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KONGRESS AKTUELL
Epilepsie
Was gibt es Neues?
An der neurologischen Fortbildungsveranstaltung Expanda hat Prof. Susanne Knake, Bei Frauen, die mit der Pille verhüten, muss
Universitätsklinikum für Neurologie, Giessen und Marburg, zur Epilepsiebehandlung
beachtet werden, dass die Wirkung bestimmter Antiepileptika (Lamotrigin) vermindert wer-
neue Daten zur Frage des Zeitpunkts einer ersten anfallssuppressiven Behandlung, zu den kann und bei anderen Antiepileptika
umgekehrt die kontrazeptive Wirkung einge-
einer möglicherweise tieferen Dosierung von Cenobamat und zur Karzinogenität von schränkt ist (Tabelle).
hochdosierter Folsäure vorgestellt. Zudem stehen neue Guidelines zur Verfügung.
Die Leitlinie ist als «Wegweiser Epilepsie» in Form von Lernvideos und zum Nachlesen auf-
gearbeitet und auf der Website der Deutschen
Gesellschaft für Epileptologie (www.dgfe.org)
I m letzten Jahr hat die Deutsche Gesellschaft für Neurologie in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für
tiracetam in Monotherapie verwendet werden. Bei generalisierten oder unklassifizierbaren Epilepsien wird eine Monotherapie mit Valpro-
abrufbar (QR-Link). Wann behandeln?
Neurologie und der Schweizerischen Neurolo- at empfohlen. Ist das nicht möglich, kommen Im letzten Jahr wurden unter anderem Studien
gischen Gesellschaft eine komplett überarbei- Lamotrigin oder Levetiracetam in Monothera- zur Frage publiziert, ob ein früherer Beginn
tete sk2-Leitlinie «Epilepsie und erster Anfall» pie als Ersttherapie zum Einsatz. Frauen mit einer anfallssuppressiven Therapie das Rezidiv-
herausgegeben. Darin werden Praxisempfeh- genetisch generalisierten Epilepsien, bei risiko senkt.
lungen zu verschiedenen Bereichen abgege- denen eine Empfängnis nicht ausgeschlossen Dazu wurden während mehr als 7 Jahren >
ben. Unter anderem auch dazu, dass bei werden kann, dürfen keine Erstlinientherapie 1000 Patienten über 16 Jahre, die sich mit dem
Patienten mit Verdacht auf einen ersten Anfall mit Valproat erhalten. In diesem Fall werden Verdacht auf Vorliegen eines ersten epilepti-
in etwa der Hälfte der Fälle andere Ursachen Lamotrigin oder Levetiracetam in Monothera- schen Anfalls vorgestellt hatten, untersucht.
zum Anfall geführt haben. Dazu gehören pie als Anfallssuppressivum empfohlen. Sollte Unter diesen wurde bei 487 Patienten eine neu
beispielsweise, Synkopen, psychiatrische Stö- dies individuell nicht möglich sein, kann eine aufgetretene Epilepsie diagnostiziert und mit
rungen oder Bewegungsstörungen, die eine Therapie mit Oxcarbazepin oder alternativ mit Anfallssuppressiva behandelt, bei 80% inner-
Epilepsie vortäuschen können (epilepsy Eslicarbazepinacetat, Lacosamid oder Zonisa- halb von 48 Stunden. Die Anfallsfreiheitsrate
mimics). Für eine Diagnose sind Angaben aus mid erwogen werden (1).
nach zwei Jahren sowie nach fünf Jahren wur-
Anamnese plus Fremdanamnese, zeitnahem
(> 24h) Elektroenzephalogramm (EEG) und
aus der Magnetresonanztomografie (MRT ) (HARNESS-Protokoll) erforderlich. Bei einem ersten akut-symptomatischen Anfall soll nicht
Tabelle:
Beeinflussung der kontrazeptiven Wirkung durch Antiepileptika (1)
direkt ein Anfallssuppressivum verabreicht
werden. Denn das Risiko sei hoch, dass Patienten damit langfristig behandelt würden, obwohl sie es vielleicht nicht bräuchten, so
Kontrazeptive Wirkung eingeschränkt
Kontrazeptive Wirkung vermutlich nicht eingeschränkt
Knake. Kommt es aufgrund von individuellen Erwägungen doch zur Therapie, soll die Medikation aufgrund des niedrigen langfristigen
Brivaracetam (dosisabhängig)
Ethosuximid
Carbamazepin Clobazam
Rezidivrisikos für einen erneuten unprovozierten Anfall nach Ende der akuten Phase, in der Regel bei der Entlassung oder bei Verlegung
Cenobamat Gabapentin Eslicarbamazepinacetat Lacosamid
des Patienten, wieder abgesetzt werden (1). Beträgt das Risiko für einen weiteren Anfall
Felbamat Levetiracetam
in den nächsten 10 Jahren > 60%, ist eine Lamotrigin (geringfügig)
Pregabalin
Behandlung angezeigt (1). Schlafentzug gilt zudem neu nicht mehr als
Oxcarbazepin Valproat
Ursache, sondern als Auslöser für einen Anfall Perampanel (dosisabhängig)
Vigabatrin
und als anfallsfördernder Faktor (1).
Phenobarbital/Primidon Zonisamid
Therapieempfehlungen der neuen Guideline Bei neu aufgetretenen fokalen Epilepsien emp-
fehlen die Guidelines Lamotrigin als Mittel der
ersten Wahl. Sollte Lamotrigin individuell nicht
infrage kommen, sollten Lacosamid oder Leve-
Phenytoin Rufinamid Topiramat (dosisabhängig)
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den von beiden Gruppen (sofortige vs. spätere medikamentöse Therapie) verglichen. Es zeigte sich, dass Patienten mit einer unmittelbaren Behandlung eine grössere Chance auf Anfallsfreiheit nach 5 Jahren hatten (61 vs. 33%) (2). Die Ergebnisse scheinen einen positiven Effekt einer frühen anfallssupressiven Medikation auf die Rezidivrate nahezulegen, sodass weitere Studien, die diesen möglicherweise erkrankungsmodifizierenden Effekt einer frühen Therapie erklären können, zu erwarten seien, so Knake.
Tief dosiertes Cenobamat scheint auszureichen Eine weitere Studie wurde zur Dosierung von Cenobamat publiziert. Cenobamat ist das neueste der zur Therapie fokaler Epilepsien zugelassenen Anfallssuppressiva. Es hat einen dualen Wirkmechanismus, und Zulassungsstudien haben einen dosisabhängigen Effekt bei Therapie von Patienten mit behandlungsresistenten fokalen Epilepsien bis 400 mg/Tag gezeigt (3). Das Präparat muss langsam und über Wochen aufdosiert werden, beginnend bei 12,5 mg/Tag mit einer Dosisverdoppelung zirka alle 14 Tage (4). Weil Praxisbeobachtungsstudien jedoch gezeigt haben, dass auch tiefere Dosierungen als die zugelassene von 400 mg/Tag einen therapeutischen Effekt haben (5), wurde der Dosiseffekt bei hoch therapierefraktärer fokaler Epilepsie in einer weiteren Studie mit 112 Patienten prospektiv untersucht. 3 Monate nach Therapiebeginn und bei einer ersten mittleren Cenobamat-Dosis von 100 mg/Tag zeigte sich eine erste, bereits signifikante Reduktion der Anfallshäufigkeit für alle Anfallstypen: 46% der Patienten waren Responder mit einer ≥ 50%-
igen Anfallsreduktion, 26% hatten eine ≥ 75%ige Anfallsreduktion, und 9% wurden anfallsfrei. Nach 12 Monaten lagen die Responderraten bei 55, 35 und 19%. Die tägliche Cenobamat-Dosis unterschied sich bei Respondern und Nonrespondern zu keinem Zeitpunkt. Eine weitere Erhöhung der Dosis brachte auf individueller Ebene eine teilweise Verbesserung der Anfallsraten (6). Damit scheint Cenobamat auch im niedrigen Dosisbereich wirksam zu sein. Ein langsames Eindosieren und Abwarten bei einer Tagesdosis von 100 mg könne klinisch erwogen werden, bevor weiter auftitriert wird, das Fazit von Knake aus dieser Studie.
Zu viel Folsäure kann schädlich sein Weil Anfallssuppressiva zu einem Folsäuremangel führen können, kann eine Folsäuregabe vor und während einer Schwangerschaft helfen, Fehlbildungen beim ungeborenen Kind zu verhindern. Bis vor Kurzem wurden hohe Dosen von 4 bis 5 mg pro Tag empfohlen. Hohe Folsäuredosen gelten jedoch als prokazinogen. Eine skandinavische Kohortenstudie hat nun anhand von Registerdaten untersucht, ob Kinder von epilepsiekranken Müttern, die 90 Tage vor und während der Schwangerschaft hoch dosierte Folsäure (Durchschnitt 4,3 mg/Tag) eingenommen hatten, ein höheres Risiko für die Entwicklung von Krebserkrankungen im Verlauf von 10 Jahren aufweisen. Die Analyse zeigte, dass diese Kinder in der Beobachtungszeit ein 2,7-fach höheres Krebsrisiko hatten im Vergleich zu Kindern, deren Mütter vor und während der Schwangerschaft keine Hochdosis-Folsäure-Behandlung erhalten hatten (7). Diese Daten geben Anlass, die Dosis der Folsäureprophylaxe zu
überdenken, folgert Knake. In der Schweiz hat
die Epilepsie-Liga aufgrund dieser Ergebnisse
ihre Dosis-Empfehlungen von 4 bis 5 mg/Tag
auf 1 bis 3 mg/Tag gesenkt.
l
Valérie Herzog
Quelle: «Epilepsie», expanda, 26. bis 27. Januar 2024, virtuell.
Referenzen: 1. Holtkamp M et al.: Erster epileptischer Anfall und
Epilepsien im Erwachsenenalter, S2k-Leitlinie, 2023; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www. dgn.org/leitlinien. Letzter Abruf: 14.2.24. 2. Ménétré E et al.: Antiseizure medication ≤ 48 hours portends better prognosis in new-onset epilepsy. Eur J Neurol. 2024 Feb;31(2):e16107. doi: 10.1111/ene.16107. 3. Krauss GL et al.: Safety and efficacy of adjunctive cenobamate (YKP3089) in patients with uncontrolled focal seizures: a multicentre, double-blind, randomised, placebo-controlled, dose-response trial. Lancet Neurol. 2020;19(1):38–48. https:// doi. org/ 10. 1016/ S14744422(19) 30399-010. 4. Fachinformation Cenobamat. www.swissmedic.ch. Letzter Abruf: 14.2.24. 5. Villanueva V et al.: Real-world safety and effectiveness of cenobamate in patients with focal onset seizures: outcomes from an expanded access program. Epilepsia Open. 2023;8(3):918-929. https:// doi. org/ 10. 1002/ epi4. 12757. 6. Novitskaya Y et al.: Add-on treatment with cenobamate is already effective at low doses in refractory focal epilepsy: A prospective observational study. Epilepsia. 2023 Dec 22. doi: 10.1111/epi.17874. 7. Vegrim HM et al.: Cancer risk in children of mothers with epilepsy and high-dose folic acid use during pregnancy. JAMA Neurol. 2022 Nov 1;79(11):1130-1138. doi: 10.1001/ jamaneurol.2022.2977. 8. Schweizerische Epilepsie-Liga: Neue Folsäure-Dosis für Frauen mit Epilepsie. August 2023. www.epi.ch. Letzter Abruf: 14.2.24.
QR-Link: Deutsche Gesellschaft für Epileptologie: Wegweiser Epilepsie www.rosenfluh.ch/qr/wegweiser-epilepsie
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