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FETTE UND FETTSÄUREN
Mehrfach ungesättigte Fettsäuren (PUFA)
ULRICH MOSER
Die mehrfach ungesättigten Fettsäuren (1) haben die Diskussionen um den Nutzen der Lipide neu belebt. Die Bedeutung der Fettsäurezusammensetzung der Membranphospholipide, vor allem der reizleitenden Membranen, hat dazu geführt, die Lipidempfehlungen neu zu überdenken. Auch die Entdeckung der Eicosanoide und deren Regulation durch die verschiedenen hoch ungesättigten Fettsäuren der n-6- und n-3-Reihen stellen die Ernährungswissenschaftler vor neue Herausforderungen. Schon früh hatte man erkannt, dass Säugetiere, und damit auch der Mensch, zusätzliche Doppelbindungen zu der ersten nur in Richtung der Säuregruppe einfügen können, aber nicht in Richtung des Methylendes der Fettsäuren; deshalb zählt man die pflanzlichen C:18 ungesättigten Fettsäuren Linolsäure (LA) und α-Linolensäure (ALA) zu den essenziellen Nahrungskomponenten, ähnlich den Vitaminen. Orientiert man sich an der Muttermilch als bestausgewogene Ernährung für ein angehendes Individuum, ist der Mensch offenbar auch auf eine direkte Zufuhr von Docosahexaensäure (DHA) aus der Nahrung angewiesen. Die Eigensynthese aus der Vorstufe ALA genügt nicht, um den Bedarf für die Strukturlipide zu decken. Es gibt daher immer mehr Experten, die befürworten, dass DHA als dritte essenzielle Fettsäure für den Menschen betrachtet werden soll.
Seit den Fünfzigerjahren weiss man, dass Der menschliche Organismus ist nicht in wobei die gleichen Enzyme sowohl für
neben den 13 Vitaminen auch eine essen- der Lage, die Doppelbindungen in der die n-6-Serie wie für die n-3-Serie verant-
zielle Fettsäure existiert, die Linolsäure n-6- und n-3-Position einzufügen; er ist wortlich sind (Abbildung 2).
(LA). Säuglinge, die LA-frei ernährt wur- deshalb auf eine ausreichende Zufuhr den, litten unter trockener und schuppi- von LA und ALA aus der Nahrung ange- Biologische Funktionen
ger Haut (2). In der Ausgabe von 1980 der wiesen. Wie Abbildung 1 zeigt, befinden n-6-Fettsäuren
amerikanischen RDA (recommended die- sich die Doppelbindungen immer in der Vorkommen und empfohlene Zufuhr
tary allowance) wurde die Vermutung ge- cis-Konfiguration und sind durch zwei von Linolsäure (LA)
äussert, dass es aufgrund von Versuchen Einfachbindungen getrennt.
LA kommt vor allem in pflanzlichen Ölen
mit Affen eine zweite essenzielle Fettsäu- Die Biosynthese der mehrfach ungesät- vor; Sonnenblumenöl enthält beispiels-
re geben muss, nämlich die α-Linolensäu- tigten, langkettigen Fettsäuren erfolgt weise zirka 60 Prozent LA. Sie ist die Aus-
re (ALA) (3). Allerdings waren die Daten ungenügend, um eine Empfehlung für den Menschen abzugeben. In der Ausgabe von 2002 hat das US Food and
«Die pflanzlichen C:18 ungesättigten Fett-
säuren Linolsäure (LA) und α-Linolensäure (ALA)
»zählen heute zu den essenziellen Nahrungs-
komponenten.
gangsverbindung für die längerkettigen, funktionellen n-6-Fettsäuren, die Mensch und Tier selbst synthetisieren können. Die empfohlene Zufuhr für Erwachsene liegt ge-
Nutrition Board (FNB) so-
mäss DACH-Referenzwerten
wohl für LA als auch ALA eine Empfeh- durch das Einfügen von Doppelbindun- bei rund 2 Energieprozent oder bei zirka
lung formuliert (4), da beide Fettsäuren gen gegen die Säuregruppe hin und die 6,5 g pro Tag, was unter Berücksichtigung
voneinander unabhängige Stoffwechsel- Verlängerung der Kohlenstoffkette um eines Variationskoeffizienten von 15 Pro-
funktionen ausüben.
jeweils 2 C-Atome an der Säuregruppe, zent eine Empfehlung von etwa 2,5 Pro-
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Abbildung 1: Struktur der Stearinsäure, der Linolsäure (n-6) und der α-Linolensäure (n-3).
n-6 Fettsäuren
Linolsäure (C18:2) ↓
α-Linolensäure (C18:3) ↓
Dihomo-γ-Linolensäure (C20:3) ↓
Arachidonsäure (C20:4) ↓ C22:4
↓ C24:4
↓ C24:5
↓ Osbondsäure (C22:5)
Enzyme
n-3 Fettsäuren
←Δ-6-Desaturase→ ←Elongase→
α-Linolensäure (C18:3) ↓
Stearidonsäure (C18:4) ↓
C20:4
Abbildung 2: Biosynthese der mehrfach ungesättigten Fettsäuren (5) (Px = Peroxismal)
←Δ-5-Desaturase→
←Elongase→
←Elongase→ ←Δ-6-Desaturase→ ←Px-β-Oxidation→
↓ Eicosapentaensäure
(C20:5) ↓
Docosapentaensäure (C22:5) ↓ C24:5 ↓ C24:6 ↓
Docosahexaensäure (C22:6)
zent der Energie oder 8 g pro Tag (6) ergibt. Das Food and Nutritional Board (USA) sieht die benötigte Zufuhr allerdings deutlich höher und empfiehlt für Männer (19- bis 50-jährig) 17 g/Tag und für Frauen (19- bis 50-jährig) 12 g/Tag (4).
Physiologische Funktion der n-6-Fettsäuren In einem ersten Schritt, der für den weiteren Verlauf der Bildung hoch ungesättigter Fettsäuren limitierend ist, wird LA desaturiert, das heisst, es wird eine Doppelbindung eingeführt. Die daraus entstehende γ-Linolensäure (GLA; C18:3 n-6)
ist lediglich ein Zwischenprodukt und hat selbst keine physiologische Funktion. Durch Verlängerung mit einer C-2-Einheit entsteht Dihomo-γ-Linolensäure (C20:3 n6), aus der durch nochmaliges Einfügen einer Doppelbindung die Arachidonsäure (AA; C20:4 n-6) synthetisiert wird. AA wird nur von tierischen Organismen gebildet und ist ein wichtiger Bestandteil der Membranphospholipide. Säuglinge erhalten AA mit der Muttermilch (Kuhmilch enthält kaum AA), ab dem späteren Kleinkindesalter genügen die Zufuhr aus der Nahrung sowie die Eigensynthese. Eine Expertengruppe empfiehlt für Säuglings-
nahrung einen Gehalt an AA von 0,35 Prozent der totalen Fettsäuren und für Frühgeburten 0,4 Prozent, da letztere keine Fettreserven besitzen und somit auf eine konstante Zufuhr angewiesen sind (7). AA ist die wichtigste Ausgangssubstanz für die Synthese der Eicosanoide, einer Familie von Substanzen, die physiologische Prozesse hormonähnlich regulieren. Im Gegensatz zu diesen wirken sie jedoch nur am Ort, wo sie synthetisiert werden. Sie werden lokal in dazu befähigten stimulierten Zellen gebildet und können hemmende oder fördernde Einflüsse auf verschiedene Funktionen wie den Blutdruck, den Transport von Ionen durch Membranen oder auf Entzündungsreaktionen und so weiter ausüben (8).
n-3-Fettsäuren
a) α-Linolensäure (ALA) Vorkommen und Bedarf Wie LA kommt auch ALA vor allem in pflanzlichen Ölen wie Leinsamenöl, Rapsöl, Maisöl, Sojaöl, aber nicht im Sonnenblumenöl, vor. Erst in den neuesten Ausgaben der Referenzwerte findet man auch Empfehlungen für die Einnahme von ALA. Während in den DACH-Referenzwerten eine empfohlene Zufuhr von 0,5 Energieprozent für alle n-3-Fettsäuren ausgewiesen wird, was zirka 1,7 g entspricht (6), empfiehlt das FNB 1,6 g ALA für Männer und 1,1 g ALA für Frauen (4). Mangelsymptome wie schuppige und hämorrhagische Dermatitis sowie gestörte Wundheilung wurden bei Patienten beobachtet, die durch eine Magensonde ohne diese Fettsäuren ernährt wurden (9). Bei gesunden Erwachsenen sind hingegen keine Mangelkrankheiten bekannt, da ALA offenbar in genügender Menge in der Nahrung vorkommt.
b) Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure (EPA und DHA) Vorkommen und Biosynthese Wie LA wird auch ALA im Organismus durch Einfügen von Doppelbindungen und durch Verlängerung in höher ungesättigte Fettsäuren umgewandelt. Endprodukte sind die Eicosapentaensäure (EPA; C20:5 n-3) und die Docosahexaensäure (DHA; C22:6 n-3), die nur noch in
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tierischen Produkten, hauptsächlich in Fisch und maritimen Säugetieren, vorkommen. Zur Biosynthese der hoch ungesättigten Fettsäuren EPA, DHA und AA werden die gleichen Enzyme verwendet, wobei die Affinität in der Reihenfolge n-3, n-6, n-9 abnimmt. Bei einem DHA-Mangel wird als Kompensation die AA verlängert und desaturiert; die entstehende C22:5 n-6 ist ein Marker für einen n-3-Fettsäuremangel (10). Untersuchungen mit markierten ALA haben gezeigt, dass die Biosynthese von ALA zu EPA und die weitere Synthese von EPA zu DHA beim Menschen ungenügend ist,
len ist dies weniger ein Problem, da Muttermilch in der Regel genügend DHA enthält; der Gehalt hängt jedoch von der Ernährung der Mutter ab (15). Vor allem vegetarische Ernährung kann zu einer Unterversorgung von DHA/EPA führen (16). In einer Studie in China wurde der DHA-Gehalt der Muttermilch aus verschiedenen Regionen verglichen. In einer ländlichen Gegend war der Wert mit 0,44 ± 0,29 Prozent der Fettsäuren am tiefsten, gefolgt von 0,88 ± 0,34 Prozent in einer städtischen Umgebung und am höchsten mit 2,78 ± 1,20 Prozent an der Küste, wo viel Fisch gegessen wird. Der Gehalt an
Experten befürworten DHA als dritte essenzielle Fett-
«»säure.
wobei die Umwandlung bei Frauen wahr- Arachidonsäure variierte hingegen kaum
scheinlich durch hormonelle Einflüsse et- und bewegte sich zwischen 0,80 ± 0,14
was besser ist als bei Männern (11).
und 1,22 ± 0,32 Prozent der Fettsäuren
(17). Die oben erwähnte Expertengruppe
Physiologische Funktionen der hoch empfiehlt für Säuglingsnahrung einen
ungesättigten n-3-Fettsäuren
Gehalt an DHA von 0,2 Prozent und für
Die DHA ist, wie die AA, ein elementarer Frühgeburten 0,35 Prozent der totalen
Bestandteil der Membranphospholipide Fettsäuren (7).
und mitverantwortlich für deren Eigen- Die DHA ist aber auch beim Erwachsenen
schaften und somit für deren Gesunder- für das normale Funktionieren von Herz,
haltung (12). Besonders reich an DHA sind Immunsystem und wahrscheinlich ande-
die Stäbchen in der Retina, deren Phos- rer Organe unerlässlich (18). Die Sterb-
pholipide über 40 Prozent DHA enthalten lichkeitsrate für Herz-Kreislauf-Krankhei-
(13), sowie alle reizleitenden Membranen. ten ist bei den Inuit wesentlich tiefer als
Für die Entwicklung des Gehirns ist es bei den Dänen oder den Amerikanern.
deshalb unerlässlich, dass Säuglinge DHA Man hat dies auf deren hohen Verzehr an
mit der Nahrung erhalten. Das sich ent- hoch ungesättigten n-3-Fettsäuren zurück-
wickelnde Gehirn baut die aufgenomme- geführt, was Studien mit DHA/EPA bestä-
ne DHA in dessen Strukturen zehnmal tigt haben (19). Das Gehirn ist auf eine
schneller ein, als durch die Eigensynthese stetige Versorgung mit DHA angewiesen,
nachgeliefert werden kann (14). Beim Stil- da nicht nur die Membranstrukturen er-
neuert werden, sondern
Tabelle: Gehalt an EPA und DHA einiger Fische (26)
auch Botenstoffe, die Docosanoide, daraus gebil-
Fisch Hering Makrele
EPA + DHA (g/100 g Fisch) 1,57 2,30
det werden (20), die eine starke antiinflammatorische Wirkung haben (21).
Sardine, in Dosen Lachs, wild Lachs, gezüchtet Sardelle, in Dosen Thunfisch Kabeljau Regenbogenforelle
0,98 Gut untersucht ist die tri-
1,44 glyzeridsenkende Wirkung.
1,91 Bei Hyperlipidämikern ge-
2,06 1,17
nügen bereits 0,3 g pro
0,18 Tag, um eine signifikante
0,59 Triglyzeridsenkung zu be-
wirken. Hingegen braucht
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es bei Personen mit annähernd normalen Serumtriglyzeridwerten etwa 1 g DHA/ EPA pro Tag, was darauf hindeutet, dass die Wirkung nicht über eine Normalisierung hinausgeht (22). Die US Food and Drug Administration (FDA) hat die Bedeutung von EPA und DHA für die kardiovaskuläre Gesundheit bestätigt, warnt allerdings vor zu hohen Dosen (über 3 g EPA und DHA pro Tag), da die Blutgerinnungszeit verlängert werden kann (23). Auch die American Heart Association empfiehlt Fisch und/oder DHA/EPA für die kardiovaskuläre Gesundheit. Personen ohne Herzerkrankungen sollen demnach mindestens zweimal wöchentlich fetten Fisch konsumieren. Falls bereits eine koronare Herzkrankheit vorhanden ist, empfehlen sie etwa 1 g EPA/ DHA pro Tag, entweder als Fisch oder in Form von Supplementen. Der Gehalt an EPA/DHA einiger ausgewählter Fische ist in der Tabelle zusammengestellt. Für die Serumtriglyzeridsenkung wird angeraten, eine Behandlung mit 2 bis 4 g EPA/DHA unter Kontrolle eines Arztes in Betracht zu ziehen (24). Die International Society for the Study of Fatty Acids and Lipids (ISSFAL) hat im Jahr 2004 eine Empfehlung von 500 mg EPA plus DHA pro Tag für die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen abgegeben (25). Es ist heute unbestritten, dass auch Erwachsene DHA und EPA, und nicht nur die Vorstufe ALA, mit der Nahrung aufnehmen sollten; somit kann die DHA als dritte essenzielle Fettsäure betrachtet werden.
c) Verhältnis n-6-/n-3-Fettsäuren Da die Umwandlung von LA und ALA in die hoch ungesättigten Fettsäuren durch die gleichen Enzyme erfolgt, kann ein zu hoher Anteil an LA die Verarbeitung der ALA blockieren. Aus diesem Grund sollte man höchstens fünfmal mehr LA als ALA einnehmen, falls die Versorgung mit DHA ungenügend ist. Studien über die Ernährung der ersten Menschen zeugen von einem ausgewogenen Gleichgewicht der essenziellen Fettsäuren; das Verhältnis n-6/n-3 lag damals ungefähr bei 1:1. Erst mit Beginn des industriellen Zeitalters nach 1900 begann eine Zunahme der Einnahme von n-6-
Fettsäuren und eine Abnahme der n-3Fettsäuren, was zu einer markanten Erhöhung des n-6-/n-3-Verhältnisses auf über 10:1 führte (27). Für optimale Gehirnfunktionen, zur Unterstützung des Herzkreislaufs sowie für eine optimale Regulation der Immunabwehr und Zellteilung wird ein Verhältnis von ≤ 4:1 empfohlen. Ein Verhältnis von 10:1, wie es in der westlichen Ernährung üblich ist, hat dagegen im Hinblick auf chronisch entzündliche Krankheiten negative Auswirkungen. In den DACH-Referenzwerten wird ein Verhältnis von weniger als 5:1 empfohlen (6).
Korrespondenzadresse:
Dr. Ulrich Moser
Holbeinstrasse 85
4051 Basel
E-Mail: ulrichkmoser@bluewin.ch
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