Transkript
STUDIE REFERIERT
Welchem TNF-Hemmer halten Patienten mit rheumatoider Arthritis am ehesten die Treue?
Grössere Abbruchsraten unter Infliximab und Adalimumab als unter Etanercept
Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis kommt es unter einer initialen TNFHemmer-Therapie vielfach zu einem Absetzen des jeweils zunächst verordneten Medikaments oder zu einem Wechsel auf einen alternativen Wirkstoff. Ziel einer aktuellen schwedischen Kohortenstudie war es, zu untersuchen, ob sich die Abbruchraten bei einem Therapiebeginn mit Adalimumab, Etanercept oder Infliximab voneinander unterscheiden, und wenn ja, welche Faktoren und Prädiktoren dabei eine Rolle spielen könnten.
Annals of the Rheumatic Diseases
Ob Patienten einem verschriebenen Medikament treu bleiben oder es absetzen, ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Effektivität, Sicherheit und Verträglichkeit der betreffenden Substanz. Auch im Fall von TNF (Tumornekrosefaktor-)Hemmern sind ein Verlust oder gar das Fehlen der Wirksamkeit oder das Auftreten von Nebenwirkungen als häufigste Ursachen für ihr Absetzen beschrieben worden. Doch auch andere Faktoren, wie etwa die Verfügbarkeit alternativer Therapien oder bestimmte Eigenschaften der Patientenpopulation, welche sich im Lauf der Zeit verändern, spielen für ein Verbleiben bei der jeweiligen Medikation (drug survival) eine Rolle. Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) weisen heutzutage generell eine geringere
MERKSÄTZE
O Die schwedische Kohortenstudie ermittelte bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, welche eine TNFHemmer-Therapie mit Infliximab begonnen hatten, höhere Raten an Behandlungsabbrüchen als bei Etanercept und Adalimumab als erstem Biologikum.
O Im ersten Jahr der Therapie war die Abbruchrate bei einem Start mit Adalimumab höher als bei einem Behandlungsbeginn mit Etanercept.
O Die Abbruchraten nahmen mit Fortschreiten des kalendarischen Behandlungsbeginns ebenso zu wie der Anteil ineffektivitätsbedingter Therapieabbrüche.
Krankheitsaktivität und eine grössere funktionelle Leistungsfähigkeit zu Behandlungsbeginn auf als noch vor zehn Jahren. Gleichzeitig haben jedoch sowohl die Verbreitung von TNFHemmer-Behandlungen als auch die daran geknüpften Erwartungen dramatisch zugenommen. Verschiedene Studien haben in den letzten Jahren die Medikamententreue gegenüber den TNF-Hemmern Etanercept, Adalimumab und Infliximab untersucht und kamen für die einzelnen Substanzen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die meisten dieser Untersuchungen wurden allerdings in einem Zeitraum durchgeführt, zu dem ein Versorgungsengpass für Etanercept bestand (2000–2003) und Adalimumab noch nicht am Markt erhältlich war (vor 2003). Keine dieser Studien hat sich bis anhin der Frage gewidmet, ob potenzielle Unterschiede zwischen den einzelnen Medikamenten während der Follow-up-Zeit konstant blieben oder auf den Beginn des Follow-up beschränkt waren oder ob es kalenderperiodische Differenzen zwischen den Einzelsubstanzen in denjenigen Zeiträumen gab, in denen alle drei Medikamente verfügbar waren.
Grosse Kohortenstudie
Ziel der hier referierten Studie war es daher, die jeweiligen Abbruchraten für Adalimumab, Etanercept und Infliximab in einer grossen populationsbasierten Kohorte von RA-Patienten zu unter-
suchen, welche ihren ersten TNF-Hemmer zu einem Zeitpunkt erhielten, zu dem all drei Medikamente am Markt erhältlich und darüber hinaus sämtlichen Patienten gleichermassen zugänglich waren. Daneben sollten mögliche kalenderperiodische Unterschiede in den Abbruchraten (2003–2005 vs. 2006– 2009) sowie Prädiktoren für ein Absetzen des Medikaments herausgearbeitet werden. Als Datenquelle zogen die Wissenschaftler das von der schwedischen Rheumatologiegesellschaft überwachte Swedish Biologics Register (ARTIS) heran, welches gemäss Schätzungen etwa 87 Prozent aller in Schweden mit Biologika behandelten RA-Patienten abdeckt. In die Analyse einbezogen wurden insgesamt 9139 Patienten, die seit mindestens 16 Jahren an RA litten und die im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2003 und dem 31. Dezember 2011 ihre erste TNF-Hemmer-Therapie begonnen hatten. Für jeden dieser Patienten wurden Daten bezüglich der ersten TNF-Hemmer-Behandlung mit entweder Adalimumab (26%), Etanercept (43%) oder Infliximab (32%) sowie hinsichtlich Alter (im Mittel 56 Jahre), Geschlecht (76% weiblich), Bildungsstand, Erkrankungsdauer, Health Assessment Questionnaire (HAQ), Disease Activity Score (DAS28) zu Behandlungsbeginn (ermittelt bei n = 7751, [85%]; davon 50% mit hoher [DAS28 ≥ 5,2], 40% mit moderater [DAS28 = 3,2–5, 15,2] und 9% mit niedriger [DAS28 < 3,2] Krankheitsaktivität) und Begleitmedikation erfasst. Die Anzahl an Krankenhaustagen sowie die Anzahl an Facharztbesuchen jeglicher Ursache in den vorausgegangenen zwei Jahren wurden als separate Masse für die allgemeine Patientengebrechlichkeit herangezogen. Primärer Endpunkt war der Abbruch der Biologikatherapie jedweder Ursache mit Ausnahme von Schwangerschaft und Remission. Die Patienten wurden ab Beginn der TNF-HemmerEinnahme bis zu deren Abbruch, bis zum Tod, bis zum Ende des Follow-up (31.12.2011) beziehungsweise bis zum Absetzen des Medikaments aufgrund von Schwangerschaft oder Remission – je nachdem, welches Ereigniss früher eintrat – während maximal fünf Jahren nachbeobachtet. Ausserdem wurden die von den behandelnden Rheumatologen ARS MEDICI 10 I 2015 533 STUDIE REFERIERT angegebenen Gründe des Therapieabbruchs aufgezeichnet und den Kategorien «Verlust/Ausbleiben der Wirksamkeit», «Nebenwirkung» oder «Andere» zugeordnet. Als sekundäre Studienendpunkte wurden mittels Vergleichs der Daten aus den Zeiträumen 2003 bis 2005 und 2006 bis 2009 nach kalenderperiodischen Differenzen der Abbruchraten sowie nach Prädiktoren für ein Absetzen des Medikaments wie Alter, Geschlecht, Bildungsstand, HAQ, Krankheitsdauer, Zeitraum des Therapiebeginns, Begleitmedikation und allgemeine Gebrechlichkeit gefahndet. Infliximab wird am häufigsten abgesetzt Während des insgesamt 20 198 Personenjahre umfassenden Follow-up setzten 3782 Patienten ihr erstes Biologikum ab, davon 51 Prozent wegen Wirkungsverlusts oder -ausbleibens und 36 Prozent aufgrund von Nebenwirkungen. Im Vergleich mit denjenigen Patienten, welche mit Etanercept begonnen hatten, brachen Patienten unter Infliximab (adjustierte Hazard Ratio [HR]: 1,63; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,51–1,77) und Adalimumab (HR: 1,26; 95%-KI: 1,16–1,37) häufiger die Therapie ab, wobei die Rate für Infliximab wiederum höher war als diejenige für Adalimumab (HR: 1,28; KI: 1,18–1,40). Diese Ergebnisse waren über alle untersuchten Zeiträume konsistent, die Unterschiede nahmen allerdings im Falle des Vergleichs der Raten für Adalimumab und Etanercept mit zunehmender Einnahmedauer ab (grösste Differenz zwischen beiden Medikamenten in beiden Untersuchungsperioden im 1. Jahr der Behandlung). In adjustierten Analysen zeigten sich grössere Abbruchraten bei Frauen gegenüber Männern, bei Patienten mit niedrigerem im Vergleich zu solchen mit höherem Bildungsstand, bei Patienten mit höherem Baseline-HAQ sowie solchen mit grösserer allgemeiner Gebrechlichkeit. Gleichzeitige Einnahme von DMARD (disease modifying antirheumatic drugs) und längere Erkrankungsdauer waren dagegen mit einem geringeren Risiko für einen Therapieabbruch assoziiert. Die Hälfte aller Patienten hatte Infliximab nach 2,6 Jahren abgesetzt, bei Adalimumab dauerte es dagegen 5,0 Jahre, bis jeder Zweite die Therapie abgebrochen hatte. Am Ende des 5-Jahres-Follow-up befanden sich noch 55 Prozent der Etanercept-, 50 Prozent der Adalimumab- und 38 Prozent der Infliximab-behandelten Patienten unter der Therapie mit demjenigen TNF-Hemmer, mit dem sie einst begonnen hatten. Wurden dagegen die beiden Therapieperioden miteinander verglichen, ergaben sich bei Patienten, die im Zeitraum von 2006 bis 2009 die TNF-HemmerBehandlung begonnen hatten, grössere Abbruchraten als bei solchen, deren erste Medikation aus der Periode 2003 bis 2005 datierte (HR: 1,12; 95%-KI: 1,04–1,20). Beim Vergleich der beiden Behandlungszeiträume ergab sich auch ein Unterschied im Verhältnis der Ursachen für einen nach bis zu einem Jahr nach Einnahmebeginn vollzogenen Therapieabbruch zueinander: Während der Anteil von nebenwirkungsbedingten Abbrüchen von 45 Prozent in der Periode 2003 bis 2005 auf 35 Prozent im Zeitraum von 2006 bis 2009 gesunken war, stieg der Anteil des Absetzens wegen ausbleibender oder abnehmender Effektivität des Medikaments entsprechend von 43 auf 53 Prozent an. Zugrunde liegende Mechanismen Die in der hier referierten Studie sowie in mehreren anderen europäischen Untersuchungen beobachtete höhere Abbruchrate unter Infliximab, das, anders als Adalimumab und Etanercept, intravenös appliziert werden muss, lässt sich eventuell zumindest teilweise durch unerwünschte Ereignisse aufgrund einer Infusionsreaktion erklären. Eine andere Ursache könnte die Kanalisierung von bestimmten Patienten (etwa Patienten, bei denen Probleme mit der Selbstverabreichung erwartet werden, oder solche, bei denen regelmässige klinikbasierte Check-up-Untersuchungen erwünscht sind) in Richtung einer Infliximabtherapie darstellen. Abgesehen davon jedoch gibt es zwischen den einzelnen in der Studie untersuchten Substanzen womöglich inhärente biologische Unterschiede in Bezug auf ihre Sicherheits- und Wirksamkeitsprofile. Warum sich in ihrer Studie nur im ersten Jahr der Behandlung ein höheres Risiko für ein Absetzen von Adalimumab gegenüber Etanercept zeigte, können die Autoren nicht erklä- ren; sie weisen allerdings auf Untersuchungen hin, gemäss denen sich gegen den Wirkstoff gerichtete Antikörper, die zu einem geringeren Therapieansprechen und zu niedrigeren Remissionsraten führen, im Falle von Adalimumab eher bilden. Bedarf für weitere Untersuchungen Als Stärken ihrer Untersuchung erach- ten die Autoren die Grösse der unter- suchten Stichprobe, die lange Follow- up-Dauer und die erhobenen Daten zu einer Vielzahl möglicher Störvariablen. Es handelte sich um eine Beobach- tungsstudie, die«Real world»-Erfahrun- gen in einer Kohorte abbildet, welche 87 Prozent aller in Schweden mit Biolo- gika behandelten RA-Patienten um- fasst. Die Autoren räumen jedoch ein, dass es ohne eine Randomisierung schwierig ist, die beobachteten Unter- schiede bestimmten biochemischen Ei- genschaften der jeweiligen Substanzen zuzuschreiben. Trotz der durchgeführten Adjustierung hinsichtlich potenzieller Störfaktoren wie etwa Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Erkrankungsdauer, Ge- brechlichkeit oder Komedikation kön- nen weitere, unbekannte und daher nicht berücksichtigte Variablen einen Einfluss auf die Ergebnisse gehabt haben, den auszuschalten die Durch- führung eines randomisierten «Head- to-head»-Vergleichs der einzelnen Medi- kamente voraussetzen würde. Die sich im Laufe der Zeit ergebenden Verände- rungen hinsichtlich der Patientencha- rakteristika, der verfügbaren alter- nativen Therapieoptionen sowie der Erwartungen an die Behandlung lassen die Durchführung von Analysen als dringend erforderlich erscheinen, die mögliche, auf das jeweilige Jahr des Therapiebeginns zurückzuführende Un- terschiede mitberücksichtigen. O Ralf Behrens Neovius M et al.: Drug survival on TNF inhibitors in patients with rheumatoid arthritis: comparison of adalimumab, etanercept und infliximab. Ann Rheum Dis 2015; 74: 354–360. Interessenkonflikte: Die hier referierte Studie wurde zum Teil finanziert durch die Swedish Foundation for Strategic Research (SSF) und von AstraZeneca mittels der COMBINE-Public-Private-Partnership. 534 ARS MEDICI 10 I 2015