Transkript
FORTBILDUNG NEUROLOGIE
Wird es den Medikamentenübergebrauchskopfschmerz in Zukunft nicht mehr geben?
Eine kritische Betrachtung
Der Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch betrifft 1–2% der Allgemeinbevölkerung und geht mit einer wesentlichen Beeinträchtigung in vielen Lebensbereichen einher. Er entwickelt sich durch zu häufige Einnahmen von Schmerzmitteln aus einem primären Kopfschmerz wie z.B. aus einer Migräne, wobei es zu 15 oder mehr Kopfschmerztagen pro Monat kommt. Ursächlich werden eine Sensitivierung im trigeminovaskulären System, vermittelt durch Neuropeptide wie Calcitonin gene-related peptide (CGRP), sowie eine verminderte Schmerzhemmung diskutiert. Zusätzlich werden Mechanismen wie Substanzabhängigkeit und Impulsivität auf psychologischer und neurobiologischer Ebene vermutet. Gepante blockieren den CGRP-Rezeptor und können sowohl akut also auch prophylaktisch bei Migräne wirken. Eine häufige Anwendung von Rimegepant führte nicht zu einem Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch, sondern zu einer Abnahme der Attackenfrequenz, wobei noch mehr Daten nötig sind. Wir diskutieren in diesem Artikel, weshalb der Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch wahrscheinlich auch in Zukunft zu beobachten sein wird. Eine multimodale Therapie kann notwendig sein. CGRP-basierte, gegen Migräne prophylaktisch wirksame Substanzen, sind auch beim Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch wirksam. Es sollten Anstrengungen zur Prävention des Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch unternommen werden.
von Franz Riederer1, Adrian Scutelnic1, Christoph J. Schankin1
Der Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch (Medication Overuse Headache, MOH) kann sich bei Patienten mit primären Kopfschmerzen wie Migräne oder Spannungskopfschmerzen durch zu häufige Einnahme von Schmerzmitteln entwickeln. Die Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung liegt bei etwa 1–2%, allerdings können in spezialisierten Zentren mehr als die Hälfte aller Patienten einen MOH aufweisen. Es ist also davon auszugehen, dass in der Schweiz etwa 135 000 Personen an einem MOH leiden.
Bereits in den 1950er-Jahren wurde in der Schweiz beobachtet, dass durch die häufige Einnahme phenacetinhaltiger Medikamente chronische Kopfschmerzen entstehen können. Auch bei täglicher Einnahme von Ergotamin wurden chronische Kopfschmerzen beobachtet, die sich nach Ergotaminentzug verbesserten. Man ging davon aus, dass alle Medikamente, die in der Behandlung von Kopfschmerzen eingesetzt werden, wie etwa einfache Analgetika, Triptane, Kombinationspäparate und Opiate (in Europa bei Kopfschmerz kaum in Verwendung) zu einem MOH führen können. Auch Patienten, die Opiate oder andere Schmerzmittel nicht wegen Kopfschmerzen einnehmen, können einen MOH entwickeln, sofern ein primärer Kopfschmerz, wie etwa eine Migräne oder ein Spannungskopfschmerz vorliegt.
1 Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital Bern, Universität Bern
Klinische Beschreibung und Diagnosekriterien Die Patienten stellen sich häufig wegen eines täglichen oder fast täglichen Kopfschmerzes vor. Aufgrund von heftigen Kopfschmerzattacken werden oft die Notaufnahmen der Spitäler aufgesucht. Viele Patienten berichten über ein gehäuftes Auftreten ihrer Migräneattacken, die schlechter auf die Akutmedikation ansprechen. Zwischen den Attacken kann ein dumpfer Kopfschmerz ähnlich einem Spannungskopfschmerz bestehen. Zumeist besteht eine massive Beeinträchtigung im Bereich Arbeit aber auch im sozialen Bereich. Ein Blick in das Kopfschmerztagebuch, in dem die Medikamenteneinnahme dokumentiert sein sollte, kann diagnostisch hilfreich sein:
Zunächst wird überprüft, ob ein chronischer Kopfschmerz, der hier definitionsgemäss an ≥ 15 Tagen pro Monat auftritt, vorliegt. Um die Diagnosekriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (International Classification of Headach Disorders, ICHD-3 [1]) zu erfüllen, muss dieser aus einem vorbestehenden primären Kopfschmerz wie etwa Migräne oder Spannungskopfschmerz entstanden sein (Tabelle 1). Sehr selten kann ein MOH auch bei Clusterkopfschmerz entstehen, wahrscheinlich muss dann aber gleichzeitig eine Migräne bestanden haben. Dann wird eingeschätzt, ob ein Medikamentenübergebrauch vorliegt. Dieser wird gemäss Kriterien der IHS wie folgt definiert und muss mehr als drei Monate bestehen: • Einfache Analgetika wie etwa Paracetamol, Acetylsalicyl-
säure ≥ 15 Tage/Monat • Ergotamine, Triptane, Opioide oder Kombinationsschmerz-
mittel ≥ 10 Tage/Monat
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• Gemischte Einnahme von Schmerzmitteln unterschiedlicher Gruppen (Triptane, einfache Analgetika, Kombinationspräparate, Opioide) an ≥ 10 Tagen/Monat
Ein schmerzmittelinduzierter Kopfschmerz muss somit immer dann vermutet werden, wenn die oben genannten Medikamente an mindestens 10 bzw. 15 Tagen pro Monat während mindestens drei Monate eingenommen werden, wobei der Tagesdosis eine geringere Rolle zukommt.
Oft kann die Diagnose eines medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes erst dann sicher gestellt werden, wenn sich der schmerzmittelinduzierte Kopfschmerz nach dem Absetzen oder Reduktion des Medikamentes bessert. Dieses Kriterium war auch in der früheren Klassifikation, der ICDH-2 ausdrücklich gefordert, kommt in den neuen Kriterien jedoch nicht mehr zur Anwendung. Hintergrund dafür ist, dass die Diagnose MOH möglichst häufig gestellt werden soll, um bei möglichst vielen Patienten einen Schmerzmittelentzug durchzuführen.
Während des Schmerzmittelentzugs treten gehäuft Migräneattacken bzw. Entzugskopfschmerzen auf. Auch vegetative Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Unruhe oder Schwitzen werden beobachtet. Diese Beschwerden bessern sich beim Triptanübergebrauch meist innert 7–10 Tagen, bei anderen Präparaten innert einiger Wochen.
Komorbiditäten Patienten mit MOH leiden gehäuft zusätzlich unter Angst- und affektiven Störungen, wobei die Häufigkeiten bis jeweils 80% angegeben werden (2). In letzter Zeit wurde die Substanzabhängigkeit beim MOH wieder vermehrt diskutiert. Neueren Untersuchungen zufolge erfüllen mindestens zwei Drittel aller Patienten Kriterien für Substanzabhängigkeit nach dem Diagnostischen und Statistischen Manual (DSM-IV) (2–4). Hier muss zwischen Substanzabhängigkeit und Substanzmissbrauch unterschieden werden. Bei Substanzabhängigkeit besteht ein gewisser Kontrollverlust, bei dem die Betroffenen, mehr Medikamente einnehmen, als sie möchten, und mögliche schädliche Wirkungen in Kauf nehmen.
Substanzmissbrauch liegt vor, wenn negative soziale Konsequenzen und Beeinträchtigung im familiären und Arbeitsumfeld hinzutreten. Letzteres liegt bei MOH nicht vor. Patienten mit MOH geben meist an, die Medikamente so häufig einzunehmen, «weil sie funktionieren müssen». So werden vor wichtigen Anlässen aus Angst vor Kopfschmerzattacken und deren Konsequenzen Medikamente vorbeugend eingenommen.
In diesem Zusammenhang wurden auch eine verminderte Impulskontrolle oder eine Zwanghaftigkeit diskutiert (4). Die Schwere der Abhängigkeit, gemessen mit einem entsprechenden Instrument (Severity of dependence Scale) scheint prädiktiv für die Prognose nach Entzug zu sein (5).
In Zusammenhang mit Substanzabhängigkeit wurde beim MOH auch die Einnahme von Schlafmitteln oder Nikotinabusus gehäuft festgestellt (2,6,7). Auch ein erhöhter BodyMass-Index wurde beim MOH beobachtet und als Hinweis für verminderte Selbstkontrolle interpretiert (7).
Kritisch muss angemerkt werden, dass die Kriterien für Substanzabhängigkeit nicht für MOH validiert wurden und hier
Tabelle 1: Diagnosekriterien des Kopfschmerzes zurückzuführen auf einen Medikamentenübergebrauch. Kriterien A-C müssen erfüllt sein. (International Headache Society)
A Kopfschmerzen an ≥ 15 Tagen pro Monat bei Patienten mit primärer Kopfschmerzerkrankung B Regelmässiger Übergebrauch über > 3 Monate eines oder mehrerer Wirkstoffe, die für die Behandlung von Kopfschmerzen verwendet werden Ergotamin-Übergebrauch Regelmässige Einnahme eines Ergotaminpräparats ≥ 10 Tagen pro Monat Triptan-Übergebrauch Regelmässige Einnahme eines oder mehrerer Triptane ≥ 10 Tagen pro Monat Übergebrauch einfacher Analgetika (Paracetamol/ASS/andere NSAR) Regelmässige Einnahme von einfachen Schmerzmitteln ≥ 15 Tagen pro Monat Opioid-Übergebrauch Regelmässige Einnahme von Opioid-Schmerzmitteln an ≥10 Tagen pro Monat Übergebrauch von Kombinationsschmerzmitteln (z.B.: ASS+Paracetamol+Coffein) Regelmässige Einnahme von Kombinationsschmerzmitteln an ≥ 10 Tagen pro Monat Übergebrauch multipler Substanzklassen (Ergotamine, Triptane, einfache Analgetika, Opioide) Regelmässige Einnahme von Schmerzmitteln oben genannter Klassen an ≥ 10 Tagen pro Monat, ohne Übergebrauch der einzelnen Substanzklasse. C Ursächlich nicht besser auf eine andere ICHD-3-Diagnose zurückzuführen
Abkürzungen: ASS: Acetylsalicysäure; NSAR: nicht steroidale Antirheumatika Quelle: mod. nach (1)
Tabelle 2: Komorbiditäten und Kofaktoren des Kopfschmerzes beim Medikamentenübergebrauch
Angststörungen Depressive Störungen Substanzabhängigkeit (verschiedene Substanzen wie Hypnotika, Nikotin) Zwangsstörung Impulsivität Posttraumatische Belastungsstörung Alexithymie («Gefühlsblindheit») Schlafstörungen Schmerzen in verschiedenen Regionen (z.B. myofascielle Schmerzen) Übergewicht
Quelle: mod. nach (4)
in modifizierter Form zur Anwendung kamen. Bei MOH finden sich auch Hinweise auf erhöhte Alexithymie («Gefühlsblindheit»), was auf verminderte Fähigkeit zur Introspektion gedeutet werden kann (4).
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Tabelle 3: Prophylaktisch wirksame Substanzen bei chronischer Migräne mit MOH
Erenumab Galcanezumab Fremanezumab Eptinezumab Onabotulinumtoxin Typ A Atogepant Topiramat
Schliesslich wurde bei chronischen Kopfschmerzen eine Assoziation mit Schmerzen in anderen Körperregionen festgestellt. Dies kann zu einem therapeutischen Dilemma führen, wenn beispielsweise aufgrund von Rückenschmerzen Analgetika oder Opiate eingenommen werden, die ihrerseits einen MOH begünstigen oder hervorrufen. Die Komorbiditäten des MOH sind in Tabelle 2 aufgelistet.
Im klinischen Alltag ist die Erfassung der Komorbiditäten sinnvoll. Für das Screening auf Angst und Depression kann die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-Skala) (8) eingesetzt werden. Auch das gleichzeitige Vorliegen eines vermehrten Gebrauchs anderer Substanzen wie etwa Benzodiazepine soll erfasst werden.
Prognose Im allgemeinem gilt der MOH als gut behandelbar, jedoch liegt die Rückfallquote liegt bei 30–50% nach einem Jahr (9). Bei einem Teil der Patienten gelingt die Reduktion der Schmerzmittel, jedoch bleibt die Verbesserung der Kopfschmerzen aus. In diesem Fall kann eine chronische Migräne oder ein chronischer Spannungskopfschmerz vorliegen. Auch beim posttraumatischen Kopfschmerz mit Medikamentenübergebrauch kommt es nach Entzug seltener zu einer Verbesserung. Trotzdem sollte auch beim posttraumatischen Kopfschmerz mit Schmerzmittelübergebrauch ein Entzug versucht werden. Aus der praktischen Erfahrung ist ein alleiniger Entzug ohne Edukation und Etablieren einer hocheffektiven Prophylaxe meist keine nachhaltige Lösung.
Pathophysiologische Konzepte Pathophysiologisch wird beim Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch von einer zentralen und peripheren Sensitivierung ausgegangen (10,11). Tierexperimentell konnte gezeigt werden, dass Triptane zu einer Sensitivierung führen, wodurch die Schmerzschwelle in cephalen und extracephalen Regionen sinkt (10). In diesem Modell wurde eine vermehrte Expression von Calcitonin gene-related Peptide (CGRP) in den trigeminalen Ganglien nachgewiesen. Ein CGRP-Antagonist konnte diese Sensitivierung im trigeminalen System aufheben (10). CGRP-Antagonisten, die sowohl akut als auch präventiv gegen die Migräneattacken wirken, zeigten in einem ähnlichen Modell keine Sensitivierung (12). Analog zu den Tiermodellen zeigten auch humane Studien beim Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch verminderte Schmerzschwellen in ce-
phalen und extracephalen Regionen, wobei es nach Entzug wiederum zu einer Normalisierung kommt (13). Wir konnten beim Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch nach Schmerzmittelentzug reversible Veränderungen in schmerzmodulierenden Regionen im Hirnstamm nachweisen, mit Korrelation mit der klinischen Verbesserung (14). Der orbitofrontale Kortex hat wahrscheinlich eine Funktion in der «Selbstkontrolle» der Medikamenteneinnahme und dürfte beim MOH strukturell und funktionell sein (15). In diesem Zusammenhang wurde eine «Substanzabhängigkeit» diskutiert, deren Ausprägung mit dem Ausgang nach Entzug korreliert (3,5).
In Tiermodellen des MOH wurden auch kortikale Veränderungen wie etwa eine erhöhte Expression von Serotonin-Rezeptoren (5HT2A) sowie eine erhöhte Frequenz der sogenannten Cortical Spreading Depression, die mit dem Auftreten von Migräneattacken in Zusammenhang gebracht wird, gefunden (16,17).
Mögliche Paradigmenwechsel beim MOH Wie bereits bei der Pathophysiologie erwähnt, spielt CGRP eine grosse Rolle bei der Sensitivierung der trigeminalen Afferenzen, die durch CGRP-Blocker unterbunden werden kann. Entsprechend lösten im Tiermodell CGRP-Blocker (Gepante) im Gegensatz zu Triptanen keine Sensitivierung aus (12). Zudem wirken CGRP-Blocker sowohl in Form von monoklonalen Antikörpern als auch in Form der kleinen Moleküle (Gepante) akut und prophylaktisch bei Migräne. Eine akute Wirksamkeit des i.v. zu applizierenden CGRP-Antikörpers Eptinezumab wurde mit einem entsprechenden Studiendesign in einer randomisierten plazebo kontrollierten Studie gezeigt (18), allerdings ist Eptinezumab nicht zur Akuttherapie der Migräne zugelassen. Die subkutan zu verabreichenden monoklonalen Antikörper dürften anekdotisch auch gegen die Attacken wirken, dies ist aber nicht speziell untersucht worden.
Dagegen ist Rimegepant zur Akuttherapie und Prophylaxe angezeigt. Bei akuter Anwendung von Rimegepant je nach Bedarf kam es zu einer Reduktion der Migränehäufigkeit (19). Dies ist im Gegensatz zu der Annahme, dass alle akut gegen Migräne wirksamen Substanzen auch einen MOH verursachen können (Hypothetischer Paradigmenwechsel 1). Es handelte sich hier allerdings um eine Open-Label-Studie zur Anwendung von Rimegepant bei Patienten mit mindestens sechs monatlichen Migränetagen, die über ein Jahr dauerte. Es ist zu bedenken, dass der Endpunkt 30%ige Reduktion der Migränefrequenz bei den Patienten mit hohen Migränefrequenzen mit im Mittel acht Migränetagen pro Monat weniger häufig erreicht wurde als bei Patienten mit selteneren Attacken. Zudem sank die Anzahl der eingenommenen Rimegepant-Tabletten nur bei den Patienten mit mittlerer und niedriger Migränefrequenz. Es ist aber festzuhalten, dass keine Zunahme der Medikamenteneinnahme beobachtet wurde.
Interessanterweise zeigten sämtliche CGRP-basierten monoklonalen Antikörper und Atogepant Wirksamkeit bei Migräne auch bei aktivem Medikamentenübergebrauch. Dies widerspricht der traditionellen Auffassung, dass prophylaktische Therapien nur wirksam sind, sofern kein Übergebrauch akuter Substanzen mehr besteht (Hypothetischer Paradigmenwechsel 2).
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MOH – quo vadis? Wird es den MOH in der Zukunft also nicht mehr geben? Werden wir den MOH bei Anwendung neuer Therapien nicht mehr berücksichtigen müssen? Beide Fragen müssen derzeit mit Nein beantwortet werden. Zur ersten Frage: Gepante können bewährte Akuttherpeutika nicht vollständig ersetzen, zumal ihre akute Wirksamkeit schwächer ist als die von Triptanen. Ausserdem kann MOH auch beim Spannungskopfschmerz entstehen oder bei sekundären Kopfschmerzen. Zudem ist die oben erwähnte Open-Label-Studie unzureichend, um definitiv zu beantworten, ob Gepante keinen MOH verursachen können. Somit ist es unrealistisch, dass der MOH in Zukunft verschwinden wird. Zur zweiten Frage: Zunächst ist es sehr erfreulich, dass wir Substanzen zur Verfügung haben, die gut auch bei chronischer Migräne mit MOH wirken. Eine Beratung betreffend MOH sollte in keinem Fall entfallen, da der Medikamentenübergebrauch als wesentlicher Chronifizierungsfaktor gilt. Edukation und Etablieren einer effektiven Prophylaxe können vielfach ausreichend sein, bei Opioidübergebrauch, Abhängigkeit von anderen Substanzen und relevanten Komorbiditäten sind gemäss aktuellen gemeinsamen Leitlinien der Deutschen Migräne und Kopfschmerzgesellschaft und der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft ein Medikamentenentzug und eine multimodale Schmerztherapie notwendig.
Auch die auf die Prävention des MOH, etwa durch Schulungen von Primärversorgenden und Apothekern ist sehr wichtig. Die Problematik der möglichen Entwicklung eines MOH soll im Rahmen der Erstvorstellungen in der Kopfschmerzsprechstunde stets angesprochen werden.
Praktische Überlegungen Da bei chronischer Migräne nun auch bei gleichzeitigem MOH prophylaktisch wirksame Therapien zur Verfügung stehen, sollten diese frühestmöglich eingesetzt werden. So kann die Reduktion der akuten Medikation deutlich erleichtert werden. Wird ein Entzug ohne Prophylaxe durchgeführt, ist mit einer transienten Verschlechterung der Kopfschmerzen zu rechnen. Zur Unterstützung des Entzugs können Antiemetika (z.B. 10 mg Domperidon), Neuroleptika (z.B. 25 mg Quetiapin mehrmals täglich) und Flüssigkeitssubstitution eingesetzt werden. Als Rescue-Medikation bei starken Kopfschmerzen kann 500 mg Naproxen restriktiv verwendet werden. Prednison zeigte in offenen Studien Wirksamkeit gegen den Entzugskopfschmerz. Dies wurde in einer kleinen randomisierten plazebokontrollierten Studie zunächst bestätigt (20). In einer grösseren randomisierten plazebokontrollierten Studie war Prednison 100 mg/Tag für 5 Tage hinsichtlich der Unterdrückung der Kopfschmerzen Plazebo nicht überlegen, führte aber zu einer geringeren Einnahme von Rescue-Medikation (21). Daher wird es gemäss Expertenkonsens zur Linderung der Akutsymptome empfohlen.
MERKPUNKTE
• Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrach kommt in spezialisierten Zentren häufig vor.
• Prophylaktisch wirksame Substanzen, die den CGRPPathway blockieren, wirken auch bei gleichzeitig bestehendem MOH.
• Gepante (orale CGRP-Rezeptor-Blocker) wirken akut gegen die Migräneattacke und auch prophylaktisch. Es gibt Hinweise, dass diese Substanzklasse keinen MOH verursacht, es sind aber noch weitere Daten hierzu notwendig.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Franz Riederer Oberarzt, Stv. Leiter Sprechstunde Kopfschmerz Universitätsklinik für Neurologie Inselspital Rosenbühlgasse 25 3010 Bern E-Mail: franz.riederer@insel.ch
Adrian Scutelnic
Christoph J. Schankin
Fotos: zVg
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