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FORTBILDUNG
Osteoporose: Wie lange mit Bisphosphonaten behandeln?
Nach Ablauf von fünf Jahren muss die Therapiebedürftigkeit auf den Prüfstand
Bisphosphonate sind Standardmedikamente zur Vorbeugung und Behandlung von Osteoporose. Gemäss Empfehlungen sollte bei Patienten, die diese Wirkstoffe einnehmen, nach fünf Jahren individuell überprüft werden, ob eine weitere Verschreibung sinnvoll ist. Im Rahmen der Rubrik «10 Minute Consultation» des «British Medical Journal» haben englische Rheumatologen, ausgehend von einem konkreten Fallbeispiel, das entsprechende praktische Vorgehen erläutert.
British Medical Journal
Im vorgestellten Fall handelte es sich um eine 74-jährige Frau, der nach einer fünf Jahre zuvor bei geringer Krafteinwirkung erlittenen Colles-Fraktur Bisphosphonate verschrieben worden waren und die anlässlich der anstehenden Medikationsüberprüfung nun die Frage stellt, für wie lange sie diese Medikamente weiter einnehmen sollte.
Was sollten Sie abklären? Bei dieser Prüfung stehen die Verträglichkeit der Therapie sowie die individuellen Risikofaktoren des Patienten und dessen Compliance im Vordergrund. Dabei sollten die Vorund Nachteile sowie die Unwägbarkeiten einer fortgesetzten Behandlung zur Sprache kommen und ein mit dem Patienten abgestimmter Handlungsplan entworfen werden. Grundsätzlich muss der behandelnde Arzt in einer solchen Situation zunächst einmal anhand der Patientengeschichte und der individuellen Risikofaktoren klären, wie gross die Gefahr einer neuerlichen Fraktur ist. Massgebliche Komorbiditäten wie etwa eine rheumatoide Arthritis, die sich mög-
MERKSÄTZE
O Der Langzeitnutzen und -schaden einer Entscheidung zum Fortsetzen oder Beenden einer Bisphosphonattherapie sind derzeit nicht hinreichend geklärt.
O Hochrisikopatienten sollte eine fortgesetzte Behandlung, Niedrigrisikopatienten eine Therapiepause angeboten werden.
licherweise im zurückliegenden Zeitraum entwickelt haben, sind dabei ebenso zu erfassen wie eventuell neu eingenommene, das Frakturrisiko steigernde Medikamente (z.B. Kortikosteroide, Aromatasehemmer bei Brustkrebs). Zu prüfen ist, ob es in den vergangenen fünf Jahren zu weiteren Knochenbrüchen, möglicherweise auch zu bis anhin unentdeckten Wirbelfrakturen, gekommen ist. Auf Letztere können thorakale Rückenschmerzen oder ein Körpergrössenverlust um mehr als vier Zentimeter hinweisen; in diesen Fällen sollte eine Magnetresonanztomographie oder Röntgenuntersuchung der thorakalen Wirbelsäule vorgenommen werden. Bei stattgehabten Wirbelfrakturen ist eine Unterbrechung der Therapie nicht empfohlen. Falls ein Therapiestopp in Erwägung gezogen wird oder bei Auftreten eines Knochenbruchs unter der Therapie sollte den Patienten zeitnah (innerhalb von 2 Jahren) eine Knochendichtemessung (DXA) angeboten werden. Abzufragen ist auch der aktuelle Gebrauch von Bisphosphonaten, da nur etwa die Hälfte der Patienten nach einem Jahr die Medikamente noch einnimmt. Auch bei Auftreten von Nebenwirkungen wie Verdauungsstörungen oder Übelkeit empfiehlt sich eine Kontrolle, ob die Medikamente wie verschrieben eingenommen wurden. Des Weiteren sind potenzielle Ängste des Patienten im Zusammenhang mit der fortgesetzten Bisphosphonattherapie, etwa hinsichtlich seltener Nebenwirkungen, zu erörtern. Das jährliche absolute Risiko atypischer Femurfrakturen liegt bei 11 pro 10 000 Personenjahren unter Bisphosphonattherapie. Bezüglich der Inzidenz von Kieferosteonekrosen besteht keine Übereinstimmung, das entsprechende Risiko steigt jedoch bei länger als drei Jahre andauernder Bisphosphonattherapie, bei Einsatz potenterer intravenöser Präparate sowie bei höherer Dosierung an.
Was sollten Sie tun?
Der Patient sollte darüber aufgeklärt werden, dass es unklar ist, wie lange eine Bisphosphonattherapie dauern sollte. Randomisierte Studien, die die Wirksamkeit von Therapieunterbrechungen hinsichtlich der Vermeidung bisphosphonatassoziierter Schäden untersucht hätten, sind bis anhin nicht durchgeführt worden. Lediglich zur Sicherheit solcher Behandlungspausen liegen Ergebnisse einzelner Untersuchungen vor, die in Verbindung mit Expertenmeinungen die Grundlage der aktuellen Therapierichtlinien sowohl für die Primär- als auch für die Sekundärversorgung bilden. Das Frakturrisiko sollte unter Verwendung eines Online-Kalkulationstools wie etwa QFracture oder FRAX bestimmt
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werden. Obwohl der Einsatz von FRAX empfohlen wird, ist dieses Tool für Patienten unter Bisphosphonattherapie nicht validiert. In FRAX, welches im Vereinigten Königreich automatisch mit der Guideline der National Osteoporosis Guideline Group (NOGG) verlinkt ist, werden Patienten in Gruppen mit hohem, intermediärem (DXA indiziert) und niedrigem Risiko kategorisiert. Wird zusätzlich die Knochenmineraldichte in FRAX eingegeben, lässt sich anhand der NOGGAuswertung ablesen, ob der Patient bezüglich seines individuellen Frakturrisikos ober- oder unterhalb einer Schwelle für die Behandlung liegt, welche altersabhängig variiert: O Patienten unter 75 Jahren mit einem Knochenmineral-
dichte-T-Score am Oberschenkelhals von mehr als −2,5 und einem niedrigen Risiko gemäss FRAX/NOGG sollte eine Therapiepause angeboten werden. O Für Patienten ab 75 Jahren mit einem Knochenmineraldichte-T-Score am Oberschenkelhals von −2,5 oder weniger, mit stattgehabten Wirbelfrakturen, unter Kortikosteroideinnahme oder mit hohem Risiko gemäss FRAX/ NOGG wird eine Fortsetzung der Bisphosphonattherapie empfohlen.
Durch eine Verlängerung der kontinuierlichen Einnahme von Aledronsäure von fünf Jahren auf zehn Jahre konnte die Inzidenz von nicht vertebralen Frakturen bei postmenopausalen Frauen im Alter von 51 bis 81 Jahren mit einem Oberschenkelhals-T-Score von −2,5 oder weniger um die Hälfte reduziert werden (relatives Risiko: 0,50, 95%-Konfidenzintervall: 0,26–0,96, p = 0,019). In derselben Post-hoc-Analyse ergab sich eine Verminderung der Inzidenz von Wirbelfrakturen bei allen Patienten unter verlängerter Alendronattherapie, was die Empfehlung untermauert, die Therapie bei
bereits aufgetretenen Wirbelfrakturen nicht abzubrechen.
Sollte der Patient die Therapie nicht vertragen, muss nach Al-
ternativen gesucht werden. Bei Versagen der Behandlung (de-
finiert als ≥ 2 Frakturen unter Therapie bzw. 1 Fraktur und
Rückgang der Knochenmineraldichte) sollte eine Überwei-
sung zum Facharzt zur Einleitung einer parenteralen Thera-
pie erfolgen. Des Weiteren sind Bluttests (grosses Blutbbild;
Leber-, Nieren-, Schilddrüsenfunktion; Knochenprofil; Vit-
amin D) zur Fahndung nach sekundären Ursachen des Kno-
chenabbaus in Erwägung zu ziehen.
Das Gespräch mit dem Patienten sollte auch dazu genutzt
werden, auf lebensstilbedingte Risikofaktoren einer geringen
Knochenmineraldichte, wie etwa Rauchen, Alkoholmiss-
brauch oder Untergewicht, hinzuweisen. Belastungs- und
progressives Widerstandstraining können den Rückgang der
Knochenmineraldichte verlangsamen.
Patienten mit unzureichender Vitamin-D-Versorgung über
die Ernährung oder solchen, die nur unzureichend dem Son-
nenlicht ausgesetzt sind, sollten Kalzium- und Vitamin-D-
Präparate verschrieben werden. Die Patienten können die
über ihre Nahrung zugeführte Menge an Kalzium mithilfe
des Kalziumrechners der International Osteoporosis Federa-
tion ermitteln. Beispielsweise entspricht der Verzehr von
600 ml Milch etwa 720 mg und mithin der empfohlenen pro
Tag über die Nahrung aufgenommenen Menge an Kalzium
(700 mg).
O
Ralf Behrens
Quelle: Paskins Z, Warburton L: Bisphosphonates beyond five years. BMJ 2016; 352: i264.
Interessenlage: Die Autoren der Originalpublikation geben an, dass keinerlei Interessenkonflikte bestehen.
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