Transkript
Von Frühstückern und Fettsäuren
Highlights vom ADA-Kongress
BERICHT
American Diabetes Association 72nd Scientific Sessions (ADA 2012)
8. bis 12. Juni 2012 in Philadelphia
Mehr als 13 000 Wissenschaftler, Ärzte und Gesundheitsexperten kamen im Juni in Philadelphia zusammen, um an den 72. Scientific Sessions der American Diabetes Association (ADA) teilzunehmen. Hier eine kleine Auswahl der zahlreichen neuen Studien, die dort vorgestellt wurden.
RALF BEHRENS
Basalinsulin oder DPP-4-Inhibitor, falls Metformin nicht ausreicht? Bei Typ-2-Diabetikern, deren Blutzuckerwerte unter Metformin nicht ausreichend kontrolliert sind, ist Basalinsulin (Insulin Glargin) womöglich die bessere Therapiealternative als der Dipeptidylpeptidase (DPP)-4-Inhibitor Sitagliptin. Zu diesem Resultat kommt eine randomisierte Open-Label-Studie (1), die beide Substanzen an 515 mit Metformin vorbehandelten Patienten aus 17 Ländern hinsichtlich Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit miteinander verglich. Bei den Patienten in der GlarginGruppe liessen sich die HbA1c-Werte im Durchschnitt deutlicher reduzieren als mit Sitagliptin, allerdings kam es mit dem Basalinsulin insgesamt häufiger zu hypoglykämischen Episoden und auch öfter zu schweren Hypoglykämien. Allgemein waren ernste Nebenwirkungen der Therapie unter Insulin Glargin (6%) häufiger zu verzeichnen als unter Sitagliptin (3%).
Als Add-on hat Exenatid die Nase vorn Bei mit Metformin unzureichend kontrollierten Blutzuckerwerten ist die zusätzliche Gabe des GLP («glucagonlike peptide»)-1-Agonisten Exenatid im Vergleich mit dem Sulfonylharnstoff Glimepirid effektiver. Dies ist das Ergebnis einer an 128 Zentren in 14 Ländern durchgeführten randomisierten kontrollierten Open-Label-Studie (2). Glimepirid wird als relativ kostengünsiges Medikament oft zusätzlich eingesetzt, falls der Blutzucker unter Metformin allein nicht unter Kontrolle zu bringen ist. Allerdings verursache die Substanz Hypoglykämien und Gewichtszunahme, wie Prof. Dr. med. Guntram Schernthaner, Wien, gegenüber Medscape Medical News erklärte. Unter seiner Leitung hatte die neue, zwischen September 2006 und März 2009 durchgeführte Studie mehr als 1000 Patienten mit Typ-2-Diabetes im Alter zwischen 18 und 85 Jahren eingeschlossen, die entweder Exenatid (2-mal täglich) oder Glimepirid (1-mal täglich) als Add-on zu Metformin erhielten. Den Endpunkt der Studie – nämlich ein Therapieversagen, das heisst eine inadäquate Blutzuckerkontrolle und eine damit verbundene erforderliche alternative Behandlung, definiert als HbA1cWert über 9 Prozent nach 3 Monaten Therapie beziehungsweise über 7 Prozent in zwei aufeinanderfolgenden Messungen nach 6 Monaten – erreichten 41 Prozent der mit Exenatid behandelten gegenüber 54 Prozent der mit Glimepirid behandelten Patienten. HbA1c-Konzentrationen unter 7 Prozent hatten 44 Prozent der Patienten in der Exenatid- und 31 Prozent in der Glimepirid-Gruppe erreicht. Auch das Gewicht der Patienten (Abnahme um 3,32 kg unter Exenatid vs. 1,15 kg
unter Glimepirid) und das Auftreten von Hypoglykämien hatten sich bei zusätzlicher Gabe des GLP-1-Agonisten günstiger entwickelt. Nach Beginn der Add-on-Therapie waren unter Exenatid aufgrund von hauptsächlich gastrointestinalen Nebenwirkungen zunächst häufiger Therapieabbrüche zu beobachten als unter Glimepirid. Nach 6 Monaten liess sich diesbezüglich allerdings kein Unterschied zwischen beiden Substanzen mehr feststellen.
ORIGIN: Frühe Gabe von Insulin vs. Omega-3-Fettsäuren bei Typ-2Diabetes In dieser Studie an Patienten mit Typ-2Diabetes zeigten sich bei frühzeitiger, also bereits in den Vorstadien einer gestörten Glukosetoleranz oder unmittelbar nach Manifestation der Erkrankung erfolgten Gabe von Insulin Glargin keinerlei Effekte auf kardiovaskuläre Parameter (Herzinfarkt, Schlaganfall, unter anderem kardiovaskuläre Ereignisse sowie kardiovaskulär bedingter Tod) (3). Ebenfalls enttäuschend fielen die Ergebnisse mit Omega-3Fettsäuren aus (4): Zwar liessen sich darunter um 14,5 mg/dl reduzierte Triglyzeridwerte beobachten, die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse blieb jedoch unbeeinflusst.
Insulin Glargin nicht kanzerogen Wie die Ergebnisse dreier unabhängiger Untersuchungen in fünf europäischen Ländern (ca. 450 000 Patienten), an der Universität von North Carolina (ca. 50 000 Patienten) und am Kaiser Permanente Kalifornien (115 000 Patienten) zeigen, war das Risiko für Krebserkrankungen unter Insulin Glargin (Lantus®) nicht erhöht (5). Zwar sind diese Resultate wegen der kurzen Dauer der Glargin-Gabe und der nur
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wenigen Ereignisse angesichts der sehr grossen Zahl der überprüften Assoziationen noch mit einer gewissen Vorsicht zu geniessen. Dennoch gibt es bis anhin keinen Grund anzunehmen, dass Insulin Glargin kanzerogen wirkt: Bereits in der ORIGIN-Studie hatte sich über 6 Jahre Nachbeobachtungsdauer keine Assoziation zwischen Glargin und Krebs ergeben.
Frühstücken reduziert Diabetesrisiko – und auch das Gewicht Personen, die pro Woche an mindestens 5 Tagen frühstücken, haben gegenüber solchen, die dies nie oder höchstens 3-mal in der Woche tun, ein um 31 Prozent geringeres Diabetesrisiko. Dies ist das Ergebnis der CARDIA(Coronary Artery Risk Development in Young Adults)-Studie (6) an rund 3600 Frauen, die 1985 im Alter von 18 bis 30 Jahren ohne Diabetes in die Studie aufgenommen und bis zu 20 Jahre lang laufend nachuntersucht worden waren. Zwar senkte auch eine höhere Diätqualität die Diabetesinzidenz, die Frühstücksfrequenz war jedoch der wichtigere Parameter. Zudem
lung mit Albiglutid als auch bei Patienten in der Liraglutid-Gruppe gesunkene HBA1c- und Nüchternglukosewerte sowie eine Gewichtsreduktion. Diese Effekte waren jedoch mit Albiglutid (HBA1c: -0,78%; Nüchternglukose: -22,1 mg/dl; Gewichtsverlust 0,64 kg) weniger stark ausgeprägt als unter Liraglutid (-0,99%/ 30,4 mg/dl/ 2,19 kg). Nebenwirkungen der Behandlung traten bei 35,9% der Patienten in der Albiglutid- und bei 49,0% der Patienten in der Liraglutid-Gruppe auf, darunter am häufigsten Übelkeit (Albiglutid: 9,9%; Liraglutid: 29,2%), Erbrechen (5%/9,3%), Hypoglykämie (16,3% vs. 20,8%) und lokale Reaktionen an der Injektionsstelle (12,9% vs. 5,4%). Die hauptsächlich in den ersten 4 Wochen der Behandlung bestehenden Unterschiede in der Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen könnten klinisch von Bedeutung sein, wie Prof. Dr. med. Carol Wysham, Seattle, anmerkte. Eine besser tolerierte Substanz könne wegen der damit eher gewährleisteten Medikamentenadhärenz eine geeignetere Option für alle Patienten darstellen, bei denen ein um Bruchteile
Personen, die pro Woche an mindestens 5 Tagen frühstücken, haben gegenüber solchen, die dies nie oder höchstens 3-mal wöchentlich tun, ein um 31 Prozent geringeres Diabetesrisiko.
war bei regelmässigen Frühstückerinnen auch das Körpergewicht weniger stark (-0,5 kg/m2, p=0,01) angestiegen.
Albiglutid besser verträglich, aber weniger effektiv als Liraglutid 1-mal wöchentlich verabreichtes Albiglutid hat bei ähnlicher Effektivität ein besseres Veträglichkeitsprofil als das 1-mal täglich einzunehmende Liraglutid. Albiglutid verfehlte jedoch in einer Phase-III-Studie die Nichtunterlegenheitskriterien. Liraglutid gilt zwar als Goldstandard bei Diabetes Typ 2, die Patientenadhärenz ist jedoch aufgrund der Injektionsfrequenz und der gastrointestinalen Nebenwirkungen beeinträchtigt. In der am ADA-Kongress vorgestellten Vergleichsstudie (7) ergaben sich gegenüber der Baseline sowohl unter Behand-
eines Prozents reduzierter HbA1c-Wert klinisch nicht ins Gewicht fällt.
Insulin Degludec reduziert nächtliche Hypoglykämien Einer randomisierten Open-Label-Studie (8) zufolge ist das langwirksame Insulin Degludec (Tresiba®), das in den USA derzeit für die Zulassung geprüft wird, bei Patienten mit Diabetes Typ 2 in der Lage, den Blutzucker in ähnlichem Ausmass zu senken wie Insulin Glargin (Lantus®). Zwar unterschieden sich in der 1-jährigen Untersuchung an rund 1000 Patienten beide Substanzen auch hinsichtlich der Gesamthäufigkeit des Auftretens von Hypoglykämien nicht voneinander, doch kam es mit dem neuen Insulin wesentlich seltener (-36%) zu potenziell gefährlichen nächtlichen Hypoglykämien.
Studienleiter Prof. Dr. med. Bernard Zinman, Toronto, sieht in Degludec ein Insulin, das künftig in erster Linie bei Patienten mit Hypoglykämie eingesetzt, sehr rasch aber auch hinsichtlich des Ersatzes von Basalinsulin erste Wahl sein wird. Bereits in mehreren anderen Studien an Typ-1- und Typ-2Diabetikern sei mit Degludec ein ähnlich eindrücklicher Rückgang der Hypoglykämiehäufigkeit beobachtet worden. Dr. Zinman räumte allerdings ein, dass es auch bei den Patienten, die in seiner Studie Degludec erhalten hatten, zu einer vergleichbar leichten Gewichtszunahme gekommen ist, wie sie auch mit Insulin Glargin zu verzeichnen war. Als häufigste Nebenwirkungen von Degludec waren Bronchitis, gastrointestinale Entzündungen und Kopfweh aufgetreten.
Entzündungshemmer Salsalat senkt Blutglukose Für den antiinflammatorischen Wirkstoff Salsalat konnte in der 1-jährigen TINSAL-T2D-Studie (9) nachgewiesen werden, dass er bei Diabetikern auch den Blutzucker zu senken in der Lage ist. Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass darunter im Verlauf auch eine deutliche Erhöhung der LDL-Cholesterin-Werte zu beobachten war. Die vom National Institute of Health (NIH) gesponsorte Untersuchung an 286 Patienten mit Typ-2-Diabetes, deren Blutzucker bereits mit anderen Diabetesmedikamenten sowie Diät und körperlichem Training eingestellt war, hatte das Ziel, die Wirkung von Salsalat 3,5 g täglich gegen Plazebo zu vergleichen. Salsalat ist eine Vorstufe von Salicylat, einer aus Pflanzen gewonnenen Substanz, deren Einsatz als schmerzstillende und entzündungshemmende Droge eine lange Geschichte hat. Vor mehr als 10 Jahren rückte der Wirkstoff auch in den Fokus der Diabetesforschung, weil diese entdeckt hatte, dass mit der Gewichtszunahme assoziierte vermehrte entzündliche Prozesse die Ursache sind, dass sich Diabetes entwickelt. Die HbA1c-Werte waren in der SalsalatGruppe um insgesamt 0,24 Prozent gesunken. Ausserdem wurden auch reduzierte Triglyzerid-Level gemessen. Auf der anderen Seite waren aber nicht nur die LDL-Cholesterin-Werte um durchschnittlich 8 mg/dl, sondern auch
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der Eiweissgehalt im Urin leicht angestiegen. Ausserdem nahmen die Patienten unter Salsalat geringfügig mehr zu als mit Plazebo. Studienleiter Dr. med. Steven Shoelson, Boston, wertete zwar den blutzuckersenkenden Effekt von Salsalat, insbesondere bei Patienten mit vorbehandeltem, gut eingestelltem Diabetes, als durchaus positives Zeichen, machte aber deutlich, dass weitere Studien nötig sind, um die mit einem Einsatz dieser Substanz bei Diabetikern verbundenen Risiken einschätzen zu können.
Diabetes bei Kindern und Jugendlichen in den USA auf dem Vormarsch Die Prävalenz von Typ-1- und Typ-2Diabetes hat in den letzten 10 Jahren bei US-amerikanischen Kindern und Jugendlichen über alle Ethnien um 23 beziehungsweise 21 Prozent zugenommen. Diese jetzt am ADA-Kongress in Philadelphia vorgestellten alarmierenden Zahlen sind die jüngsten Resultate aus SEARCH for Diabetes in Youth, einer im Jahr 2000 aufgegleisten multizentrischen Beobachtungsstudie (10). Wie die in SEARCH involvierten Wissenschaftler am ADA-Kongress in Philadelphia berichteten, sind derzeit etwa 188 000 Mädchen und Jungen in den USA an Diabetes erkrankt, davon 168 000 mit Diabetes Typ 1 und 19 000 mit Diabetes Typ 2. Die Studiendaten zeigen, dass diese Patienten – darunter selbst diejenigen, die erst relative kurze Zeit erkrankt sind – bereits Zeichen frü-
her chronischer Komplikationen wie zum Beispiel diabetische periphere oder kardiale Neuropathie aufweisen (11). Die SEARCH-Studie gliedert sich in zwei Komponenten: eine Registerstudie mit annähernd 25 000 an Diabetes erkrankten Kindern (einschliesslich 4000 Kinder und Jugendliche mit Diabetes Typ 2) und eine Kohortenstudie mit 3000 mindestens seit 3 Jahren an Diabetes leidenden Kindern, die derzeit hinsichtlich der makro- und mikrovaskulären Komplikationen ihrer Erkrankung nachbeobachtet werden. Die unerwartete rasante Zunahme von Diabetes Typ 2 ist beschränkt auf Kinder im Alter über 10 Jahren; bei jüngeren Kindern ist Typ-2-Diabetes nach wie vor selten. Auch wenn die epidemische Fettleibigkeit als verantwortlich für die gestiegene Prävalenz gelte, sei zu berücksichtigen, dass «fetale Überernährung» einen der grössten Risikofaktoren darstelle. Ungesunde Schwangerschaften – darunter fallen etwa Kinder von übergewichtigen oder während der Schwangerschaft extrem an Gewicht zunehmenden Müttern – bilden einen Teufelskreis, der Fettleibigkeit und Diabetes auf die nächste Generation übertrage, so die SEARCH-Wissenschaftler. Für die deutliche Zunahme von Diabetes Typ 1, die sich in der vergangenen Dekade bei Kindern ab 4 Jahren zeigte, haben die Forscher noch keine eindeutige Erklärung. Da es sich bei Typ-1-Diabetes um eine Autoimmunerkrankung handle, könne eine
mögliche Ursache darin liegen, dass
Kinder heutzutage in einer Umgebung
aufwachsen, in der sie weitaus weniger
als früher mit Viren und Bakterien in
Kontakt kommen, die für eine normale
Entwicklung des Immunsystems nötig
sind.
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Ralf Behrens
Literatur: 1. Pablo Aschner et al.: Insulin glargine versus sita-
gliptin in insulin-naive patients with type 2 diabetes mellitus uncontrolled on metformin (EASIE): a multicentre, randomised open-label trial. Lancet 2012; 379(9833): 2262–2269. ADA Scientific Sessions 2012: CT-SY22. 2. Baptist Gallwitz et al.: Exenatide twice daily versus glimepiride for prevention of glycaemic deterioration in patients with type 2 diabetes with metformin failure (EUREXA): an open-label, randomised controlled trial. Lancet 379(9833): 2270–2278. ADA Scientific Sessions 2012: CT-SY22. 3. The ORIGIN trial investigators: Basal insulin and cardiovascular and other outcomes in dysglycemia. NEJM 2012; DOI:10.1056/NEJMoa1203858. ADA Scientific Sessions 2012: CT-SY21. 4. The ORIGIN trial investigators: n-3 fatty acids and cardiovascular outcomes in patients with dysglycemia. NEJM 2012; DOI:10.1056/NEJMoa1203859. ADA Scientific Sessions 2012: CT-SY21. 5. ADA Scientific Sessions 2012: CT-SY13. 6. ADA Scientific Sessions 2012: 1364-P. 7. ADA Scientific Sessions 2012: 945-P. 8. ADA Scientific Sessions 2012: 1047-P. 9. Allison B. Goldfine et al.: Targeting inflammation using salsalate for type 2 diabetes: stage II. ADA Scientific Sessions 2012. 10. Richard F. Hamman et al.: Estimates of the burden of diabetes in United States Youth in 2009. ADA Scientific Sessions 2012: 1369-P. 11. Eva L. Feldman et al.: Peripheral neuropathy in the SEARCH for Diabetes in Youth cohort: A pilot study. ADA Scientific Sessions 2012: 564-P.
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