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... das gedacht
Täglich liest oder hört man Meldungen aus dem Gesundheitswesen. Man spricht darüber und staunt oftmals auch. Der Arzt Hanswerner Iff hat sich angewöhnt, Gelesenes und Gehörtes aufzugreifen und nach den Fakten dahinter zu suchen. Sein Kommentar ist subjektiv – und soll zum Nachdenken anregen.
Eintrittsgebühr für die Arztpraxis?v o n H a n s w e r n e r I f f
«Nur am Telefon ist der Arzt gratis …
Patienten müssen künftig bei jedem Arztbesuch 30 Franken bar auf den Tisch legen. Bundesrat Couchepin hofft, mit dieser Praxisgebühr 400 Millionen Franken pro Jahr in der Krankenversicherung zu sparen. Die Kassen werden verpflichtet, gratis ärztliche Telefonberatung anzubieten.» («Der Bund», 7.5.2009)
Hintergrund Die Gesundheitssysteme weltweit haben sich in den letzten Jahrzehnten rasant entwickelt; nicht nur was die Effizienz, sondern auch was die Kosten anbelangt. Unser Gesundheitswesen ist eines der besten, aber auch eines der teuersten. Von einer «Kostenexplosion» wird schon seit Jahrzehnten gesprochen. Zu einer Explosion ist es aber bisher glücklicherweise nicht gekommen. Die kürzlich ankündigte überdurchschnittliche Erhöhung der Krankenkassenprämien für nächstes Jahr hat zu einer politischen Hektik geführt. Diese wird aber wahrscheinlich erneut – wie die in dieser Ausgabe diskutierte Senkung der Labortarife – am Ziel der Kostendämmung vorbeischiessen. Zudem ist fraglich, ob sich die vorgeschlagene Praxisgebühr überhaupt durchsetzen
lässt, denn die bisherigen Reaktionen waren durchwegs negativ.
Kommentar Die nun diskutierten 30 Franken als «Eintrittsgebühr für die Arztpraxis» sollen ein weiteres Instrument sein, um die Patientinnen und Patienten zur Eigenverantwortung anzuhalten. Dabei berappen sie bereits eine Franchise (die mindestens 300 Franken pro Jahr beträgt) sowie einen Selbstbehalt (10 Prozent auf alle übrigen anfallenden Kosten), die das gleiche Ziel verfolgen. Die geplante Praxisgebühr bedeutet nun eine neue Form der Eigenleistung für die obligatorisch Krankenversicherten, wobei vorerst nicht klar ist, wie sie mit der Franchise verknüpft werden soll. Unklar ist auch, wie sie zu kontrollieren wäre. Soll künftig vor jeder Arztpraxis eine Art
Parkometer stehen, den der Patient vor dem Eintreten mit 30 Franken füttert? Wichtiger ist mir aber folgender Aspekt: Mit diesem Vorschlag wird einmal mehr das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestört. Die Einführung einer Praxisgebühr würde den kranken Menschen verunsichern. Eine solche Gebühr liegt zudem quer zu den bisherigen Bemühungen, dass Patienten im Krankheitsfall zuerst den Hausarzt aufsuchen sollen. Denn der Patient wird sich sagen, wenn ich schon Praxisgebühr bezahlen muss, gehe ich direkt zum Spezialisten. Doch geht er dann auch zum richtigen Spezialisten? Und woher soll ein Arzt, der ihm unbekannte Patienten unentgeltlich am Telefon berät, das wichtige Wissen des Hausarztes, der seine Patienten meist seit Jahren kennt, hernehmen? Am wichtigsten scheint mir aber Folgendes: Die durch die Praxisgebühr entstehende Diskussion bindet Kräfte, die für eine grundlegendere Reorganisation unseres Gesundheitswesens dringender nötig wären. Denn in näherer Zukunft wird es darum gehen, etwas mehr Ordnung in unser komplexes Gesundheitssystem zu bringen, damit die erwähnte Explosion, im wörtlichen Sinn, nicht Realität wird. Mit Hektik ist dies nicht zu erreichen, vielmehr braucht es besonnene Arbeit, die der Vermittlung verpflichtet ist.
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