Transkript
Täglich liest oder hört man Meldungen aus dem Gesundheitswesen. Man spricht darüber und staunt oftmals auch. Der Arzt Hanswerner Iff hat sich angewöhnt, Gelesenes und Gehörtes aufzugreifen und nach den Fakten dahinter zu suchen. Sein Kommentar ist subjektiv – und soll zum Nachdenken anregen.
Dies gelesen ...
Ärzte rufen nach dem Staat Die schweizerische Ärzteschaft hat einen politischen Kurswechsel vollzogen. Weg von der FDP, hin zur SP. Junge Ärzte sehen sich nicht als Unternehmer, sondern als Angestellte.
(«NZZ am Sonntag»,18.07.2010)
... das gedacht
Rufen die Ärzte tatsächlich nach dem Staat?
von Hanswerner Iff
Hintergrund Der Beitritt des Präsidenten der Verbindung der Schweizer Ärzte FMH zur Genfer SP fand Beachtung in den Medien. Nicht nur in der «NZZ am Sonntag» wurde festgestellt, dass Ärzte und Ärztinnen politisch nach links rutschen. Mir ist indessen keine Statistik bekannt, die einen solchen Trend beweisen würde. In meiner Erinnerung waren und sind politisch tätige Ärzte in allen Parteien vertreten, von extrem rechts bis extrem links. Diese Vielfalt der politischen Couleur hängt damit zusammen, dass Ärzte erstens Individualisten sind und zweitens der Arztberuf nicht an eine politische Partei gebunden ist. Während Banker kaum links politisieren, dürfen Ärzte dies tun. Möglich wäre, aber das ist ein anderes Thema, dass «rechte» Politik im Gesundheitswesen immer mehr von den Krankenkassenfunktionären bestimmt wird. Früher war es so, dass diese eher «links» politisierten.
Kommentar Was mich beim Lesen des Zeitungsartikels stutzig machte, war der Titel: «Ärzte rufen nach dem Staat». Stimmt das tatsächlich? Rufen die Ärzte wirk-
lich nach dem Staat? Ist es nicht umgekehrt? Haben die Ärzte nicht viel eher genug von den Eingriffen dieses Staates? Ein Staat, der eine vernünftige Arbeit zugunsten der Patienten beschneidet – ich denke hier an die Labortarifsenkungen oder an das mögliche Verbot der Medikamentenabgabe in Arztpraxen – ein Staat, der mit seinen Massnahmen dafür sorgt, dass die ärztliche Grundversorgung, insbesondere ausserhalb urbaner Zentren, gefährdet wird. Neu bereitet der Staat eine Gesetzesvorlage vor, welche die Krankenkassen verpflichtet, Versicherungsmodelle anzubieten, in denen mit Prämienreduktionen und geringerem Selbstbehalt für die Patienten die freie Arztwahl unterbunden wird. Mit anderen Worten: Die freie Arztwahl ist nur noch gegen Aufpreis möglich. Wie sinnvoll ist ein solcher staatlicher Eingriff? Erlaubt unser komplexes Gesundheitswesen eine Voraussage aller finanziellen Konsequenzen, insbesondere die Drosselung der Gesundheitsausgaben, ohne die Solidarität zwischen Gesunden und Kranken zu gefährden? Und ist die gute Betreuung der Patienten weiterhin gewährleis-
tet? Diese bleiben immer noch die Hauptakteure in unserem Gesundheitswesen. Bemerkenswert ist, dass ohne «Staat» in den letzten zwei Jahrzehnten immer mehr vernetzte medizinische Einrichtungen entstanden sind. Ärzte und Ärztinnen suchen – übrigens oft unterstützt von lokalen Krankenkassen – nach gangbaren Lösungen, auch in Regionen, in denen es schwierig ist, eine medizinische Versorgung bereitzustellen. Dabei ist von den Ärzten auch unternehmerisches Geschick gefordert. Der gesellschaftliche Wandel, der ihnen unter anderem geregelte Arbeitszeiten zugesteht, begünstigt solche Ärztenetze, ja macht sie notwendig. Sie bieten den zahlreichen Frauen, die sich heute für den Arztberuf entscheiden, die Möglichkeit, diesen überhaupt auszuüben. Dass die Krankenkassen als staatlich eingesetzte Organisatoren und Kontrollinstanzen von Arztpraxen per Gesetz Entscheidungsmacht erhalten sollen, ist sicher kein Ruf der Ärzteschaft nach mehr Staat. Denn letztlich sind es immer noch Ärzte, welche die Verantwortung für ihre Patienten tragen.
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