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Depressionen und Angststörungen
Die Komorbidität zwischen beiden Erkrankungen ist häufig, die Diagnose und Therapie aber oft unzureichend
JOSEF HÄTTENSCHWILER1 PAUL HÖCK2 UND DANIELE FABIO ZULLINO3
Depressionen und Angststörungen sind sehr häufige, allein oder zusammen auftretende psychische Erkrankungen. Beide Störungen werden leider oft nicht diagnostiziert oder inadäquat behandelt. Der vorliegende Artikel liefert einen historischen Abriss über die Begriffsgeschichte der affektiven Störungen sowie der Angststörungen, zudem werden deren Diagnostik und die Folgen der Komorbidität beschrieben. Die neuesten epidemiologischen Ergebnisse einer europäischen Studie (ESEMeD) werden dargelegt und therapeutische Konsequenzen abgeleitet.
Geschichtliches
Bereits Hippokrates von Kos (460–377 v. Chr.) hat Krankheitsbilder beschrieben, die wir heute den affektiven Störungen zuordnen. In seinem Werk «Corpus hippocraticum», in dem er die Vier-SäfteLehre darlegt, schildert er die Melancholie (Schwarzgalligkeit) als traurige und mutlose Gemütsverfassung. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde mit dem Begriff Depression allgemein eine Reduktion der psychischen Aktivität bezeichnet. Emil Kraepelin (1865–1926) prägte den Begriff des «manisch-depressiven Irreseins» und fasste die verschiedenen Formen der Melancholie richtungsweisend unter «depressiven Zuständen» zusammen. Damit beschrieb er eine traurige oder ängstliche Verstimmung mit Hemmung des Denkens und Handelns. Karl Jaspers kennzeichnete 1913 die Depression (von lat. deprimere = herunter-, niederdrücken) als tiefe Traurigkeit und Hemmung allen seelischen Geschehens (1). Eugen Bleuler definierte 1916 die depressive Trias beziehungsweise die «Drei-Gruppen-Symptome»: depressive Verstimmung, Hemmung des Gedankenganges, der Entschlussfähigkeit und des Handelns. Später setzte sich der Begriff der manisch-depressiven Krankheit durch. Der Begriff der affektiven Störungen wurde erst in neuerer Zeit geprägt. Er fand seinen Niederschlag in den aktuellen Diagnosesystemen ICD10 (International Classification of Diseases der Weltgesundheitsorganisation WHO) und DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders). Damit wurde die klassische Unterscheidung zwischen endogenen und neurotischen Depressionen durch die Begriffe «depressive Episode» im ICD 10 beziehungsweise «Ma-
Merk-
sätze (1)
q Neue epidemiologische Studien zeigen, dass Depressionen und Angststörungen oft nicht erkannt und unzureichend behandelt werden. Dies hat negative Auswirkungen auf den Verlauf der Erkrankung mit erhöhtem Risiko für Suchtmittelabhängigkeit, erschwerter Behandelbarkeit und Chronifizierung.
q Wichtig für eine erfolgreiche Therapie ist, Angsterkrankungen früh zu erkennen, den Patienten über sein Leiden gut aufzuklären und für eine fachgerechte Behandlung zu motivieren.
q Eine adäquate Behandlung von Depression und Angst besteht in einer Kombination von Pharmakotherapie und Psychotherapie. Hierbei werden vor allem die SSRI als Behandlung erster Wahl eingesetzt, aber auch die neueren Antidepressiva. Diese Substanzen wirken sowohl auf die Depression als auch auf die Angstsymptomatik. Paroxetin und Sertralin sind bezüglich der registrierten Indikationen zurzeit am breitesten validiert.
jor Depression» im DSM-IV ersetzt. Die gesamte Gruppe der depressiven Störungen wird seitdem unter dem Kapitel der affektiven Störungen zusammengefasst.
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Merk-
sätze (2)
q Ziel der Behandlung ist die vollständige Remission, auch wenn diese nicht in allen Fällen erreicht werden kann. Bei fehlendem oder unzureichendem Ansprechen auf eine Behandlung innerhalb von vier bis sechs Wochen sollte fachärztliche Hilfe beigezogen werden.
q Es ist von grösster Bedeutung, dass die Behandlung von ausreichender Dauer ist, um Rückfällen und Rezidiven vorbeugen zu können: Nach eingetretener Besserung soll die Pharmakotherapie mit der wirksamen Dosis während sechs bis zwölf Monaten weitergeführt werden. Erst danach erfolgt der langsame Abbau der antidepressiven Medikation unter sorgfältiger Kontrolle des Patienten. Diese Empfehlung gilt jedoch nur für Patienten mit einer Erstepisode einer Angststörung oder einer Depression. Für alle anderen Fälle gilt grundsätzlich eine längere, jahrelange, manchmal lebenslange Behandlungsdauer.
Ängste wurden lange Zeit als Symptome der Depression und nicht als eigenständige Syndrome aufgefasst. So beobachtete bereits Hippokrates, dass Angst und Verstimmtheit in der Melancholie gemeinsam auftreten können. Max Hamilton ordnete verschiedene kognitive und somatische Angstphänomene der Depression zu (2). Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts werden Angststörungen als eigenständige Syndrome verstanden (3), wobei der Aufsatz von Sigmund Freud über die «Angstneurosen» (1895) über Jahrzehnte hinweg den Angstbegriff prägte. Anfang der Neunzigerjahre wurde der Begriff der Angstneurose in den Klassifika-
Tabelle 1: Symptome der depressiven Episode nach ICD-10
Hauptsymptome 1. Gedrückte Stimmung 2. Interessen-/Freudlosigkeit 3. Antriebsstörung
Andere häufige Symptome 1. Erhöhte Ermüdbarkeit 2. Vermindertes Denk- oder Konzentrationsvermögen 3. Verlust von Selbstvertrauen oder Selbstwertgefühl 4. Unbegründete Selbstvorwürfe 5. Hemmung/Unruhe 6. Wiederkehrende Gedanken an den Tod oder an Suizid oder suizidales Verhalten 7. Kopfschmerzen, gastrointestinale Beschwerden 8. Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen sowie Früherwachen) 9. Störungen des Appetits 10. Libidostörungen 11. Gewichtsverlust
Tabelle 2: Unterteilung der depressiven Episode nach ICD-10
F32.0 Leichte depressive Episode Gefordert werden mindestens 2 Hauptsymptome und 2 andere häufige Symptome. Betroffene leiden unter den Symptomen und haben Schwierigkeiten, die normalen beruflichen und sozialen Aktivitäten fortzusetzen, geben aber die alltäglichen Aktivitäten nicht vollständig auf.
F32.1 Mittelgradige depressive Episode Gefordert sind mindestens 2 Hauptsymptome und mindestens 3, besser 4 andere, häufige Symptome. Einige Symptome sind in ihrem Schweregrad besonders ausgeprägt. Die betroffene Person kann nur unter erheblichen Schwierigkeiten soziale, häusliche und berufliche Aktivitäten fortsetzen.
F32.2 Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome Alle 3 Hauptsymptome sowie 4 oder mehr andere häufige Symptome mit z.T. besonders schwerer Ausprägung sind vorhanden. Es besteht meistens erhebliche Verzweiflung oder Agitiertheit (Ausnahme bei gehemmten Formen). Typischerweise treten Verlust des Selbstwertgefühls und Gefühle von Wertlosigkeit und Schuld auf. Suizidgedanken und -handlungen kommen häufig vor.
F32.3 Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen Eine schwere depressive Episode, wie unter F32.2 beschrieben, in der aber Halluzinationen, Wahnideen oder ein depressiver Stupor auftreten. Alltägliche soziale Aktivitäten werden unmöglich. Cave: Suizidalität, ev. mangelhafte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme. Halluzinationen und Wahn können, müssen aber nicht synthym sein.
tionssystemen ICD und DSM durch «Angststörung» ersetzt, und seither wird zwischen verschiedenen Angststörungen, die unten besprochen werden, differenziert. Obwohl Angststörungen mittlerweile in
der Regel gut behandelbar sind, kommen leider noch heute Betroffene aus Mangel an Information oder aus Scham nur selten oder (zu) spät in Behandlung – meist erst dann, wenn bereits Komplikationen auf-
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getreten sind. Angststörungen sind inzwischen recht gut erforscht – dennoch werden sie noch immer unzureichend diagnostiziert und selbst im Fall einer korrekten Diagnosestellung häufig ungenügend behandelt.
Definition und Diagnose
Unter Affektivität versteht man zum einen kurz andauernde starke Gefühlszustände wie Zorn, Wut, Hass oder Freude. Es gehören aber auch Stimmungen dazu, die über einen längeren Zeitraum anhalten, wie etwa Depressionen. Bei Störungen der Affektivität sind Gefühlsausdruck und -empfinden sowie die Stimmungslage verändert. Die Veränderung der Stimmungslage wird fast immer von einer Reduktion oder Steigerung des Aktivitätsniveaus begleitet. Affektive Störungen werden in bipolare Störungen und depressive Störungen unterteilt, wobei letztere häufiger sind. Hauptmerkmal der bipolaren Störungen sind eine oder mehrere manische oder hypomanische Episoden, zudem findet sich meist eine depressive Episode in der Vorgeschichte. Zyklen von hypomanischen und leichten depressiven Symptomen werden als Zyklothymie bezeichnet. Hauptmerkmale einer depressiven Störung sind eine oder mehrere Phasen einer Depression ohne manische oder hypomanische Episoden. Eine leichtere depressive Verstimmung, die während mindestens zwei Jahren anhält, aber nie die Diagnosekriterien einer depressiven Episode erfüllt, wird als Dysthymie bezeichnet. Entwickelt sich dabei zusätzlich eine depressive Episode, sprechen wir von einer «Double Depression». Alle diese Störungen neigen zur Chronifizierung. Tabelle 1 zeigt die Leitsymptome einer depressiven Episode nach ICD-10. Die Diagnose wird anhand von Hauptsymptomen und zusätzlich auftretenden Symptomen gestellt. Für die Diagnosestellung ist es sehr wichtig, dass neben den Hauptsymptomen auch die zusätzlich auftretenden Symptome, die nicht minder wichtig sind, sorgfältig erfragt werden, weil sonst die Diagnose verpasst werden kann. Durch die Anzahl sowie die Ausprägung
von Symptomen können wir nach ICD-10 eine leichte (F32.0), mittelgradige (F32.1) und schwere Episode unterscheiden, wobei letztere mit oder ohne psychotische Symptome (F32.2, F32.3) auftreten kann (Tabelle 2). Für die Diagnosestellung wird eine Symptomdauer von mindestens zwei Wochen gefordert. Kürzere Zeiträume sind bedeutsam, wenn die Symptome ungewöhnlich schwer oder abrupt auftreten. Obwohl der Begriff der Angstneurose durch die Bezeichnung Angststörung ersetzt und das Konzept der Neurose im ICD-10 nicht beibehalten wurde, werden
die Angststörungen noch heute der Gruppe der neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen zugeordnet und finden sich in den Untergruppen phobische Störungen (F40) und andere Angststörungen (F41). Tabelle 3 gibt die wichtigsten Angststörungen nach ICD-10 gekürzt wieder. Bei Komorbidität von Angst und Depression soll neben der Abklärung der kausalen Beziehung zwischen den zwei Syndromen (Angst vor der Depression oder umgekehrt, oder beides gleichzeitig?) auch nach möglichen somatischen Ursachen der psychischen Symptome gesucht
Tabelle 3: A n g s t s t ö r u n g e n n a c h I C D - 1 0
F40.0 Agoraphobie Angst vor gewissen Orten oder Situationen, an denen im Falle einer Angstattacke eine Flucht schwer möglich wäre oder peinliches Aufsehen erregen könnte. Am häufigsten treten Angstanfälle in Menschenmengen, öffentlichen Verkehrsmitteln oder engen Räumen auf. Angst vor dem Alleinsein kommt ebenfalls häufig vor. Zwei Formen werden unterschieden: – Agoraphobie ohne Panikstörung in der Anamnese – Panikstörung mit Agoraphobie
F40.1 Soziale Phobie (Soziale Angststörung) Angst, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, z.B. Sprechen in der Öffentlichkeit oder vor Vorgesetzten. Befürchtung, sich peinlich oder ungeschickt zu verhalten oder negativ beurteilt zu werden. Es kommt in der Regel zu einem Vermeidungsverhalten.
F40.2 Spezifische (isolierte) Phobien Die Angst resp. Furcht bezieht sich auf einzelne, klar umschriebene Situationen oder Objekte wie z.B. bestimmte Tiere, Höhe, Fliegen, geschlossene Räume, Anblick von Blut. Führt auch zu Vermeidungsverhalten.
F41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) Nicht auf spezifische Situationen begrenzte, anfallsartig auftretende Angstattacken mit psychischen und körperlichen Symptomen. Typisch sind plötzlich, aus heiterem Himmel auftretendes Herzrasen, Druck auf der Brust, Erstickungsgefühle, Schwindel, Zittern, Schwitzen, Entfremdungsgefühle (Depersonalisation oder Derealisation), Angst, die Kontrolle zu verlieren, verrückt zu werden oder sterben zu müssen.
F41.1 Generalisierte Angststörung (GAD) Hauptsymptom der GAD ist eine übersteigerte Ängstlichkeit und Besorgtheit, die sich auf die allgemeinen oder besonderen Lebensumstände bezieht. Das Auftreten dieser Angst ist situativ nicht umschrieben, sondern sie ist fast ständig vorhanden. Die permanente Anspannung führt zu Nervosität, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen sowie verschiedenen körperlichen Symptomen wie Zittern, Muskelspannung, Schwitzen, Benommenheit, Herzklopfen, Schwindelgefühlen, Verdauungsbeschwerden oder Durchfällen.
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werden. Eine allgemein-körperliche, internistische und eventuell eine neurologische Untersuchung sind wichtige Bestandteile jeder Abklärung (4).
Epidemiologie
Depressionen und Angststörungen sind weit verbreitet (5). Gemäss einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1998 litten 12 Prozent der Befragten zum Zeitpunkt der Untersuchung an einer Depression und 10 Prozent an einer Angststörung (6). Eine deutsche Untersuchung von 1998 ergab eine Zwölf-Monats-Prävalenz für schwere Depressionen von 8,3 Prozent und für Angststörungen von 15 Prozent, wobei spezifische Phobien eine Prävalenz von 7,6 Prozent, die Generalisierte Angststörung von 1,5 Prozent und Panikstörungen von 4,3 Prozent zeigten (7). Zu vergleichbaren Ergebnissen kamen Untersuchungen aus den USA (8). Besonders hervorzuheben sind die Resultate der ESEMeD-Studie (European Survey of Epidemiology of Mental Disorder [9]). Diese aktuelle und auf europäischen Daten basierende Kooperationsstudie der Europäischen Kommission, GlaxoSmithKline und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde am 16. Kongress des European College of Neuropsychopharmacology (ECNP) im September 2003 in Prag präsentiert. Die Untersuchung wurde in sechs EU-Ländern (Italien, Frankreich, England, Holland, Spanien, Deutschland) durchgeführt und schloss über 22 000 Personen ein. Die ESEMeDStudie zeigte, dass 25 Prozent der über 18-jährigen Europäer mindestens einmal im Leben an einer psychischen Störung leiden. Einer von sieben leidet an einer affektiven Störung und jeder Siebte an einer Angststörung. Die Zwölf-Monats-Prävalenz für schwere Depressionen beträgt gemäss ESEMeD-Studie 4 Prozent und für Angststörungen 6 Prozent.
Hohe Komorbidität psychischer Störungen
Unter Komorbidität versteht man das Vorhandensein von mehr als einer Störung
bei einer Person in einem definierten Zeitraum (10). Die hohen Komorbiditätsraten von Angststörungen und Depressionen werden durch epidemiologische Studien belegt (11). So zeigte die GAD-P-Studie (Generalized Anxiety and Depression in Primary Care) [12]), dass 42 Prozent der Personen mit einer Angststörung gleichzeitig an einer schweren Depression und 36 Prozent der Depressiven gleichzeitig an einer Generalisierten Angststörung leiden. Gemäss ESEMeD-Studie (9) leiden 42 Prozent der Patienten mit schwerer Depression und 65 Prozent derjenigen mit einer Generalisierten Angststörung unter mindestens einer weiteren psychischen Störung. Zusätzlich besteht eine beträchtliche Komorbidität zwischen den verschiedenen Angststörungen.
Bedeutung der Komorbidität von Depression und Angststörungen
Die hohe Komorbidität von Angststörungen und Depression führt zur Frage der Zusammenhänge und der Bedeutung dieser Erkrankungen. Verschiedene epidemiologische Studien zeigen, dass depressive Störungen vielfach als Folge von Angsterkrankungen auftreten (13, 14).
Angsterkrankungen und
Depressionen sind für sich allein
schon sehr belastende, zur
Chronifizierung neigende Erkran-
kungen (5). Eine als Komplikation
der Angsterkrankung auftretende
Depression führt zu einem
ungünstigeren Krankheitsverlauf
beider Störungen (15–18).
Die Komorbidität vermindert die Lebensqualität zusätzlich, verstärkt die soziale Isolation, erhöht die Anfälligkeit für somatische Erkrankungen sowie das Suizidrisiko (19, 20) und führt zu höheren Hospitalisationsraten (17). Bis zu 15 Prozent der wegen einer depressiven Störung hospitalisierten Patienten begehen Selbst-
mord (21). Die Suizidrate bei Patienten mit komorbider Depression und Panikstörung ist indessen um 70 Prozent höher als bei schwerer Depression und viermal höher als bei einer Panikstörung allein (20). Eine im Jahr 2002 veröffentlichte Untersuchung zur Komorbidität von Generalisierter Angststörung und Depression kommt zu ähnlichen Befunden (22). Darüber hinaus besteht auch eine hohe Komorbidität von Angst und Depression mit Suchterkrankungen (14).
Daraus ist zu folgern, dass die
frühzeitige Diagnose und eine an-
gemessene Behandlung von zen-
traler Bedeutung für die Prog-
nose sind und nur so das Risiko
einer komorbiden Störung und
weiterer Komplikationen verhin-
dert werden kann (9).
Aktuelle Behandlungssituation
Der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 in Deutschland ergab, dass lediglich 36,4 Prozent der psychischen Störungen behandelt wurden, was auf eine deutliche Unterversorgung hinweist (7). Ähnliche Daten sind aus den USA bekannt (8). Im Rahmen der ESEMeD (9) wurden nicht nur die Prävalenz, sondern auch die Nutzung und Qualität der therapeutischen Ressourcen in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung erfasst. Die Resultate zeigen, dass Depressionen und Angsterkrankungen durch Ärzte häufig nicht diagnostiziert werden. Ein weiteres Problem ist, dass Depressive und Angstkranke vielfach keinen Arzt aufsuchen: 63 Prozent der Befragten mit Depressionen beziehungsweise 74 Prozent mit Angststörungen gingen trotz erheblicher Beschwerden nicht zum Arzt. 6 Prozent sowohl der Depressiven als auch der Angsterkrankten erhielten auch nach ärztlicher Untersuchung keine Behandlung. Lediglich 14 Prozent der Depressiven beziehungsweise 8 Prozent der Angsterkrankten erhielten
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Depressionen und Angststörungen
eine medikamentöse Therapie, und 5 Prozent begannen eine Psychotherapie. Nur 12 Prozent der Depressiven und 7 Prozent der Angsterkrankten erhielten eine Behandlung in Form einer Kombination aus Medikation und Psychotherapie.
Insgesamt erhielten also viele Pa-
tienten entweder keine Therapie,
oder sie wurden mit falschen
oder mit nicht primär indizierten
Medikamenten behandelt.
Von den Patienten mit schweren Depressionen erhielten 20 Prozent ein Anxiolytikum in Monotherapie, nur 5 Prozent ein Antidepressivum in Monotherapie, 13 Prozent ein Antidepressivum und ein Anxiolytikum sowie 4 Prozent ein Antidepressivum und ein Antipsychotikum.
Therapie unter Berücksichtigung der Komorbidität
Als «State of the Art» der Behandlung komorbid auftretender Depressionen und Angststörungen gilt zurzeit eine Kombination aus Psychotherapie und antidepressiver Medikation (23, 24). Die kognitive Verhaltenstherapie ist aktuell sowohl für Depressionen als auch für Angststörungen die am besten validierte Psychotherapieform (25). Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und neuere Antidepressiva (z.B. Venlafaxin, Efexor®; Mirtazapin, Remeron®; Reboxetin, Edronax®) sind Substanzen erster Wahl bei der medikamentösen Behandlung sowohl von Depressionen als auch von Angsterkrankungen. Von den heute erhältlichen SSRI Fluoxetin (Fluctin®), Sertralin (Gladem®, Zoloft®), Paroxetin (Deroxat®), Citalopram (Seropram®), Fluvoxamin (Floxyfral®) und Escitalopram (Cipralex®) sind Sertralin und Paroxetin bezüglich Angststörungen am besten untersucht. Paroxetin ist zurzeit das einzige SSRI, welches die Zulassung zur Behandlung aller Angsterkrankungen hat. Allerdings zeigen Studien für die neueren Antidepressiva (Venlafaxin, Mirtazapin) und für andere SSRI eine ähn-
liche Wirksamkeit in der Behandlung von Angsterkrankungen, wie sie von den oben erwähnten SSRI bekannt ist. Die modernen Antidepressiva können meist einmal pro Tag verabreicht werden, was die Behandlung vereinfacht und sich auf die Compliance günstig auswirken kann. Eine Einmaldosis ist allerdings nicht gleichbedeutend mit der Einnahme nur einer Tablette. Meist muss im Verlauf der Behandlung die Dosierung angepasst werden, sodass viele Patienten eine höhere als die Einstiegsdosis benötigen, um auf die Behandlung anzusprechen.
Da Antidepressiva eine Wirk-
latenz haben und zu Beginn der
Behandlung die Angstsymptoma-
tik verstärken können, sollten
Antidepressiva in den ersten zwei
bis drei Behandlungswochen mit
einem beruhigenden, angstlösen-
den und schlafanstossenden Mit-
tel aus der Gruppe der Benzodia-
zepine kombiniert werden (26).
Das Benzodiazepin soll aber nach Wir-
kungseintritt des Antidepressivums, in der
Regel nach zwei bis drei Wochen, lang-
sam reduziert und dann abgesetzt wer-
den. Im weiteren Behandlungsverlauf ist
eine Monotherapie mit einem Antidepres-
sivum meist ausreichend.
Die Behandlungsdauer sollte bei gutem
Ansprechen (Response) mindestens
zwölf Monate betragen. Geddes et al.
(27) haben in einer systematischen Re-
view von 31 Studien mit insgesamt 4410
Patienten das Rückfallrisiko unter Anti-
depressiva-Langzeitmedikation untersucht.
Das Resultat zeigt, dass eine fortgesetzte
Antidepressiva-Therapie (sog. Erhaltungs-
therapie) die Wahrscheinlichkeit für einen
Depressionsrückfall um etwa 66 Prozent
reduziert. Dies entspricht einer Reduk-
tion des absoluten Rückfallrisikos um
etwa 50 Prozent.
q
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Depressionen und Angststörungen
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Korrespondenzadresse: Dr. med. Josef Hättenschwiler Psychiatrische Universitätsklinik
Lenggstrasse 31 8029 Zürich
Tel. 01-384 24 30 E-Mail: jhaettenschwiler@puk.zh.ch
1 Psychiatrische Universitätsklinik, Zürich 2 Facharzt für Psychiatrie / Psychotherapie, Zug 3 Département Universitaire de Psychiatrie
Adulte, Prilly-Lausanne
Interessenkonflikte: Dr. Zullino ist Mitglied im Advisory Board von Eli Lilly und Wyeth.
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