Effekte (37– 42). n Domperidon wurde nicht zur Behandlung von NVP untersucht. Die wenigen verfügbaren Daten zeigen kein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen (43, 44). Es sollte nicht zur Behandlung von NVP verwendet werden. n Metoclopramid reduziert NVP in der Schwangerschaft, aber seine Wirksamkeit bei der Behandlung von HG ist im Vergleich zu anderen Wirkstoffen geringer (45–47). Cave – unerwünschte Arzneimittelwirkungen (AUW): Mundtrockenheit, extrapyramidale Störungen, psychiatrische Störungen; kontraindiziert bei depressiven Schwangeren! Die Substanz gilt als sicher in der Schwangerschaft (48–50); neuere Daten zeigen jedoch ein erhöhtes Risiko für multifaktorielle Chylomikronämie (MCM) (35).
Serotoninantagonisten n Ondansetron: Während mehrerer Jahre galt die Anwen-
dung von Ondansetron in der Schwangerschaft als sicher hinsichtlich Teratogenität. Ondansetron ist Metoclopramid in seiner Wirksamkeit gegen Nausea nicht unterlegen und bei der Behandlung von Erbrechen in der Schwangerschaft sogar überlegen (45). Seit 2018 gibt es zunehmend Evidenz, dass das teratogene Risiko bei Anwendung im 1. Trimenon ansteigt: Ein erhöhtes Risiko für Gaumenspalte wurde in der Studie National Birth Defects Prevention nachgewiesen, und ein erhöhtes Risiko für Nierenagenesie oder -dysgenesie wurde in der Studie Slone Birth Defects gezeigt (51). Darüber hinaus wird ein erhöhtes Risiko für Ventrikelseptumdefekt bei fetaler Exposition im 1. Trimenon diskutiert (52). Im Gegensatz zu diesen Ergebnissen zeigen Daten aus einer amerikanischen Kohortenstudie (Jahre 2000–2014) mit über einer Million Frauen zumindest kein allgemein erhöhtes Risiko für schwere Fehlbildungen (53); ausserdem kann eine Vermischung bei der Ätiologie der Diagnose nicht völlig ausgeschlossen werden (54).
Kortikosteroide (Hydrocortison, [Methyl-]Prednisolon) Die Wirksamkeit von Kortikosteroiden im Vergleich zu Plazebo, Promethazin oder Metoclopramid wurde bei Frauen mit schweren Symptomen in 3 randomisierten, klinischen Studien unter-
IIa/III III III Ia/III III
IIb
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sucht. Verbesserungen wurden in allen Kortikosteroidgruppen Vorbeugung
festgestellt, aber es wurde nur ein signifikanter Unterschied Zwei Studien deuten darauf hin, dass bei einer nachfolgenden
zwischen Kortikosteroiden versus Metoclopramid berichtet (Re- Schwangerschaft die Gabe von Multivitamin- und Mineralstoff-
duktion von Erbrechen: 40,9% vs. 16,5% am Tag 2; 71,6% vs. präparaten vor oder während der Frühschwangerschaft die
51,2% am Tag 3; 95,8% vs. 76,6% am Tag 7 [n = 40, p < 0,001]) (27). Inzidenz von NVP reduziert. (55, 56). Obwohl es keine Studien- IIb Für den Fötus/Embryo ist Methylprednisolon unproblematisch, daten gibt, kann die präkonzeptionnelle Beratung einer da es durch das metabolisierende Plazentaenzym 11-beta- Schwangeren, die vorherig von NVP oder HG betroffen war, Ia Hydroxysteroid-Dehydrogenase Typ 2 (HSD2) inaktiviert wird. Informationen und Beruhigung bieten. Das erlaubt ebenfalls, Dosierung ein frühzeitiges und effektives Management zu planen, wenn es zu Symptomen von NVP oder HG kommt (57). IV Hier gelten die folgenden Empfehlungen: n Pyridoxin (Vitamin B6): 10 bis 25 mg, 8-stündlich p.o. oder 200 mg/Tag i.v. Datum des Expertenbriefs: 09. September 2021. Literatur: bei den Autorinnen und Autoren n Ingwer (Zintona®): 4 × 250 mg/Tag p.o. n Meclozin/Pyridoxin/Koffein (Itinerol B6®): maximal 4 × 25/25/25 mg/Tag p.o. oder 2 × 50/50/20 mg/Tag Supp. intra- Deklaration von Interessenkonflikten: BMT, IH und MH haben an Advisory Boards teilgenommen und/oder von EFFIK gesponserte Vorträge gehalten. DS: Advisory Board und Vorträge für EFFIK (Honorare zugunsten des klinischen Forschungsfonds). rektal n Doxylamin/Pyridoxin (Cariban®): maximal 4 × 10/10 mg/Tag p.o. n Chlorpromazin (Largactil® [Import]): 2 × 13 mg/Tag p.o. oder i.v. n Metoclopramid (Paspertin®, Primperan®): maximal 3 × 10 mg/ Tag p.o. oder i.v. n Ondansetron (Zofran®): 2 × 4 bis 8 mg/Tag p.o. oder i.v. n Methylprednisolon (Solu-Medrol®): 2 × 125 bis 250 mg/Tag i.v. * Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der Therapieangaben Evidenzlevel Ia Evidenz durch die Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten Untersuchungen Ib Evidenz durch mindestens eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung IIa Evidenz durch mindestens eine gut angelegte, kontrollierte Studie ohne Randomisierung IIb Evidenz durch mindestens eine gut angelegte andere quasi- experimentelle Studie III Evidenz durch gut angelegte, beschreibende Studien, die nicht experimentell sind, wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fallstudien IV Evidenz durch Expertenberichte oder Meinungen und/oder klinische Erfahrung anerkannter Fachleute Empfehlungsgrad A Es ist in der Literatur, die gesamthaft von guter Qualität und Konsistenz sein muss, mindestens eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung vorhanden, die sich auf die konkrete Empfehlung bezieht (Evidenzlevel Ia, Ib). B Es sind zum Thema der Empfehlung gut kontrollierte, klinische Studien vorhanden, aber keine randomisierten, klinischen Untersuchungen (Evidenzlevel IIa, IIb, III). C Es ist Evidenz vorhanden, die auf Berichten oder Meinungen von Expertenkreisen basiert und/oder auf der klinischen Erfahrung von anerkannten Fachleuten. Es sind keine qualitativ guten, klinischen Studien vorhanden, die direkt anwendbar sind (Evidenzlevel IV). ✔ Good-Practice-Punkt Empfohlene Best Practice, die auf der klinischen Erfahrung der Expertengruppe beruht, die den Expertenbrief/die Guideline herausgibt. Übersetzt aus dem Englischen (Quelle: RCOG Guidelines Nr. 44, 2006) 32 GYNÄKOLOGIE 1/2022