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EXPERTENBRIEF NR. 48 DER GYNÉCOLOGIE SUISSE SGGG (ERSETZT NR. 22!)
In der GYNÄKOLOGIE werden – nach Auswahl der Herausgeber – an dieser Stelle aktuelle Expertenbriefe publiziert (verifizierte Printform).
Expertenbrief Nr. 48
(siehe auch: http://sggg.ch/de/members_news/1005)
Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. med. Daniel Surbek
Diagnostik und Therapie der Eisenmangelanämie in der Schwangerschaft und postpartal
Die Anämie gehört zu den häufigsten Problemen in der Geburtshilfe, von der rund ein Drittel der Frauen betroffen sind. Der aktualisierte Expertenbrief fasst neue Studienresultate zusammen; er gibt dazu konkrete Empfehlungen zu Grenzwerten in der Diagnostik und zur Präparatewahl bei Eisenmangel und Eisenmangelanämie.
Christian Breymann, Christoph Honegger, Irène Hösli, Daniel Surbek
Die Anämie gehört zu den häufigsten Problemen in der Geburtshilfe. In der Schweiz besteht ein Eisenmangel bei bis zu 32% aller Schwangeren, eine Eisenmangelanämie bei bis zu 7%. Postpartal weist rund ein Drittel aller Frauen eine Anämie auf.
Risikofaktoren durch (Eisenmangel-)Anämie
Bekannt ist, dass die Anämie in Abhängigkeit des Schweregrades einen bedeutenden Risikofaktor in Bezug auf die mütterliche und die fetale Morbidität und Mortalität darstellt. Hierzu gehören auf der fetalen Seite eine erhöhte Frühgeburtsrate, intrauterine Wachstumsretardierung, ungünstige Beeinflussung der Plazentaentwicklung und verminderte neonatale Eisenspeicher im Falle einer Eisenmangelanämie der Mutter. Zu den mütterlichen Risiken gehören: I erhöhtes Infektionsrisiko I verminderte Blutreserven bei der Geburt und damit ein er-
höhtes Risiko der Fremdblutgabe bei grösserem Blutverlust I kardiovaskuläre Belastung I Anämiesymptome (Müdigkeit, reduzierte physische und
mentale Leistungsfähigkeit, Kopfschmerzen, orthostatischer Schwindel, Erschöpfung u.a.m.) I verlängerte Hospitalisationsdauer I verminderte Milchproduktion im Wochenbett I erhöhtes Risiko für postpartale Depressionen I verminderte mütterliche Eisenspeicher postpartal und in der Folgezeit. Daraus ergibt sich, dass eine effiziente Therapie der Anämie nach entsprechender Diagnostik einen positiven Einfluss auf das mütterliche und das fetale Outcome hat. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Reduktion, bestenfalls Vermeidung der Fremdblutgabe durch adäquate Therapie der Anämie im Vorfeld der Geburt.
Anämie in der Schwangerschaft
Diagnostik Als unterer Grenzwert des Hämoglobinwertes in der Schwangerschaft gilt gemäss WHO-Richtlinien ein Hb-Wert
< 110 g/l. Da der Hb-Wert im 2. Trimester passager um 5 g/l abfällt, definiert das CDC (1998) im 2. Trimester den unteren Grenzwert zur Anämie bei < 105 g/l. Eine Anämie sollte abgeklärt und therapiert werden, da bei erniedrigtem Hb-Wert das Risiko für mütterliche Komplikationen (schwere peripartale transfusionspflichtige Anämie) und kindliche Komplikationen (intrauterine Wachstumsretardierung, Frühgeburt, postpartaler Eisenmangel des Säuglings und Kleinkinds mit konsekutiver Entwicklungsstörung) steigt. Zur Abklärung sollten zunächst ein rotes Blutbild und eine Serumferritinbestimmung durchgeführt werden. Zur Diagnose einer Eisenmangelanämie ist die Bestimmung des Serumferritinwertes in der Regel genügend: Liegt dieser Wert < 30 µg/l, sind die Eisenspeicher leer, das heisst, es liegt eine Eisenmangelanämie vor. Bei normalem und/oder erhöhtem Serumferritin müssen andere mögliche Ursachen (z.B. Hämoglobinopathien wie β-Thalassämie, Sichelzellenanämie, Infektanämie, Blutungsanämie etc.) abgeklärt werden. Eine sinnvolle Strategie ist es, bei allen schwangeren Frauen zu Beginn der Schwangerschaft neben dem Hämoglobinwert auch das Serumferritin zu bestimmen. Liegt der Ferritinwert < 30 µg/l, bestehen mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit leere Eisenspeicher, selbst wenn noch keine Anämie vorhanden ist. In diesen Fällen ist eine Eisentherapie während der Schwangerschaft indiziert, auch wenn (noch) keine Anämie besteht. Grund dafür ist, dass der Eisenbedarf in der Schwangerschaft stark ansteigt, da der zusätzliche mütterliche Bedarf (Expansion des Erythrozytenvolumens) und der fetale Bedarf (Aufbau von Skelett, ZNS und fetale Erythrozytenzellmasse) gedeckt werden müssen. Cave: Im Rahmen von Entzündungsreaktionen kann das Serumferritin «falschnormal» bis «falschhoch» sein, da es dann wie ein Akutphasenprotein ansteigt. Deshalb empfiehlt sich die gleichzeitige Bestimmung des CRP-Wertes. Eine weitere wichtige Ursache von Anämien sind die genetischen Hämoglobinopathien, welche insbesondere in bestimmten ethnischen Gruppen vorkommen. In folgenden Situationen soll eine Hämoglobin-Elektrophorese oder eine HämoglobinChromatografie (HPLC; high performance liquid chromatography) zur Abklärung der β-Thalassämie oder einer anderen Hämoglobinopathie als Ursache der Anämie durchgeführt werden: Evidenzlevel IIa IIa Ib GYNÄKOLOGIE 2/2017 31 I positive Familienanamnese bei der Schwangeren oder dem I fehlendes Ansprechen auf orales Eisen (Hb-Anstieg um Partner weniger als 10 g/l innerhalb von 14 Tagen) I Anämie ohne Eisenmangel («Ferritin normal») I Unverträglichkeit von oralen Eisenpräparaten (gastrointesti- I ein MCV (= mittleres korpuskuläres Volumen der Erythro- nale Nebenwirkungen) oder fehlende Compliance zyten) mit Wert < 70 fl oder ein MCH < 27 pg (mittleres kor- I schwere respektive fortgeschrittene Anämie (Hb < 90 g/l) puskuläres Hämoglobin) I Notwendigkeit der raschen und effizienten Anämiekorrektur (Cave: Hb-Elektrophorese kann bei α-Thalassämie normal (fortgeschrittenes Gestationsalter, Placenta praevia, Konfes- sein!) sion: Zeugen Jehovahs u.a.m.). I in Abhängigkeit von der Ethnie (Cave: unauffälliges Blutbild bei Sichelzellanämie). Wahl des intravenösen Eisenpräparates Beim Nachweis einer – meistens heterozygoten – Hämoglobin- Eisencarboxymaltose (Ferinject®): Aufgrund der vorhandenen opathie muss eine Partnerabklärung erfolgen und eine invasi- Studiendaten ist Ferinject® das Präparat der ersten Wahl, wenn ve Pränataldiagnostik angeboten werden, wenn ein relevantes eine i.v.-Eisentherapie in der Schwangerschaft indiziert ist. Seit Risiko für den Feten vorliegt. Da ein Vitamin-B12-Mangel nicht dem letzten Update des Expertenbriefes von 2009 konnten selten vorkommt (insbesondere bei vegetarischer oder vega- mehrere, teilweise grosse randomisierte Studien zeigen, dass ner Ernährung oder bei Hyperemesis gravidarum), sollte bei Ferinject ein sicheres und effektives i.v.-Eisenpräparat in der unklarer Anämie (insbesondere bei erhöhten oder hochnor- Schwangerschaft ist. Nunmehr liegen sechs publizierte Studien Ib malen MCV/MCH-Werten) das Holotranscobalamin (Vitamin zur Verwendung von Ferinject in der Schwangerschaft an ins- B12) im Serum bestimmt und bei allfälligem Vitamin-B12- gesamt 634 Schwangeren mit Eisenmangelanämie vor. In allen Mangel substituiert werden. Bei der selteneren Folsäure- Studien war Ferinject den Vergleichspräparaten (Eisen oral, mangelanämie zeigt sich ebenfalls eine makrozytäre megalo- Eisensaccharatkomplex oder Eisendextran) in der Wirksamkeit blastäre Anämie. überlegen bei gleichzeitig sehr geringer unerwünschter Nebenwirkungsrate. Schwere Unverträglichkeitsreaktionen Therapie der Eisenmangelanämie in der Schwangerschaft nach Eisencarboxymaltose (anaphylaktischer Schock) wurden Die Therapie richtet sich nach der Anämieursache, in den meis- in keiner Studie beschrieben. ten Fällen ist dies der Eisenmangel. Prinzipiell ist eine Eisenthe- Vor Kurzem wurde die erste grosse randomisierte, kontrollierte rapie mit oralen Eisenpräparaten oder mit i.v.-Eisenpräparaten Multizenterstudie in der Schwangerschaft publiziert (Breymann möglich. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, et al. J Perinat Med 2016). Die Studie zeigt, dass mit Ferinject dass die intravenöse Eisentherapie bei entsprechender behandelte Frauen neben dem rascheren und effizienteren Hb- Indikation der oralen Eisentherapie hinsichtlich Geschwindig- Anstieg im Vergleich zu Schwangeren der oralen Eisengruppe keit und absoluter Grösse des Hämoglobinanstiegs überlegen auch von einer deutlich verbesserten Lebensqualität profitierten. ist. Zudem treten bei der oralen Eisentherapie klinisch relevante Es konnten keine unerwünschten Effekte bei den Neugebo- gastrointestinale Nebenwirkungen (Magenunverträglichkeit, renen von mit Ferinject behandelten Frauen gezeigt werden. Ib Obstipation) in einer Häufigkeit von 20% auf, welche mit der i.v.- Das Präparat soll in gewichtsadaptierten Dosierungen von bis zu Eisentherapie vermieden werden können. Die Verträglichkeit 1000 mg in einer Kurzinfusion über einen kurzen Zeitraum (15–30 und die Sicherheit von bestimmten i.v.-Eisenpräparaten in der Minuten pro Infusion) gegeben werden. Schwangerschaft wurden in mehreren Studien gezeigt. Eine Eine kontrollierte Vergleichsstudie zwischen Eisencarboxymal- Hypersensitivitätsreaktion (Hautexanthem, Bronchokonstriktion, tose (Ferinject®) und Eisensaccharat (Venofer®) hat die Überle- evtl. Blutdruckabfall) kommt mit den neuen nicht dextranhalti- genheit von Ferinject hinsichtlich der i.v.-Dosis (1000 mg pro Ib gen Eisenpräparaten extrem selten vor. Kurzinfusion) bei gleich guter Verträglichkeit gezeigt (Christoph et al. J Perinat Med 2012). Primär Damit können kostenaufwendige wiederholte Infusionen klei- sollen die leichte Eisenmangelanämie und der Eisenmangel nerer i.v.-Eisenmengen vermieden werden. Ferinject ist im ohne Anämie in der Schwangerschaft mit einer peroralen Eisen- 2. und 3. Trimester der Schwangerschaft zugelassen. therapie (Eisen-II-Salze oder Eisen-III-Polymaltose) in der In einer Ex-vivo-Plazentaperfusionsstudie konnte gezeigt wer- Dosierung 160 bis 200 mg/Tag (möglichst nüchtern, fraktio- den, dass Eisencarboxymaltose die Plazentarschranke nicht niert) behandelt werden. Dies gilt auch für Eisenmangel passiert (Malek, 2009). respektive leere Eisenspeicher zu Beginn der Schwangerschaft Eisencarboxymaltose wird in der Regel als Kurzinfusion über 15 (bei Ferritinwert < 30 µg/l) ohne Anämie, wegen des zusätzlichen bis 30 Minuten in einer Dosierung von 1000 mg (maximal Eisenbedarfs im weiteren Verlauf der Schwangerschaft. Eine 20 mg pro kg Körpergewicht) verabreicht. Werden höhere Eisensubstitution mit einer Eisendosis von unter 100 mg/Tag, Dosierungen (> 1000 mg) benötigt, sind diese fraktioniert und
IIa wie sie in gewissen Multivitaminpräparaten vorkommt (Beispiel im Abstand von mindestens 7 Tagen zu geben. Für weitere
Elevit®, enthält 80 mg Eisen), ist nicht genügend. Eine Kontrolle Details der Verwendung von Ferinject verweisen wir auf das
des Therapieerfolgs nach 2 bis 4 Wochen ist indiziert.
«Arzneimittel-Kompendium».
Alternativ zu Eisencarboxymaltose oder bei Nichtverfügbarkeit
In folgenden klinischen Situationen ist ab dem 2. Trimester von Ferinject können als zweite Wahl auch andere dextranfreie
eine intravenöse Eisentherapie in der Schwangerschaft indi- i.v.-Eisenpräparate, zum Beispiel Eisen-III-Saccharat (Venofer®),
ziert:
verwendet werden.
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Grundsätzlich soll in den ersten 3 bis 4 Wochen nach einer i.v.Eisentherapie keine Ferritinbestimmung durchgeführt werden, da der Wert nach i.v.-Gabe rasch und stark ansteigt, um dann mittelfristig wieder langsam zu sinken.
Vorsichtsmassnahmen bei i.v.-Eisentherapie: Bei der i.v.-Eisentherapie sollen generell und speziell in der Schwangerschaft die von Swissmedic empfohlenen Vorsichtsmassnahmen eingehalten werden. Dazu siehe die beiden folgenden Links:
https://www.swissmedic.ch/marktueberwachung/00135/ 00157/01684/index.html?lang=de&download=NHzLpZeg7t ,lnp6I0NTU042l2Z6ln1acy4Zn4Z2qZpnO2Yuq2Z6gpJCDdn9 2g2ym162epYbg2c_JjKbNoKSn6A— https://www.swissmedic.ch/aktuell/00673/00688/01489/ index.html?lang=de
Serumferritinwert «falschnormal» respektive «falschhoch» sein kann (siehe oben; Ferritin = Akutphasenprotein). Die Eisenspeicher einer Wöchnerin können vor der Geburt oder beispielsweise ab zirka 6 Wochen postpartal bestimmt werden. Die Ferritinbestimmung erübrigt sich bei kombinierter prä- und postpartaler Anämie, da hier von entleerten Eisenreserven ausgegangen werden kann. Eine parenterale Eisentherapie ohne vorausgehende Ferritinbestimmung kann im Fall einer Hämochromatose prinzipiell problematisch sein (Heterozygotenfrequenz 1:10).
Therapie der postpartalen Anämie Therapieoptionen der postpartalen Eisenmangelanämie umfassen prinzipiell die orale Eisengabe, die i.v.-Eisentherapie, die Erythropoietintherapie oder Bluttransfusionen. Im Folgenden werden diese Therapieoptionen besprochen.
Paravasate sollen aufgrund des Risikos für langfristige Hautver- Die intravenöse (i.v.-)Eisentherapie
färbung vermieden werden. Eine engmaschige Beobachtung ist gegenüber der oralen Eisentherapie aufgrund des rasche-
der Infusionsstelle während der Eiseninfusion wird deshalb ren Hb-Anstieges, des höheren absoluten Hb-Wertes, der
empfohlen. Im Falle eines Paravasates ist sofortiger Stopp der Verbesserung der Müdigkeit (Fatigue-Score) und der geringe- Ia
Infusion (keine Nachspülung mit NaCl!) und Pharmakovigi- ren gastrointestinalen Nebenwirkungen überlegen (Cochrane
lanzmeldung erforderlich.
2015). Verschiedene randomisierte Studien zeigten einen
Patient-Blood-Management: Vermeidung von Bluttransfusionen
Vorteil der i.v.-Eisentherapie gegenüber oralem Eisen. Eine Studie konnte sogar zeigen, dass es nach Einführung von parenteralem Eisen zu einer Reduktion der Fremdblutgabe am
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Vermeidung untersuchten Kollektiv kam. Als möglicher Nachteil kann das
von perioperativen Bluttransfusionen die Morbidität und die theoretische, extrem kleine Risiko der Hypersensitivitätsreak-
Ia Mortalität verschiedener Operationen verbessert. Eine wichti- tion angesehen werden. Bei der Wahl der Therapiemethode
ge Strategie dabei ist es, nebst der Vermeidung unnötiger muss dies berücksichtigt werden.
Transfusionen die präoperative Ausgangslage hinsichtlich
Hämoglobinwerte und Eisenreserven bei elektiven Eingriffen Grundsätzlich richtet sich die Therapie nach dem Schwere-
zu optimieren. Obwohl es in der Geburtshilfe noch kaum grad der Anämie und dem Zustand der Wöchnerin:
Studien zu diesem Thema gibt, unterscheidet sich die Situation I Bei leichter Anämie (Hb 95–120 g/l): perorale Eisengabe
bei einer geplanten Sectio nur bedingt von einer elektiven
von zirka 80–200 mg (Eisen-II-Salze oder Eisen-III-Polymal-
Operation beispielsweise im orthopädischen Bereich.
tose)
I Bei schlechter (gastrointestinaler) Verträglichkeit der
Bei geplanten Sectiones mit erwartetem hohem Blutverlust
peroralen Eisentherapie: Wechsel auf i.v.-Eisengabe
(Placenta praevia, Placenta increta, grosse Myome usw.) soll ge- I Bei mittelschwerer (Hb 85–95 g/l) oder schwerer Anämie
gen Ende der Schwangerschaft eine hoch dosierte i.v.-Eisenthe-
(Hb < 85 g/l): intravenöse Eisengabe als erste Wahl. rapie in Betracht gezogen werden (abhängig vom Ferritin- spiegel), um ein möglichst hohes Ausgangshämoglobin zu errei- Wahl des i.v.-Eisenpräparates: chen und eine perioperative Blutttransfusion zu vermeiden. Wenn eine i.v.-Eisentherapie postpartal indiziert ist, wird das Postpartale Anämie am besten untersuchte Präparat, Eisencarboxymaltose (Ferinject®), als erste Wahl empfohlen. Es wurde bereits in Diagnostik mehreren randomisierten Multizenterstudien im Vergleich zur Ein Hb-Wert < 120 g/l entspricht einer postpartalen Anämie; bei oralen Eisensubstitution zur Therapie der postpartalen Anämie < 100 g/l spricht man von einer klinisch signifikanten postparta- geprüft und zeigte ein ausgezeichnetes Sicherheitsprofil bei Ib len Anämie. Es handelt sich dabei um eine Kombination aus sehr guter Wirksamkeit. In 3 von den 4 Studien war die Gabe Blutungs- und teilweise vorbestehender Eisenmangelanämie. von i.v.-Eisencarboxymaltose der oralen Eisentherapie in der Der Entscheid über eine Hb-Kontrolle im Wochenbett sollte in Anämietherapie im Wochenbett bezüglich Wirksamkeit (Hb- Abhängigkeit des Blutverlustes und des klinischen Zustandes Anstieg, maximaler Hb-Wert) überlegen; lediglich in einer der Wöchnerin (Anämiesymptome?) gefällt werden. Zudem ist Studie war Eisencarboxymaltose i.v. gleichwertig wie die orale der präpartale Hb-Wert von Relevanz. Eisentherapie über 12 Wochen. Im Vergleich zu anderen Der Nadir des Hb-Wertes postpartum ist zirka 48 Stunden nach Eisenpräparaten ist der Vorteil, dass das Präparat dextranfrei ist der primären Plasmavolumenverteilung erreicht. Die zusätzli- und somit nur extrem selten Hypersensitivitätsreaktionen her- che Bestimmung des Ferritinwertes im Wochenbett ist nicht vorruft. Auch gegenüber dem ebenfalls gut verträglichen sinnvoll, da innerhalb der ersten Wochen nach der Geburt der Eisensaccharat (Venofer®) bestehen Vorteile, nämlich in der viel- GYNÄKOLOGIE 2/2017 33 fach höheren möglichen maximalen Dosierung (Ferinject mit Fremdbluttransfusion max. 1000 mg per Kurzinfusion im Vergleich zu Venofer mit max. Der kritische Hb-Wert, unter dem eine Fremdbluttransfusion 200 mg per Kurzinfusion). Eine kürzlich publizierte retrospektive vorgenommen werden sollte, liegt bei zirka 60 bis 65 g/l, ist Vergleichsstudie hat dabei die bessere Wirksamkeit bei glei- allerdings abhängig von den klinischen Symptomen. Über die cher Nebenwirkungsrate gezeigt (Pfenninger et al., J Perinat Med Fremdblutgabe sollte jedenfalls immer individuell entschieden 2012). Praktische Vorteile, Patientinnenkomfort und reduzierte werden unter Berücksichtigung der Wünsche der Patientin. Es Kosten der einmaligen Verabreichung sprechen für den Vorteil gibt keinen generellen Schwellenwert (z.B. Hb 60 g/l = Blut- von Eisencarboxymaltose im Vergleich zu Eisen-III-Saccharat. gabe); allerdings gilt es, inapparente Komplikationen wie Eisencarboxymaltose ist deshalb Präparat der ersten Wahl für stumme Myokardischämiezeichen zu bedenken. die Therapie der postpartalen Eisenmangelanämie. Es kann in einer Dosierung von maximal 1000 mg als Kurzinfusion verab- Zusammenfassung reicht werden, was im Abstand von einer Woche wiederholt I Eisenmangel in der Schwangerschaft ist häufig und kann werden kann (abhängig vom Hb-Wert). mittels Screening des Serumferritins im ersten Trimester Alternativ zu Eisencarboxymaltose oder bei Nichtverfügbarkeit diagnostiziert werden (Grenzwert < 30 µg/l). Regelmässige können als zweite Wahl auch andere dextranfreie i.v.-Eisen- Hb-Kontrollen zumindest einmal pro Trimester sind generell präparate wie Eisen-III-Saccharat (Venofer®) verwendet werden. empfohlen. I Bei Eisenmangel mit oder ohne Anämie sollte in der Die Erythropoietin-(rhEPO-)Gabe Schwangerschaft primär eine Therapie mit oralen Eisenprä- Bei schwerer Anämie < 80 g/l kann allenfalls eine Gabe von paraten erfolgen. Bei schwerer Eisenmangelanämie, rekombinantem Erythropoietin (rhEPO) zusätzlich zu parentera- Unverträglichkeit von oralem Eisen, fehlendem Ansprechen ler Eisencarboxymaltose in Betracht gezogen werden. Gemäss auf orales Eisen oder bei klinischer Notwendigkeit der Cochrane-Database kann die Gabe von rhEPO die Anämiethe- raschen und effizienten Anämiekorrektur sollte eine intra- rapie unterstützen, allerdings nur in Verbindung mit parentera- venöse Eisentherapie durchgeführt werden. lem Eisen, um eine ineffektive Erythropoiese zu vermeiden. I Postparatal sollte bei leichter Eisenmangelanämie Die Evidenz der zusätzlichen Wirksamkeit von rhEPO in (Blutungsanämie) eine Therapie mit oralem Eisen und bei IIa Kombination mit i.v.-Eisentherapie im Vergleich zur alleinigen mittelschwerer bis schwerer Anämie (Hb < 95 g/l) eine intra- i.v.-Eisentherapie ist allerdings sehr beschränkt. Die Gabe von venöse Eisentherapie erfolgen. rhEPO sollte deshalb – wenn überhaupt – Fällen mit schwerer I Wenn eine Indikation zur i.v.-Eisentherapie in der Anämie und Zusatzfaktoren (ausgeprägte klinische Symptoma- Schwangerschaft oder postpartal besteht, ist Eisencarboxy- tik, Ablehnung von Fremdblut etc.) vorbehalten sein. Die Dosie- maltose aufgrund der vorhandenen Studien und eigener rung beträgt beispielsweise 150 IE/kg Körpergewicht 1 x täglich Erfahrung das Präparat der Wahl. Bei allen i.v.-Eisenpräpa- s.c., insgesamt in vier Dosen Epoietin alpha (Eprex®), zusätzlich raten ist erhöhte Vorsicht gemäss der Swissmedic- zur parenteralen Eisencarboxymaltose-Therapie. Zu berücksichti- Information empfohlen. gen ist, dass es sich bei rhEPO um einen «off label use» handelt, und dass die Kosten des Präparates beträchtlich sind. Datum des Expertenbriefs: 6.1.2017. Interessenkonflikte der Autoren: C. Breymann: Referentenhonorare, Workshops, klinische Studien (Vifor). C. Honegger: keine. I. Hösli: Referentenhonorare (Vifor). D. Surbek: Referentenhonorare und Unrestricted Grant für Investigator-initiierte Studie (Vifor). * Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der Therapieangaben Evidenzlevel Ia Evidenz durch die Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten Untersuchungen Ib Evidenz durch mindestens eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung IIa Evidenz durch mindestens eine gut angelegte, kontrollierte Studie ohne Randomisierung IIb Evidenz durch mindestens eine gut angelegte andere quasiexpe- rimentelle Studie III Evidenz durch gut angelegte, beschreibende Studien, die nicht experimentell sind, wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fallstudien IV Evidenz durch Expertenberichte oder Meinungen und/oder klinische Erfahrung anerkannter Fachleute Empfehlungsgrad A Es ist in der Literatur, die gesamthaft von guter Qualität und Konsistenz sein muss, mindestens eine randomisierte, kontrol- lierte Untersuchung vorhanden, die sich auf die konkrete Empfehlung bezieht (Evidenzlevel Ia, Ib). B Es sind zum Thema der Empfehlung gut kontrollierte, klinische Studien vorhanden, aber keine randomisierten, klinischen Untersuchungen (Evidenzlevel IIa, IIb, III). C Es ist Evidenz vorhanden, die auf Berichten oder Meinungen von Expertenkreisen basiert und/oder auf der klinischen Erfahrung von anerkannten Fachleuten. Es sind keine qualitativ guten, klinischen Studien vorhanden, die direkt anwendbar sind (Evidenzlevel IV). Good-Practice-Punkt Empfohlene Best Practice, die auf der klinischen Erfahrung der Expertengruppe beruht, die den Expertenbrief/die Guideline herausgibt. 34 GYNÄKOLOGIE 2/2017