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SCHWERPUNKT
Kutane Androgenisierung bei Frauen
Dermatologische Abklärung und Therapie
Bei polyzystischen Ovarien führt gerade die endokrine Dysregulation zu hartnäckigen Androgenisierungserscheinungen an der Haut, welche nicht selten erst die Grunderkrankung vermuten lassen und dann am besten pluridisziplinär angegangen werden. In diesem Artikel werden Ursachen, Formen, Diagnostik und Therapie aus Sicht des Dermatologen für die Praxis dargestellt.
S. MORTEZA SEYED JAFARI1, PIERRE DE VIRAGH1, 2
S. Morteza Seyed Jafari Pierre de Viragh
Der Leidensdruck bei betroffenen Frauen ist sehr hoch – wir finden oft «mehr Tränen in der Haarsprechstunde als in der Melanomsprechstunde» –, denn bei Störung des Haarwachstums ist häufig die Selbstwahrnehmung als Frau infrage gestellt. Kutane Androgenisierung ist die Folge exzessiver Androgenwirkung an den wichtigsten Zielstrukturen in der Haut, den Haarfollikeln und Talgdrüsen: n Seborrhö mit oder ohne Akne n Alopezie der Kopfhaare n Hirsutismus, abzugrenzen wäre eine genetisch-
ethnische Hypertrichose.
Pathophysiologische Gründe
Ursächlich ist zu unterscheiden zwischen n Hyperandrogenämie mit Erhöhung der Konzen-
tration verschiedener Androgene im Blut, ausgelöst durch eine endokrine Dysregulation mit gesteigerter Sekretion von Androgenen, und n Hyperandrogenie, bei der die Androgene normwertig sind. Deren Wirkung an der Haut wird aber individuell-konstitutionell akzentuiert durch
1 Klinik für Dermatologie, Inselspital, Universitätsspital Bern 2 Privatpraxis Zürich
Merkpunkte
1. Häufigster Grund der erfolglosen Behandlung einer androgenetischen Alopezie ist das Nichterkennen anderer zusätzlicher Ursachen für den Haarausfall.
2. Bei schwerer androgenetischer Alopezie ist das Gestagen der antiandrogenen Pillen (COC) für eine Wirkung am Haarfollikel ungenügend dosiert.
3. Bei starker Disposition für Akne wird eine nur endokrine Therapie langfristig zu deren Rezidiv führen (Isotretinoin-Kur ist vor dem Kinderwunsch abzuschliessen).
4. Stark entzündliche Akne neigt unter Isotretinoin zur Exazerbation (zwingende Überweisung an den Dermatologen).
• Östrogen als Gegenspieler der Androgene (oft unmessbar tief) erniedrigt aufgrund – nicht kompensierter Hemmung der ovariellen Östrogensekretion durch eine reine Gestagenpille – ungenügend kompensierter Ovarhemmung durch eine kombinierte orale Kontrazeption – menopausalen Hypogonadismus (1)
• kombinierte orale Kontrazeptiva (COC) mit androgener Teilwirkung (COC erster und zweiter, z. T. auch dritter Generation)
• Mangel an nutritiven Elementen, bedingt verstärkte Hormonwirkung (v. a. bei Alopezie) (2): Vitamin-B12-Mangel oder Eisenmangel
• verstärkte Metabolisierung in der Haut zu potenteren Androgenen durch IGF-1 bei gesteigerter Insulinsekretion (Insulinresistenz, kalorienreiche Ernährung) (3)
• genetisch-familiär oder individuell-konstitutionell verstärkte Hormonwirkung durch – vermehrte Umwandlung von Testosteron aufgrund der 5a-Reduktase in das stark wirksame Dihydrotestosteron – verstärkte Aktivität der Androgenrezeptoren.
Die Symptome der kutanen Androgenisierung, Alopezie, Hirsutismus und Seborrhö/Akne, können isoliert oder frei kombiniert vorkommen. Eine Kombination sowie eine starke Ausprägung oder Therapieresistenz weisen auf eine echte endokrine Störung und begründen eine vertiefte endokrinologische Abklärung, ganz besonders wenn Zyklusunregelmässigkeiten bestehen (vgl. Artikel von I. Magaton in diesem Heft; ergänzende Untersuchungen werden hiernach vorgeschlagen). Die Androgenisiserungserscheinungen können sowohl bei Hyperandrogenämie als auch bei Hyperandrogenie endokrin oder nicht endokrin behandelt werden, die Kombination dieser beiden liefert die
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schnellsten und besten Resultate. Die Kombination verschiedener endokrin-antiandrogen wirksamer Präparate erzielt dagegen nur bei wenigen Patientinnen einen zusätzlichen Effekt. Es empfiehlt sich also zu Beginn eine endokrine Monotherapie, und sei es nur, um nicht von Anfang an alles «verschossen zu haben», und bei Bedarf zusätzliche nicht endokrine Behandlungen. Erst bei unzureichender Besserung ist die additive Gabe eines weiteren endokrin wirkenden Präparats mit möglichst unterschiedlichem Wirkungsmechanismus zu erwägen.
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Abbildung: AGA bei 18-jähriger Patientin ohne Hyperandrogenämie oder weitere Androgenisierungszeichen: 1 Jahr Monotherapie mit Diane-35®+ Cyproteronacetat (50 mg für 6 Monate, dann 25 mg, Tage 1–15).
Androgenetische Alopezie
Die androgenetische Alopezie (AGA) ist die komplexeste der Androgenisierungserscheinungen. Fehlbeurteilungen und -behandlungen sind häufig. Meist scheitert die Behandlung am Nichterkennen von zusätzlichen Ursachen des Haarausfalls, was zur Frustration von Patientin und Arzt beiträgt. Aufgrund unterschiedlicher Ausprägung der testosteronabbauenden Aromatase und der Androgenrezeptoren ist die Okzipitalregion vor einem hormonell bedingten Haarausfall weitgehend geschützt: Eine gegenüber den anderen Zonen am Hinterkopf dichtere Kopfbehaarung erlaubt die Abgrenzung gegen andere Formen des Haarausfalls, welche aber zusätzlich vorliegen können. Mit dem Alter kommt es unter dem Einfluss der Androgene am Kopfhaar zu einer zunehmenden Verkürzung der Anagen-Wachstumsphase und zu einer Miniaturisierung der Haare. Die Patientinnen beklagen, dass «die jungen (kurzen) Haare ausfallen» oder dass die «Haare nicht mehr lang werden». Da es sich um einen physiologischen Alterungsprozess handelt, ist eine Therapie nur bei übermässiger Ausprägung angezeigt.
Untersuchung Der männliche Typ MAGA (= «Geheimratsecken» sehr vertieft, zentrale Ausdünnung bei erhaltener Haardichte parietal bis zur Vertex-Glatze) wird abgegrenzt vom weiblichen Typ FAGA («Geheimratsecken» nur wenig vertieft, frontaler Haarsaum erhalten, auch parietale Ausdünnung, zentrale Ausdünnung ohne eigentliche Glatze). Beide Formen kommen bei beiden Geschlechtern vor. Die FAGA wird nach Ludwig gradiert: n L1: unterschiedliche Haardichte nur bei Inspektion
mit der Knopfsonde erkennbar, physiologisch ab 30. Lebensjahr n L2: zentral reduziertes Volumen auf Distanz sichtbar, physiologisch ab Menopause n L3: Kopfhaut durch verbleibende Haare sichtbar, physiologisch ab «drittem Alter» (Pensionsalter). Beim Traktionstest (energisches Zupfen an einem Büschel Haare) zieht man nur parietozentral, nicht aber okzipital viele Haare aus. Eine MAGA vor der Menopause oder eine Ludwig-Ausprägung zwei Stufen
über das für das Alter Normale sind weitere Hinweise für eine mögliche endokrine Störung.
Labordiagnostik Bei entsprechendem Verdacht erfolgt die endokrinologische Evaluation der Androgene. Immer oder zusätzlich, weil bei Mangel eine AGA verstärkt oder erst demakiert wird, zu untersuchen: Ferritin (inkl. CRP und ALAT, Ferritin unspezifisch erhöht bei Entzündung und Hepatopathie), Vitamin B12, Zink, Biotin, antinukläre Antikörper, TSH, bei Verdacht auch Lues. Bei Haarausfall trotz antiandrogener COC: Östrogen unter Pille. Bei nicht hormonsubstituierter Menopause: Östrogen, Testosteron, DHEA-S. Bei der Ferritinkontrolle ist zu beachten: Das Intervall zu einer Eiseninfusion soll 8 bis 10 Wochen, zu einer peroralen Substitution 3 Wochen betragen, um nicht falsch hohe Werte zu erhalten. Die Biotin-Einnahme kann die Werte von TSH und Östrogen verfälschen. Zur Abgrenzung gegen ein internistisches diffuses Effluvium kann vom Dermatologen ein Trichogramm angelegt werden: Abweichungen von den Normwerten auch im Hinterkopfbereich sprechen für einen zusätzlichen, nicht hormonellen Haarausfall.
Therapie Eine etwaige Hyperandrogenämie muss mit einer Behandlung der Grunderkrankung (PCOS usw.) endokrinologisch angegangen werden. Auch wenn die Androgene keine Normabweichung zeigen, sind antiandrogen wirkende Therapeutika wirksam (antiandrogene COC, Cyproteronacetat [Androcur®], Spironolacton [Aldactone®]) (Abbildung). Zu beachten ist, dass die antiandrogenen Gestagene der COC für eine Wirkung am Haarfollikel in schweren Fällen unterdosiert sind und dass Cyproteronacetat zugegeben werden muss; Spironolacton unter 100 mg pro Tag hat nur beschränkte Wirkung (4); Spironolacton ist auch bei Status nach Mammakarzinom möglich (5). Migrantinnen aus Spanien sind oft mit Flutamid vorbehandelt. Es wirkt äquivalent zu den hierzulande verwendeten Therapien und ist bei tiefer Dosierung sicher; es muss bei ihnen nicht abgesetzt werden.
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Kasten 1:
Dermatologische Behandlungen des Haarausfalls (ohne endokrine Therapien)
Topische Behandlungen • Minoxidil (Regaine®): Goldstandard der AGA-Therapie (hat deswegen die Ärzteschaft
denkfaul gemacht, welche dieses reflexartig verordnet.) Zu bedenken ist: – «Minoxidil bedeutet lebenslänglich»: Beim Absetzen erfolgt nach 2 bis 3 Monaten ein
Rebound, Absetzen ist bei einer Schwangerschaft notwendig. – Die 2%- und die 5%-Lösung müssen 2 × pro Tag angewandt werden; die 5%-Lösung
wirkt nicht besser, besitzt aber ein grösseres Risiko für eine Hypertrichose im Gesicht (6). – Anwendung nur auf trockenem Kopfboden, keine Massage (je mehr manipuliert wird,
desto mehr geht ins Haar, wo es nichts nützt). – Proaktive Information über das Shedding (vermehrter Haarausfall in den ersten
2 Monaten der Anwendung. • Alfatradiol (17α-estradiol) (Ell-Cranell®, Galderma Deutschland) topisch: ohne Östro-
genwirkung, wirkt als lokaler 5α-Reduktase-Hemmer. Einmal täglich. Beschränkte Wirkung und Datenlage.
Systemische Behandlungen • Minoxidil (Loniten®): Bei tiefer Dosierung (2,5 mg/Tag) sind die bei antihypertensiver
Dosierung gefürchteten Nebenwirkungen sehr selten (bei höherer Dosierung grössere Gefahr für eine Hypertrichose) (7). Eignet sich nur bei kardiovaskulär Gesunden und vor allem, wenn eine topische Anwendung unmöglich ist. Auch hier Rebound beim Absetzen und Shedding in der Anfangsphase. • 5α-Reduktase-Hemmer (Finasterid [Proscar®], Dutasterid [Avodart®]): Endokrin wirksam. Sie sind bei der Frau in ein bis zwei Drittel der Fälle hilfreich und vor allem bei erhöhtem DHT indiziert (8), sonst nur zweite Wahl oder in Kombination mit anderen Massnahmen. Finasterid-Dosierung bei der Frau 2,5 bis 7,5 mg/Tag; Dutasterid ist effizienter, aber wegen der langen Eliminationszeit ein Reservemedikament. Topische 5α-Reduktase-Hemmer sind in Entwicklung.
Zusatzbehandlungen • Plättchenreiches Plasma («Vampirtherapie»): als alleinige Therapie fragwürdig und so
nur bei Kontraindikation (v. a. Schwangerschaft) zu den oben Genannten sinnvoll. Als Zusatz in manchen Fällen erfolgreich. • Esoterika: Naturheilmittel, TCM, Mesotherapie, Needeling, Laserkappe, Lichtkamm, Haarwachstumspillen «aus Fernsehen und Werbung» haben keine genügende Datenlage, als dass man sie empfehlen sollte. Sie haben unter Umständen einen Platz zur psychologischen Führung und zur Compliance-Verbesserung.
Neben den eigentlichen endokrinen Therapien besteht die Möglichkeit für unspezifische haarwachstumsfördernde, dermatologische Therapien (teilweise off-label) (Kasten 1). Dazu sind zwingend die potenziell aggravierenden Faktoren zu eliminieren, wenn sie im Einzellfall als mögliche Ursache erkannt werden: 1. Korrektur eventueller Mangelzustände, später
Kontrolle genügender Korrektur und Verhinderung ihrer Wiederholung. Bezüglich Eisenmangel: – Die Bedeutung des Eisens kann für das Haar-
wachstum kaum überschätzt werden. Das Ferritin ist nur ein Prädiktor für erschöpfte Eisenreserven; er muss im Kontext interpretiert werden (9) (Symptome: Fatigue, Haarausfall usw.). Ohne jede klinische Information besteht bei einem Ferritin von 50 ng/ml eine 50%-ige Wahrscheinlichkeit für einen Eisenmangel, erst
bei einem Ferritin von 100 ng/ml ist er sicher ausgeschlossen. Zielwert ist deswegen ein stabiler Ferritinwert von mindestens 50, besser 70 ng/ml und mehr. – Pro Eisentablette steigt das Ferritin bei guter Resorption um 0,25 ng/ml, pro 100 mg intravenöses Eisen um 10 ng/ml: ausrechnen, wie viel verordnet werden muss. 2. Absetzen androgenisierender Therapeutika, insbesondere androgenisierende COC oder Hormonersatztherapie (HRT) und Ersatz durch antiandrogene Analoge. 3. Absetzen haarausfall-fördernder Medikamente, wenn möglich, insbesondere Betablocker für arterielle Hypertonie und stattdessen Spironolacton oder tief dosiert Minoxidil (Loniten®). 4. Bei Absinken des Östrogens unter COC deutlich unter den tiefsten (follikulären) Wert im Spontanzyklus (10): Absetzen und hormonfreie Verhütung. Bei menopausalem Hypogonadismus: HRT. 5. Bei Übergewicht, hyperkalorischer Ernährung, Insulinresistenz: Hemmung der Androgenwirkung durch Erhöhung des SHBG und Verringerung der Bildung von Dihydrotestosteron in der Haut (IgGF-1-vermittelte 5a-Reduktase-Stimulation) durch Diät, Gewichtsreduktion, Metformin (Glucophage®). Metformin wäre gerade bei PCO hilfreich und bei Status nach Mammakarzinom zudem onkologisch protektiv. Der Therapieerfolg beim Haar – im Gegensatz zu Hirsutismus und Akne – tritt verzögert ein (mind. 9–12 Monate), empfehlenswert sind deswegen standardisierbare Vergleichsfotos: Kinn-Mund-Grübchen an Tischkante, Nase auflegen, das Handy der Patientin dabei auf Gegenseite.
Hirsutismus
Die Androgene wirken an den Körperhaaren gegenteilig zum Kopfhaar, nämlich mit deren Stimulation. Zur Gradierung des Hirsutimus dient der Ferriman-Gallwey-Index. Ein Hirsutismus liegt bei einer Summe von 8 oder mehr Punkten vor (das gilt nicht für Asiatinnen). Der Hirsutismus spricht meist schon innert 3 bis 6 Monaten auf die Therapie an. Die Hinweise zur Elimination negativer Faktoren sind analog zur AGA. Therapeutisch stehen die endokrinen Systemtherapien inklusive Finasterid (Proscar®), mit deutlich besserer Wirkung als bei der AGA, im Vordergrund.
Nicht endokrine Massnahmen Die verschiedenen Methoden zur passageren Entfernung des sichtbaren Haars (Depilation) oder des gesamten Haars (Epilation) sind in Kasten 2 dargestellt. Zur definitiven Haarentfernung eignen sich monochrome Laser und polychrome gepulste Blitzlampen. Diese verdrängen die bisherigen Behandlungsan-
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sätze zunehmend; sie eignen sich am besten für dicke dunkle Haare auf weisser Haut. Wegen potenziell gravierender Nebenwirkungen bei der Behandlung feiner Haare und dunklerer Haut (wie oft bei Migrantinnen mit Hirsutismus) ist deren Einsatz dann nicht unproblematisch: Zu geringe Energiedichte führt nur zu einer passageren Haarwachstumshemmung und zu einer paradoxen reaktiven Hypertrichose (11, 12). Für primäre Geschlechtshaare ist die Haarentfernung definitiv. Sekundäre Behaarung, zum Beispiel bei endokrin unbehandeltem Hirsutismus, kann meist nur «lang dauernd» reduziert werden: Wegen androgenbedingter Transformation von Flaumhaar in Terminalhaar über die Zeit kommt es zur Ausbildung erneuter Überbehaarung durch neue Terminalhaare, weswegen eine wirksame systemische Behandlung notwendig bleibt.
Akne/Seborrhö
Pathogenetisch wegen androgenvermittelter Talgüberproduktion, Talgdrüsengangshyperkeratose, Cutibacterium-acnes-Proliferation und Entzündung kommt es zu pathognomischen Komedonen (ohne welche die Diagnose nicht gestellt werden darf), Papulopusteln und tief liegenden Knoten (13). Hormonuntersuchungen bei Pubertierenden sind in der Regel nicht erforderlich, da hier die Akne meist nicht durch hohe Androgenkonzentrationen, sondern durch eine temporär erhöhte Empfindlichkeit der Talgdrüse gegenüber den Androgenen bedingt ist. Hinweisend für eine Hormonstörung ist eine therapieresistente oder sehr ausgeprägte Akne. Bei weiteren Entzündungszeichen muss an syndromale Formen gedacht werden: SAHA, SAPHO, PAPA, HAIR-AN, Apert-Syndrom (14). Die Hinweise zur Elimination negativer Faktoren sind analog zur AGA.
Therapie
Bei einer Hormonstörung stehen die endokrinen Systemtherapien im Vordergrund. Kosmetische Massnahmen sind nicht dauerhaft. Die eigentlichen dermatologischen Therapieoptionen sind in Kasten 3 aufgeführt. Bei alleiniger Seborrhö oder Überwiegen der Komedonen sind topische oder tief dosierte, systemische Retinoide, auch nur im Intervall, ausreichend. Ansonsten sollten bei topischer Therapie zudem antientzündlich wirkende Antibiotika mitverordnet werden. Eine antibiotische Monotherapie ist dagegen wegen der Gefahr für eine Resistenzentwicklung zu meiden und muss sowieso zeitlich beschränkt bleiben (15). Minocyclin (Minocin®) ist wegen der Gefahr für permanente Hyperpigmentierungen und einen medikamentös induzierten Lupus zu vermeiden. Eine milde Akne bei Hyperandrogenämie kann unterstützend mit topischen Aknemitteln behandelt
Kasten 2:
Symptomatische und dermatologische Behandlungen des Hirsutismus (ohne endokrine Therapien)
Temporäre Haarentfernung • Bleichen: Billig. Keine eigentliche Haarentfernung, nur Reduktion der optischen Wertig-
keit durch Pigmentaufhellung und Weichmacher (H2O2 und Sulfate). Praktisch nur für Flaumhaare. Gefahr von Irritationen, Allergien, Hautaufhellung. Unvorteilhafter Kontrast bei dunkler Haut. • Rasur: Billig. Fördert weder Wachstum noch Dicke der Haare. Alle 1 bis 3 Tage zu wiederholen, nachwachsende Haare stoppelig. Gefahr von Follikulitiden durch einwachsende Haare. • Epilation: Pinzette, Adhäsive (Kalt-/Warm-Wachs, Sugaring/Halawa), apparativ («Epilady»). Billig bis kostengünstig, Wachsbehandlung bei Kosmetikerin auf Dauer teuer, Halawa aus Zucker und Zitronensaft selbst herzustellen (Anleitungen auf YouTube). Schmerzhaft. Alle 2 bis 3 Wochen zu wiederholen, vor Wiederholung müssen Haare deutlich nachgewachsen sein, weniger geeignet für Flaumhaare. Nicht stoppeliges Nachwachsen. Auf Dauer meist Reduktion der Haardichte und -dicke. Gefahr von Follikulitiden durch einwachsende Haare. • Chemische Depilation: Chemische Zersetzung des Haarschafts, nutzt den höheren Zysteingehalt des Haarschafts (15%) im Vergleich zur Epidermis (2%) aus: Unter deren Schonung werden die Disulfidbrücken der Haare durch Thioglykolate zersetzt; sehr dicke Haare brauchen eine längere Einwirkzeit, was dann auch die Haut verätzt und deswegen dann ungeeignet ist. Billig. Nicht schmerzhaft. Alle 2 bis 3 Wochen zu wiederholen, nachwachsende Haare «mittelstoppelig». Gefahr von Irritationen, Allergien, Follikulitiden durch einwachsende Haare.
Haarreduktion und -wachstumshemmung • Dermatologika: Eflornithin (Vaniqa® 11,5% Creme) hemmt die an der Bildung des Haar-
schafts beteiligte Ornithindecarboxylase. Bei Behandlungsstopp geht die Wirkung innerhalb von 2 Monaten wieder verloren. Wirkt vor allem auf dünne Flaumhaare, kaum auf dicke Terminalhaare, und ist so komplementär zur Laserbehandlung mit genau umgekehrtem Profil. 2-mal täglich auf betroffene Hautpartien (gut/wenig/unwirksam bei je einem Drittel der Patientinnen). Teuer für grössere Flächen. Selten lokale Missempfindungen, akneiformer Ausschlag. • Tiefenenergieblitzlampen: Heimgeräte. Für definitive Haarentfernung zu geringe Energiedichte, induziert nur vorübergehende Wachstumshemmung. Alle paar Wochen zu wiederholen. Gefahr von paradoxer Hypertrichose durch Stimulation von Haarwachstum wegen Entzündung bei ausbleibender Follikelzerstörung, Akne oder Rosazea.
Definitive und permanente Haarentfernung • Elektrolyse («Nadelepilation», «Elektroepilation»: galvanisch-chemisch, thermolytisch
über hoch frequenten Strom oder Kombination). Einzelhaarbehandlung, also aufwendig und teuer, schmerzhaft, nur für kleine Flächen, Therapie der Wahl bei borstigen weissen Haaren, ansonsten weitgehend aufgegeben. Gefahr von Narben, Pigmentverschiebungen, Infektionen. • Hochenergieblitzlampen und Laser: Teuer. In Intervallen von 2 bis 6 Monate sind 3 bis 6 oder mehr Behandlungen notwendig, abhängig von der Körperregion. Nur dunkle und dicke Terminalhaare bei heller Haut behandelbar. Therapie der Wahl bei einwachsenden Haaren. Für primäre Geschlechtshaare (Bikini, Axilla) definitive Haarentfernung, bei sekundärer Behaarung (Gesicht, Beine) nur «dauerhafte» Wirkung. Schmerzhaft. Gefahr von Verbrennungen, Pigmentverschiebungen, Narben. 3 bis 5% der Patientinnen sprechen nicht auf die Behandlung an (> 50% Resthaare nach 6 Sitzungen).
werden. Eine schwere Akne weist aber immer auf eine besondere Konstitution der Talgdrüsen hin: Die Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv bei Absetzen endokriner Therapien, zum Beispiel bei Schwangerschaftswunsch, wo selbst die meisten topischen Behandlungen kontraindiziert sind, ist deswegen hoch. Deswegen sind COC keine gute Therapie bei einer
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SCHWERPUNKT
Kasten 3:
Dermatologische Behandlungen der Akne – Auswahl (ohne endokrine Therapien)
Topische Aknetherapie • Komedolytisch (nach Stärke und Irritationspotenzial geordnet, Therapie schrittweise
steigern, nachts): Azelainsäure (Skinoren®), Adapalen (Differin®), Trifaroten (Aklief®), Isotretinoin (Roaccutan®). • Antientzündlich und antibakteriell (morgens): Erythromycin (Aknilox®, Aknemycin®), Clindamycin (Dalacin-T®), Dapson (Aczone® aus den USA oder 5% Magistralrezeptur). • Duale Wirkung (nachts): Clindamycin + Tretinoin (Acnatac®), Benzoylperoxid (Benzac®), dazu weitere Kombinationspräparate, ggf. Benzoylperoxid-Seife (Lubexyl®).
Systemische Aknetherapie • Antientzündlich und antibakteriell (Komedolyse und Minderung der Resistenzgefahr
müssen zusätzlich topisch erfolgen): Lymecyclin (Tetralysal®), Doxicyclin (Vibramycin Akne Tabs®: günstig bei Schluckschwierigkeiten, Kapsel darf geöffnet werden). Andere Antibiotika wegen Resistenzentwicklung nur ausnahmsweise, z. B. bei Schwangerschaft). • Kurativ (definitive Involution der Talgdrüsen bei Erreichen von 120 bis 150 mg/kg KG) als Monotherapie: Isotretinoin 3 bis 5 mg/kg KG/Tag über 9 bis 15 Monate. Bei repetitiver Therapie kumulative Gesamtdosis von über 400 mg/kg KG meiden. Management der obligaten Nebenwirkungen. Schwer teratogen. Dosisreduktion bei Sportlern (Rhabdomyolyse).
Aknetherapie bei Schwangerschaftswunsch Sämtliche Aknetherapeutika mit Ausnahme von Azelainsäure und Erythromycin sind potenziell teratogen. Eventuell physikalische Massnahmen (Blaulichttherapie).
ausgeprägten Aknedisposition. Es empfiehlt sich in diesen Fällen eine systemische Behandlung mit Isotretinoin (Roaccutan®). Bei stark entzündlicher Akne ist die Überweisung an den Dermatologen zwingend, weil Isotretinoin zu deren Exazerbation führen kann, und zwar bis zur Acne fulminans mit entsprechender Narbenbildung. Für die Behandlung der stark entzündlichen Akne ist Erfahrung nötig: Dazu braucht es die vorbereitende und begleitende antientzündliche Therapie (Steroide, Dapson) und gegebenenfalls zusätzlich einen 5a-Reduktase-Hemmer, wobei hier nur Dutasterid (Avodart®) infrage kommt (Hemmung von 5a-Reduktase der Typen 1 und 2). Die Kombination mit Tetrazyklinen ist grundsätzlich kontraindiziert und nur dosisreduziert in Spezialfällen durchzuführen. n
Dr. med. Dr. phil. S. Morteza Seyed Jafari (Erstautor)
Dr. med. Pierre de Viragh (Korrespondierender Autor) Konsiliararzt, Universitätsklinik für Dermatologie
Inselspital 3010 Bern E-Mail: info.dermadoc@bluewin.ch
Interessenkonflikte: keine.
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