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Antikoagulation bei Vorhofflimmern und renaler Dysfunktion
Empfehlungen zur Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten und NOAK
BERICHT
Vorhofflimmern (VHF) und Niereninsuffizienz sind insbesondere bei älteren Menschen häufig miteinander vergesellschaftet. Beide Erkrankungen erhöhen das Schlaganfallrisiko deutlich, weshalb vielfach eine Therapie mit Gerinnungshemmern indiziert ist. Diese Medikamente werden allerdings überwiegend über die Niere ausgeschieden. Daher ist ein regelmässiges Monitoring der Nierenfunktion Voraussetzung für eine Antikoagulationstherapie. Das Problem der renalen Dysfunktion bei Patienten mit VHF sowie deren Management mittels oraler Antikoagulanzien waren Gegenstand eines Fortbildungsseminars bei «Medscape».
Von Ralf Behrens
MERKSÄTZE
O Bei älteren Personen mit Vorhofflimmern (VHF) und multiplen Komorbiditäten liegt oft gleichzeitig eine Nierenfunktionsstörung vor.
O Patienten mit VHF und chronischer Niereninsuffizienz erleiden nicht nur häufiger Schlaganfälle, sondern auch öfter Herzinfarkte als solche mit normaler Nierenfunktion.
O Sämtliche oralen Antikoagulanzien werden mehr oder weniger über die Niere abgebaut, weshalb ihr Einsatz von einem regelmässigen Monitoring der Nierenfunktion begleitet werden muss.
O Neue orale Antikoagulanzien (NOAK) scheinen Studien zufolge bei Patienten mit VHF und moderater Nierendysfunktion Vorteile gegenüber Vitamin-KAntagonisten zu bieten.
O Wie oft beim Einsatz von NOAK ein Monitoring der Nierenfunktion erfolgen muss sowie ob und wann Dosisanpassungen erforderlich sind, wird vom Ausmass der renalen Elimination der einzelnen Substanzen bestimmt.
Im Rahmen eines von der Firma Daiichi-Sankyo gesponsorten Fortbildungsseminars für das CME-Angebot auf der Onlineplattform des Internetdienstes «Medscape» (www.medscape. org) haben namhafte Experten die Frage diskutiert, inwieweit eine fortschreitende Nierenfunktionsverschlechterung die Ergebnisse einer Antikoagulationstherapie bei Patienten mit VHF nachteilig beeinflussen kann. Darüber hinaus standen die Verabreichungsempfehlungen für orale Antikoagulanzien bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen im Mittelpunkt. Die für diesen Anlass zusammengerufene Gesprächsrunde setzte sich zusammen aus Prof. Dr. Robert P. Giugliano, Prof. Dr. Jeremy N. Ruskin (beide Havard Medical School, Boston, MA) und Prof. Dr. Gregory Y. H. Lip (University of Birmingham, UK) sowie Prof. Dr. Peter R. Kowey (Jefferson Medical College, Philadelphia, PA) als Moderator. Gemäss der Framingham-Studie steigt das Risiko VHF-bedingter Schlaganfälle mit zunehmendem Alter an (Abbildung 1): In der Altersgruppe der 60bis 69-Jährigen waren etwa 1,8 Prozent der Patienten von VHF betroffen, und 2,8 Prozent der Schlaganfälle waren
auf VHF zurückzuführen. Von den 70bis 79-Jährigen litten bereits 4,8 Prozent und von den 80- bis 89-jährigen 8,8 Prozent unter VHF, und der Anteil damit assoziierter Schlaganfälle betrug 9,9 beziehungsweise 23,5 Prozent. Über lange Zeit wurden VHF-Patienten mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA; in den USA v. a. Warfarin, in Europa v. a. Phenprocoumon [Marcumar®]) antikoaguliert. Bei der Therapie mit diesen Medikamenten sind regelmässige Messungen der INR (International Normalized Ratio) erforderlich, welche Aussagen über das Level der Antikoagulation erlauben. Mit den neuen, oralen (Nicht-VKA-)Antikoagulanzien (NOAK) sind solche Messungen nicht nötig, aber mit herkömmlichen Labortests auch nicht möglich. Es gebe jedoch, so Prof. Kowey in seiner Einführung zum Thema, vermehrt Hinweise, dass ein Monitoring der Dosis-Wirkungs-Beziehung bei manchen Patienten, inklusive solcher mit renaler Dysfunktion, durchaus hilfreich sein könnte.
Monitoring der Nierenfunktion:
Bei wem und wie oft?
Nierenfunktionsstörungen sind bei den (meist älteren) Personen mit VHF und multiplen Komorbiditäten nicht selten. Wie Prof. Lip berichtete, sei in einer typischen Klinik durchschnittlich mindestens ein Drittel der Patienten davon betroffen. Die Frage, wie oft ein solches Therapiemonitoring beim einzelnen Patienten erfolgen sollte, lasse sich nur von Fall zu Fall beantworten. Als Faustregel könne gelten, was die europäischen Guidelines zum VHF empfehlen, nämlich bei normaler BaselineNierenfunktion ein einige Male pro Jahr, bei moderater Nierenfunktionsstörung dagegen wesentlich öfter wiederholtes Monitoring. Zu beachten sei auch, dass selbst Patienten mit zu
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VHF-Prävalenz 20 VHF-bedingte Schlaganfälle
23,5
Patienten (%)
9,9 10 8,8
1,5 0,5 0
50–59
2,8 1,8
4,8
60–69
70–79
Altersgruppe (Jahre)
80–89
Abbildung 1: Framingham-Studie: Der prozentuale Anteil von vorhofflimmer-(VHF-)bedingten Schlaganfällen steigt mit dem Alter an. (Nach[1])
Ereignisse pro 100 Jahre bei bestehendem Niereninsuffizienzrisiko (95%-KI)
Schlaganfall Thrombembolie Intrakranielle Blutung Blutung jedweder Art Tod
TTR < 60% 3,3 (1,8–5,7) 8,4 (5,7–12,1) 1,0 (0,3–2,6) 11,5 (8,2–15,6) 9,3 (6,5–12,8) TTR 60 bis 69% 3,8 (1,8–7,0) 7,5 (4,5–11,7) 0,7 (0,1–2,6) 9,2 (5,8–13,8) 9,0 (5,8–13,3) TTR ≥ 70% 2,2 (1,2–3,6) 4,7 (3,1–6,7) 0,4 (0,1–1,3) 5,9 (4,1–8,2) 5,9 (4,2–8,0) Abbildung 2: Niereninsuffizienz und kardiovaskuläre Ereignisse in Relation zur TTR («time in therapeutic range»; KI: Konfidenzintervall). (Nach [2]) Therapiebeginn normaler Nierenfunktion zum Teil nicht davor gefeit sind, dass diese sich im Verlauf deutlich verschlechtert. Patienten mit VHF und chronischer Niereninsuffizienz erlitten nicht nur häufiger Schlaganfälle, sondern auch öfter Herzinfarkte als solche mit normaler Nierenfunktion. Sie seien einem höheren Sterblichkeitsrisiko ausgesetzt und gleichzeitig gefährdeter, eine Major- oder eine intrakranielle Blutung zu entwickeln. Dabei spiele es in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob die Patienten NOAK oder VKA erhalten. Bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung oder gar Niereninsuffizienz im Endstadium könne Warfarin aktuelleren Studien zufolge möglicherweise mit einem klinischen Nettonutzen eingesetzt werden, denn ihr hohes Schlaganfallrisiko lasse sich durch das Medikament reduzieren, das Blutungsrisiko sei dabei allerdings ebenfalls hoch. Hier komme es entscheidend auf eine gute Kontrolle der Antikoagulation an, die sich anhand des TTR (time in therapeutic range)Wertes ablesen lasse (Abbildung 2). NOAK ist nicht gleich NOAK Die NOAK unterscheiden sich dahingehend, wie und auf welchem Weg sie im Körper abgebaut werden (Abbildung 3). Daher, so Prof. Giuglianos Einschätzung, sei es unter Umständen erforderlich, Patienten auf unterschiedliche Weise zu überwachen, je nachdem, welches Antikoagulans sie jeweils erhalten. Eines der wesentlichsten Merkmale, anhand derer sich die einzelnen NOAK gegeneinander abgrenzen lassen, sei der Grad ihrer renalen Elimination: Diese ist am höchsten bei Dabigatran (ca. 80%) und am niedrigsten bei Apixaban (27%). Dies habe wichtige Auswirkungen darauf, wie oft die Nierenfunktion überprüft werden und ob beziehungsweise wann eine Dosisanpassung erfolgen muss. Daneben bestehen zwischen den einzelnen NOAK auch Unterschiede hinsichtlich ihrer möglichen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Dabigatran und Edoxaban werden lediglich in kaum nennenswertem Ausmass über das Cytochrom-P-450-System abgebaut, sodass bei ihnen, anders als bei Apixaban oder Rivaroxaban, im Falle gleichzeitiger Einnahme eines starken P450-Inhibitors keinerlei Dosisanpassungen empfohlen werden. Unterbrechen der Antikoagulation Ein anderes Problem stellen Situationen dar, in denen die Antikoagulation aufgrund von anstehenden operativen Eingriffen oder anderen Prozeduren unterbrochen werden muss, wie Prof. Ruskin erklärte. Hier werde der Zeitpunkt des vorgängigen Absetzens des Medikaments direkt von der Nierenfunktion bestimmt. Ist diese beeinträchtigt, sei eine längere Medikamentenabstinenz erforderlich, um in einen unantikoagulierten Zustand zu gelangen, aber auch hier bestünden zwischen den einzelnen NOAK bestimmte Unterschiede (Abbildung 4). Zwar werde inzwischen generell mehr und mehr angestrebt, möglichst viele solcher Prozeduren ohne Unterbrechung der Antikoagulation durchzuführen, aber bei den durchführenden Chirurgen, Zahnärzten oder Endoskopisten gebe es noch sehr grosse Unterschiede dahingehend, welche Risiken sie hier einzugehen bereit sind. Von Bedeutung, so Lip, sei dabei natürlich auch, um welche Art von Eingriff oder Prozedur es sich im Einzelnen handelt. Eine Darmspiegelung zum Beispiel könne problemlos durchgeführt werden. Anders sehe es allerdings aus, wenn dabei Polypen entdeckt werden und der Endoskopist der Versuchung nicht widerstehen kann, diese sofort zu entfernen, und dadurch womöglich eine Blutung verursacht. Prof. Kowey merkte an, dass dennoch wohl weniger das Beenden als vielmehr die Wiederaufnahme einer Antikoagulation mit den NOAK Probleme be- 214 ARS MEDICI 5 I 2016 BERICHT Substanz Dabigatrana Rivaroxabana Apixabana Edoxabana, d Target II (Thrombin) Xa Xa Xa Bioverfügbarkeit (%) 6–7 80 66 62 Cmax (Stunden) Transporter 2c 2–4 1–3 1–2 P-Glykoprotein P-Glykoprotein/ P-Glykoprotein P-Glykoprotein BCRP Verteilungsvolumen 50–70 50 21 107 (Liter) Halbwertszeit (Stunden) 12–14 5–13 8–15 10–14 Renale Elimination (%) 80 66* 25 50 Cytochrom-P-450- keine 66 15 <4 Metabolismus (%) Proteinbindung (%) 35 > 90 87
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* etwa die Hälfte davon unverändert über den Urin ausgeschiedena
Abbildung 3: Pharmakokinetische Merkmale der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK; Absorption, Verteilung, Metabolismus, Exkretiona–d; BCRP «breast cancer resistance protein; a: nach [3], b: nach [4], c: nach [5], d: nach [6])
CrCI, mL/min > 60
Apixaban
Rivaroxaban
Dabigatran
Edoxaban
Niedriges Hohes Niedriges Hohes Niedriges Hohes Niedriges Hohes Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h) Risiko (h)
30–60
15–30
< 15 ≥ 24h ≥ 36h ≥ 48h ≥ 96h ≥ 120h unbekannt Abbildung 4: Terminierung der Unterbrechung der NOAK-Therapie vor geplanten Eingriffen/ Prozeduren (CrCl: Kreatinin-Clearence) (Nach [7][8]) reite, und zwar deshalb, weil Chirurgen oder andere die jeweiligen Prozeduren durchführende Ärzte an die im Vergleich zu den NOAK relativ langsam einsetzende Wirkung von Warfarin gewöhnt seien, welche erst drei oder vier Tage nach der Einnahme eintritt. «In der Tat wirken NOAK nahezu instantan und haben nach 1 bis 3 Stunden bereits ihr Wirkungsmaximum erreicht», so Giugliano. Hier sei unbedingt zunächst das Eintreten einer Blutstillung abzuwarten, bevor die Antikoa- gulationstherapie fortgesetzt werden dürfe. Lip verwies in diesem Zusammenhang auf die europäischen Leitlinien, die für den Fall, dass keinerlei Anzeichen für Blutungen mehr bestehen, eine Karenzzeit von wenigen Tagen empfehlen. In komplizierteren Fällen, in denen der Verdacht auf Blutungen besteht, sollten zusätzliche bildgebende Verfahren herangezogen werden, um eine Entwicklung von Hämatomen auszuschliessen. Letztendlich liessen sich, so die Ein- schätzung Lips, jedoch auch hier keine allgemeingültigen Aussagen treffen, und die Situation müsse jeweils individuell bewertet werden. NOAK oder doch lieber Vitamin-K-Antagonisten? Nun konfrontierte Kowey seine Gesprächspartner mit dem folgenden Szenario: Angenommen, man habe es mit einem Patienten mit VHF und hohem kardiovaskulären Risiko sowie schwerer Nierendysfunktion zu tun, der sich zwar noch nicht an der Dialyse, jedoch mit seiner Kreatinin-Clearence (CrCl) schon im Bereich zwischen 15 und 30 ml/min befindet und antikoaguliert werden muss. Welches Medikament beziehungsweise welche Dosis ist hier am ehesten indiziert? Für Ruskin war bis vor etwa einem Jahr in einer solchen Situation ganz klar Warfarin die erste Wahl. «Seitdem wurden viele Patienten bei uns auf Apixaban umgestellt.» Im Allgemeinen bleiben er und seine Kollegen bei der Dosis von 5 mg 2-mal täglich, falls nicht zwei der drei in den Leitlinien für die Apixabandosierung festgelegten Kriterien für eine Dosisanpassung auf 2,5 mg (Alter > 80 Jahre, Gewicht ≤ 60 kg, Serumkreatinin ≥ 1,5 mg/dl) erfüllt sind. Die Daten, auf denen die Thereapieempfehlungen für Apixaban beruhen, stammen aus der ARISTOTLE-Studie. Hier hatte sich gezeigt, dass die Blutungswahrscheinlichkeiten für Warfarin und Apixaban umso mehr voneinander abwichen, je schlechter die CrCl ausfiel – mit deutlich weniger schweren Blutungsereignissen bei Patienten, die mit Apixaban behandelt wurden (Abbildung 5). Im CrCl-Bereich um 30 ml/ min ergaben sich im Apixaban-Arm etwa 50 Prozent weniger Blutungen als im Warfarin-Arm. Diese Zahlen stellten für sehr viele Behandler, so Lip, eine vernünftige Rechtfertigung dar, bei niereninsuffizienten Patienten auf Apixaban zurückzugreifen. Eine gut kontrollierte Warfarintherapie mit hohen TTR-Werten sei jedoch in einer solchen Situation nach wie vor ebenfalls keine falsche Lösung. Patienten, die bereits Erfahrung mit Warfarin haben, würden sich mit dem erforderlichen HeimTTR-Monitoring allerdings leichter tun als solche, die neu diagnostiziert und erstmals therapiert werden.
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Diese beiden Gruppen, nämlich warfarinnaive Patienten und solche mit moderater Niereninsuffizienz, mit CrClWerten bis hinunter auf 15 ml/min, waren zwei der in der ENGAGE-AFTIMI-48-Studie (Abbildung 6) mit Edoxaban untersuchten Subgruppen, wie Giugliano ergänzte. Deren Resultate unter diesem NOAK waren wesentlich besser als unter Warfarin. Bezüglich des Blutungsrisikos bei abnehmender Nierenfunktion ergaben sich deutliche Vorteile für Edoxaban, vergleichbar mit den Daten zu Apixaban in der ARISTOTLE-Studie. Gleiches war für die VKA-naiven Patienten zu beobachten, weshalb diese beiden Patientengruppen für Giugliano exzellente Kandidaten für eine NOAK-Therapie darstellen.
Wie sinnvoll
sind Dosisanpassungen?
Sämtliche NOAK würden renal eliminiert, mithin sinke mit zunehmender CrCl die Wirkstoffkonzentration im Körper, so Giugliano weiter. Aus der Studie mit Edoxaban, und auch aus der mit Apixaban, habe es interessante Hinweise darauf gegeben, dass in CrClBereichen oberhalb von 80 bis 95 ml/ min ein geringerer Schutz vor ischämischen Schlaganfällen bestehen könnte, was für die US-amerikanische Food and Drug Administration Anlass gewesen sei, den Einsatz von Edoxaban bei Patienten mit einer CrCl von mehr als 95 ml/min nicht zu empfehlen. Dies sei durchaus kontrovers diskutiert und etwa in Japan, in der Schweiz und zuletzt auch im übrigen Europa auch anders eingeschätzt worden. Warfarin könne nach wie vor als gute Alternative gelten, solange sich die INR bei Patienten mit normaler und überdurchschnittlich guter Nierenfunktion kontrollieren lasse. Der mit Edoxaban und Apixaban beobachtete Effektivitätsverlust in hohen CrCl-Bereichen habe sich unter Dabigatran oder Rivaroxaban nicht gezeigt, daher könnten letztere bei Patienten mit guter beziehungsweise hoch normaler Nierenfunktion ebenfalls eine Option darstellen. In diesem Kontext wies Kowey anschliessend darauf hin, dass die wirkliche Ursache dieses Phänomens gar nicht so sehr ein Effektivitätsverlust von Edoxaban im Bereich sehr hoher CrCl-Werte, sondern vielmehr etwas
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Primäre Wirksamkeit Schlaganfall/
systemische Embolie
eGFR (ml/min)
> 80 > 50–80 ≤ 50
Apixaban (%/Jahr; n)
Warfarin HR (%/Jahr; n) (95%-KI)
0,99 (70) 1,24 (87) 2,11 (54)
1,12 (79) 1,69 (116) 2,67 (69)
0,88 (0,64–1,22) 0,74 (0,56–0,97) 0,79 (0,55–1,14)
p-Wert für Interaktion
0,705
Mortalität jedweder Ursache
> 80 > 50–80 ≤ 50
2,33 (169) 3,41 (244) 7,12 (188)
2,71 (195) 3,56 (251) 8,30 (221)
0,86 (0,70–1.06) 0,96 (0,81–1,14) 0,86 (0,70–1,05)
0,627
MajorBlutung
> 80 > 50–80 ≤ 50
1,46 (96) 2,45 (157) 3,21 (73)
1,84 (119) 3,21 (199) 6,44 (142)
0,80 (0,61–1,04) 0,77 (0,62–0,94) 0,50 (0,38–0,66)
0.25
0.5
0,030 12
Abbildung 5: Effektivität von Apixaban in Relation zur Nierenfunktion bei Patienten mit Vorhofflimmern (eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate nach Cockcroft-Gault-Formel; HR: Hazard Ratio, KI: Konfidenzintervall) (Nach [9])
Ischämische Schlaganfälle (%/Jahr)
2,8
Edoxaban 30 mg
ENGAGE
ARISTOTLE
2,6 2,4 Edoxaban 60 mg
(Edoxaban)
(Apixaban)
2,2 Warfarin
CrCl-Bereich HR
CrCl-Bereich HR
(ml/min) (mITT)
(ml/min) (mITT)
2,0
1,8
> 50 bis 80 0,62
> 50 bis < 80 0,87 1,6 ≥ 80 1,58 ≥ 80 1,35 1,4 1,2 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0 12,5–42,8 42,9–50,5 50,6–57,1 57,2–63,6 63,7–70,3 70,4–77,8 77,9–86,6 86,7–98,0 98,1–117,1>117,1
CrCl (ml/min)
Abbildung 6: ENGAGE-AF-TIMI-48-Studie: ischämische Schlaganfälle in Abhängigkeit von der Nierenfunktion (CrCl: Kreatinin-Clearence, HR: Hazard Ratio, mITT: «modified intention-to-treat») (Nach [10])
anderes gewesen sei. Giugliano griff dies auf und erklärte, dass zwei verschiedene Vorgänge in die Berechnung der entsprechenden Hazard-Ratio eingingen, und zwar bleibe mit zunehmender Nierenfunktion zum einen die Ereignisrate für Edoxaban konstant, während andererseits die Ereignisrate für Warfarin erheblich abnehme. Dies lasse sich nun in verschiedene Richtun-
gen interpretieren, so der Experte. Daher habe es auch zahlreiche Diskussionen um die Möglichkeit gegeben, bei diesen Patienten die Edoxabandosis zu erhöhen, wie Kowey ergänzte. Nach Einschätzung Ruskins sprechen die Analysen eher für die Beibehaltung der 60-mg-Dosis auch in CrCl-Bereichen oberhalb von 50 ml/min. Eine Dosiserhöhung sei zwar ein interessan-
ter Vorschlag, jedoch existierten für den Nutzen einer solchen Massnahme keinerlei Daten. Für Lip ist dies ist ein wesentlicher Punkt, falls die renale Exkretion von Edoxaban als Erklärung für diesen Effekt herangezogen wird. Denn ein ähnlicher Effekt sei mit Dabigatran, das ja in noch höherem Ausmass renal ausgeschieden werde, nicht beobachtet worden. Diese Überlegungen rückten für Kowey einen anderen Gesichtspunkt in den Fokus, nämlich das Verhältnis von Wirkstoffkonzentration und Ansprechen. Möglicherweise liege vielen dieser Bedenken hinsichtlich der Niereninsuffizienz die Vermutung zugrunde, dass das Prinzip «one size fits all» hier möglicherweise nicht greift. Tatsächlich, so Lip, seien ja in der EU im Falle von Dabigatran zwei Dosierungen (110 und 150 mg) verfügbar; die in den USA zur Schlaganfallprophylaxe bei VHF zugelassene 75-mg-Dosierung gebe es hier nicht. Die Standarddosis seien 150 mg – für Senioren (in der EU definiert als Personen im Alter von 80 Jahren und darüber), bei Komedikation mit interagierenden Substanzen wie etwa Verapamil sowie bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko (gemäss ESC-Leitlinie definiert durch einen HAS-BLED-Score > 3) seien 110 mg vorgesehen. «Somit habe ich bei Patienten, deren Nierenfunktion im Verlauf nachzulassen droht, die Wahl», ergänzte Kowey, und er entscheide sich generell für die niedrigere Dosis. «Die Gefahr der Überdosierung ist ein sehr wichtiger Aspekt.» Dem stimmte Lip zu: Insbesondere gelte dies bei einer Substanz, die wie Dabigatran sehr abhängig von der renalen Exkretion ist. Es gebe in ARISTOTLE eine ähnliche Analyse für Apixaban, mit der CrCl als kontinuierlicher Variable. Im niedrigen CrClBereich unterhalb von 30 ml/min sei Dabigatran kontraindiziert. Näher bei 30 ml/min beginne man mit der 150mg-Dosis etwas mehr auf die ungünstigere Seite zu rücken, insbesondere was die Blutungen angehe (Abbildung 7). In der eigenen Praxis tendiert Lip bei einer CrCl im Bereich zwischen 30 und 40 ml/min eher zur niedrigeren Dosis. Giugliano mutete die 75-mg-Dosis in den USA stets seltsam an: «Ist deine CrCl heute 31 ml/min, erhältst du 150 mg, und wenn sie morgen 29 ml/min be-
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Jährliche Ereignisrate
Schlaganfall oder systolische Embolie
Apixaban
0,12
0,04 Warfarin
p-Wert für Interaktion = 0,67
0,08
0,02 0,04
00 30 60 90 120 30
Major-Blutung
Apixaban Warfarin p-Wert für Interaktion = 0,005
60 90 120
Schlaganfall oder systolische Embolie
0,08
DE150
0,06 Warfarin
0,04
p-Wert für Interaktion = 0,8245
0,10
0,02 0,05
Major-Blutung
DE150 Warfarin p-Wert für Interaktion = 0,1301
00 30 40 50 60 70 80 90 100 30 40 50 60 70 80 90 100
Baseline-eGFR (ml/min)
Baseline-eGFR (ml/min)
Jährliche Ereignisrate
Abbildung 7: Effektivität und Sicherheit von Apixaban (nach [9]) und Dabigatran (nach [11]) unter kontinuierlicher Analyse der Nierenfunktion (DE150: Dabigatran etexilate 150 mg, eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate nach Cockcroft-Gault-Formel)
trägt, bekommst du 75 mg zweimal täglich.» Dazu erklärte Kowey, dass man in den USA hier gewissermassen lahmgelegt sei. Seiner Ansicht nach ist
der mangelnde Ermessensspielraum bei der Dosierung auch der Grund dafür, dass Dabigatran dort die Erwartungen nicht erfüllt hat. Auch eine Vielzahl
der für Dabigatran beschriebenen Blutungsfälle lasse sich damit erklären. «Mehr Flexibilität wäre schön, aber unglücklicherweise haben wir sie nicht», bedauerte der Moderator abschliessend.
O
Ralf Behrens
Interessenkonflikte: Das hier vorgestellte CME-Seminar von Medscape Education wurde von der Firma Daiichi-Sankyo Europe GmbH gesponsort. Die eingeladenen Experten unterhalten verschiedene Geschäftsbeziehungen zu diversen Pharmaunternehmen und/oder haben von diesen Firmen finanzielle Forschungsunterstützung erhalten.
Quelle: Online-Fortbildungsseminar «What You Didn't Know About AF and Renal Dysfunction». Medcape Education Cardiology, 14.7.2015, www.medscape.org/viewarticle/ 845003.
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