Transkript
FORTBILDUNG
Aktueller Stand, Hindernisse und erleichternde Faktoren
Implementierung digitaler Interventionen in psychiatrischen Kliniken der Schweiz
Digitale Interventionen zur Behandlung psychischer Störungen wurden in den letzten beiden Dekaden intensiv erforscht. Die vielversprechenden Wirksamkeitsnachweise in kontrollierten Studien stehen in den meisten Ländern im Kontrast zur tatsächlichen Nutzung in der Routinepraxis. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie präsentiert, in der Direktoren psychiatrischer Kliniken in der Schweiz zum Stand der Anwendung sowie zu Hindernissen und begünstigenden Faktoren der Implementierung digitaler Interventionen befragt wurden.
Foto: zVg
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Melanie Best Laura Luisa Bielinski Thomas Berger
von Melanie Best, Laura Luisa Bielinski und Thomas Berger
D ie Entwicklung und die Erforschung digitaler Interventionen zur Prävention, Behandlung und Nachsorge psychischer Störungen (engl. E-Mental Health oder eMH genannt) haben in den letzten Jahren rapid zugenommen, wobei die SARS-CoV-2Pandemie zu diesen Entwicklungen beigetragen hat. Digitale psychiatrisch-psychotherapeutische Interventionen reichen von Selbsthilfeprogrammen und Apps, die mit wenig oder gar keinem Kontakt mit Fachpersonen verwendet werden, bis zu Videosprechstunden und E-Mail-Therapien, die das Internet als Kommunikationsmedium zwischen Fachpersonen und Patientinnen und Patienten nutzen. Im Weiteren können digitale Interventionen mit Sprechzimmertherapien in sogenannten Blended-Therapien kombiniert werden (1). Das steigende Interesse an digitalen Interventionen erklärt sich durch die Vorteile, die diese Therapieformate mit sich bringen. So können mit den niedrigschwellig zugänglichen Interventionen mehr und andere Betroffene erreicht werden als mit Sprechzimmertherapien. Im Rahmen von Blended-Therapien können Therapieelemente (z. B. Psychoedukation) in online vermittelte Programme ausgelagert werden. Patienten können das in den Sprechzimmersitzungen Erlernte im Alltag weiter bearbeiten, und einzelne Sitzungen können durch Onlinemodule ersetzt werden (2). Die Wirksamkeit und die Kosteneffektivität verschiedener digitaler Interventionen wurden in vielen kontrollierten Studien insbesondere für häufige psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen nachgewiesen (3). Akteure im Bereich der psychischen Gesundheit sind sich des potenziellen Nutzens digitaler Interventionen
bewusst, und es scheint Einigkeit über deren mögliche Implementierung in bestehende Gesundheitssysteme in Europa zu herrschen (4). Dabei wird von verschiedenen Akteuren die Kosteneffektivität digitaler Interventionen als primärer Vorteil angegeben (5). Als wichtige Hindernisse der Implementierung werden häufig die Gewährleistung des Datenschutzes und mögliche Bedenken von Therapeuten bezüglich der therapeutischen Beziehung und Wirksamkeit digitaler Interventionen genannt (4, 5). Grundsätzlich geniessen BlendedTherapien im Vergleich zu rein digitalen Interventionen unter Fachleuten eine grössere Akzeptanz (6). Während die Forschung zu digitalen Interventionen in den letzten Jahrzehnten einen Boom erlebt hat, schreitet die nachhaltige Implementierung entsprechender Interventionen in die psychiatrisch-psychotherapeutische Routinepraxis in den meisten Ländern nur langsam voran (7, 8). Es gibt Ausnahmen wie Schweden und Australien, wo die zuvor an Universitäten entwickelten und evaluierten Programme in Kliniken transferiert und von dort den Bürgern zur Verfügung gestellt wurden. Beispiele für solche Kliniken sind die MindSpot-Klinik in Australien (https://mindspot.org.au) und die InternetPsychiatry-Unit am Karolinska-Institut in Schweden (http://internetpsykiatri.se/en). In Deutschland werden seit Inkrafttreten des Digitalen-Versorgungsgesetzes im Dezember 2019 bestimmte Selbsthilfeprogramme und Apps, sogenannte Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), von den Krankenkassen finanziert. Wie sich diese Änderung auf die Implementierung digitaler Interventionen in die psychotherapeutisch-psychiatrische Regelversorgung in Deutschland auswirkt, muss sich noch zeigen.
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Anwendung
Finanzierung
Covid-19
Lösungsvorschläge/Wünsche Setting/Störung
Aktuelle Lage
Zukunftsplanung
eMH-Themen
Hindernisse
Begünstigende Faktoren
Gründe für Anwendung
Positive Erfahrungen
Vertrautheit Therapeutinnen/Therapeuten Finanzierung Negative Erfahrungen Technologie Setting/Störung Weitere Hindernisse
Gesteigerte Effizienz und Qualität
Vorteile für Patientinnen/Patienten
Abbildung: Haupt- und Unterthemen zur Implementierung digitaler Interventionen. (Abbildung: Th. Berger)
Tabelle:
An der Befragung beteiligte Kliniken
Kanton Institution AG Klinik Barmelweid AG Psychiatrische Dienste Aargau (PDAG) BL Psychiatrie Baselland BS Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel BE Privatklinik Wyss BE Psychiatrische Dienste Thun (PDT) BE Psychiatrie Spitäler FMI BE Spital Emmental GE Hôpitaux universitaires de Genève LU Luzerner Psychiatrie SG Psychiatrie St. Gallen Nord SG St. Gallische Psychiatrie-Dienste Süd SZ/UR/ZG Triaplus TG Clienia VD Département de Psychiatrie du CHUV VS Fondation de Nant ZH Psychiatrische Universitätsklinik Zürich ZH Sanatorium Kilchberg
Implementierung digitaler Interventionen in der Schweiz Methodik Der vorliegende Beitrag hat zum Ziel, die Ergebnisse einer qualitativen Studie zum Status quo der Anwendung sowie zu Hindernissen und begünstigenden Faktoren der Implementierung digitaler Interventionen in psychiatrischen Kliniken in der Schweiz vorzustellen. Für die Studie wurde zunächst eine Literaturrecherche über Hindernisse und erleichternde Faktoren bei der Implementierung von digitalen Interventionen in die Routinepraxis in Europa und weltweit durchgeführt. Aufbauend auf der bestehenden Literatur und einem bestehenden Fragebogen zu Hindernissen und Treibern bei der Einführung digitaler Interventionen (9) wurde ein halbstrukturierter Interviewleitfaden entwickelt. Für
das Interview wurden Klinikdirektoren bzw. Departementsleiter von insgesamt 28 psychiatrischen Kliniken oder psychiatrisch-psychotherapeutischen Departementen innerhalb von Spitälern per E-Mail kontaktiert, wobei sich 18 Angeschriebene, 12 aus öffentlichen und 6 aus privaten Kliniken, zur Teilnahme bereit erklärt haben. In einem Fall wurde anstelle des Klinikdirektors der Leiter der Informatik der Klinik befragt. 2 Institutionen aus dem Kanton Bern, die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) sowie das Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) wurden aufgrund von laufenden Kooperationsprojekten zu digitalen Interventionen mit der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Bern nicht angefragt. Eine Übersicht der beteiligten Kliniken findet sich in der Tabelle. Die Interviews mit den Klinikdirektoren wurden aufgezeichnet, transkribiert und anschliessend mittels thematischer Analyse (10) ausgewertet.
Resultate Der Interviewleitfaden ist nach thematischen Hauptbereichen gegliedert: aktuelle Lage, Zukunftsplanung, begünstigende Faktoren sowie Hindernisse. Aus der induktiven Analyse der Antworten liessen sich spezifischere Unterthemen erschliessen, die detailliertere Informationen zur Implementierung digitaler Interventionen in Schweizer Kliniken liefern (siehe Abbildung).
Aktuelle Lage Von 18 befragten Kliniken gaben 8 an, gegenwärtig digitale Interventionen anzuwenden. Angewendet werden sie in 5 Kliniken im Zusammenhang mit Forschungsprojekten bzw. (Pilot-)Studien. Erforscht und angewendet werden vor allem kommerziell erhältliche digitale Interventionsprogramme und Apps. In einer Klinik kommen nebst kommerziellen auch intern entwickelte Interventionen zur Anwendung. Die verwendeten Interventionen basieren meist auf der kognitiven Verhaltenstherapie und enthalten psychoedukative Elemente, Tagebücher, Aufgaben wie Achtsamkeitsübungen, Stimmungstracking, und zum Teil wird mit virtueller Realität zur Durchführung von Expositionen bei Angststörungen gearbeitet. Eine Klinik setzt im fo-
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rensisch-stationären Rahmen in Isolationszimmern sogenannte Medienwände ein. Diese sind in Form eines Tablets in die Zimmerwand eingelassen und bieten die Möglichkeit, Reizabschirmung und verhaltenstherapeutische Interventionen zur Stimmungsregulation sowie -beobachtung durchzuführen und Aktivitäten sowie Therapiefortschritte zu verfolgen. Da die meisten digitalen Interventionen, insbesondere Selbsthilfeprogramme und Apps, nicht von der Grundversicherung der Krankenkassen getragen werden, müssen die Kliniken individuelle Finanzierungsmöglichkeiten suchen, wobei die Anwendungen bis anhin meist über Forschungsgelder sichergestellt werden. Es besteht ein klarer Wunsch, digitale Interventionen über die Krankenkassen verrechnen zu können. Nebst der Anwendung von digitalen Tools in Form von Apps oder Websites, haben 7 Kliniken im Lauf der COVID-19-Lockdowns damit begonnen, Therapien über Videotelefonie anzubieten, wobei dieses Angebot nach Aufhebung der COVID-19-Massnahmen weitergeführt wurde.
Begünstigende Faktoren Alle Direktoren von Kliniken, in denen digitale Interventionen bereits angewendet werden, berichten über positive Erfahrungen: «Die Patienten, die eMH nutzen, lieben es und sind motiviert» [T2]. Ein wahrgenommener Nutzen der Interventionen besteht in der flexibleren Gestaltung der Therapie bezüglich der Mobilität, der Frequenz der Präsenzsitzungen und des Zeitpunkts der Bearbeitung der Aufgaben. So müssten Patienten und Therapeuten nicht für jede therapeutische Intervention anreisen, um sich persönlich zu treffen, und Patienten könnten gewählte Inhalte von zu Hause aus zu dem für sie idealen Zeitpunkt bearbeiten. Das Delegieren standardisierter Therapieinhalte an Onlineprogramme ermögliche es den Patienten, sich zwischen den Sitzungen mit Therapieinhalten auseinanderzusetzen, Inputs zu erhalten und diese anlässlich eines persönlichen therapeutischen Gesprächs wieder aufzunehmen. Somit könne die Präsenzzeit für Wesentlicheres genutzt und somit die Therapie insgesamt effizienter gestaltet werden. Durch den Einsatz der internetbasierten Interventionen erlebten die Patientinnen eine Kontinuität der Therapie im Alltag. Interessanterweise wurden die genannten Erfahrungen alle im Rahmen von BlendedTherapien gemacht. Hypothetische Gründe für die zukünftige Anwendung digitaler Interventionen umfassen die gesteigerte Effizienz und Qualität der Behandlung sowie Vorteile für Patienten wie beispielsweise eine erhöhte Selbstwirksamkeit. Bezüglich des Settings für die Implementierung erweist sich das ambulante Setting als Favorit. Als unterversorgte Bereiche werden zudem prästationäre Wartezeiten sowie die Nachsorge nach einem stationären Aufenthalt genannt.
Hindernisse Hinderliche Faktoren für die Implementierung digitaler Interventionen in die Routinepraxis stellen die meistgenannte Kategorie der qualitativen Analyse dar. Die grössten Hindernisse aus Sicht der Klinikdirektoren sind der Mangel an Wissen und Erfahrung, der Widerstand vonseiten der Therapeuten sowie die ungeregelte Finanzierung. Aus der qualitativen Analyse geht hervor,
dass die meisten Befragten nur wenig mit dem Themenbereich vertraut sind: «Was gibt es überhaupt auf dem Markt, und was ist evidenzbasiert?» [T5]. Zahlreiche Befragte kennen den aktuellen Forschungsstand zu digitalen Interventionen nicht und haben nur eine begrenzte Vorstellung davon, wie, für wen und in welchem Setting digitale Interventionen überhaupt in die Routineversorgung implementiert werden könnten. Häufig wird ein Widerstand vonseiten der Therapeuten gegen digitale Interventionen erwähnt: Sie seien grundsätzlich nur schwer für den Einsatz dieser Interventionen zu begeistern, und sie würden bezüglich Implementierung wenig Initiative zeigen. Nebst den Vorbehalten, dass digitale Interventionen ihnen einen zusätzlichen administrativen Zeitaufwand bringen könnten, seien auch Ängste vorhanden, beispielsweise dass der Einsatz von Onlinetherapieformaten zu einer Verschlechterung der Beziehungsqualität führen könnte oder wesentliche Inhalte verpasst würden: «Das grösste Hindernis generell […] ist die Sorge von Therapeuten, dass sie […] durch Programme abgeschafft werden. Ich glaube, das ist etwas relativ Hartnäckiges, dass quasi etwas in der Beziehung passiert, also dem direkten, persönlichen Kontakt, dass dieser technisiert ausgelagert wird und das zu einer Verschlechterung der Beziehungsqualität führt» [T4]. Der ungeklärte Umgang mit Notfällen und deren rechtliche Folgen führen nach Angaben der Befragten zu weiteren Bedenken. Ebenfalls relevant ist das Thema der mangelnden Finanzierung: «Ich glaube, der wichtigste Aspekt ist die tarifliche Abbildung. Das ist der matchentscheidende Punkt, ob das in der Schweiz zum Durchbruch kommt oder nicht» [T15]. Weitere Barrieren sind negative Erfahrungen bei der Anwendung digitaler Interventionen, der grosse administrative Aufwand, das Fehlen technischer Voraussetzungen und Zweifel an der Angemessenheit des Einsatzes von digitalen Interventionen in bestimmten therapeutischen Settings oder bei bestimmten Störungsbildern. Schliesslich wurden weitere Hindernisse erwähnt, darunter Programmmängel, Datenschutz und fehlende Dringlichkeit bzw. Druck für die Implementierung.
Zukunftsplanung Nach den Hindernissen ist die Zukunftsplanung die am häufigsten genannte Kategorie der qualitativen Analyse. Einerseits wurden Wünsche für die Zukunft genannt, andererseits Pläne sowie Settings und Störungen, bei denen der zukünftige Einsatz von digitalen Interventionen wünschenswert wäre. Grundsätzlich zeigen sich Klinikdirektoren offen für die Anwendung von digitalen Interventionen, obschon einzelne sich nichts Konkretes darunter vorstellen können. Aus den Interviews ging klar hervor, dass es vonseiten der Kliniken Fachexperten bedarf, die über die neuen Therapieformate aufklären. Letztlich müssten die Therapeuten von internetbasierten Interventionen überzeugt sein und einsehen, dass diese den therapeutischen Prozess unterstützen können: «Der ist ja Therapeut geworden – nicht weil er Administration machen und Apps einsetzen will – der ist Therapeut geworden, weil er mit dem Patienten reden und ihm helfen will. Von dem Moment an, an dem der Therapeut merkt, ‹ich kann dem Patienten helfen›, dann geht’s» [T2]. Informationsveranstaltungen zu digitalen Interventionen und Auflistungen mit empfohlenen Pro-
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Merkpunkte:
● Im Vergleich zur regen Forschungsaktivität im Bereich der digitalen Interventionen zur Prävention, Behandlung und Nachsorge psychischer Störungen schreitet die Implementierung in die Schweizer Routinepraxis nur langsam voran.
● 8 von 18 befragten Klinikdirektoren geben an, in ihren Kliniken bereits digitale Interventionen zu nutzen.
● Alle Kliniken, die bereits digitale Interventionen anwenden, berichten von positiven Erfahrungen.
● Die wichtigsten wahrgenommenen Hindernisse für die Implementierung sind Mangel an Wissen und Erfahrung über digitale Interventionen, Widerstand vonseiten der Therapeuten sowie die ungeregelte Finanzierung.
● Die zukünftige Implementierung von digitalen Interventionen in psychiatrische Kliniken bedarf der Unterstützung von Fachexperten. Gewünscht sind Informationsveranstaltungen sowie Auflistungen mit empfohlenen Programmen und deren Evidenzgrad.
● Zentral für die zukünftige Implementieurng von digitalen Interventionen sind die Motivation der Therapeuten, die Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigen Programmen sowie die geregelte Finanzierbarkeit.
● Alle befragten Klinikdirektoren äussern im Vergleich zu rein digitalen Interventionen eine Präferenz für Blended-Therapien.
grammen mit deren Evidenzgrad, Störungsindizierung und Finanzierungsmöglichkeiten wurden von mehreren Befragten als besonders wünschenswert bezeichnet, dabei sei wichtig, dass es sich um Angebote von Universitäten handle. In Bezug auf erwünschte Programmeigenschaften würden benutzerfreundliche, qualitativ hochwertige Programme mit Zertifizierung und geregelter Finanzierbarkeit über die Krankenkasse bevorzugt. Schliesslich äusserten alle Klinikdirektoren eine eindeutige Präferenz für Blended-Therapien, wobei die Frequenz zwischen digitaler Intervention und Präsenzsitzungen je nach Indikationsstellung variierbar und das Programm an die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der jeweiligen Patienten anpassbar sein sollte.
Diskussion Viele Ergebnisse stimmen mit den Resultaten von früheren, in anderen Ländern durchgeführten Studien zur Implementierung digitaler Interventionen überein. Auch dort wurden mangelnde Kenntnisse und Erfahrungen, die Finanzierbarkeit, die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger digitaler Interventionen, fehlende Akzeptanz und Implementierungsbereitschaft vonseiten der Therapeutinnen und Therapeuten sowie technische Einschränkungen und Datenschutzbedenken als wichtigste Hinderungsgründe der Implementierung genannt (4–7). Im Weiteren werden wie in früheren Studien Blended-Therapien gegenüber vollständig online durchgeführten Interventionen eindeutig bevorzugt (6). Im Vergleich zu früheren Studien wurde nicht die Einsparung von Kosten beim Einsatz von digitalen Interventionen als primärer Vorteil gesehen (5), sondern die Steigerung der Effizienz und der Qualität der Therapie.
Wie in anderen Ländern hat der Einsatz von Videosprechstunden in den Schweizer Kliniken während der SARS-CoV-2-Pandemie zugenommen und ist auch heute noch aktuell. Die Befragten äussern den Wunsch, angemessene Unterstützung von Expertinnen und Experten bei der Implementierung von digitalen Interventionen zu erhalten, sowie die Möglichkeit zu haben, Programme auf einzelne Patienten zuzuschneiden und flexibel zwischen Präsenz- und Onlinesitzungen wechseln zu können. Die fehlende Vertrautheit mit digitalen Interventionen hebt die Wichtigkeit von Schulungen und Aufklärungsarbeit hervor, auch um Vorbehalten von Therapeutinnen und Therapeuten – ein weiterer Haupthinderungsgrund – vorzubeugen. Diesbezüglich wurde der Wunsch geäussert, dass Kurse zu digitalen Interventionen in Zukunft in psychiatrisch-psychotherapeutische Curricula integriert werden und dass Verzeichnisse mit verfügbaren und evidenzbasierten digitalen Interventionen erstellt werden, sodass seriöse von unseriösen Interventionen leicht unterschieden werden können. Insgesamt gaben 8 der 18 befragten Kliniken an, gegenwärtig digitale Interventionen anzuwenden. In allen 8 Kliniken mussten individuelle Finanzierungsmöglichkeiten gefunden werden, wobei die meisten Anwendungen über Forschungsgelder finanziert werden. Diese fehlende Finanzierung durch Krankenkassen wurde denn auch von den meisten Klinikdirektoren als Haupthindernis für die Implementierung genannt. l
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Thomas Berger
Universität Bern Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie
Fabrikstrasse 8 3012 Bern
E-Mail: thomas.berger@unibe.ch
Danksagung: Die Autorinnen und Autoren bedanken sich bei allen Klinikdirektoren für die Teilnahme an den Interviews.
Referenzen: 1. Berger T et al.: Internet-Interventionen in der Psychotherapie. PPmP
2019;69(09/10):413-426. 2. Bielinski LL et al.: Die Mischung macht’s eben? Blended-
Psychotherapie als Ansatz der Digitalisierung in der Psychotherapie. Psychotherapeut 2021;66:447-454. 3. Andersson et al.: Internet approaches to psychotherapy: Empirical findings and future directions. In: Barkham M, Lutz W, Castonguay LG (Eds.): Bergin and Garfield›s Handbook of Psychotherapy and Behvaior Change, Wiley;2021:749-772. 4. Kuso S et al.: Stakeholders’ views on online interventions to prevent common mental health disorders in adults implemented into existing healthcare systems in Europe. Eur J Public Health 2021;31:i55-i63. 5. Topocco N et al.: Attitudes towards digital treatment for depression: A european stakeholder survey. Internet Interventions. 2017;8:1-9. 6. Schuster R et al.: The advantages and disadvantages of online and blended therapy: survey study amongst licensed psychotherapists in Austria. J Med Internet Res. 2018;20(12):e11007. 7. Vis C et al.: Improving implementation of eMental health for mood disorders in routine practice: systematic review of barriers and facilitating factors. JMIR Ment Health 2018;5(1):e20. 8. Gaebel W et al.: Upscaling e-mental health in Europe: a six-country qualitative analysis and policy recommendations from the eMEN project. Eur Arch Psychiatr Clin Neurosci 2021;271(6):1005-1016. 9. Feijt MA et al.: Perceived drivers and barriers to the adoption of eMental health by psychologists: the construction of the levels of adoption of eMental health model. J Med Internet Res. 2018;20(4):e153. 10. Braun V et al.: Thematic analysis. A practical guide. Sage;2022.
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