Transkript
STUDIE REFERIERT
Folsäure in der Schwangerschaft
Weniger autistische Störungen bei folatexponierten Kindern
Wenn Frauen kurz vor oder früh während der Schwangerschaft Folsäure als Nahrungsergänzung einnehmen, mindert dies offenbar das Risiko ihrer Kinder, später eine Störung des autistischen Formenkreises zu entwickeln. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie aus Norwegen.
JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION
Seit Längerem ist bekannt, dass eine pränatale Folsäuresupplementierung das Risiko von Neuralrohrdefekten bei Neugeborenen verringert. Ob das synthetische B-Vitamin auch auf andere
Merksätze
❖ Kinder von Frauen, die irgendwann im Zeitraum ab 4 Wochen vor bis 8 Wochen nach Kontrazeption Folsäure eingenommen hatten, wurden während des Follow-ups seltener mit einer autistischen Störung diagnostiziert als Altersgenossen, deren Mütter auf eine Folsäuresupplementierung verzichtet hatten.
❖ Obwohl die Datenanalyse hinsichtlich Faktoren wie Bildungsstand der Mütter, Parität und Geburtsjahr angepasst wurde, lässt sich ein Bias durch unerfasste Störvariablen (z.B. sozioökonomischer Status und gesundheitsbewussteres Verhalten) nicht ausschliessen.
❖ Einen kausalen Zusammenhang zwischen pränataler Folsäureeinnahme und der Entwicklung einer autistischen Störung kann die Studie nicht belegen.
Bereiche der neuronalen Entwicklung positive Effekte hat, ist dagegen bis anhin nicht geklärt. Eine norwegische Studie sollte daher nun prüfen, ob zwischen einer zusätzlichen Folsäureaufnahme bei Schwangeren und dem späteren Risiko der Kinder für eine autistische Störung, ein Asperger-Syndrom oder ein PDD-NOS (pervasive developmental disorder – not otherwise specified, tiefgreifende Entwicklungsstörung – nicht anders bezeichnet) ein Zusammenhang besteht. Als Stichprobe für ihre Untersuchung hatten die skandinavischen Wissenschaftler insgesamt mehr als 85 000 Kinder aus der populationsbasierten prospektiven norwegischen Mother and Child Cohort Study (MoBa) ausgewählt und nachbeobachtet, die zwischen 2002 und 2008 zur Welt gekommen waren. Gegen Ende des Follow-ups im März 2012 betrug das durchschnittliche Alter der Kinder 6,4 (3,3–10,2) Jahre. Die norwegische Gesundheitsbehörde empfiehlt seit 1998 allen Frauen mit Kinderwunsch, ab einem Monat vor Konzeption und während des ersten Trimenons täglich 400 µg Folsäure einzunehmen. Zum Zeitpunkt der Rekrutierung für MoBa existierten in Norwegen keine mit Folsäure angereicherten Lebensmittel, und sofern Multivitaminpräparate Folsäure enthielten, lagen die Konzentrationen jeweils unter 400 µg. In MoBa waren die teilnehmenden Frauen in der 18. Schwangerschaftswoche (SSW) mittels Fragebogens zur jeweiligen Verwendung von Nahrungssupplementen vor und kurz nach der Empfängnis befragt worden. Weitere Informationen zu Ernährung und Nahrungsergänzung in der mittleren Schwangerschaftsperiode lieferte ein in der 22. SSW vorgelegter Fragebogen zu Ernährungsgewohnheiten.
Positiver Effekt bei früh-pränataler Folsäuresupplementierung Von primärem Interesse in der Studie war eine Folsäuresupplementierung im Zeitraum ab 4 Wochen vor bis 8 Wochen nach Schwangerschaftsbeginn, da auf der Basis anderweitiger Forschungsergebnisse anzunehmen war, dass der Effekt auf die Entwicklung des zentralen Nervensystems in dieser Zeitspanne, in die etwa auch der Verschluss des Neuralrohrs (6. SSW) und die Entwicklung der grundlegenden Hirnstrukturen (5.–10. SSW) fallen, am ausgeprägtesten ist. Die Kinder von Frauen, die irgendwann in dieser Periode Folsäuresupplemente zu sich genommen hatten, wurden mit denen verglichen, deren Mütter während dieser Zeit auf eine Folsäuresupplementierung verzichtet hatten. Es konnte eine Reihe von Faktoren identifiziert werden, die eine mögliche Assoziation zwischen der Supplementierung und dem Risiko für Störungen vom autistischen Formenkreis (autism spectrum disorders, ASD) beeinflussen könnten, etwa Bildungsstand und Alter der Eltern, geplante/ungewollte Schwangerschaft, Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft, BodyMass-Index (BMI) der Mutter und Gewichtszunahme in den SSW 18 und 30, Anzahl vorausgegangener Schwangerschaften sowie das Jahr der Geburt. Die statistische Datenanalyse wurde daher hinsichtlich der letzteren beiden Faktoren sowie bezüglich Bildungsstands der Mutter entsprechend angepasst. Zum Ende der Nachbeobachtungszeit war bei 270 Kindern der Stichprobe von Spezialisten ein ASD diagnostiziert worden, und zwar bei 114 Kindern eine autistische Störung, bei 56 ein Asperger-Syndrom und bei 100 ein PDD-NOS. Von den Kindern, deren Mütter Folsäure eingenommen hatten, litten 0,10 Prozent (64/61 042) an einer autistischen Störung, der schwersten Erscheinungsform der drei genannten Störungstypen, im Vergleich zu 0,21 Prozent (50/24 134) der Kinder, die im Mutterleib nicht Folsäure ausgesetzt waren (Odds-Ratio: 0,61; 95%Konfidenzintervall: 0,41–0,90). Für ein Asperger-Syndrom oder ein PDD-NOS ergab sich bei allerdings geringer statistischer Power keinerlei Risikoreduktion.
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STUDIE REFERIERT
Kausalität noch nicht belegt Ebenfalls kein Zusammenhang zeigte sich zwischen der Entwicklung einer autistischen Störung der Kinder und einer Fischölsupplementierung während der Schwangerschaft, obwohl der Fischölverzehr mit denselben Charakteristika der Mütter assoziiert war wie die Folsäureaufnahme, nämlich unter anderem mit einem höheren sozioökonomischen Status und einem gesundheitsbewussteren Verhalten. Die Autoren können daher nicht ausschliessen, dass der in der Studie beobachtete Folsäureeffekt zum Teil auf solche nicht
erfassten Störvariablen zurückzuführen ist. Die Tatsache, dass sich unter Fischöl – anders, als es bei Vorliegen eines substanziellen Effekts solcher Faktoren anzunehmen wäre – und auch bei einer Folsäuresupplementierung in späteren Phasen der Schwangerschaft keine Risikoreduktion zeigte, spricht jedoch gegen eine solche Beeinflussung. Zwar lässt sich auf der Basis dieser Studie zwischen einer Folsäureaufnahme von Schwangeren und der Entwicklung einer autistischen Störung bei Kindern kein kausaler Zusammenhang herstellen, der beobachtete Effekt unterstützt
allerdings dennoch die pränatale Folsäuresupplementierung und sollte, so das Fazit der Autoren, in nachfolgenden Studien weiter untersucht werden. ❖
Ralf Behrens
Quelle: Surén P et al.: Association between maternal use of folicacid supplements and risk of autism spectrum disorders in children. JAMA 2013; 309: 570–577.
Interessenkonflikt: Einer der Autoren gibt an, Vortragshonorare der Universitäten Oslo und Agder erhalten zu haben, sonst wurden keine weiteren Interessenkonflikte deklariert.
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