Transkript
LANDARZTGLOSSE
Haut und Haar und etwas Sonne
von Dr. med. Kurt Hausammann*
Ich bin mit Haut und Haar der Hausarztmedizin verfallen. Medizin ist sowieso die Krone der wissenschaftlichen Disziplinen. Sie umfasst Chemie, Physik, Biologie und als Hausarztmedizin zusätzlich viel Psychologie, Theologie und dazu Logik, noch mehr Lebenserfahrung und vor allem sehr viel Einfühlungsvermögen. Abgerundet wird das Ganze mit einigen handwerklichen Fähigkeiten. Das ist doch die Krone. Was will man noch mehr? Davon bin ich fest überzeugt, auch
wenn Bundesrat Couchepin einmal bemerkte, dass nur die dümmsten der Ärzte, jene, die keinen Spezialarzttitel erreichen konnten, Hausarzt werden. Doch in der Zwischenzeit haben die meisten Schweizerbürger gemerkt, dass Herr Couchepin häufig nicht belegte und nicht der Wahrheit entsprechende Aussagen macht. Ich bin der Hausarztmedizin noch immer mit Haut und Haar verfallen, obwohl mein Haar sich altersentsprechend lichtet. Meine Haut aber ist noch intakt und vollständig. Ich konnte bisher sogar auf Antiagingprodukte und -kuren verzichten. Doch Halt! An meiner Schläfe musste ich schon ein bösartiges Geschwür herausschneiden lassen. Aber ich habe eine Entschuldigung dafür, ich wurde dort als Säugling wegen einer anderen Hauterkrankung bestrahlt. Ist es denn überhaupt selbstverständlich, dass die Haut intakt bleibt bis ins hohe Alter? Nein! Man muss seiner Haut Sorge tragen und darf sie nicht zu Markte tragen und wenn, dann sollte
man sie möglichst teuer verkaufen. Früher kannten wir Hausärzte viele ältere Damen mit offenen Beinen. Diese werden durch konsequentes Operieren der Krampfadern aber immer weniger. Dafür kämpfen wir heute mit einer zunehmenden Zahl von älteren Herren mit offenen Hautstellen am Kopf, die nicht mehr heilen wollen. Leider sind diese offenen Hautstellen teilweise bösartig und müssen behandelt werden. Je früher, desto besser. Der Grund für diese Veränderungen, zum Teil auch im Gesicht, auf der Nase, dem Jochbein und am Ohr, die auch Frauen haben können, ist die zunehmende UV-Strahlung. Diese steigt stetig, durch die längere Lebenserwartung wie auch durch den immer schlechter werdenden Filter der Atmosphäre aufgrund der sinkenden Ozonkonzentration und durch leider ungenügenden Sonnenschutz. Verschlimmert wird das Ganze noch durch das unsinnige Schönheitsideal «Sonnengebräunt auch an Weih-
nachten, und das nahtlos am ganzen Körper». Diese Menschen sind schizophren. Sie bezahlen viel Geld für Ferien am Äquator, um sich dort schwarz braten zu lassen. Sie bezahlen aber noch mehr Geld für Antiagingprodukte und Kosmetika und andere Behandlungen zum Füllen, Glätten, Entwässern, Hydratisieren,
Unterspritzen und Peelen. Und dies alles, um die sonnengeschädigte Haut wieder zu aprikotisieren.
Dabei wäre es ganz einfach, die Wüstenvölker leben es uns vor: ein Turban, ein Schleier und wallende, bodenlange Gewänder. Bei uns wäre dies ja nur im Sommer nötig. Wir würden also die übrige Zeit im Jahr weiterhin erkennen, wie unsere Mitmenschen wirklich aussehen. Übrigens führen erotische Nacktkünstlerinnen ihr Leben am hautverträglichsten. Sie schlafen tagsüber am Schatten und ziehen sich in der Nacht im ungefährlichen Scheinwerfer- und Neonlicht aus. Sie machen dies zwar nicht, um ihre Haut zu retten. Oder doch? Dieses Verhalten sollte zu Krankenkassenprämienreduktionen führen. So weit spannt sich der Bogen der Hausarztmedizin. Deshalb bin und bleibe ich ihr mit Haut und Haar, aber nur wenig Sonne verfallen.
*Kurt Hausammann ist Hausarzt mit einer Praxis in Ermatingen (TG).
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ILLUSTRATION: PETER WANNER FOTO: ZVG