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FORTBILDUNG
Metakognitives Training (MKT) für Psychose: Das Denken über das Denken fördern
Julian Moeller Steffen Moritz
Das Metakognitive Training für Psychose (MKT) stellt eine neue Variante von Psychotherapie für Patienten aus dem schizophrenen Formenkreis dar. Es weist eine deutlich erkennbare Schnittmenge mit der Kognitiven Verhaltenstherapie, der Kognitiven Remediation und der Psychoedukation auf und zielt auf eine funktionale Beeinflussung jener beeinträchtigter kognitiver Prozesse und Denkstile, die nach dem heutigen Kenntnisstand zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Psychosen beitragen. Patienten werden hierbei angeregt, über ihr Denken nachzudenken (Metakognition). Das Metakognitive Training für Psychose wurde von der Arbeitsgruppe um Steffen Moritz entwickelt.
Julian Moeller1,2 und Steffen Moritz3
D ie Praxisleitlinie S3 und die NICE-Guideline empfehlen für die Therapie von Patienten aus dem schizophrenen Formenkreis eine Pharmakotherapie mit Antipsychotika sowie eine begleitende evidenzbasierte Psychotherapie als Goldstandard. Der begleitenden Psychotherapie kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu, da Antipsychotika bezüglich Symptomreduktion, Rückfallprävention und Erhöhung der Lebensqualität nur partiell wirksam sind (1). Nach wie vor spielt die Psychotherapie bei Psychosen aufgrund von Ressourcenknappheit, aber auch von tradierten Vorurteilen (u.a. Unverstehbarkeit/psychologische Unzugänglichkeit) eine untergeordnete Rolle. Ein neuer Psychotherapieansatz zur Behandlung von Patienten aus dem schizophrenen Formenkreis ist das Metakognitive Training für Psychose (MKT) (2–4), welches von der Arbeitsgruppe des Zweitautors entwickelt wurde. Es zielt auf spezifisch beeinträchtigte Denkprozesse bei Schizophrenie.
Theoretischer Hintergrund Eine Vielzahl von Studien zeigt bei Patienten aus dem schizophrenen Formenkreis spezifisch beeinträchtigte kognitive Prozesse und Denkstile. Diese werden in die folgenden Bereiche eingeteilt (3, 4): a) Attributionsverzerrungen: Schizophrene Probanden
neigen im Vergleich zu gesunden Probanden häufiger zu einseitigen, monokausalen Ursachenzuschreibungen und dazu, andere Menschen (z.B. Nachbarn) und Institutionen (z.B. Polizei) für eigene negative Erfahrungen verantwortlich zu machen (externe Kausalattribuierung) (5, 6). b) Voreiliges Schlussfolgern: Schizophrene Probanden sammeln im Vergleich zu gesunden und psychiatrischen Kontrollprobanden weniger oder weniger verlässliche Informationen, bevor sie Schlussfolgerungen mit Überzeugung treffen (7, 8).
c) Korrigierbarkeit: Schizophrene Probanden zeigen die Tendenz, einmal getroffene Folgerungen trotz klar widersprechender Informationen beizubehalten und trotz Gegenbeweisen nicht oder kaum zu korrigieren (9).
d) Theory of Mind: Schizophrene Probanden zeigen im Vergleich zu gesunden Probanden deutliche Beeinträchtigungen in der Theory of Mind (10), welche definiert werden kann als die Fähigkeit, sich in andere Personen einzufühlen und ihre Gefühle, Gedanken und Handlungsabsichten angemessen zu erschliessen.
e) Urteilssicherheit: Schizophrene Probanden zeigen einen erhöhten Überzeugungsgrad bei Fehleinschätzungen (11).
f ) Selbstwert und Stimmung: Schizophrene Probanden zeigen im Vergleich zu gesunden Probanden ein geringeres Selbstwertgefühl (12), welches in wahnhaften Episoden jedoch auch teilweise stark gesteigert sein kann.
Kognitive Modelle zur Entstehung von Wahn postulieren, dass die oben genannten und bei schizophrenen Patienten beeinträchtigten kognitiven Prozesse und Denkstile zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Psychosen beitragen (13). Das Metakognitive Training für Psychose setzt an diesen bei vielen – aber selbstverständlich nicht allen – schizophrenen Patienten beeinträchtigten Kognitionen an und zeigt sich damit als ein evidenzbasierter, aus dem heutigen Forschungsstand hergeleiteter Psychotherapieansatz.
Metakognitives Training für Psychose (MKT) Das Metakognitive Training für Psychose ist ein Gruppentherapieprogramm für Patienten aus dem schizophrenen Formenkreis, welches aus einem Manual und zwei Zyklen von jeweils acht Trainingsmodulen besteht (2 x 8 PDF-Präsentationen). Die PDF-Präsentationen werden den Patientengruppen vorzugsweise mit einem
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PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
Kasten 1:
Die acht Trainingsmodule des Metakognitiven Trainings (MKT)
Trainingsmodul 1. Attribution (Selbstdienlichkeitsbias)
2. Voreiliges Schlussfolgern (Kurzschlussdenken) I
3. Korrigierbarkeit (Beharrungstendenz)
4. Theory of Mind (Einfühlen) I
5. Gedächtnis (Vermeidung von Intrusionen)
6. Theory of Mind (Einfühlen) II
7. Voreiliges Schlussfolgern (Kurzschlussdenken) II
8. Selbstwert und Stimmung (depressive Denkstile)
Beschreibung Es werden unterschiedliche Situationen präsentiert mit jeweils drei potenziellen Erklärungsmöglichkeiten (z.B. «Leute verstummten, als ich den Raum betrat.» Erklärungsmöglichkeiten: «Die beobachten mich, denen kann ich nicht trauen» [extern], «Ich habe mich auffällig verhalten» [intern], «Die Entspannungsgruppe hat gerade begonnen» [situativ]). Die Übungen sollen aufzeigen, dass es für viele Ereignisse nicht nur eine, sondern mehrere mögliche Erklärungen geben kann, und negative Konsequenzen monokausaler Zuschreibungen vergegenwärtigen. Es werden Bildabfolgen gezeigt, die einer Zeichnung sukzessive mehr Details zufügen (siehe Kasten 2), sowie zweideutige Bilder (auch Kippbilder genannt). Die Übungen sollen verdeutlichen, dass voreilige Schlussfolgerungen, die trotz fehlender Informationen gefällt werden, oft falsch sind und dass sich Sachverhalte aufgrund von zusätzlichen Informationen plötzlich ganz anders präsentieren können. Bildergeschichten werden in umgekehrter Reihenfolge gezeigt, sodass nach jedem Bild zeitlich weiter zurückliegende Informationen enthüllt werden. Zu jeder Bildergeschichte werden vier Interpretationsmöglichkeiten angeboten, deren Plausibilitäten nach jedem Bild neu eingeschätzt werden sollen. Die Bildergeschichten nehmen häufig unerwartete Wendungen. Mit diesen Aufgaben wird die Wichtigkeit verdeutlicht, für Gegenargumente offen zu bleiben und bei stichhaltigen Argumenten eigene Sichtweisen zu korrigieren. Gesichtsfotos und Fotoausschnitte von Menschen werden gezeigt. Anschliessend wird nach dem Beruf der abgebildeten Person, ihrer gerade empfundenen Emotion oder der von ihr ausgeübten Tätigkeit gefragt. Die Übungen verdeutlichen, dass die voreilige Interpretation von Gesichtsausdrücken oder Gestik zu falschen Rückschlüssen führen kann. Im Weiteren werden Bildergeschichten gezeigt, die anhand unterschiedlicher Bildoptionen plausibel vervollständigt werden sollen. Diese Übungen zeigen auf, wie wichtig es ist, Menschen und Situationen möglichst genau zu beobachten beziehungsweise kennenzulernen, um soziale Situationen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit richtig bewerten zu können. Patienten sollen hierbei lernen, ihre Urteile in Zweifel zu ziehen. Bilder von prototypischen Situationen werden gezeigt (z.B. Schulzimmer), wobei einige typische Elemente aus den Bildern entfernt wurden (z.B. Schulranzen, Schwamm). Anhand der Präsentation von Wortlisten mit tatsächlich präsentierten Gegenständen (z.B. Papierkorb) und nicht präsentierten, aber typischen Gegenständen (z.B. Schwamm) werden Wiedererkennungsaufgaben gestellt. Es soll verdeutlicht werden, dass das Erinnerungsvermögen im Allgemeinen fehleranfällig ist und es manchmal sinnvoll ist, zusätzliche Informationen einzubeziehen, um die Richtigkeit eigener Erinnerungen zu überprüfen. Es werden kurze Bildergeschichten präsentiert, und der Betrachter soll die Gedanken und die Gefühle einer Zielperson einschätzen. Dabei steht dem Betrachter mehr Information zur Verfügung als der Zielperson der Geschichte. Ziel der Aufgabe ist es, die Perspektive anderer Personen einzunehmen und die zur Verfügung stehende Information für die Schlussfolgerung korrekt zu berücksichtigen. Zudem soll geübt werden, differierende Erklärungsversuche gelten zu lassen. Für verschiedene Gemälde sollen zum Beispiel die jeweils korrekten Titel aus vier möglichen Antworten ausgewählt werden. Bei oberflächlicher Betrachtung können die Bilder zu falschen Antworten verleiten. Die Übung soll zeigen, dass für wichtige Entscheide möglichst viele Informationen berücksichtigt werden sollen, bei alltäglichen und eher unwichtigen Entscheidungen jedoch weniger Informationen genügen können. Zudem wird das Einschätzen der Entscheidungssicherheit geübt und aufgezeigt, dass Situationen manchmal nicht abschliessend deutbar sind. Zu negativen Ereignissen oder Wahrnehmungen werden depressive Erklärungsmuster präsentiert, zum Beispiel übertriebene Verallgemeinerungen oder eingeengte Bewertungen. Zusätzlich zu diesen dysfunktionalen Erklärungen sollen angemessene und selbstwertdienliche Alternativen formuliert werden. Zudem listet das Modul eine Reihe von Tipps auf, die helfen, Stimmung und Selbstwert zu erhöhen.
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PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
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Kasten 2:
Bildabfolgen
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Kasten 3:
Die gelbe Karte aus dem Metakognitiven Training
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Die gelbe Karte aus dem Metakognitiven Training für Psychose (www.uke.de/mct): Die Patienten werden motiviert, sich im Alltag mit den drei Fragen auf der Karte auseinanderzusetzen, um die Auftretenswahrscheinlichkeit unzutreffender, aber möglicherweise folgenschwerer Schlussfolgerungen zu verringern.
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Beispiel aus dem zweiten Trainingsmodul des Metakognitiven Trainings für Psychose: Einer Bildabfolge – bestehend aus sieben Zeichnungen – werden sukzessive mehr Details zugefügt. Es wird aufgezeigt, dass voreiliges Schlussfolgern zu falschen Interpretationen führen kann (Urheber der Zeichnung werden auf der Website www.uke.de/mct gewürdigt).
Computer, dem kostenlosen PDF-Viewer Adobe® Reader® und einem Videoprojektor im Vollbildmodus gezeigt. Das Metakognitive Training für Psychose kann im Internet frei und unentgeltlich bezogen werden und ist gegenwärtig in 31 Sprachen verfügbar (www.uke.de/ mct). Themen der acht Trainingsmodule sind: 1. Attribution, 2. Voreiliges Schlussfolgern I, 3. Korrigierbarkeit, 4. Theory of Mind (Einfühlen) I, 5. Gedächtnis, 6. Theory of Mind (Einfühlen) II, 7. Voreiliges Schlussfolgern II, 8. Selbstwert und Stimmung (siehe Kasten 1). Die Trainingsmodule haben gemeinsam, dass sie auf die bei schizophrenen Patienten beeinträchtigten kognitiven Prozesse und Denkstile fokussieren, mit dem Ziel, dem Wahn zugrunde liegende kognitive Mechanismen funktional zu beeinflussen. Patienten werden auf eine spielerische, gewinnende und interaktive Art angeregt,
eigene Denkstile und Problemlösestrategien zu reflektieren und zu hinterfragen, wobei das «Denken über das Denken» (Metakognitionen) gefördert werden soll. In jedem Trainingsmodul steht dabei ein spezifischer, dysfunktionaler Denk- oder Attributionsstil im Vordergrund. Dieser wird mit zahlreichen Beispielen veranschaulicht, wobei in einem psychoedukativen Teil jeweils auf die Normalisierung der jeweiligen Inhalte gezielt wird, da alle beschriebenen Denkverzerrungen prinzipiell auch bei nicht psychotischen Menschen vorkommen können. Konkrete Übungen laden die Patienten ein, eigene Denkstile zu reflektieren und die Wirkung ausgewogenerer Kognitionen auszuprobieren. Der direkte Zusammenhang zwischen beeinträchtigten Denkstilen (z.B. monokausalem Schlussfolgern) und psychotischem Erleben wird dabei jeweils hergestellt, wobei Patienten genügend Raum erhalten, um im Sinne eines «Sharings» eigene Erfahrungen der Gruppe mitzuteilen. Am Ende einer Stunde erhalten die Patienten zur Stärkung des Trainingseffektes Merkblätter mit Hausaufgaben. Nach der ersten Gruppenteilnahme bekommt jeder Teilnehmer eine gelbe und eine rote Karte. Die Teilnehmer werden angeregt, sich mit drei Fragen auf der gelben Karte (1. Was sind die Beweise?, 2. Gibt es andere Sichtweisen?, 3. Selbst wenn ich recht habe, reagiere ich über?) auseinanderzusetzen, wenn sie sich zum Beispiel beleidigt oder verfolgt fühlen (Kasten 3). Die Verwendung der gelben Karte soll die Relevanz des Trainings für das tägliche Leben verdeutlichen, einen Erfahrungstransfer in den Alltag fördern und die Wahrscheinlichkeit von korrektiven Alltagserfahrungen erhöhen. Da die Entstehung eines Wahns ein gradueller und potenziell reversibler Prozess ist, der oft viele Wochen dauert, beabsichtigt die Karte ein Korrektiv falscher oder verzerrter Wahrnehmungen. Auf der roten Karte können Patienten Kontaktdaten von Personen und Institutionen eintragen, von denen sie sich in einer Krise Hilfe versprechen. Beide Karten soll der Betroffene stets bei sich tragen. Das Metakognitive Training für Psychose ist für Patienten aus dem schizophrenen Formenkreis konzipiert, die
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PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
Kasten 4:
Fallbeispiel
Herr T., ein 34-jähriger, klinikbekannter Patient mit paranoider Schizophrenie, wurde nach einer Exazerbation des psychotischen Zustandsbildes auf der allgemeinpsychiatrischen Intensivabteilung der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel aufgenommen. Er konnte im Gespräch zur Einnahme von Antipsychotika und Benzodiazepinen motiviert werden und zeigte sich am Folgetag zugänglich für eine ausführliche Problemexploration. Er sei zuletzt in seinem geschützten Arbeitsplatz «gemobbt» worden. Sein Vorgesetzter habe ihm «absichtlich zu leichte Aufgaben gegeben», um ihn zu «erniedrigen». Dieser habe ihm durch «Blicke» auch zu verstehen gegeben, dass er nicht mehr mit ihm arbeiten wolle. Es sei einfach ungerecht, dass er durch «Mobbing» inzwischen schon drei Arbeitsstellen verloren habe. Herr T. habe nach dem «Mobbing» an seiner letzten Arbeitsstelle Verzweiflung, Angst und Wut verspürt und ist nach einem lautstarken Konflikt mit seinem Vorgesetzten nicht mehr am Arbeitsplatz erschienen. Er habe sich zu Hause zurückgezogen und dann auch seine Antipsychotika abgesetzt. Nach dem Wiederauftreten dialogisierender Stimmen und einem eskalierten Konflikt mit den Nachbarn habe er sich in den UPK vorgestellt. In der Zielklärung beschrieb Herr T., dass es sein wichtigstes Behandlungsziel sei, einen neuen geschützten Arbeitsplatz zu finden. Er wolle unbedingt wieder arbeiten, «um einen wichtigen Teil zur Gesellschaft beizutragen». Auch solle seine Mutter wieder stolz auf ihn sein, wobei eine Arbeitsstelle sehr helfen würde. Herrn T. wurde angeboten, dass das Wiedererlangen eines geschützten Arbeitsplatzes sowie die Arbeit daran, dass er seine Arbeitsstelle nicht mehr so schnell verliere, im Zentrum einer Behandlung stehen könne. Bei vorhandener Behandlungsmotivation entschloss sich Herr T. für eine längerfristige Behandlung auf der Abteilung. Die UPK Basel bieten unter anderem das Metakognitive Training für Psychose (MKT) in Gruppen sowie das Individualisierte Metakognitive Therapieprogramm für Menschen mit Psychose (MKT+) im Einzelsetting an. Beide Therapieverfahren wurden auch in den mit Herrn T. gemeinsam erstellten und auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Therapieplan integriert. In dem einmal wöchentlich stattfindenden Metakognitiven Gruppentraining (3–5 Teilnehmer) wurden die Trainingsmodule «Attribution», «Voreiliges Schlussfolgern», «Korrigierbarkeit» und «Theory of Mind» durchgeführt. Herr T. machte hierbei Mitpatienten auf «eindeutige Denkfehler» aufmerksam und beschrieb das «Sharing» als eine für ihn wichtige positive Erfahrung. In der Einzeltherapie wurden mit dem Individualisierten Metakognitiven Therapieprogramm zweimal wöchentlich die Inhalte des Metakognitiven Gruppentrainings aufgegriffen und mit den persönlichen Erlebnissen des Patienten in Zusammenhang gebracht. So wurde beispielweise die monokausale Erklärung von Herrn T. «mein Vorgesetzter will mich erniedrigen» für die Situation «einfache Aufgaben zugewiesen bekommen» um die Erklärungsmöglichkeiten «mein Vorgesetzter hat gesehen, dass es mir nicht gut geht und wollte mich vor Stress am Arbeitsplatz schützen» oder «in dem Betrieb müssen alle Angestellten auch mal vergleichsweise einfache Arbeiten erledigen» erweitert. Es wurde auch aufgezeigt, wie schnell die voreilige Interpretation von Blicken, Gesichtsausdrücken und Gestik von Menschen zu falschen Rückschlüssen führen kann, und im Zusammenhang mit seinen Erfahrungen am Arbeitsplatz besprochen. Mit dem Metakognitiven Training konnten Herrn T. während seines sechswöchigen (teil-)stationären Aufenthalts eigene Denkfallen aufgezeigt werden, wobei Herr T. einen direkten Zusammenhang zwischen Denkfallen und eigenem psychotischem Erleben entdeckte. In sein individuelles Erklärungsmodell zur Entstehung einer Psychose konnte erstmalig neben einer gewissen «seelischen Verletzlichkeit» (Vulnerabilität), neben Stress und dem Absetzen der Medikamente auch die Tendenz zu Denkfallen aufgenommen werden. Der Einsatz der gelben Karte ermutigte Herrn T., auch ausserhalb eines therapeutischen Rahmens in Situationen, in denen er sich beleidigt oder verfolgt fühlte, unterschiedliche Sichtweisen in Betracht zu ziehen, eigene Reaktionen auf ihre Verhältnismässigkeit hin zu überprüfen und anschliessend in der Therapie zu besprechen. Diese Karte wolle er auch nach Beendigung der (teil-)stationären Behandlung weiter verwenden und vor allem bei erneuten, für ihn möglicherweise wieder schwierigen Situationen am während seines Aufenthalts in den UPK Basel wiedererlangten Arbeitsplatz einsetzen.
in aller Regel auch mit florider Positivsymptomatik an der Gruppe teilnehmen können, sowie für Patienten mit psychotischem Erleben und zugrunde liegendem anderem Störungsbild. Gleichzeitig ist es nach bisherigem Kenntnisstand sinnvoll, dass bei Patienten mit sehr schwerem Wahn eine Teilremission abgewartet wird. Das Training sollte durch Psychologen oder Psychiater, die bereits Erfahrung in der Behandlung schizophrener Patienten haben, angeleitet werden. Auch Pflegefachpersonen und Ergotherapeuten mit langjähriger Psychiatrieerfahrung und störungsspezifischem Wissen können nach Anleitung das Training umsetzen. Als geeignetes Setting wird eine offene Gruppe, in der frei werdende Plätze jederzeit neu besetzt werden können, mit drei bis zehn Patienten empfohlen. Pro Woche sollten nach Möglichkeit zwei Trainingsmodule stattfinden (jeweils 45–60 Minuten), sodass bei einem stationären Aufenthalt von vier Wochen alle acht Trainingsmodule durchlaufen werden können. Wenn bei längeren stationären Aufenthalten oder im ambulanten Setting die acht Trainingsmodule absolviert wurden, steht ein zweiter Zyklus an PDF-Präsentationen zur Verfügung. Dieser bezieht sich inhaltlich auf die gleichen beeinträchtigten kognitiven Prozesse und Denkstile, verwendet hierbei aber andere Beispiele und Übungen. Die Durchführung des zweiten Zyklus wird nach Möglichkeit empfohlen, um die Nachhaltigkeit erzielter Behandlungserfolge zu stärken.
Individualisiertes Metakognitives Therapieprogramm für Menschen mit Psychose (MKT+) Das Metakognitive Training kann auch im Einzelsetting durchgeführt werden. Hierfür wurde ein Therapiemanual erstellt, das sogenannte Individualisierte Metakognitive Therapieprogramm für Menschen mit Psychose (MKT; 14), welches mittlerweile in acht Sprachen vorliegt (siehe www.uke.de/mkt_plus). Dieses zielt auf die Behandlung der gleichen kognitiven Beeinträchtigungen und Denkstile, fügt den bekannten Trainingsmodulen des Gruppenprogramms aber noch die Module «Beziehungsaufbau und Anamnese», «Krankheitsmodell» und «Rückfallprophylaxe» zu, sodass das Manual insgesamt zehn Module aufweist. Dem Modul «Beziehungsaufbau und Anamnese» liegt ein ausführlicher Anamnesebogen bei, der zum Beispiel vom Patienten bisher verwendete Problemlösestrategien miterhebt. Das Modul «Krankheitsmodell» leitet zur Erstellung eines individuellen Vulnerabilitäts- und Stressmodells an, während im Modul «Rückfallprophylaxe» CopingStrategien für Stress, individuelle Frühwarnzeichen und ein Notfallplan erarbeitet werden. Die zehn Module bieten jeweils Material für mehrere Einzeltherapiestunden, sodass die Therapie inhaltlich auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten werden kann. Im Unterschied zum Gruppenprogramm werden die Inhalte mit den Patienten nicht anhand einer PDF-Präsentation erarbeitet, sondern mit Therapie- und Arbeitsblättern, die Patienten im Anschluss an die Einzelstunde ausgehändigt bekommen. Das Individualisierte Metakognitive Therapieprogramm für Menschen mit Psychose kann sehr gut mit dem Gruppenprogramm kombiniert, aber auch als eigenständiges Therapiekonzept im Einzelsetting durchgeführt werden.
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PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
Wirksamkeit des Metakognitiven Trainings Die Metakognitiven Trainings für Psychose (MKT und MKT+) sind neuere Psychotherapieverfahren für die Behandlung der Positivsymptomatik bei Patienten aus dem schizophrenen Formenkreis. Bisher vorliegende randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) zeigen vielversprechende Ergebnisse, die auf eine gute Wirksamkeit bei subakuten Patienten hinweisen und in einem aktuellen Review zusammengefasst werden (2). Das Review schliesst bezüglich des Metakognitiven Trainings für Psychose elf und bezüglich des Individualisierten Metakognitiven Therapieprogramms vier randomisierte kontrollierte Studien ein. Der Grossteil der Studien bestätigt, dass die Metakognitiven Trainings über die Wirkung von Neuroleptika hinaus die Ausprägung des Wahns und der kognitiven Verzerrungen signifikant reduzieren. Sogenannte Machbarkeitsstudien zeigen, dass die Teilnahme am Metakognitiven Training den Patienten Spass macht, sie das Training als nützlich und alltagsrelevant empfinden und anderen Patienten weiterempfehlen würden (15). Dieser Eindruck stimmt mit den klinischen Praxiserfahrungen auf der allgemeinpsychiatrischen Intensivabteilung der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel überein. In einer jüngst erschienenen Studie wurde auch über positive Effekte für Selbstwert und Lebensqualität berichtet (16). Weitere Studien sind erforderlich, um Differenzialindikationen abzuleiten.
Fazit für die Praxis
Die Praxisleitlinie S3 und die NICE-Clinical-Guideline
sprechen sich mit der höchsten Empfehlungsstärke für
eine die medikamentöse Therapie begleitende evidenz-
basierte psychotherapeutische Behandlung von schi-
zophrenen Patienten aus. Die oft nicht ausreichende
Wirkung einer medikamentösen Therapie und die star-
ken alltagsbezogenen Beeinträchtigungen, über die
schizophrene Patienten berichten, verdeutlichen die
Wichtigkeit, diesen Goldstandard auch in die Grundver-
sorgung zu integrieren. Das Metakognitive Training ist
ein neues, der Kognitiven Verhaltenstherapie naheste-
hendes Therapieverfahren, das bei schizophrenen Pa-
tienten spezifisch auf kognitive Beeinträchtigungen
zielt, die dem aktuellen Forschungsstand entsprechend
an der Entstehung und der Aufrechterhaltung von Psy-
chosen beteiligt sind. Wichtig für die Praxis ist, dass das
Metakognitive Training von den Patienten offenbar sehr
gut angenommen wird, flexibel auf die individuellen
Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten werden kann
und aus weitgehend selbsterklärenden Materialien be-
steht, die im Internet kostenfrei bezogen werden kön-
nen. Erste Wirksamkeitsnachweise liegen vor und lassen
das Metakognitive Training vielversprechend erschei-
nen; weitere randomisierte, kontrollierte Wirksamkeits-
studien sind aber notwendig, bevor über die Aufnahme
des Metakognitiven Trainings in anerkannte Behand-
lungsleitlinien entschieden werden kann.
G
Korrespondenzadresse:
Julian Moeller
Zentrum für Diagnostik und Krisenintervention
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Wilhelm Klein-Strasse 27
4012 Basel
Tel. 061-325 52 96
E-Mail: julian.moeller@upkbs.ch
1 Universitäre Psychiatrische Kliniken (UPK), Basel, Schweiz 2 Klinische Psychologie und Epidemiologie, Fakultät für Psychologie, Universität Basel, Basel, Schweiz 3 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
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second-generation antipsychotic drugs? A meta-analysis of placebocontrolled trials. Molecular psychiatry 2009; 14: 429–447. 2. Moritz S, Andreou C, Schneider BC, Wittekind CE, Menon M, et al.: Sowing the seeds of doubt: a narrative review on metacognitive training in schizophrenia. Clinical Psychology Review 2014; 34: 358–366. 3. Moritz S, Vitzthum F, Randjbar S, Veckenstedt R, Woodward TS: Detecting and defusing cognitive traps: metacognitive intervention in schizophrenia. Current Opinion in Psychiatry 2010; 23: 561–569. 4. Moritz S, Woodward TS: Metacognitive training in schizophrenia: from basic research to knowledge translation and intervention. Current Opinion in Psychiatry 2007; 20: 619–625. 5. Randjbar S, Veckenstedt R, Vitzthum F, Hottenrott B, Moritz S Attributional biases in paranoid schizophrenia: Further evidence for a decreased sense of self-causation in paranoia. Psychosis-Psychological Social and Integrative Approaches 2011; 3: 74–85. 6. Kinderman P, Bentall RP: Causal attributions in paranoia and depression: Internal, personal, and situational attributions for negative events. Journal of Abnormal Psychology 1997; 106: 341–345. 7. Glockner A, Moritz S: A fine-grained analysis of the jumping-to-conclusions bias in schizophrenia: Data-gathering, response confidence, and information integration. Judgment and Decision Making 2009; 4: 587–600. 8. Fine C, Gardner M, Craigie J, Gold I: Hopping, skipping or jumping to conclusions? Clarifying the role of the JTC bias in delusions. Cogn Neuropsychiatry 2007; 12: 46–77. 9. Woodward TS, Moritz S, Cuttler C, Whitman JC: The contribution of a cognitive bias against disconfirmatory evidence (BADE) to delusions in schizophrenia. Journal of Clinical and Experimental Neuropsychology 2006; 28: 605–617. 10. Sprong M, Schothorst P, Vos E, Hox J, Van Engeland H: Theory of mind in schizophrenia – Meta-analysis. British Journal of Psychiatry 2007; 191: 5–13. 11. Moritz S, Woodward TS, Ruff CC: Source monitoring and memory confidence in schizophrenia. Psychological Medicine 2003; 33: 131–139. 12. Moritz S, Veckenstedt R, Randjbar S, Vitzthum F, Karow A, et al.: Course and determinants of self-esteem in people diagnosed with schizophrenia during psychiatric treatment. Psychosis-Psychological Social and Integrative Approaches 2010; 2: 144–153. 13. Garety PA, Kuipers E, Fowler D, Freeman D, Bebbington PE: A cognitive model of the positive symptoms of psychosis. Psychological Medicine 2001; 31: 189–195. 14. Moritz S, Veckenstedt R, Randjbar S, Vitzthum F: MKT+: Individualisiertes metakognitives Therapieprogramm für Menschen mit Psychose. Berlin Heidelberg: Springer 2011. 15. Moritz S, Woodward TS: Metacognitive training for schizophrenia patients (MCT): a pilot study on feasibility, treatment adherence, and subjective efficacy. German Journal of Psychiatry 2007; 10: 69–78. 16. Moritz S, Veckenstedt R, Andreou C, Bohn F, Hottenrott B, et al.: Sustained and «Sleeper» Effects of Group Metacognitive Training for Schizophrenia A Randomized Clinical Trial. Jama Psychiatry 2014; 71: 1103–1111.
Interessenkonflikt: Es liegt kein Interessenkonflikt vor.
Merksätze:
G Das Metakognitive Training für Psychose (MKT) ist ein neues Psychotherapiever-
fahren für Patienten aus dem schizophrenen Formenkreis.
G Es handelt sich um ein Gruppentherapieprogramm für 3 bis 10 Patienten.
G Im Zentrum steht die Beeinflussung kognitiver Prozesse und Denkstile, die nach
heutigem Kenntnisstand zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Psychosen
beitragen.
G Patienten werden auf eine spielerische und interaktive Art angeregt, über ihr
Denken nachzudenken (Metakognition).
G Alle Materialien stehen im Internet gratis zur Verfügung.
G Mit dem MKT+ liegt auch eine Adaption für das Einzelsetting vor.
G Erste Wirksamkeitsnachweise liegen vor und sprechen für die Effektivität des MKT.
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