Transkript
SCHWERPUNKT
PCOS und Kinderwunsch
Heutige Behandlungsansätze in der Evaluation
Das Syndrom der polyzystischen Ovarien (PCOS) beinhaltet Störungen im Menstruationszyklus, einschliesslich der chronischen Anovulation. In der Folge geht das PCOS oft mit einer langen Dauer bis zum Schwangerschaftseintritt einher. Mehrere Expertengruppen evaluierten Wirksamkeit und Stellenwert der heutigen Behandlungsmöglichkeiten bei Kinderwunsch. Im Artikel werden aktuelle Therapien für die (spezialisierte) gynäkologische Praxis zusammengefasst.
CHRISTIAN DE GEYTER
Christian De Geyter
Das PCOS ist die häufigste endokrine Störung der Frau in der reproduktiven Lebensphase. Trotz der Prävalenz von zirka 5 bis 6% ist das klinische Bild nicht scharf umrissen. Die Rotterdam-Kriterien wurden 2004 veröffentlicht und haben zu einer gewissen Vereinheitlichung der diagnostischen Kriterien beigetragen: Zyklusstörungen mit chronischer Anovulation, Hyperandrogenämie und/oder Hyperandrogenismus und polyzystische Morphologie der Ovarien (1). Unter den drei Kriterien für PCOS ist die chronische Anovulation für die Nichterfüllung des Kinderwunsches massgeblich. Die Diagnose PCOS ist bei einer Patientin mit ungewollter Kinderlosigkeit und mit einem regelmässigen Menstruationszyklus somit äusserst unwahrscheinlich.
Mechanismen für die chronische Anovulation bei PCOS
Je nach Phänotyp der Frau (schlank oder übergewichtig) sind unterschiedliche Mechanismen für die chronische Anovulation bei PCOS verantwortlich: Bei einer schlanken Frau mit PCOS ist die neuroendokrine Komponente des PCOS, die im Rahmen der Rotterdam-Kriterien unberücksichtigt blieb, für die Störungen im Menstruationszyklus verantwortlich. Die Aktivierung der GnRH-Neuronen im Hypothalamus durch das Anti-Müller-Hormon (AMH) ist für
Merkpunkte
n Bei einer Patientin mit regelmässigen Menstruationszyklen kann ein PCOS nicht die Ursache der ungewollten Kinderlosigkeit sein.
n Wenn ein PCOS die einzige Ursache für die ungewollte Kinderlosigkeit ist, ist die Gabe eines Aromatasehemmers die Therapie der ersten Wahl.
n Aufgrund der negativen Auswirkung von Clomiphenzitrat auf Zervixdurchlässigkeit und Endometriumproliferation ist Clomiphenzitrat weniger wirksam als Letrozol.
n Jegliche medikamentöse Induktion der Follikelreifung bei PCOS erfordert aufgrund des Risikos für eine Polyovulation und somit für eine Mehrlingsschwangerschaft eine sorgfältige Beobachtung der Follikelreifung mit Ultraschall.
die gegenüber der FSH-Konzentration im Serum erhöhte LH-Konzentration verantwortlich (2). Sie bewirkt die von der Theca interna in den Ovarien ausgehende Hyperandrogenämie und verhindert durch die androgenbedingte Hemmung der Zellteilungen in der Granulosa die Follikelentwicklung. Adipositas prägt das klinische Bild des PCOS beim überwiegenden Anteil der betroffenen Frauen. Die mit dem Übergewicht einhergehende Insulinresistenz bewirkt eine Hyperplasie der Thekazellen und verstärkt die Ausprägung des PCOS. Adipositas ist allerdings lediglich ein «confounding factor», nicht die Ursache des Krankheitbildes. Die mit der Adipositas einhergehende Insulinresistenz senkt die Produktion des Sex-Hormone-Binding-Globulins (SHBG) in der Leber (3), wodurch die freie Androgenwirkung noch zusätzlich verstärkt wird. Im Lichte dieser konzeptuellen Entwicklungen und im Verständnis für die Zusammenhänge der zum PCOS beitragenden Faktoren muss die Wirksamkeit der verschiedenen Therapiestrategien bei Kinderwunsch betrachtet werden.
Medikamente zur Ovulationsinduktion
Aromatase-Inhibitoren Aromatase-Inhibitoren verhindern im Ovar die Umwandlung von Androgen in Östrogen und verursachen in der Folge eine vermehrte Freisetzung von FSH aus der Hypophyse. Bei der Behandlung des PCOS wurde bislang überwiegend Letrozol eingesetzt, Anastrozol viel seltener. Mehrere prospektive, randomisierte Studien haben gegenüber Clomiphenzitrat die höhere Wirksamkeit von Letrozol demonstriert (4). Aufgrund der kurzen Halbwertszeit des Letrozols ist eine teratogene Wirkung äusserst unwahrscheinlich. Die Verträglichkeit ist ausgezeichnet, und Nebenwirkungen (wie Hitzewallungen) sind selten und vorübergehend. Somit werden heute Aromatase-Inhibitoren, besondes Letrozol, als Therapie der ersten Wahl bei PCOS eingestuft (4–6), vorausgesetzt, die chronische Anovulation ist die einzige
GYNÄKOLOGIE 4/2021
17
SCHWERPUNKT
zur Infertilität des Paares beitragende Ursache. Letrozol (tägliche Dosis: 2,5 mg bis maximal 7,5 mg) wird üblicherweise vom 5. bis zum 9. Tag nach der (induzierten) Menstruation verabreicht. Eine sonografische Überwachung der Follikelreifung ist dringend notwendig, da eine Mehrfachovulation und damit eine Mehrlingsschwangerschaft grundsätzlich möglich ist. Sobald ein dominanter Follikel rekrutiert wurde und herangereift ist, wird die Ovulation mit Schwangerschaftshormon (humanem Choriongonadotropin, hCG) induziert. Zu beachten: Letrozol zur Ovulationsinduktion ist eine Off-label-Anwendung.
Clomiphenzitrat Clomiphenzitrat ist ein selektiver Östrogenrezeptormodulator und bewirkt, ähnlich wie Letrozol, eine vermehrte Freisetzung von FSH in der Hypophyse. Im Gegensatz zu den Aromatasehemmern beeinträchtigt Clomiphenzitrat oft die Spinnbarkeit des Zervikalmukus sowie den Aufbau des Endometriums. Diese ungünstige Auswirkung trägt überwiegend zur gegenüber dem Letrozol geringeren Wirksamkeit des Clomiphenzitrats bei. Clomiphenzitrat (Dosierung: 50 mg bis maximal 150 mg täglich) wird bei PCOS vom 5. bis zum 9. Zyklustag verabreicht, und die Follikelreifung muss unbedingt sonografisch überwacht werden, da Mehrfachovulationen und damit Mehrlingsgeburten möglich sind. Die Halbwertszeit des Clomiphenzitrat beträgt zirka 5 Tage. Nebenwirkungen sind selten und bestehen aus Kopfschmerzen und Sehstörungen. Clomiphenzitrat ist in der Schweiz seit 2017 nicht mehr in der Apotheke erhältlich.
Metformin Metformin ist ein orales Antidiabetikum, es reguliert den Glukosestoffwechsel und vermindert die Insulinwirkung. Da viele Frauen mit PCOS insulinresistent sind, wurde Metformin (meistens in einer Dosierung von 1500 mg pro Tag) mit oder ohne zusätzliches Clomiphenzitrat zur Ovulationsinduktion verwendet. Auch als Monopräparat wurde eine gewisse Wirksamkeit des Metformins bei PCOS in Studien belegt. Metformin ist wirksamer bei übergewichtigen betroffenen Frauen (7). Im Gegensatz zu Letrozol und Clomiphen wird Metformin als Dauerbehandlung verabreicht. Die Wirkung tritt etwa 2 Wochen nach Beginn der Einnahme ein. Nebenwirkungen wie Übelkeit, Bauchschmerzen und Durchfall treten zumeist zu Beginn der Einnahme auf und sind oft nur vorübergehend. Sowohl die Häufigkeit von Ovulationen als auch die klinische Schwangerschaftsrate nehmen unter Einnahme von Metformin zu, nicht jedoch die Lebendgeburtenrate (8).
Gonadotropine Die Follikelreifung kann bei PCOS auch mit einem niedrig dosierten Gonadotropin-Präparat induziert
werden. Aufgrund des Follikelreichtums der polyzystischen Ovarien und der vermehrten Ansprechbarkeit auf FSH ist neben der niedrigen Dosierung eine intensive Überwachung der Anzahl und der Grösse der heranreifenden Ovarialfollikel unerlässlich. Ziel der Gonadotropin-Behandlung ist im Prinzip die Rekrutierung eines einzelnen Eibläschens, welches zum geeigneten Moment mit Schwangerschaftshormon (hCG) oder mit einem GnRH-Agonisten (zur endogenen LH-Ausschüttung) zur Ovulation gebracht werden kann. Eine solche Behandlung erfordert eine erhebliche fachliche Expertise über die gesamte Dauer des Behandlungsvorgangs (auch am Wochenende und an Feiertagen). Besonders bei PCOS ist dennoch das Risiko für eine Mehrfachovulation und damit für eine Mehrlingsschwangerschaft erhöht. Die Kosten für die Gonadotropin-Präparate und die Überwachung sind erheblich. Vor Beginn der Therapie muss ein Antrag zur Kostenübernahme bei der Krankenkasse gestellt werden.
Assistierte Reproduktionsmedizin
Das PCOS als alleinige Ursache für eine ungewollte Kinderlosigkeit ist keine unmittelbare Indikation für eine Behandlung mit assistierter Reproduktion. Wenn das PCOS in Zusammenhang mit Verschluss der Eileiter oder mit Beeinträchtigung der Zeugungsfähigkeit des Partners diagnostiziert wird, ist eine Behandlung mit der assistierten Reproduktionsmedizin indiziert. Aufgrund des Follikelreichtums der Ovarien und der stark vermehrten Ansprechbarkeit der einzelnen Follikel auf das jeweils verabreichte Gonadotropin-Präparat ist ein ovarielles Überstimulationssyndrom (OHSS) jederzeit möglich. Letzteres kann allerdings nur auftreten, wenn hCG zur Ovulationsinduktion verabreicht wird oder wenn es unmittelbar im stimulierten Behandlungszyklus nach einem Embryotransfer zur Schwangerschaft kommt. Heute ist in dieser Situation ein OHSS fast immer vermeidbar, wenn im Rahmen einer mit einem GnRH-Antagonisten kombinierten Behandlung die endogene LH-Ausschüttung mit einem GnRH-Agonisten ausgelöst wird und alle entstandenen Embryonen (maximal 12) kryokonserviert werden (im Sinne eines «freeze all»-Protokolls).
«Ovarian drilling»
Zur Verkleinerung der ovariellen Hyperplasie sowie zur histologischen Sicherung wurden in der Vergangenheit Teilovariektomien durchgeführt. Beobachtungsstudien zeigten, dass es nach solchen operativen Eingriffen unerwartet oft zu regelmässigen Menstruationszyklen kam und gelegentlich auch zu Spontankonzeptionen. Später wurden anstatt Laparotomien laparoskopische Eingriffe durchgeführt, um die Kapsel der Ovarien entweder mit Strom oder mit Laser zu durchlöchern. Obwohl kumulative Schwan-
18 GYNÄKOLOGIE 4/2021
SCHWERPUNKT
gerschaftsraten von bis zu 88% und kumulative Lebendgeburtenraten von bis zu 78% beschrieben wurden (9), stellen die Invasivität dieses Verfahrens sowie das geringe Mass an Standardisierung bei der Kapseleröffnung wesentliche Nachteile gegenüber der Wirksamkeit der medikamentösen Ovulationsinduktion da. Darüber hinaus bleibt das Risiko für eine sekundäre Ovarialinsuffizienz nach übermässiger Kapselzerstörung und für eine Bildung der Adhäsion im Peritoneum.
Anpassung des Lebensstils
Zur ärztlichen Beratung bei PCOS gehören auch As-
pekte wie die Kontrolle des Körpergewichts, ange-
messene sportliche Betätigung und gesunde Ernäh-
rung (10), besonders wenn die betroffene Patientin
zusätzlich zur Grunderkrankung (diagnostiziertem
PCOS) übergewichtig ist. Falls eine Insulinresistenz
vorliegt, muss eine diabetogene Stoffwechsellage
mit einem oralen Glukosetoleranztest ausgeschlos-
sen werden. Zu bedenken ist ebenfalls, dass das
PCOS häufig mit einer depressiven Stimmungslage
einhergeht. Die Verabreichung eines Medikaments
zur Ovulationsinduktion darf auf keinen Fall eine fun-
dierte Beratung ersetzen.
n
Prof. Christian De Geyter Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie Universitätsfrauenklinik Universitätsspital Basel 4031 Basel E-Mail: christian.degeyter@usb.ch
Interessenkonflikte: keine.
Quellen: 1. Rotterdam ESHRE/ASRM-Sponsored PCOS consensus workshop group.: Revised 2003 consensus on diagnostic criteria and long-term health risks related to polycystic ovary syndrome (PCOS). Hum Reprod 2004; 19: 41-47. 2. Cimino I, Casoni F, et al.: Novel role for anti-Müllerian hormone in the regulation of GnRH neuron excitability and hormone secretion. Nat Commun 2016; 7: 10055. 3. Ding EL, Song Y, et al.: Sex hormone-binding globulin and risk of type 2 diabetes in women and men. N Engl J Med 2009; 361: 1152-1163. 4. Teede HJ, Misso ML, et al.: International PCOS Network. Recommendations from the international evidence-based guideline for the assessment and management of polycystic ovary syndrome. Hum Reprod 2018; 33: 1602-1618. 5. Costello MF, Misso ML, et al.: International PCOS Network. Evidence summaries and recommendations from the international evidence-based guideline for the assessment and management of polycystic ovary syndrome: assessment and treatment of infertility. Hum Reprod Open 2019; 2019: hoy021. 6. Hoeger KM, Dokras A, et al.: Update on PCOS: Consequences, Challenges, and Guiding Treatment. J Clin Endocrinol Metab 2021; 106: e1071-e1083. 7. Guan Y, Wang D, et al.: The Effect of Metformin on Polycystic Ovary Syndrome in Overweight Women: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. Int J Endocrinol 2020; 2020: 5150684. 8. Sharpe A, Morley LC, et al.: Metformin for ovulation induction (excluding gonadotrophins) in women with polycystic ovary syndrome. Cochrane Database Syst Rev 2019; 12: CD013505. 9. Lunde O, Djøseland O, et al.: Polycystic ovarian syndrome: a follow-up study on fertility and menstrual pattern in 149 patients 15–25 years after ovarian wedge resection. Hum Reprod 2001; 16: 1479-1485. 10. Hoeger KM, Kochman L, et al.: A randomized, 48-week, placebo-controlled trial of intensive lifestyle modification and/or metformin therapy in overweight women with polycystic ovary syndrome: a pilot study. Fertil Steril 2004; 82: 421-429.