Transkript
Adjuvante Therapie des frühen Mammakarzinoms
Neues bei zielgerichteten Therapien – Bedeutung der Gensignaturen
BERICHT
Im Rahmen der St. Gallen International Breast Cancer Conference 2015 wurden sowohl neuere Erkenntnisse bekanntgegeben, darunter mögliche Modifikationen der Anti-HER2-Therapien und die Bedeutung von Gensignaturen, als auch Schlussfolgerungen für die klinische Praxis in der abschliessenden Konsensussession gezogen. Die derzeitige adjuvante Verabreichung von Trastuzumab über ein Jahr bleibt Standard bei entsprechender Indikation.
Rudolf Morant und Daniel Koychev
Gemäss dem angestammten Format der zweijährlich stattfindenden St. Galler Brustkrebs-Konferenz wurden in den ersten zweieinhalb Tagen Zusammenfassungen und State-of-the-art-Vorträge weltweit anerkannter Experten vorgestellt mit Fokus auf neuen Studienresultaten, die seit der letzten St. Galler Brustkrebs-Konferenz (2013) gewonnen wurden. Hier wurde betont, dass unterschiedliche Signalpfade theoretisch für die vermehrt kurative initiale Behandlung des Mammakarzinoms bedeutsam sein können und derzeit präklinisch und klinisch geprüft werden.
Zielgerichtete Therapien
Zurzeit gibt es keine überzeugenden Daten, welche in der frühen neoadjuvanten oder adjuvanten Situation einen positiven Effekt der Angiogenesehemmung auf das Überleben zeigen können. Wie schon früher beim Kolonkarzinom gezeigt wurde, ist der Einsatz von Bevacizumab (Avastin®) in der adjuvanten Situation auch beim Mammakarzinom leider ohne klinisch relevanten Nutzen geblieben. Interessant erscheint dagegen die Möglichkeit, den zentralen PIK3-Signalweg therapeutisch zu hemmen. Die For-
schung hat eine grössere Zahl entsprechender Substanzen entwickelt und für Studien bereitgestellt. Erste Erfahrungen mit generellen PIK3-Inhibitoren in der metastatischen Situation waren leider ernüchternd ausgefallen, während isoform-spezifische Inhibitoren möglicherweise in der Zukunft wichtige neue Medikamente bei der Behandlung des Mammakarzinoms darstellen könnten. In der PALOMA-Studie konnte die Kombination aus dem Aromatasehemmer Letrozol (Femara®, Generika) und dem PIK3-Inhibitor Palbocibib das progressionsfreie Überleben fast verdoppeln. Das schürt Hoffnungen auf eine Wirksamkeit auch in der adjuvanten Therapiesituation, was auch für andere Hemmer der Signaltransduktion, wie die CDK-4/6-Inhibitoren, gilt. Die entsprechende klinische Prüfung wird jedoch noch Jahre dauern. Auf die Beeinflussung der hormonellen Signalwege – eine äusserst wichtige und erfolgreiche zielgerichtete Therapie beim Mammakarzinom – wird in diesem Beitrag nicht eingegangen.
MERKSÄTZE
O Trastuzumab über ein Jahr – nach Taxantherapie (sowie risikoadaptiert zu einem Anthrazyklin) – ist weiterhin Standard in der adjuvanten Therapie bei Patientinnen mit HER2-überexprimierendem Mammakarzinom.
O Bevacizumab hat in der adjuvanten Therapie des operablen frühen Mammakarzinoms bisher keinen klaren Platz gefunden.
O Gensignaturen sind als zusätzliche Entscheidungshilfen für den Einschluss einer Chemotherapie und bezüglich der Dauer der adjuvanten Hormontherapie anerkannt worden. Das betrifft hormonrezeptorpositive, HER2-negative Tumoren mit 0 bis 3 positiven Lymphknoten. Anerkannt sind die Tests Oncotype DX®, Prosigna®, MammaPrint®, EndoPredict® und Breast Cancer Index®.
O Die Bestimmung des BRCA-Mutationsstatus bei Indikation wird empfohlen und kann Folgen für die primäre Therapie des lokalisierten Mammakarzinoms haben.
Derzeitige Optionen bei HER2-positivem Mammakarzinom Die Beeinflussung des Signalweges, der über EGFR bei Tumoren, welche HER2Rezeptoren überexprimieren, gehemmt werden kann, bildete einen Schwerpunkt bei der diesjährigen Tagung. Anerkannte neue, biochemische oder molekulare Marker, die möglicherweise Genaueres über auftretende Resistenzen bei diesem Vorgehen zeigen können, gibt es zurzeit trotz intensiver Suche und Testung nicht. Kontroverse respektive negative Daten wurden diesbezüglich für TIL (tumorinfiltrierende Lymphozyten) und Mutationen von PTEN und PIK3 gezeigt. In den letzten Jahren wurde bei der adjuvanten Systemtherapie von Patientin-
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nen mit HER2-positiven Mammakarzinomen die Anti-HER2-Behandlung mit Trastuzumab über ein Jahr, zusätzlich zur situationsgerechten adjuvanten Chemotherapie, zum weltweiten therapeutischen Standard. Der signifikante Erfolg dieser zusätzlichen Therapie im Vergleich zu alleiniger adjuvanter Chemo- und Hormontherapie bezüglich Rezidivfreiheit und Überlebensvorteil konnte in unterschiedlichen Studien wiederholt gezeigt werden und bleibt bei längerem Follow-up über Jahre unverändert erhalten. In Europa ist die in der adjuvanten Therapiekombination am meisten verwendete Chemotherapie eine anthrazyklinhaltige Behandlung, beispielsweise vier Zyklen Epirubicin/Cyclophosphamid, und danach ein Taxan (meist 12-mal wöchentlich Paclitaxel [Taxol®, Generika]). Trastuzumab (Herceptin®) sollte dabei – gemäss Mehrheitsmeinung des St. Galler Konsensuspanels 2015 – besser gleichzeitig mit dem Taxan eingeleitet und nicht erst sequenziell gegeben werden. Klinische Hinweise und eine retrospektive Auswertung von Studiendaten legen einen positiven Effekt der früheren kombinierten Gabe im Vergleich zu einer sequenziellen Anwendung nahe; auch im Konsensus wurde das grossmehrheitlich anerkannt.
Neue Studien in der (neo-)adjuvanten Situation Verschiedene Versuche wurden unternommen, um die gegenwärtigen Therapieergebnisse durch Intensivierung der Therapie und durch neue Kombinationen entweder zu verbessern oder den Behandlungsaufwand und die damit einhergehenden Nebenwirkungen zu reduzieren. Die Verlängerung der adjuvanten Behandlungszeit mit Trastuzumab über zwei Jahre zeigte keine Verbesserung gegenüber der derzeitigen einjährigen Standardtherapie mit Trastuzumab (gemäss der HERA-Studie, welche Goldhirsch und Kollegen durchführten). Eine doppelte Anti-HER2-Blockade durch die Kombination von Trastuzumab mit dem oralen Tyrosinkinasehemmer Lapatinib (Tyverb®) zeigte in der neoadjuvanten Situation eine deutliche Verbesserung der Ansprechrate, nicht jedoch des Überlebens (NeoALTTO-Studie). In der adjuvanten Situation ergab sich keine Verbesserung
des rezidivfreien Überlebens bei der kombinierten Behandlung (ALTTOStudie), wobei Lapatinib als Einzelmedikament schlechter abschnitt als Trastuzumab. Neben diesem unerwartet enttäuschenden Ergebnis stellen sich hier generelle Fragen, inwieweit positive Ergebnisse bei der Ansprechrate in der neoadjuvanten Situation auf das rezidivfreie Überleben oder gar auf eine adjuvante Behandlungssituation extrapoliert werden dürfen. Der Wert einer Kombination von Trastuzumab und Pertuzumab (Perjeta®), welche sich in der metastatischen Situation als sehr wirksam erwies, wird in der adjuvanten Situation zurzeit untersucht (APHINITY-Studie), die Resultate sind noch nicht erhältlich. In der neoadjuvanten Situation ergeben sich hohe Ansprechraten durch die Kombination von Pertuzumab und Trastuzumab (NeoSphere-Studie). Die Wirksamkeit des vielversprechenden T-DM1 (Trastuzumab-Emtansine; Kadcyla®) in der adjuvanten Situation wird zurzeit geprüft (KATHERINE-Studie). Eine weitere interessante, noch unpublizierte Studie lässt eine deutliche Verminderung der Rezidivrate erwarten, wenn nach einer konventionellen adjuvanten Therapie mit Chemotherapie und Trastuzumab anschliessend zusätzlich der orale HER2- und EGFRKinaseblocker Neratinib verabreicht wird. Für eine definitive Wertung dieses Vorgehens ist es zurzeit noch zu früh.
Strategien mit reduzierter Intensität in der Erprobung Ob eine kürzere Behandlungszeit mit Trastuzumab über drei oder sechs Monate im Vergleich zur üblichen Behandlungszeit von einem Jahr möglicherweise gleich wirksam ist, ist eine klinisch wichtige Frage im Hinblick auf die Belastung der Patientinnen (wie auch hinsichtlich der Kosten). Die Beantwortung solcher mehr volkswirtschaftlicher als medizinischer Fragen ist eine Herausforderung für akademische Studiengruppen, da hierfür kaum Unterstützung aus der Pharmaindustrie zu erwarten ist. Trotzdem untersuchen mehrere Studiengruppen diese Fragen erfolgreich mit staatlicher Unterstützung. Eine grosse französische Studie (PHARE-Studie) konnte allerdings eine Inferiorität einer auf sechs Monate verkürzten Behandlungszeit mit Tras-
tuzumab statistisch nicht ausschliessen. In einer anderen laufenden Studie wird die Behandlungszeit sogar auf drei Monate verringert (SOLD-Studie), sodass man auf die Ergebnisse gespannt sein darf. Weiterhin wird diskutiert, ob in Kombination mit Trastuzumab eventuell die Dauer respektive die Intensität der Chemotherapie reduziert werden könnte. In einer Untergruppe von Patientinnen mit kleinen (< 1 cm) nodalnegativen Tumoren scheint eine Behandlung ohne Anthrazykline, das heisst nur mit Taxan und Trastuzumab, zu genügen. Ob eine kombinierte adjuvante Therapie mit T-DM1 und Pertuzumab in Kombination mit Taxanen die gleichen Resultate ohne Anthrazykline erzielen kann, ist zurzeit noch offen. Diese reduzierte Therapie im Stadium I mit Taxanen und Trastuzumab über ein Jahr ohne Anthrazykline wurde anschliessend auch im Konsensus als richtiges Vorgehen bestätigt, ebenso, dass kleine T1a-Tumoren (< 5 mm) keine kombinierte Behandlung mit Trastuzumab und Chemotherapie benötigen. Generell wurde der Standard in der adjuvanten Therapie bei HER2-überexprimierenden Tumoren – eine Chemotherapie (ein Anthrazyklin, danach ein Taxan) und dazu konkomitierend mit der von einem Taxan eingeleiteten Trastuzumabtherapie (Letztere über 1 Jahr) – bestätigt. Bewertung von Gensignaturen Seit einigen Jahren wird der klinische Wert von Gensignaturen in Tumorproben für die Entscheidungsfindung einer adjuvanten Therapie kontrovers diskutiert, was teilweise auf einen Mangel an entscheidenden Daten randomisierter, prospektiver Studien zurückzuführen ist. Unterschiedliche Gensignaturen des untersuchten Tumorgewebes können prognostische Auskünfte geben und somit vor allem bei Luminal-A- und -B-Tumoren bei der Entscheidung darüber helfen, ob eine zusätzliche adjuvante Chemotherapie noch einen weiteren klinisch signifikanten Nutzen bringen würde. Das wurde in mehreren retrospektiv durchgeführten Studien nachgewiesen – sowohl bei Patientinnen, von denen Tumormaterial zur Verfügung stand, als auch anhand einer Verlaufsdokumentation, die im Rahmen 850 ARS MEDICI 18 I 2015 BERICHT einer klinischen Studie durchgeführt worden war. Tests im Vergleich Oncotype DX® (Genomic Health) war der erste in ASCO- und NCCN-Guidelines und früherem St.Galler Konsensus anerkannte Test, der die Expression von 21 Genen misst und einen Score liefert, der einer hohen, mittleren oder tieferen Rückfallwahrscheinlichkeit entspricht. Diese prognostische Fähigkeit korreliert mit der Expression von Genen, welche für die Proliferation wichtig sind. Das Konsensuspanel anerkennt auch einen prädiktiven Wert, das heisst, dass der Test bei rezeptorpositiven Karzinomen einen zusätzlichen Hinweis auf den Nutzen einer Chemotherapie geben kann. MammaPrint® (Agendia) ist ein Test, der die RNA-Expression von 70 Genen im Tumorgewebe misst und daraus eine prognostische Einteilung in niedriges respektive hohes Risiko einer Metastasenbildung zulässt. Darüber hinaus kann auf das Rezidivverhalten in den Jahren nach fünfjähriger adjuvanter Tamoxifentherapie geschlossen werden. Diese Einschätzungsmöglichkeit erlangt aktuell klinische Bedeutung bei potenziell erhöhtem Risiko, wenn die adjuvante antihormonelle Therapie von fünf auf zehn Jahre verlängert werden soll. Das Konsensuspanel 2015 war allerdings uneins, ob hier auch eine prädiktive Information in Bezug auf den Nutzen einer Chemotherapie vorhanden ist. Der PAM-50-Score (Prosigna®, Nano String Technologies®) unterteilt die Tumoren in niedriges, mittleres und hohes Rezidivrisiko; die Unterscheidung zwischen mittlerem und hohem Rezidivrisiko scheint besser zu treffen zu sein als mit dem Oncotype-Test. Der Test kann auch zur Vorhersage des metastasenfreien 10-Jahres-Überlebens nach fünfjähriger endokriner Therapie verwendet werden. Wenn die Resultate verschiedener Gensignaturen miteinander oder auch mit immunhistochemischen Untersuchungen verglichen werden, ist die Übereinstimmung oft nur bedingt vorhanden. So lag die Konkordanz zwischen dem Prosigna-Test und einer immunhistochemischen Untersuchung in Bezug auf die Einteilung in Luminal-1- und -2-Typ nur bei 60 Prozent. EndoPredict® (Sirion Diagnostics, Vertrieb durch Myriad) ist der erste Test, der in den lokalen Pathologieinstituten durchgeführt werden kann und somit logistisch einfacher und kostengünstiger ist als andere Tests. Das führt auch zu schnelleren Resultaten und in Zusammenhang mit der übrigen Pathologie zu einer integrierten Beurteilung. Der prognostische Effekt dieses Tests wurde durch das Konsensuspanel auch explizit anerkannt. Die prognostische Aussage der molekularen Tests lässt sich zu einem bedeutenden Teil auf deren Messung der proliferativen Aktivität zurückführen, was Parallelen zur immunhistochemisch bestimmten Ki-67-Aktivität zeigt. Letzteres durch die Pathologen erhobenes Resultat ist allerdings deutlich weniger standardisiert und kann zwischen verschiedenen Labors beträchtliche Unterschiede aufweisen. Die bessere Reproduzierbarkeit ist einer der wichtigen Vorteile genetischer Scores. Explizit wurde vom Panel auch der prognostische Wert des Breast Cancer Index® (Theranostics) anerkannt. Weitere Aussichten Seit Januar 2015 ist die Bestimmung solcher Gensignaturen mittels der prädiktiven Tests bei gezielter Indikation in der Schweiz kassenpflichtig, was wahrscheinlich bedeutend zu einem häufigeren Gebrauch beitragen wird. Als prädiktive Tests werden in Zukunft Gentests, die in der Keimbahn schon angelegte Mutationen erfassen, eine zunehmende Rolle spielen. In Bluttests nachgewiesene BRCA-Mutationen belegen eine angeborene genetische Prädisposition zu Brust- und Ovarialkarzinom, was auch Folgen für die Therapie des frühen Mammakarzinoms hat. Bei Frauen mit möglicher genetischer Disposition für ein Mammakarzinom ist dringend eine genetische Abklärung zu empfehlen. Hinweise für eine mögliche Testung sind bekanntlich frühes Auftreten eines Karzinoms, Zweittumoren, Ovarialmalignome oder auch familiär gehäuftes Auftreten von Karzinomen. Genetische Untersuchungen an Tumorproben können dabei helfen, zusätzlich auch nicht vererbte somatische Mutationen von BRCA-Genen zu entdecken. Das eröffnet weitere Behandlungsmöglichkeiten, zum Beispiel mittels PARPInhibitoren, und weist auf erhöhte Empfindlichkeit auf Platinderivate hin. Dies wurde jedoch wegen ungenügender Datenlage noch nicht generell in die Konsensusempfehlungen aufgenommen. O Korrespondenzadresse: Dr. med. Rudolf Morant Tumorzentrum ZeTuP Rapperswil Alte Jonastrasse 24 8640 Rapperswil E-Mail: rudolf.morant@zetup.ch Dr. med. Daniel Koychev Tumorzentrum ZeTuP Rapperswil 8640 Rapperswil Update: «Primary Therapy of Early Breast Cancer» 14th St. Gallen International Breast Cancer Conference, Wien, März 2015. Hinweis der Autoren: Die Kongresspräsentationen können als kostenpflichtiger Webcast unter www.oncoletter.ch gesehen werden. Interessenkonflikte: keine deklariert Erstpublikation in «Schweizer Zeitschrift für Onkologie» (SZO) 2/2015. ARS MEDICI 18 I 2015 851