Transkript
KARDIOLOGIE
Vorhofflimmern
Schützt die frühe Antikoagulation vor Demenz?
Vorhofflimmern (VHF) ist zweifelsfrei ein Risikofaktor für das Auftreten von Schlaganfällen. Dieses erhöhte Risiko lässt sich durch eine Therapie mit oralen Antikoagulanzien (OAK) signifikant reduzieren. Obwohl für VHF auch eine Assoziation mit Demenzerkrankungen gezeigt wurde, ist bis anhin nicht klar, ob sich einer solchen VHF-bedingten Demenz mittels OAK vorbeugen lässt. Im Rahmen einer aktuellen Studie wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen OAK und Demenzrisiko bei VHF-Patienten näher untersucht.
European Heart Journal
Interessenlage: Die Autoren der referierten Originalstudie geben an, Vortragshonorare und Fördergelder von diversen Pharmafirmen erhalten zu haben.
Die Annahme, wenn OAK ja vor grösseren Emboli schützen, welche zu Schlaganfällen führen, sie dann womöglich auch die Bildung kleinerer Gerinnsel verhindern können, die Mikroinfarkte und mithin kognitive Funktionsstörungen auslösen, liegt durchaus nahe. Ein systematischer Review von 19 Studien mit insgesamt 15 876 Patienten zum Zusammenhang zwischen VHFThromboprophylaxe und dem Auftreten von Demenz verzeichnete zuletzt jedoch uneindeutige Resultate. Zur Klärung dieser Frage wäre letztlich eine randomisierte, plazebokontrollierte Studie wünschenswert. Doch weil es nicht möglich ist, VHF-Patienten mit Schlaganfallrisiko mit Plazebo zu behandeln, verbietet es sich aus ethischen Gründen, eine solche Studie durchzuführen.
Retrospektive Registerstudie
Eine Stockholmer Arbeitsgruppe hat nun versucht, sich dem Thema im Rahmen einer retrospektiven Registerstudie zu nähern, und dazu die Daten von insgesamt 456 960 Patienten im schwedischen Patienten- beziehungsweise Medikamentenregister herangezogen, bei denen im Zeitraum zwischen 2006 und 2014 im Spital eine VHFDiagnose gestellt worden war. Ziel war es, in dieser Kohorte die Inzidenzen von Demenzerkrankungen mit und ohne OAK zu analysieren und ausserdem zu untersuchen, ob in diesem Zusammenhang ein Unterschied zwischen den neuen, nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) und den Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin, Phenprocoumon) besteht. Von den registrierten VHF-Patienten wurden lediglich diejenigen, bei welchen bereits
zu früheren Zeitpunkten eine Demenz diagnostiziert worden war (n = 12 854), nicht in die Auswertung einbezogen. Von den in die Analyse eingeschlossenen 444 106 Patienten entwickelten 26 210 während insgesamt mehr als 1,5 Millionen Personenjahren Followup (1,73 pro 100 Personenjahre unter Risiko) eine Demenz. Zu Beginn des Studienzeitraums verwendeten 42,9 Prozent der Patienten Warfarin, 0,04 Prozent Phenprocuomon, 2,9 Prozent ein NOAK, und 54,3 Prozent hatten bis dato keinerlei OAK erhalten. Patienten mit neu aufgetretener Demenz waren im Vergleich zu denjenigen ohne entsprechende Anzeichen im Durchschnitt älter und litten unter mehr Begleiterkrankungen. Als stärkste Prädiktoren für das Auftreten von Demenz erwiesen sich neben dem Alter (Hazard Ratio [HR] pro 10 Jahre: 2,19; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 2,16–2,22) eine Parkinson-Erkrankung (HR: 2,46; 95%KI: 2,25–2,69), die Abwesenheit eines OAK (HR: 2,09; 95%-KI: 1,73–2,53) sowie Alkoholmissbrauch (HR: 1,53; 95%-KI: 1,41–1,66).
Geringeres Demenzrisiko unter Antikoagulation
Die Demenzinzidenzrate war bei Patienten mit OAK geringer als bei solchen, die keinerlei OAK erhalten hatten (1,14 vs. 1,78 pro 100 Patientenjahre; p < 0,001). Beim Vergleich zweier durch Propensity Score Matching gebildeter Kohorten (± OAK, je n = 80 948) ergab sich in der Intentionto-treat-Analyse (Behandlung zu Baseline, ungeachtet nachfolgender Wechsel) für die Gruppe von Patienten, welche zu Baseline unter OAK gestanden
hatten, ein um 29 Prozent geringeres Risiko, nachfolgend eine Demenz zu entwickeln, als für die unbehandelte Gruppe (HR: 0,71; 95%-KI: 0,68– 0,74). Dabei stellte sich heraus, dass der Nutzen der OAK umso ausgeprägter war, je früher nach der ersten VHFEpisode mit dieser Therapie begonnen worden war. Dies deutet auf eine DosisWirkungs-Beziehung zwischen einerseits der Zeitspanne, während der die Patienten an VHF leiden, ohne OAK zu erhalten, und der Entwicklung einer Demenz andererseits hin. Noch deutlicher kristallisierte sich die Beziehung zwischen OAK und Demenzrisiko nach Auswertung der Daten mittels On-treatment-Analyse (Beschränkung auf entweder Patienten mit Zugang zu OAK während 80% der Beobachtungszeit oder solchen, die zu keiner Zeit während des Follow-ups OAK erhielten) heraus: Hier hatten OAK-Patienten im Vergleich mit solchen ohne OAK ein um 48 Prozent niedrigeres Demenzrisiko (HR: 0,52; 95%-KI: 0,50–0,55). Beim direkten Vergleich der Effekte von NOAK und VKA auf das Demenzrisiko ergab sich kein statistisch signifikanter Unterschied (HR: 0,97; 95%KI: 0,67–1,40).
Fazit
Das Risiko, im Zuge von VHF eine Demenzerkrankung zu entwickeln, ist bei Patienten unter OAK niedriger als bei solchen ohne OAK. Ein früher Beginn mit OAK könnte daher bei VHF-Patienten von Bedeutung für den Erhalt kognitiver Funktionen sein. RABE L
Quelle: Friberg L, Rosenqvist M: Less dementia with oral anticoagulation in atrial fibrillation. Eur Heart J 2018; 39: 453–460.
14 ARS MEDICI DOSSIER III | 2019