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PHYTOSTEROLE
Neue Aspekte zu Phytosterolen
Wirkung und Wirksamkeit
KERSTIN HÜBEL, PAOLO M. SUTER
Phytosterole (d.h. pflanzliche Sterole und Stanole) gehören zu den sogenannten sekundären Pflanzenstoffen, die eine inhomogene Gruppe verschiedenartiger Substanzen umfassen, denen diverse gesundheitsfördernde Wirkungen beim Menschen nachgesagt werden. Stanole stellen die chemisch gesättigten Derivate von Phytosterolen (Synonym Pflanzensterine) dar. Im Vordergrund des Wirkungsspektrums stehen die cholesterinsenkenden Effekte und somit die mögliche Beeinflussung des Atheroskleroserisikos.
Ebenso wie Cholesterin sind Phytosterole hydroxylierte Steroide, die jedoch in der Länge und Art der Seitenketten modifiziert sind. Aufgrund der Struktur als auch des Stoffwechsels von Phytosterolen ist eine entsprechende Interaktion nahe liegend. Die Bioverfügbarkeit von Phytosterolen ist relativ schlecht, ausser bei bestimmten genetischen Defekten, die in einer Hyperabsorption von Phytosterolen resultieren, der sogenannten Phytosterolämie oder Sitosterolämie. Eine Hyperabsorption von Phytosterolen kann zu einer vorzeitigen Atherosklerose führen. Das Cholesterin, im Besonderen das LDLCholesterin, hat in der Atherogenese eine zentrale Bedeutung. Die erstmalige Beschreibung, dass Phytosterole die Cholesterinabsorption vermindern können, ist vor mehr als 50 Jahren durch Best et al. (1) publiziert worden. Mittlerweile findet sich solide Evidenz, dass durch die Zufuhr grösserer Mengen an Phytosterolen die Cholesterinspiegel gesenkt werden können. Die cholesterinsenkenden Effekte von Phytosterolen wurden mittlerweile in weit mehr als 100 Studien nachgewiesen. Trotz der nachgewiesenen cholesterinsenkenden Wirkungen findet sich allerdings bis anhin keine wissenschaftliche
Evidenz, die auch einen Effekt auf die bekannten kardiovaskulären Endpunkte (d.h. koronare Morbidität oder Mortalität) zeigen würde.
Dosis-Wirkungs-Beziehung bestätigt
Vor Kurzem ist eine Metaanalyse von Demonty et al. (2) publiziert worden, in die 84 Studien mit insgesamt 141 Studienarmen eingeschlossen wurden. In dieser Studie bestätigte sich die DosisWirkungs-Beziehung zwischen dem Ausmass der Cholesterinsenkung und der Menge der zugeführten Phytosterole. Die Cholesterinsenkung betrug in dieser Metaanalyse 8,8 Prozent (95%-KI: -9,4; -8,3) für eine mittlere tägliche Zufuhr von 2,15 g Phytosterolen. Wie bei praktisch allen kardiovaskulären Risikofaktoren zeigte sich eine grössere Cholesterinsenkung in Abhängigkeit von der Höhe des Cholesterinausgangswerts. Interessanterweise zeigte sich kein Unterschied in der DosisWirkungs-Beziehung zwischen pflanzlichen Sterolen und Stanolen. Ebenfalls zeigte sich auch kein Unterschied der Wirksamkeit in Abhängigkeit von der Trägersubstanz der verwendeten funktionellen Nahrungsmittel. In diese Metaanalyse wurden Studien eingeschlossen, die Jo-
Abbildung 1: Die Ähnlichkeit der chemischen Struktur des Cholesterins und der Phytosterole (z.B. BetaSitosterin) suggeriert eine Interaktion.
ghurt, Margarine, Magermilch, Käse, Salatsaucen, Orangensaft, Milch, Tee, Brot und Gebäck als Trägersubstanz oder auch die Verabreichung in Form von Tabletten oder Kapseln untersuchten. Der Effekt scheint unabhängig von der Trägersub-
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Abbildung 2: Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der täglichen Phytosterolzufuhr (g/Tag) und der Senkung des LDL-Cholesterins.
stanz zu sein. Gemäss der Analyse war auch der Fettgehalt des Trägernahrungsmittels ohne Bedeutung. Dies unterstreicht den Umstand, dass der Effekt der Phytosterole in den verabreichten Mengen (1,0–4,03 g/d) auf pharmakologische Phänomene zurückzuführen ist. Derartig hohe Mengen an Phytosterolen mit der natürlichen täglichen Nahrung zuzuführen, ist allerdings kaum möglich. In einigen wenigen Studien wurden bis zu 8 g Phytosterol pro Tag verabreicht, was allerdings nicht in einer ausgeprägteren LDL-Cholesterinsenkung im Vergleich zu kleineren Dosen resultierte. Die Metaanalyse von Demonty et al. (2) bestätigt frühere Arbeiten, dass eine Phytosterolzufuhr von mehr als 2 bis 2,5 g/d keinen Sinn macht. Diese Metaanalyse darf wohl als «abschliessende» Studie bezüglich des Ausmasses der Cholesterinsenkung durch Phytosterole betrachtet werden. Bei kritischer Durchsicht überrascht, dass die Patienten in 87 der 141 Therapiearme der in der Metaanalyse eingeschlossenen Studien einen Body-Mass-Index (BMI) von ≥ 25 kg/m² aufweisen. Dieser Umstand deutet darauf hin, dass die Populationen in diesen Studien neben der Cholesterinsenkung auch noch andere Risikofaktoren angehen sollten. Eine weitere Metaanalyse von AbuMweis et al. (3) von der McGill-Universität in Kanada aus dem Jahr 2008 zeigte ähnliche Resultate. Auch hier bestätigte sich, dass das Ausmass der Cholesterinsenkung von der Höhe des Ausgangscholesterinwerts abhängig ist. Die absolute
Cholesterinsenkung betrug 0,31 mmol/l (95%-KI: -0,35; -0,27, p = < 0,0001). In Subgruppenanalysen wurde die Wirksamkeit auch in Bezug auf die Trägersubstanz und die Einnahmefrequenz analysiert. Im Gegensatz zur Metaanalyse von Demonty et al. (2) wurde ein grösserer cholesterinsenkender Effekt bei fettbasiertem Aufstrich (Margarine, Mayonnaise), Joghurt, Salatdressing und Milch im Vergleich zu Schokolade, Orangensaft, Fleisch, Muffins und fettfreien Getränken beobachtet. Bei kritischer Durchsicht der Forschungsresultate scheint dieser Effekt durch die Trägersubstanz ohne klinische Relevanz zu sein. Allerdings finden sich Hinweise, dass der Zeitpunkt der Zufuhr der Phytosterole von Bedeutung sein kann. Phytosterole als Einzeldosis zum Frühstück haben einen geringeren Effekt als eine Einzeldosis zu einer der beiden anderen Hauptmahlzeiten. Ob diese experimentellen Unterschiede langfristig von Bedeutung sind, ist noch unklar. Der Gehalt an Phytosterolen und anderen Sterolen in der Nahrung ist vergleichbar mit dem Nahrungscholesterin, bei allerdings deutlich geringerer Bioverfügbarkeit (bis ca. 5%). Die genauen Mechanismen der Phytosterolabsorption sind nur lückenhaft bekannt. Kenntnisse der Mechanismen würden jedoch allenfalls auch neue therapeutische Optionen ermöglichen. Neuere Studien deuten darauf hin, dass sowohl Cholesterin als auch Phytosterole durch den Niemann-Pick-C1L1Transporter in Enterozyten aufgenommen werden (4). Im Gegensatz zu Cholesterin werden die Phytosterole dann allerdings durch verschiedene Mechanismen wieder aus den Enterozyten in das Darmlumen hinaustransportiert. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass sich der Körper evolutionsbedingt sozusagen vor einer «zu hohen Aufnahme» von Phytosterolen schützt. Dieser Mechanismus scheint jedoch bei Patienten mit Sitosterolämie ebenfalls beeinträchtigt zu sein. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage nach der Toxizität von Phytosterolen auf. Toxizität von Nahrungskomponenten muss auf verschiedenen Ebenen diskutiert werden, und im Rahmen dieses Artikels soll nicht auf Einzelheiten eingegangen werden. Eine mögliche Toxizität umfasst ebenfalls das Krankheitsbild der Sitosterolämie, aber auch Wirkungen auf zellulärer Ebene wie zum Beispiel zytotoxische Effekte. Phytosterole können nicht nur die Lebensdauer von Krebszellen, sondern auch von normalen Zellen durch Apoptose verkürzen. Aber es gibt auch Hinweise, dass Phytosterole antiproliferative oder antiinflammatorische Wirkungen haben können. Inwiefern sich daraus klinisch relevante Konsequenzen ergeben, ist unklar. Klinisch wurden – abgesehen von der erwähnten Sitosterolämie – keine unerwünschten Wirkungen von Phytosterolen beobachtet. Schlussfolgerung Phytosterole senken sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern den LDL-Cholesterinspiegel. Die Plasmatriglyzeride bleiben durch Phytosterole unbeein- 2/09 34 PHYTOSTEROLE flusst. Die Effekte auf HDL-Cholesterin sind vernachlässigbar klein oder fehlend. Um zirka 2 g Phytosterole zuzuführen, müssen zum Beispiel etwa 25 g bis 30 g Margarine täglich konsumiert werden, dies bedeutet eine relativ hohe Fett- und Energiezufuhr, die durch andere LifestyleMassnahmen kompensiert werden sollte. Kein leichtes Unterfangen, wie wir aus der täglichen Praxis wissen. Letzterer Sachverhalt erhält je nach Art des funktionellen Nahrungsmittels praktische Bedeutung. Werden zum Beispiel Croissants mit Phytosterolen angereichert, wird ein für die Energiebilanz eher ungünstiges Nahrungsmittel plötzlich «gesünder». Diese Argumentation findet sich leider sehr oft bei unseren Patienten. Entsprechend muss und soll eine Phytosteroleinnahme immer mit anderen Lifestyle-Massnahmen kombiniert werden. Solange die verschiedenen funktionellen phytosterolhaltigen Nahrungsmittel in die täglich aufgenommene Energiemenge, das heisst in die Energiebilanzgleichung, miteinbezogen werden, kann die Zufuhr an phytosterolhaltigen Nahrungsmitteln eine praktikable supportive Variante zur Kontrolle der Cholesterinspiegel darstellen. Gewisse Fachleute schlagen sogar vor, dass bei einem Anstieg des Körpergewichts initial das Körpergewicht reduziert werden sollte, bevor eine Therapie mit funktionellen Nahrungsmitteln weitergeführt werden sollte. Die cholesterinsenkenden Effekte von Phytosterol sind im Besonderen bei therapierefraktären schweren Formen der familiären Hypercholesterolämie von potenzieller therapeutischer Bedeutung. Kann durch eine ausgebaute pharmakologische Therapie der Plasmacholesterinspiegel – beispielsweise bei familiärer Hypercholesterolämie – nicht kontrolliert werden, sollte wohl auf die synergistisch wirkenden Phytosterole zurückgegriffen werden. Hinweise bestehen, dass allenfalls auch bei Kindern mit einer familiären Hypercholesterolämie eine Phytosteroltherapie evaluiert werden sollte. Die Basis jeglicher Kontrolle des kardiovaskulären Risikoprofils im Sinne der Primärprävention bleibt der gesamte Lebensstil (und nicht eine Einzelmassnahme!), der sowohl Ernährungsfaktoren, eine regelmässige (d.h. tägliche) körperliche Aktivität und Beibehaltung eines normalen Körpergewichts beinhaltet. Diese Zielsetzungen verlangen eine minimale Eigenverantwortung, die bei konsequen- ter Umsetzung und bei Bedarf auch die Einnahme funktioneller Nahrungsmittel zulässt. Korrespondenzadresse: Dr. Kerstin Hübel Prof. Paolo M. Suter Medizinische Poliklinik Universitätsspital 8091 Zürich E-Mail: paolo.suter@usz.ch Literatur: 1. Best MM, Duncan CH, Van Loon EJ, Wathen JD. Lowering of Serum Cholesterol by the Administration of a Plant Sterol. Circulation 1954; 10: 201–206. 2. Demonty I, Ras RT, van der Knapp HCM, Duchateau GSMJE, Meijer L, Zock PL, Geleijnse JM, Trautwein EA. Continuous Dose-Response Relationship of the LDL-Cholesterin-Lowering Effect of Phytosterol Intakt. J Nutr 2009; 139 (2): 271–284. 3. AbuMweis SS, Barake R, Jones PJH. Plant sterols/stanols as cholesterol lowering agents: A meta analysis of randomized controlled trials. Food Nutr Res 2008; 52. 4. Davis HR Jr, Altmann SW. Niemann-Pick C1 Like 1 (NPC1L1) an Intestinal Sterol Transporter. Biochim Biophys Acta 2009. 5. Joan Quilez J, Rafecas M, Brufau G, Garcia-Lorda P, Megias I, Bullo M, Ruiz JA, Salas-Salvado J. Bakery Products Enriched with Phytosterol Esters, AlphaTocopherol and Beta-Carotene Decrease Plasma LDL-Cholesterol and Maintain Plasma Beta-Carotene Concentrations in Normocholesterolemic Men and Women. Human Nutrition and Metabolism 2003; 3103–3109. 35 2/09