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SCHWERPUNKT
Das polyzystische Ovarialsyndom
Update zu Diagnostik und endokriner Therapie nach aktueller ESHRE-Guideline
Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) ist eine häufige Endokrinopathie, zudem ist das Syndrom bei einem Teil der betroffenen Frauen nicht adäquat diagnostiziert und therapiert. In diesem Artikel werden die Kernaussagen der aktuellen ESHRE-Guideline (1) betreffend Diagnostik und endokriner Therapien zusammengefasst, und darüber hinaus wird auf neue Erkenntnisse und neue Therapien hingewiesen.
ISOTTA MAGATON
Isotta Magaton
Das Therapiekonzept sollte sich nicht nur an den Symptomen orientieren, sondern ein interdisziplinäres Management mit folgenden Zielen umfassen: n Verringerung der kardiovaskulären Risiken n Lifestyle-Interventionen n Prophylaxe der Endometriumhyperplasie n Verbesserung von psychischen Beschwerden n Ovulationsinduktion bei Kinderwunsch. Die Beratung der Patientin sollte ein essenzieller Schritt bei der Behandlung sein. Schwere gesundheitliche Folgen des PCOS sind so weit wie möglich zu minimieren.
Gesundheitliche Relevanz des PCOS
Die Prävalenz des PCOS liegt bei 6 bis 10% der Frauen im reproduktiven Alter (die Zahl ist abhängig davon, welche Kriterien zur Diagnose verwendet werden) (2). Bei einem erheblichen Anteil der betroffenen Frauen ist die Erkrankung nicht adäquat erkannt (unterdiagnostiziert) (3). Das PCOS hat nicht nur einen erheblichen sozioökonomischen Einfluss auf die allgemeine Gesundheit, sondern auch eine grosse psychosoziale Dimension: PCOS-Patientinnen leiden häufig unter verminderter Lebensqualität, insgesamt wird eine höhere Prävalenz psychiatrischer Störun-
Merkpunkte
n Das PCOS ist häufig, die verschiedenen Phänotypen und die Heterogenität des Krankheitsbildes stellen eine Herausforderung für die Diagnose dar.
n In der Adoleszenz respektive bis 8 Jahre nach Eintritt der Menarche sollte die polyzystische Ovarmorphologie nicht diagnosebestimmend sein.
n Das PCOS betrifft alle hormonellen Phasen der Frau: Adoleszenz, reproduktive Phase, Menopause.
n Die Diagnostik und die entsprechende Therapie sollten sowohl somatische als auch psychische Charakteristika der Erkrankung erfassen.
n Die Therapie ist multimodal, immer individuell mit der Patientin zu gestalten und beinhaltet sowohl Lifestyle-Änderung als auch medikamentöse Therapie, selten dagegen operative Massnahmen.
gen nachgewiesen, verglichen mit Nichtbetroffenen. Im Rahmen der Erkrankung kann zudem eine Reihe von metabolischen und kardiovaskulären Folgen auftreten, darunter Adipositas, Glukosetoleranzstörung, Insulinresistenz, Diabetes mellitus Typ II, arterieller Hypertonus und Dyslipidämie. Im Fall einer Schwangerschaft kommt es bei Frauen mit PCOS zu einer erhöhten Rate an Schwangerschaftskomplikationen. Die Früherkennung dieser vorwiegend endokrinologischen Erkrankung, das Therapiekonzept und die optimale Betreuung bedeuten einen grossen lebenslangen Gewinn an Lebensqualität für die Betroffene. Die aktuellen internationalen Richtlinien zur Diagnostik und Therapie wurden am ESHRE-Kongress 2018 in Barcelona präsentiert und sind auf der ESHRE-Website einzusehen (1). Neue Verfahren der Diagnostik und aktuelle Erstlinientherapien werden hier resümierend vorgestellt.
Diagnostik des PCOS
Aufgrund der PCOS-assoziierten Gesundheitsrisiken ist bei Verdacht auf PCOS bereits eine Therapie indiziert, so die Empfehlungen der ESHRE-Guideline. Die Bestätigung der Diagnose kann zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Falls keine transvaginale Sonografie möglich ist, empfiehlt die Guideline, sich auf die Messung des Ovarvolumens (≥ 10 ml) zu beschränken. Zur Diagnosestellung des PCOS gelten die drei Rotterdam-Kriterien. In der ESHRE-Guideline von 2018 werden diese Kriterien befürwortet, mindestens 2 der folgenden 3 Kriterien müssen vorhanden sein (4): 1. Oligoamenorrhö 2. Hyperandrogenismus (klinisch und/oder bioche-
misch nachgewiesen) 3. polyzystisches Ovar im Ultraschall. Vorausgesetzt wird hierbei wie bisher, dass andere Ursachen für die oben genannten Symptome ausgeschlossen sind.
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Oligoamenorrhö und Dysovulation Die Oligoamenorrhö und die Dysovulation gelten als klinische Leitsymptome bei PCOS. Die diagnostisch schwierigste Phase ist (neben dem menopausalen Übergang) die Pubertät, da unregelmässige Zyklen während der Reifung der hormonellen Achse normal sein können. Gemäss Literatur werden regelmässige Zyklen bei 95% der Adoleszenten innerhalb von 3 Jahren ab Menarche und bei den restlichen 5% innerhalb von 5 Jahren erreicht (5). Da bei Adoleszentinnen mit Verdacht auf ein PCOS keinesfalls überdiagnostiziert oder stigmatisiert werden sollte, empfiehlt es sich, die PCOS-Diagnostik zu einem späteren Zeitpunkt zu wiederholen, wenn die volle Geschlechtsreife erlangt ist. Risikopatientinnen sind Mädchen mit signifikanter Gewichtszunahme in der Adoleszenz oder mit persistierenden PCOS-Charakteristika (siehe o. g. Kriterien 1–3). In der aktuellen ESHRE-Guideline wird betont, dass bei Frauen mit Oligo-/Amenorrhö und bei Hyperandrogenismus die Ultraschalldiagnostik sogar entbehrlich ist. Ferner besagt die Guideline, dass bei Jugendlichen mit Verdacht auf PCOS in der Phase bis 8 Jahre nach der Menarche die Ultraschalluntersuchung für die Diagnostik nicht empfehlenswert ist: Grund ist eine möglicherweise falsch positive PCO-like-Morphology.
Hyperandrogenismus (im Serum und/oder klinisch) Unterschieden werden der biochemische und der klinische Hyperandrogenismus. Für die Definition des biochemischen Hyperandrogenismus ist die Androgenkonzentration ausschlaggebend. Zur Androgenbestimmung im Serum sollte nicht das freie Testosteron, sondern das Gesamttestosteron, das Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG) oder der freie Androgenindex (FAI) bestimmt werden. Da Testosteronmessungen sehr störfällig sind, sind hochwertige Assaysysteme, bestenfalls das Verfahren der Flüssigkeits-Chromatografie-MassenSpektrometrie, zur Hormonbestimmung anzuwenden. Sekundär sollten Androstendion und Dehydroepiandrosteron-Sulfat (DHEA-S) als adrenales Androgen im Serum bestimmt werden. Die Einnahme von hormonalen Kontrazeptiva beeinflusst durch die Erhöhung von SHBG den Androgenspiegel, sodass für eine zuverlässige Diagnostik das Präparat für mindestens 3 Monate abgesetzt werden sollte, bevor eine klinische und biochemische PCOS-Diagnostik beginnt. Der klinische Hyperandrogenismus ist durch mindestens 1 der folgenden klinischen Befunde definiert: n Hirsutismus n Akne n Alopezie. Häufig besteht auch eine Hyperandrogenämie.
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Abbildung: Der modifizierte Ferriman-Gallwey-Score für die Diagnostik des Hirsutismus als PCOS-Befund (mit Cut-off-Wert für abnormen Hirsutismus von ≥ 4 bis 6 Punkten). (mod. nach [8])
Die Diagnose Hirsutismus ist besonders schwierig zu stellen, der Befund als PCOS-Befund wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Die Guideline empfiehlt die Anwendung des modifizierten Ferriman-Gallwey-Scores (mFG) mit einem Cut-off-Wert für abnormen Hirsutismus von ≥ 4 bis 6 Punkten, wie in der Abbildung dargestellt. Diese Untersuchung kann aber bei Anwendung einiger Kosmetika und Epiliermethoden verfälscht werden. Darüber hinaus sind die ethnischen Unterschiede zu berücksichtigen. Die klinische Diagnose Hyperandrogenismus in der Adoleszenz stellt eine besondere Herausforderung dar, da Akne bei Mädchen ein häufiger Befund ist. Aus diesem Grund wird die Akne nicht als geeignetes diagnostisches Kriterium für PCOS in der Adoleszenz betrachtet.
Das polyzystisches Ovar im Ultraschall Aufgrund neuerer Studienresultate, nicht zuletzt auch durch die technischen Verbesserungen des Ultraschalls, wurden die sonografischen Kriterien in der PCOS-Diagnostik verschärft: Gemäss den aktuell gültigen Rotterdam-Kriterien definieren sich polyzystische Ovarien dadurch, dass mindestens ein Ovar ≥ 20 antrale Follikel trägt oder ein Ovarvolumen von ≥ 10 ml besteht. Der neuer Cut-off-Wert von ≥ 20 antralen Follikeln (Grösse: 2–9 mm) pro Ovar stimmt mit der Empfehlung der Androgen Excess and PCOS Society (AEPCOS) überein. Für die Diagnose ist ausreichend, wenn dieser Befund unilateral nachgewiesen ist. Das Fehlen eines dominanten Follikels oder Corpus luteum (Gelbkörper) oder einer Zyste soll ebenfalls dokumentiert werden. Gemäss einer Studie von Kristensen und Kollegen zeigen etwa 70% der Adoleszentinnen eine polyzystische Ovarialmorphologie (PCOM) (6). Eine Schlussfolgerung der Guideline-Autoren war, dass bei Adoleszentinnen die aktuellen Ultraschallkriterien zu
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ungenau sind (möglich ist die «Überlappung» mit gesunden Jugendlichen). Der Ultraschallbefund sollte zur PCOS-Diagnostik in dieser Lebensphase also nicht ausschlaggebend sein.
Medikamentöse Therapie bei Patientinnen ohne Kinderwunsch
Für Frauen, die zum aktuellen Zeitpunkt keinen Kinderwunsch hegen, ist die Therapie der Wahl die Gabe kombinierter oraler Kontrazeptiva (COC), um den klinischen Hyperandrogenismus und/oder unregelmässige Zyklen zu beheben. Ausserdem wirken COC protektiv auf das Endometrium.
COC in der Erstlinientherapie Die COC (Pillen) sind die Erstlinientherapie bei Adoleszentinnen mit klinischem Hyperandrogenismus und/oder Oligoamenorrhö, auch bei noch nicht gesicherter PCOS-Diagnose (bzw. in den ersten 8 Jahren nach der Menarche). Gemäss der ESHRE-Guideline kann bei fehlender Evidenz kein spezifisches COC-Präparat empfohlen werden, alle Präparate (ausgenommen die Präparate mit 35 µg Ethinylestradiol und Cyproteronacetat, siehe unten) eignen sich als Therapie. Empfohlen wird, mit einer möglichst niedrigen Dosis zu starten. Die allgemeinen relativen und absoluten Kontraindikationen sowie Nebenwirkungen der Pille müssen weiterhin bei der Verschreibung beachtet werden («medical eligibility criteria for contraceptive use» gemäss WHO). Die WHO-Empfehlung betont, dass Pillen mit 35 µg Ethinylestradiol und Cyproteronacetat nur im Fall einer therapieresistenten Akne oder bei schwerem Hirsutismus verschrieben werden sollten (also nicht zur Erstlinientherapie) (7). Zu beachten ist, dass die zur Therapie eingesetzten COC für die Indikation PCOS häufig keine Zulassung haben, also als Medikamente off-label verschrieben werden.
Indikationen für antiandrogene Gestagene und Metformin Wenn sich Hirsutismus, Akne und/oder Alopezie nach Anwendung des COC über mindestens 6 Monate plus gleichzeitiger kosmetischer Massnahmen nicht vermindern, kann die Indikation der zusätzlichen Gabe eines antiandrogenen Gestagens geprüft werden. Dabei sollte man ebenfalls mit der möglichst niedrigsten Dosis beginnen. Antiandrogene sollten nicht zur Erstlinientherapie eingesetzt werden, sondern überwiegend bei Kontraindikationen, Unverträglichkeiten oder unzureichender Wirkung von COC. Antiandrogene sind auch nur gemeinsam mit einer sicheren Verhütung zu verordnen. Wegen nicht ausreichender Evidenz kann zurzeit kein Antiandrogenpräparat (und keine Dosis) empfohlen werden.
Sofern Lifestyle-Änderungen in Kombination mit COC keine signifikante Verbesserung der metabolischen Situation erzielen, kann die zusätzliche Gabe von Metformin geprüft werden. Metformin ist ein antidiabetischer und blutzuckersenkender Wirkstoff aus der Gruppe der Biguanide. Patientinnen ab einem BMI > 25 kg/m2 scheinen besonders zu profitieren – sowohl Erwachsene als auch Jugendliche. Eine Metformintherapie darf zudem bei noch nicht gesicherter PCOS-Diagnose (sogenannte Risikopatienten) im Betracht gezogen werden. Das Medikament kann unabhängig von der COC-Einnahme bei adipösen PCOS-Frauen oder bei Patientinnen mit metabolischen Störungen eingesetzt werden. Metformin soll einschleichend dosiert werden. Die 500-mgStartdosis wird 1- bis 2-mal wöchentlich gesteigert, bis in der Regel 1500 mg täglich erreicht sind. Die Patientin sollte auf die möglichen gastrointestinalen Nebenwirkungen (u. a . Durchfall, Meteorismus, Bauchkrämpfe) hingewiesen werden, in der Regel sind diese dosisabhängig und selbstlimitierend. Metformin ist in der Schweiz nur bei Diabetes mellitus Typ I/II zugelassen, ansonsten wird es im Off-Label-Gebrauch eingesetzt. Empfohlen wird, unter Metformin den Vitamin-B12-Spiegel zu kontrollieren.
Myoinositol
Ein kleines Kapitel wird in der ESHRE-Guideline der
natürlichen Substanz Myoinositol als Nahrungser-
gänzungsmittel bei PCOS gewidmet. Es scheint den
Stoffwechsel zu verbessern und die Ovulation zu för-
dern. Die Studienlage ist schwach, und derzeit gibt
keine sichere Evidenz, die Therapie ist experimentell.
Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu die aktuelle
Studie mit einem Kommentar von Prof. Petra Stute
im SGEM-Newsletter, Seite 20.
n
Dr. med. Isotta Magaton Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsklinik für Frauenheilkunde 3010 Bern E-Mail: isottamartha.magaton@insel.ch Interessenkonflikte: keine.
Quellen: 1. https://www.eshre.eu/Guidelines-and-Legal/Guidelines/Polycystic-OvarySyndrome. Zugegriffen 1. Februar 2018. 2. Bozdag G et al.: The prevalence and phenotypic features of polycystic ovary syndrome: a systematic review and meta-analysis. Human Reprod 2016; 12: 28412855. 3. March W et al.: The prevalence of polycystic ovary syndrome in community sample assessed under contrasting diagnostic criteria. Human Reproduction 2010; 2: 544-51 4. The Rotterdam ESHRE/ASRM-Sponsored PCOS Consensus Workshop Group.: (Revised 2003 consensus) Consensus on diagnostic criteria and long-term health risks related to polycystic ovary syndrome. Hum Reprod 2004: 1: 41-47. 5. Metacalf M G et al.: Incidence of ovulation in the years after the menarche. J Endocrinol 1983; 97: 213-219. 6. Kristensen S et al .: A very large proportion of young Danish women have polycystic ovaries: is a revision of the Rotterdam criteria needed? Human Reproduction 2010; 12: 3117-3122. 7. World Health Organization (WHO).: Combined hormonal oral contraception and risk of venous thromboembolism (VTE) Sexual and reproductive health 2018; Available from: http://www.who.int/reproductivehealth/topics/family_planning/ coc/en/ 8. Aswini R, Javapalan S.: Modified Ferriman–Gallwey Score in Hirsutism and its Association with Metabolic Syndrome. Int J Trichology 2017; 9 (1): 7-13. doi: 10.4103/ ijt.ijt_93_16
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