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SCHWERPUNKT
Hereditärer Brustkrebs
Beratung, Testung, Konsequenzen insbesondere für junge Frauen
Der Stellenwert einer genetischen Prädisposition in der Brustkrebstherapie ist vor allem bei jung erkrankten Frauen in den letzten Jahren stark gestiegen. Die Indikationsstellung einer genetischen Testung wird zunehmend weiter und das Resultat relevant für Diagnostik und Therapie. Der Artikel erläutert wichtige Aspekte der Beratung, Risikoabschätzung und Konsequenzen sowie Optionen der Primär- und Sekundärprävention für betroffene junge Frauen.
KATHRIN SCHWEDLER
Kathrin Schwedler
In der Schweiz ist Brustkrebs mit einem Anteil von knapp 30% die häufigste Krebserkrankung der Frau und die häufigste krebsbedingte Todesursache (1). Etwa 15% der Patientinnen, bei denen ein Mammakarzinom diagnostiziert wird, haben dabei mindestens eine weibliche Verwandte ersten Grades, die ebenfalls betroffen ist (2). Erst mit der Entdeckung der BRCA-Gene in den Jahren 1994 beziehungsweise 1995 konnte ein Zusammenhang zwischen einer familiären Brustkrebshäufung und dem Vorhandensein einer vererbten genetischen Prädisposition für die Entwicklung eines Mammakarzinoms bestätigt werden. Der weitaus grösste Teil der Mammakarzinome ist sporadischer Genese, der Anteil hereditärer Karzinome beträgt altersunabhängig nur etwa 5 bis 10%. Brustkrebserkrankungen treten zumeist ab dem fünften Lebensjahrzehnt auf, nur 5 bis 8% der Fälle betrifft Frauen, die bei der Diagnosestellung jünger als 45 Jahre alt sind. In dieser Altersgruppe findet sich jedoch ein grosser Teil der brustkrebsspezifischen Todesfälle, zudem bestätigt sich bei prämenopausal erkrankten Patientinnen deutlich häufiger eine gene-
Merkpunkte
n Etwa 5 bis 10% aller Mammakarzinome haben eine hereditäre Ursache. n Frauen, die vor dem 40. Lebensjahr an Brustkrebs erkranken, sollte, unabhängig von
der Familienanamnese, eine genetische Beratung und Testung angeboten werden. n Genetische Panelanalysen sind insbesondere bei jungen Frauen mittlerweile Standard
und sollten, abhängig von der Familienanamnese, mindestens die sogenannten Brustkrebs-Core-Gene (BRCA1, BRCA2, ATM, CHEK2, PALB2, PTEN, STK11, TP53) enthalten. n Jungen Patientinnen mit nachgewiesener BRCA-Mutation sollte die Option einer bilateralen risikoreduzierenden Nipple-Sparing-Mastektomie mit Sofortrekonstruktion aufgezeigt werden. Zu einer bilateralen Salpingo-Oophorektomie sollte ab dem 40. Lebensjahr klar geraten werden. n Der Einfluss einer bilateralen Mastektomie auf das brustkrebsspezifische und das Gesamtüberleben ist heterogen und signifikant assoziiert mit dem Tumorstadium, dem Erkrankungsalter und der Art der genetischen Mutation.
tische Prädisposition. Pathogene Mutationen in Brustkrebsrisikogenen finden sich dabei bei etwa 15% der sehr jungen Patientinnen, oft in hoch penetranten Genen wie BRCA1 oder BRCA2 (3) (Abbildung 1).
Genetische Beratung
Während in der Vergangenheit oft nur ein geringer Anteil der Brustkrebspatientinnen überhaupt über die Möglichkeit einer genetischen Beratung und Testung informiert wurde, ist das Wissen über erbliche Tumoren mittlerweile ins Bewusstsein der allermeisten Behandler getreten. Die Frage nach der Familienanamnese und das Screening auf Risikofaktoren sind in jedem zertifizierten Brustzentrum seit Jahren ein geforderter Standard. Ein junges Erkrankungsalter deutet grundsätzlich auf eine genetische Prädisposition für die Krebserkrankung hin. Von der Qualität einer genetischen Beratung hängt oft auch der Entschluss ab, eine genetische Analyse durchführen zu lassen. Der Anteil an Patientinnen, die genetische Untersuchungen in Anspruch nehmen, variiert zwar in unterschiedlichen Populationen, steigt aber seit Jahren stetig und ist vor allem bei den prämenopausal erkrankten Patientinnen hoch (4). Während in den USA in den Jahren 1993 bis 2002 lediglich 20% der Patientinnen unter 45 Jahren eine BRCA-Analyse erhielten, stieg die Anzahl bis 2014 immerhin auf knapp 35%. In den zertifizierten Brustzentren in der Schweiz dürfte der Anteil deutlich darüber liegen.
Risikoabschätzung Zur Abschätzung des Risikos stehen mittlerweile Tabellen unterschiedlicher nationaler und internationaler Fachgesellschaften zur Verfügung. In der Schweiz gebräuchlich sind die Leitlinien des Netzwerks für Beratung und Testung bei Krebsprädisposition (CTPC) der SAKK, die erstmals im Jahr 2017 und zuletzt im September 2021 in aktualisierter Form ver-
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Tabelle 1:
Schweizerische Leitlinie für die Zuweisung, die Risikokalkulation und die genetische Testung von Personen mit einem vermuteten Krebsprädispositionssyndrom (adaptiert nach [6])
1. Trägerschaftsdiagnostik
Testung bei familiär nachgewiesener pathogener Variante in BRCA1, BRCA2 oder in einem anderen Gen,
das ein hohes oder mittleres Risiko für Brust- und/oder Eierstockkrebs birgt
2. an Brustkrebs oder DCIS erkrankte Alter bei der Diagnose ≤ 40 Jahre (J.) (alle Fälle) oder ≤ 45 Jahre (nach Ermessen des Onkogenetikers)
Frauen und zusätzlich
Triple negativ (ER-, PR-1 und HER2-negativ) BC2 ≤ 60 J.
Bilateraler Brustkrebs (BC) oder zweiter primärer BC erste BC-Erkrankung < 50 J.
≥ 1 naher Verwandter3 mit BC (wenn nur ein Verwandter
betroffen ist, dann Alter bei Diagnose ≤ 50 J.)
Diagnosealter < 50 J. und
1 naher Verwandter mit BC ≤ 50 J.
unbekannte oder limitierte Informationen zur Familienanamnese4
Diagnose altersunabhängig und zusätzlich
≥ 2 nahe Verwandte mit BC
ein naher männlicher Verwandter mit BC
≥ 1 naher Verwandter altersunabhängig mit Eierstock- oder
Bauchspeicheldrüsenkrebs oder metastasiertem/intraduktalem/
cribriformen Prostatakrebs
3. an Eierstockkrebs erkrankte Frauen5 nicht muzinöser epithelialer Subtyp altersunabhängig6
4. an Brustkrebs erkrankte Männer
5. Ashkenazi-jüdische Abstammung
Abklärung der 3 pathogenen Founder-Mutationen in BRCA1 und BRCA2 unabhängig von der eigenen oder der
Familienanamnese7
6. aufgrund der Familienanamnese
Testung gesunder Personen bei fehlender Verfügbarkeit einer Indexperson mit ≥ 1 nahen Verwandten mit Brust- oder
Eierstockkrebs, der eines der oben genannten Kriterien erfüllt (Punkte II–IV)
7. somatische pathogene Variante
Keimbahnbestätigung einer pathogenen Variante in einem Gen, das ein hohes oder mittleres Risiko für Brust- und/oder
Eierstockkrebs birgt, nachgewiesen durch Tumorprofiling bei jedem Tumortyp
8. Bauchspeicheldrüsenkrebs
Exokriner Bauchspeicheldrüsenkrebs altersunabhängig (nach Tumorprofiling)
Nicht betroffene Personen und zusätzlich
Familiärer Bauchspeicheldrüsenkrebs (2 Verwandte ersten Grades
mit Bauchspeicheldrüsenkrebs)
≥ 3 Personen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs8
9. Prostatakrebs
Metastasiertes, intraduktales oder kribriformes Prostatakarzinom altersunabhängig (nach Tumorprofiling)
High-grade (Gleason Score ≥ 7) -Prostatakrebs
Ashkenazi-jüdische Abstammung
und zusätzlich
1 naher Verwandter mit Brustkrebs ≤ 50 J. oder Eierstock- oder
Bauchspeicheldrüsenkrebs oder metastasierendem/
intraduktalem/cribriformem Prostatakrebs
≥ 2 nahe Verwandte mit Brust- oder Prostatakrebs
altersunabhängig8
1 ER: Östrogenrezeptor; PR: Progesteronrezeptor 2 BC: Brustkrebs 3 Nahe Verwandte: Verwandte ersten oder zweiten Grades auf derselben Seite der Familie. Verwandte ersten Grades: Mutter/Vater, Schwester/Bruder, Tochter/Sohn. Verwandte zweiten Grades: Grosseltern, Tante/Onkel, Nichte/Neffe, Enkelkinder 4 Limitierte Familienanamnese: ≤ 2 weibliche nahe Verwandte, die älter als 45 Jahre sind, in beiden Abstammungslinien 5 Eierstockkrebs umfasst auch primären Peritonealkrebs und Eileiterkrebs 6 Alle epithelialen Ovarialkarzinome qualifizieren für eine genetische Analyse, vor allem aber high grade seröse Subtypen 7 BRCA1: c.68_69delAG, c.5266dupC; BRCA2: c.5946delT 8 In Familien, in denen nur Bauchspeicheldrüsenkrebs oder nur Prostatakrebs vorkommt, sollten auch andere Gene getestet werden, die mit dem erblichen Risiko für diese Tumoren assoziiert sind.
öffentlicht wurden (5). Die international umfassendsten Guidelines dürften vom US-amerikanischen National Comprehensive Cancer Network (NCCN) stammen. Sie werden zudem jährlich aktualisiert (6) (Tabelle 1). Mittlerweile gibt es in der gesamten Schweiz zahlreiche Zentren mit qualifizierten Ansprechpartnern, welche die Patientinnen kompetent beraten. Eine Auflistung findet sich auf der Homepage der SAKK: (www.sakk.ch/de/fuer-patienten/genetische-beratung). Frauen mit einer Brustkrebserkrankung, die aufgrund des Erkrankungsalters oder des histologischen Subtyps eine hereditäre Genese vermuten lässt, sollten dabei schon möglichst früh im Rahmen der Diagnosestellung und der Therapieeinleitung über diese Möglichkeit informiert und zu einer spezialisierten
genetischen Beratung ermutigt werden. Diese Beratung ist zum Beispiel während einer neoadjuvanten Systemtherapie zu empfehlen, die als präferierte Be-
sporadischer Brustkrebs (BC):
85%
hereditärer BC 15%
Hoch penetrante Gene: 25% moderat penetrante Gene: 5%
niedrig penetrante Gene: 70%
Abbildung 1: Anteil hereditärer Mammakarzinome bei jungen Frauen (adaptiert nach [3])
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Abbildung 2: Häufigkeit von Mutationen in BrustkrebsRisikogenen bei jungen Frauen (adaptiert nach [3])
handlung bei den sehr jungen Frauen mit Chemotherapie-Indikation üblicherweise gewählt wird. Im Rahmen der Beratung wird die Option einer genetischen Testung inklusive der möglichen Ergebnisse und sich daraus ergebender Konsequenzen ausführlich diskutiert – sie ist vom GUMG (Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen) vor einer DNA-Keimbahnanalyse vorgeschrieben, sollte sowohl vor als auch nach der Testung als persönliches Gespräch erfolgen und wird in diesem Setting nach Artikel 12.d der KLV von den Krankenkassen vergütet. Die genetische Beratung soll neben der Risikoeinschätzung den Betroffenen dabei helfen, die Bedeutung einer erblichen Tumorerkrankung, die Testergebnisse und die Auswirkungen auf sie selbst und ihre Familienangehörigen zu verstehen. Darüber hinaus werden die Vor- und Nachteile der verfügbaren Möglichkeiten zur Risikominderung vermittelt. Zwischen der Beratung beziehungsweise der Befundmitteilung und dem Entscheid für oder gegen prophylaktische operative Massnahmen – etwa dem Entschluss gegen eine Brusterhaltung zugunsten einer bilateralen Mastektomie – sollte ein genügend grosser Zeitraum liegen.
Genetische Testung
Seit der Entdeckung der BRCA-Gene wurden erhebliche Fortschritte bei der Identifizierung weiterer pathogener Keimbahnvarianten in Krebsprädispositionsgenen gemacht, die ebenfalls mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko in Verbindung gebracht wurden. Die Gesamtprävalenz pathogener Varianten in diesen Genen wird bei Frauen mit Brustkrebs auf etwa 5% geschätzt. Genetische Analysen zur Beurteilung eines familiären Brustkrebssyndroms werden wie alle genetischen Untersuchungen zu Prädispositionen, die erst im Er-
wachsenenalter relevant werden, ab dem Erreichen der Volljährigkeit angeboten. Sie umfassen mittlerweile meist nicht mehr nur die beiden am besten untersuchten Hochrisikogene BRCA1 und BRCA2, sondern – basierend auf dem familiären Krebsphänotyp – auch eine Reihe weiterer hoch oder moderat penetranter Risikogene in sogenannten MultigenPanels. Diese können je nach Labor beziehungsweise Wunsch des Auftraggebers variieren, enthalten aber in der Regel die in Tabelle 2 aufgeführten sogenannten Core-Gene. Es handelt sich dabei um Gene, in denen pathogene Varianten mit einer gewissen Häufigkeit nachgewiesen werden (u. a. CHEK2, ATM), und um solche, die zwar selten, aber im Falle einer pathogenen Variante mit weitreichenden klinischen Konsequenzen verbunden sind (u. a. TP53, STK11).
Brustkrebs-Risikogene
Prädisponierende genetische Varianten werden in Abhängigkeit vom relativen Risiko für eine Krebsentstehung klassifiziert. Dabei werden hoch penetrante Gene (relatives Risiko > 5-fach erhöht) von moderat penetranten Genen (relatives Risiko 1,5- bis 5-fach erhöht) unterschieden. Niedrig penetrante Gene sind dagegen in der Regel Polymorphismen, die mit einer Risikoerhöhung von bis zu 1,5 im Falle einer Genlocus-Variation einhergehen.
Hoch penetrante Gene Die meisten autosomal dominant vererbten Krebsprädispositionssyndrome werden durch pathogene Mutationen in hoch penetranten Genen verursacht. Zumeist sind diese in Prozesse der DNA-Reparatur, der Apoptose oder der Zellproliferation involviert. Während der Anteil hereditärer Brustkrebserkrankungen nur etwa 5% aller Erkrankungsfälle ausmacht, ist er bei den sehr jungen Patientinnen deutlich höher und variiert mit der Familienanamnese und dem histologischen Subtyp (Abbildung 2). In der Gruppe der sehr früh erkrankten Patientinnen ohne familiäre Mammakarzinombelastung liegt der Anteil an BRCA-Keimbahnmutationen bei zirka 10% und steigt bei positiver Familienanamnese auf 15%. Liegt ein hormonrezeptornegativer, schlecht differenzierter Subtyp vor, finden sich BRCA-Mutationen sogar bei bis zu 30% der Patientinnen (9). Pathogene Veränderungen in anderen Brustkrebsgenen machen einen kumulativen Anteil von 10 bis 15% aus. Sie bedingen andere Krebsrisikospektren (Tabelle 2). Hierbei haben Mutationen im CHEK2-Gen (2,5%) sowie im ATM-Gen (1,5%) und in PALB2 (1,2%) die höchste Prävalenz (10).
BRCA1/2 Pathogene Varianten in diesen Genen führen zum hereditären Brust- und Eierstockkrebssyndrom (HBOC), der häufigsten Ursache für eine erbliche
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Tabelle 2:
Brustkrebsassoziierte Risikogene – Übersicht
Hoch penetrante Gene und Tumorsymptome
Gen Syndrom
BC-Risiko Assoziation
BRCA1 Hereditärer Brust- und
60–80%
Ovarialkarzinom (35–59%)
Eierstockkrebs (HBOC)
TNBC
BRCA2
50–75%
Ovarialkarzinom (11–17%)
Prostata-, Pankreas-, viriles Mammakarzinom
CDH1 Hereditäres diffuses
40–60%
Lobuläres Mammakarzinom, frühes
Magenkarzinom
Erkrankungsalter bei Magenkarzinom
(Siegelringzellen, G3)
PTEN Cowden
67–85%
Makrozephalie, dermatologische Befunde
(Trichilemmome, Papeln, Lipome),
Hämangiome, AV-Malformationen,
gastrointestinale Polypen, Schilddrüsen-
tumoren, Endometriumkarzinom
TP53 Li Fraumeni
80–90%
Weichteil-, Osteosarkome, ZNS-Tumoren
Leukämie, Kolonkarzinom, adrenokortikale
Karzinome, frühes Erkrankungsalter,
Strahlensensitivität
STK11 Peutz-Jeghers
ca. 50%
GI-Polypen, mukokutane Pigmentation,
Dickdarm-, Magen-, Pankreas-, Zervix-,
Ovarialkarzinom, Hodentumoren
Moderat penetrante Gene, assoziiert mit einem Risiko für Brustkrebs
Gen BC-Risiko
Assoziation
ATM 2–7-fach
Magenkarzinom, kolorektales Karzinom,
Absolutes Risiko 15–40%
Pankreaskarzinom
Abhängig von Familienanamnese
CHEK2 2–3-fach bei CHEK2*1100delC
Prostatakarzinom, Nierenkarzinom,
Absolutes Risiko 15–40%
kolorektales Karzinom
Abhängig von Familienanamnese
PALB2 6–9-fach LZR ca. 41–60%
TNBC
Hochrisiko (je nach Familienanamnese)
Pankreaskarzinom
Abkürzungen: TNBC: triple negatives Mammakarzinom US: Ultraschall LJ: Lebensjahr TVUS: transvaginaler Ultraschall BC: Brustkrebs LZR: Lebenszeitrisiko
Screening Ab 25. LJ klinische Kontrolle (inkl. US) alle 6 Monate; jährliches MRI Mammografie alle 1 bis 2 Jahre (ab 40. LJ)
Mammadiagnostik alle 12 Monate (ggf.) inkl. MRI ab 30. LJ Regelmässige Gastroskopie/Biopsie oder prophylaktische Gastrektomie Jährliche Schilddrüsenuntersuchung (inkl. US) Hautuntersuchung Jährliche Mammadiagnostik (MX, MRI 30.–75. LJ) TVUS ab 30.–35. LJ Koloskopie bei Polypen Jährliches CT/MRI der Nieren ab 40. LJ Jährliches MRI ab 20. LJ, zusätzlich jährliche Mammografie ab 30. LJ
Screening ab Kindesalter (v. a. GI-Trakt) Jährliche Endoskopie Jährliche gynäkologische Untersuchung (inkl. TVUS/ Mammadiagnostik
Screening Jährliche Mammografie/Tomosynthese und (ggf.) MRI ab 40. LJ
Jährliche Mammografie/Tomosynthese und (ggf.) MRI ab 40. LJ
Jährliche Mammografie/Tomosynthese und MRI ab 30. LJ
Brustkrebserkrankung. Eine BRCA-Mutation führt bei betroffenen Frauen zu einem deutlich erhöhten Lebenszeitrisiko für eine Brustkrebserkrankung (ca. 70%). Bei BRCA1-Mutationen finden sich dabei häufiger tripel negative histologische Subtypen. Zudem ist das Risiko für eine nicht muzinöse Eierstockkrebserkrankung mit zirka 20 bis 40% ebenfalls deutlich erhöht. Männer mit einer BRCA-Mutation erkranken häufiger und oft in jüngeren Jahren an Prostatakrebs. Dieser ist zudem oft mit einer schlechten Prognose vergesellschaftet oder fällt durch einen hohen Gleason-Score auf. Virile Mammakarzinome sind eher mit einer BRCA2-Mutation assoziiert. Ebenfalls HBOC-assoziiert sind Bauchspeicheldrüsenkrebs, seltener auch Melanome oder Leukämien.
TP53 Mutationen im TP53-Gen führen zum Li-Fraumeni-Syndrom (LFS). Sie sind sehr selten, aber hoch penetrant und führen bereits im Kindesalter zu einem breiten Spektrum an verschiedenen Krebserkrankungen, allen voran Knochen- und Weichteilsarkomen sowie ZNS-Tumoren. Das Lebenszeitrisiko für eine Brustkrebserkrankung liegt bei weiblichen Mutationsträgerinnen bei etwa 60%.
CDH1 Pathogene CDH1-Mutationen sind assoziiert mit einem deutlich erhöhten Risiko für bereits in jungem Alter auftretende diffuse, siegelringzellhaltige Magenkarzinome und verursachen das hereditäre diffuse Magenkarzinomsyndrom (HDGC). Zudem liegt
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bei weiblichen Betroffenen das Lebenszeitrisiko für zumeist lobuläre Mammakarzinome bei über 50%.
STK11 Das Peutz-Jeghers-Syndrom (PJS) wird durch Mutationen im STK11-Gen verursacht und führt neben typischen klinischen Stigmata wie melanotischen HautundSchleimhautpigmentfleckenzugastrointestinalen Hamartomen sowie zu einem deutlich erhöhten Krebsrisiko. Karzinome manifestieren sich dabei vor allem im Magen-Darm-Trakt (57%). Das Lebenszeitrisiko für Brustkrebs bei weiblichen Mutationsträgerinnen liegt bei zirka 45%.
PTEN Mutationen in diesem Gen führen zum Cowden- beziehungsweise PTEN-Hamartoma-Tumorsyndrom (PHTS), welches mit einem sehr heterogen erhöhten Krebsrisiko assoziiert ist. Neben dem gehäuften Auftreten von Schilddrüsen-, Nieren- und Endometriumkarzinomen ist bei weiblichen Betroffenen das Risiko für ein oft bereits früh auftretendes Mammakarzinom mit > 80% stark erhöht.
Moderat penetrante Gene ATM Abhängig von der Anzahl an Brustkrebs erkrankter Familienangehöriger führen heterozygote Mutationen im ATM-Gen zu einem 2- bis 7-fach erhöhten Brustkrebsrisiko sowie zu einem gering höheren Risiko für gastrointestinale Tumoren und Pankreaskarzinome.
CHEK2 Genetische Veränderungen im CHEK2-Gen führen ebenfalls abhängig von der Familienanamnese zu einem etwa 3-fach erhöhten Lebenszeitrisiko für Brustkrebs. Vor allem die häufigste und am besten untersuchte Variante 1100delC scheint mit einem frühen Erkrankungsalter assoziiert zu sein. Zudem treten gehäuft gastrointestinale und Prostatakarzinome auf.
PALB2 PALB2 ist als Partner von BRCA2 an DNA-Reparaturvorgängen beteiligt. Auch PALB2-Mutationen scheinen ein frühes Erkrankungsalter zu begünstigen. Das Lebenszeitrisiko für eine Brustkrebserkrankung ist bei Mutationsträgerinnen um das 7-Fache erhöht. Gehäuft liegt ein tripelnegativer Subtyp vor. Darüber hinaus besteht ein geringgradig erhöhtes Risiko, an einem Pankreaskarzinom zu erkranken. Hinweise gibt es zudem für ein erhöhtes Ovarialkarzinomrisiko (Tabelle 2).
Konsequenzen für betroffene junge Frauen
Die Bewertung des genetischen Risikos bei jungen Frauen nach einer Brustkrebsdiagnose hat nicht sel-
ten Auswirkungen auf spätere klinische Behandlungsentscheidungen. Insbesondere die ärztliche Empfehlung, die notwendige Operation durch zusätzliche risikoreduzierende Eingriffe zu ergänzen, also anstelle der Brusterhaltung eine bilaterale prophylaktische Mastektomie anzustreben, sollte möglichst immer auf der Basis einer genetischen Analyse getroffen werden. Dabei ist es jedoch unabdingbar, sowohl das Resultat der Genetik als auch die Prognose beziehungsweise das Risiko für ein Rezidiv der bereits bestehenden Krebserkrankung zu berücksichtigen. Das verdeutlichen die Daten einer Studie von Van den Broek und Kollegen (11). Hier betrug das kumulative 10-JahresRisiko für das Auftreten eines ipsi- oder kontralateralen Zweitkarzinoms bei Brustkrebspatientinnen mit unauffälliger Genetik insgesamt 5,1%. Mit 7,2% nur unwesentlich höher war das Risiko für eine nach dem 40. Lebensjahr erkrankte BRCA2-positive Patientin, das Risiko für eine vor dem 40. Lebensjahr erkrankte BRCA1-Mutationsträgerin lag dagegen mit 25,5% weitaus höher. Das Risiko für eine Zweiterkrankung wird bei Patientinnen mit einem hormonrezeptorpositiven Mammakarzinom zusätzlich durch die Einnahme einer endokrinen Therapie weiter gesenkt. Ob dieser Effekt durch eine bilaterale Salpingo-Oophorektomie, die BRCA-Mutationsträgerinnen ab dem 40. Lebensjahr klar empfohlen werden sollte, zusätzlich verstärkt werden kann, ist nicht abschliessend geklärt. Sicher ist aber der deutliche Benefit zur Prävention einer möglichen Eierstockkrebserkrankung. Die Nachsorge junger Brustkrebspatientinnen mit nachgewiesenen pathogenen genetischen Varianten sollte sich an den Leitlinienempfehlungen orientieren und ein jährliches Mamma-MRI beinhalten.
Prophylaktische Massnahmen bei BRCA-Mutationsträgerinnen Jungen Frauen mit einer BRCA-Mutation sollte die Möglichkeit einer bilateralen Mastektomie jedoch grundsätzlich aufgezeigt werden. Hierbei sollten in Abhängigkeit von Tumorstadium und -lokalisation möglichst eine Nipple-Sparing-Mastektomie sowie die gleichzeitige Rekonstruktion mit Implantat oder Eigengewebe angeboten werden. Die Entscheidung für oder gegen das Operationsverfahren liegt bei der Patientin selbst, die Therapie wie bei einem sporadischen Karzinom ist immer ebenfalls vertretbar. Ob durch eine bilaterale prophylaktische Mastektomie bei BRCA-Mutationsträgerinnen ein Überlebensvorteil erreicht werden kann, wurde lang kontrovers diskutiert und ist ebenfalls abhängig vom Stadium der Ersterkrankung und der Art der Mutation (12). Eine im Herbst 2021 publizierte Metaanalyse von Jia und Kollegen (13) zeigte zuletzt jedoch sowohl für das Gesamtüberleben als auch für das brustkrebs-
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spezifische Überleben signifikante Vorteile für die
prophylaktische Operation.
Die Entscheidung für eine bilaterale prophylaktische
Mastektomie bei Trägerinnen von Mutationen in Ge-
nen mit moderatem Risiko wie CHEK2 und ATM so-
wie gegebenenfalls PALB2 sollte dagegen eher zu-
rückhaltend gestellt werden. Wichtig ist hier immer
die individuelle differenzierte Beurteilung, gegebe-
nenfalls der Einzelfallentscheid in Abhängigkeit von
der Familienanamnese.
n
Dr. med. Kathrin Schwedler Frauenklinik Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern E-Mail: kathrin.schwedler@luks.ch
Interessenkonflikte: keine.
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