Transkript
Wenn die Achillessehne schmerzt
Tendinopathie, Schleimbeutelentzündung oder Sehnenanriss richtig diagnostizieren und behandeln
FORTBILDUNG
Für chronische Schmerzen im hinteren Fersenbereich ist in den meisten Fällen eine Tendinopathie der Achillessehne verantwortlich. Welche Differenzialdiagnosen zu beachten sind und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt, wurde aktuell in der Rubrik «10 Minute Consultation» des «British Medical Journal» speziell für den Allgemeinpraktiker zusammengefasst.
British Medical Journal
Im vorgestellten Fallbeispiel klagt ein 41-jähriger Mann seit längerer Zeit über bestehende Schmerzen und Morgensteifigkeit an der Rückseite seiner linken Ferse. Die Schmerzen nehmen beim Tennisspielen zu. Er bittet um Rat, worum es sich handeln und was allenfalls dagegen unternommen werden kann. Schmerzen am Fersenrücken haben ihren Ursprung in einer begrenzten Anzahl anatomischer Strukturen (Achillessehne, Fersenbeinschleimbeutel, umgebendes Weichgewebe), was die wahrscheinlichen Differenzialdiagnosen einschränkt. Die häufigste Ursache für Schmerzen im hinteren Fersenbereich ist ein Achillessehnenleiden, dessen Häufigkeit auf 1,85 pro 1000 Personen geschätzt wird. Eine Achillessehnentendinopathie kann jedoch auch anderen Pathologien, insbesondere Teilrissen der Achillessehne, zugrunde liegen.
MERKSÄTZE
O Bei der Achillessehnentendinopathie handelt es sich um eine klinische Diagnose, und bildgebende Untersuchungen sind nur erforderlich, wenn diagnostische Unsicherheiten bestehen.
O Exzentrische Wadenmuskelübungen sind die traditionelle Massnahme zur Stärkung der Achillessehne.
O Falls sich die Beschwerden nach drei bis sechs Monaten nicht bessern, ist eine Weiterweisung zum orthopädischen Facharzt beziehungsweise Sportmediziner zu erwägen.
Anamnese
Zunächst einmal sollte sich der behandelnde Arzt ein Bild von der Schmerzcharakteristik machen (zu den Differenzialdiagnosen des Fersenrückenschmerzes siehe Tabelle) und den Patienten nach Symptomen befragen, welche an eine Gelenkentzündung wie etwa eine ankylosierende Spondylitis denken lassen. Begleiterkrankungen wie Diabetes Typ 2 und erhöhter Body-Mass-Index (BMI) sind ebenfalls mit Tendinopathien assoziiert. Andere, höchstwahrscheinlich modifizierbare biomechanische Risikofaktoren umfassen eine eingeschränkte Dorsalflexion des Sprunggelenks, Plattfüsse und Rückfussinversion. Augenmerk sollte auch auf vom Patienten eingenommene Medikamente gelegt werden, da einige Substanzen unter Umständen mit Tendinopathien einhergehen können, darunter ein akuter Gebrauch von Quinolon sowie die Langzeiteinnahme von Statinen (mittlere Zeit bis zum Auftreten von Symptomen: ca. 10 Monate). Eine Familienanamnese von Sehnenproblemen kann das Risiko bis zu fünffach erhöhen.
Untersuchung
Am bäuchlings liegenden Patienten ist die Sehne zu inspizieren und zu palpieren. Besonderes Augenmerk ist dabei auf eine möglicherweise im Vergleich mit dem anderen Fuss bestehende Verdickung der Sehne zu legen, denn dies könnte ein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Tendinopathie sein. Druckempfindlichkeit und insbesondere ein punktgenauer Sehnenschmerz deuten auf eine Achillessehnenteilruptur als wahrscheinliche Ursache hin. Bei der retrokalkanealen Bursitis, der Fersenschleimbeutelentzündung, kommt es bei direktem Palpieren des Schleimbeutels möglicherweise zu Schwellung und Druckdolenz. Des Weiteren ist zu untersuchen, ob im mittleren Bereich der Achillessehne eine Krepitation vorliegt, welche ebenfalls auf eine Tendinopathie hinweisen würde. Zum Zweck der Unterscheidung einer Achillessehnentendinopathie von einem Impingement (Einklemmungssyndrom) des hinteren Sprunggelenks kann der Fuss passiv gebeugt und beobachtet werden, ob die Schmerzen bei Dorsal- oder Plantarflexion zunehmen. Der Squeeze-Test nach Simmond, das Abtasten hinsichtlich eines Spalts in der Sehnenstruktur und das Vorliegen einer vermehrten Dorsalflexion am betroffenen im Vergleich mit dem anderen Fuss können Hinweise auf eine bestehende Achillessehnenruptur geben. Lässt sich der Schmerz durch Hüpfen des Patienten reproduzieren, ist dies ein weiterer Hinweis auf eine Tendinopathie der Achillessehne.
ARS MEDICI 12 I 2016
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FORTBILDUNG
Tabelle:
Differenzialdiagnosen bei Schmerzen im hinteren Fersenbereich
Störung Achillessehnentendinopathie (mittlerer Sehnenbereich)
Ansatztendinopathie der Achillessehne Retrokalkaneale Bursitis (Fersenschleimbeutelentzündung) Impingement (Einklemmungssyndrom) des hinteren Fersenbereichs Achillessehnenanriss
Achillessehnenruptur
Charakteristik O chronischer dumpfer Schmerz entlang der Achillessehne O Lokalisation der Schmerzen typischerweise 2–6 cm oberhalb des Fersenbeins O langsamer Beginn O Verschlechterung bei Aktivität O Morgenschmerz und -steifigkeit O Schmerzen bei Dorsalflexion zunehmend
O Schmerzen im Bereich des Fersenbeins
O Schmerzen zwischen Fersenbein und Sehne O an dieser Stelle Empfindlichkeit auf direkte Palpation
O Schmerzen bei Plantarflexion zunehmend
O plötzlicher lokalisierter Schmerz vor dem Hintergrund länger bestehender O Beschwerden an der Achillessehne
O Ruptur bei chronischen Schmerzen eher unwahrscheinlich
(nach Morton S et al.)
Alles in allem existieren jedoch keine formalisierten Kriterien zur Diagnose einer Achillessehnentendinopathie – es handelt sich um eine klinische Diagnose, und die meisten Informationen liefert die Anamnese.
Wie kann den Betroffenen geholfen werden?
Besteht der Verdacht auf eine Achillessehnenruptur, ist der Patient an einen orthopädischen Notdienst weiterzuweisen. Wird ein Sehnenanriss vermutet, sollte ein Sportmediziner oder ein Orthopäde die weitere Behandlung übernehmen. Lässt sich keine eindeutige Diagnose stellen, ist eine Ultraschalluntersuchung in Erwägung zu ziehen, um die Strukturen des hinteren Sprunggelenks beurteilen zu können. Dabei können zufälligerweise auch bestehende asymptomatische Probleme, wie etwa eine Tendinopathie am schmerzfreien Fuss, entdeckt werden. Kann die Arbeitsdiagnose einer Achillessehnentendinopathie gestellt werden, ist der Patient darüber aufzuklären, dass die Beschwerden trotz Behandlung für bis zu zwei Jahre fortbestehen können. Sowohl viel sitzende als auch aktive Personen können Symptome entwickeln, und Männer und Frauen sind gleichermassen, am häufigsten im Alter zwischen 41 und 60 Jahren, betroffen. Hinsichtlich der optimalen Behandlungsstrategie existieren kaum belastbare Daten. Gemäss den vom National Institute for Health and Care Excellence (NICE) herausgegebenen Clinical Knowledge Summeries sollten Ärzte folgende Massnahmen einleiten: O einfache Analgesie (z.B. nichtsteroidale Entzündungshem-
mer [NSAID] für bis zu 2 Wochen) O Reduktion auslösender Aktivitäten (eine komplette Scho-
nung kann die Situation verschlimmern)
In Betracht kommt auch ein patientengeleitetes Übungsprogramm zur Stärkung der Achillessehne, wobei zur Art der durchgeführten Übungen oder deren Dauer kaum Konsens besteht. In erster Linie kommen hier exzentrische Übungen der Wadenmuskulatur zum Einsatz, aber ein schweres langsames Widerstandstraining mit kombinierten exzentrischkonzentrischen isotonischen Belastungen kann gleichermassen effektiv sein. Die meisten Patienten erfahren nach 12-wöchiger konservativer Therapie eine signifikante Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung. Hilfestellung zur Durchführung der Übungen finden Patienten im Internet unter www.you tube.com/watch?v=M6EKuuZ7C2E. Die Patienten sind darauf hinzuweisen, dass das Training mit Schuhen durchgeführt werden sollte. Im Bedarfsfall ist eine Weiterweisung zum Physiotherapeuten zwecks biomechanischer Beurteilung oder intensiverer Übungsprogramme zu erwägen. Den Patienten sollte nahegelegt werden, jegliche Betätigungen, welche die Beschwerden verschlimmern, zu pausieren. Nicht mit Belastung einhergehende Aktivitäten, wie etwa Schwimmen, sollten fortgesetzt werden, um die kardiovaskuläre Fitness aufrechtzuerhalten. Die Schwere der Symptome bestimmt die Rückkehr zu normaler Aktivität. Falls die Beschwerden trotz der genannten Massnahmen auch nach drei bis sechs Monaten fortbestehen, sollte eine Überweisung zum Sportmediziner oder orthopädischen Chirurgen in Erwägung gezogen werden.
Ralf Behrens
Quelle: Morton S et al.: Pain at the back of the heel. BMJ 2016; 352:i1366.
Interessenlage: Die Autoren der Originalpublikation geben an, dass keinerlei Interessenkonflikte bestehen.
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