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KONGRESS AKTUELL
Schlafstörungen
Was sie bewirken und wie sie behandelt werden
Schlafstörungen bei Hirnschlagpatienten sind gefährlich, und eine kurze Schlafdauer ist schlecht für den Blutdruck. Ein neues Schlafmittel erweitert die Therapie. Prof. Dr. Birgit Högl, Leiterin des Bereichs Schlafmedizin, Stv. Direktorin Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck, fasste an der neurologischen Fortbildungsveranstaltung expanda die neuen Erkenntnisse im letzten Jahr im Bereich Insomnie zusammen.
E in gestörter Schlaf hat mannigfaltige Konsequenzen. Bei Patienten mit Hirnschlag können multiple Schlaf-Wach-Störungen beispielsweise ein Prädiktor für erhöhtes zerebro-kardiovaskuläres Risiko oder Tod sein. Dies zeigte die Berner Forschungsgruppe um Prof. Claudio Bassetti. Ihre prospektive Kohortenstudie hatte das Ziel, einen neu entwickelten «sleep burden index» zu untersuchen, der den Einfluss von multiplen Schlaf-Wach-Störungen erfassen soll. Dazu wurden 437 konsekutive Patienten mit akutem Schlaganfall (87%) oder transienter ischämischer Attacke (TIA) (13%) prospektiv rekrutiert (36% Frauen). Das mittlere Alter betrug 65,1 Jahre, der mittlere NIHSS(National Institutes of Health Stroke-)Score bei Aufnahme 3,5. Dabei wurden die folgenden Schlaf-Wach-medizinischen Erkrankungen evaluiert, aus denen der «sleep burden index» berechnet wurde: schlafbezogene Atmungsstörungen (Screening), Insomnie (mittels insomnia severity index), Restless-Legs-Syndrom (RLS Rating Scale) und selbstberichtete Schlafdauer 1 und 3 Monate nach dem Ereignis. Im Ergebnis hatten zwei Drittel der Patienten einen erhöhten Respiratory Event Index > 5 pro Stunde als Hinweis auf eine schlafbezogene Atemstörung, ein Viertel eine Insomnie mit Insomnia Severity Index > 10. RLS war bei 6,4% vorhanden, und 13,7% der Patienten hatten eine überlange Schlafdauer 3 Monate nach dem Schlaganfall. In der Follow-up-Zeit trat bei 16% (70/437) mindestens ein zerebro-kardiovaskulärer Event auf. Der «sleep burden index» war assoziiert mit einem höheren Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse inklusive Tod (Odds Ratio [OR]: 1,8 pro Indexeinheit, 95%-Konfindenzintervall [KI]: 1,19–2,72, p = 0,0056). Das Vorhandensein von multiplen schlafmedizinischen Erkrankungen (Schlaf-Wach-Störungen) stellt damit ein Risiko für nachfolgende zerebro-kardiovaskuläre Ereignisse und Tod in
den ersten 3 Jahren nach Schlaganfall dar, so das Fazit der Autoren. Das bedeutet, dass es sich lohnt, sowohl in der akuten Phase des Schlaganfalls als auch bei den Follow-up-Untersuchungen nach diesen Störungen zu fragen, so Högl (1).
Kurze Schlafdauer erhöht den Blutdruck In den letzten Jahren wurde an einer genaueren Phänotypisierung der Insomnie gearbeitet. Ein wichtiges Konzept in diesem Zusammenhang ist die Insomnie mit objektiv verkürzter Schlafdauer (< 6 Std.) im Vergleich zur Insomnie mit objektiv «normaler» beziehungsweise nicht verkürzter Schlafdauer. In einer kürzlich publizierten Studie mit 1413 Teilnehmern zum Zusammenhang zwischen polysomnografisch erfasster Schlaflosigkeit und Hypertonieinzidenz hatten nach 5 Jahren Beobachtungszeit 31% der Teilnehmer eine Hypertonie entwickelt. Jene mit Insomnie und einer Schlafdauer < 6 Stunden hatten ein doppelt so hohes Risiko für eine Hypertonie als solche mit > 6 Stunden Schlaf (2).
Insomnie-Therapie mit mehr Möglichkeiten Zur Behandlung der chronischen Insomnie wurde der duale Orexin-Rezeptorantagonist (DORA) Daridorexant zugelassen. Dazu geführt haben zwei grosse, 3 Monate dauernde randomisierte Studien, die an 156 Zentren in 18 Ländern durchgeführt wurden und gesamthaft mehr als 1800 durchschnittlich 55-jährige Teilnehmer umfassten (930 bzw. 924). In Studie 1 erhielten Erwachsene mit chronischer Insomnie Daridorexant 50 mg, 25 mg oder Plazebo, in Studie 2 wurde Daridorexant 25 mg vs. 10 mg vs. Plazebo verabreicht. Primärer Endpunkt war die Veränderung der Wachzeit während der Nacht (wakefulness after sleep onset) und die Lantenzzeit zum konsolidierten Schlaf. Als sekundäre Endpunkte galten Patientenanga-
ben zu Schlafdauer und zu Tagesmüdigkeit.
Die Ergebnisse zeigten eine dosisabhängige
Wirkung. In der Dosierung von 50 mg, der
empfohlenen Dosis, zeigte sich eine signifikan-
te Wirkung in allen Endpunkten. Die Nebenwir-
kungsrate war tief und lag unter Daridorexant
50 mg bei 1%, unter Plazebo bei 3%. Als häu-
figste Nebenwirkungen wurden Nasopharygi-
tis, Kopfschmerz, Fatigue, Schwindel, Nausea,
Somnolenz und Sturz angegeben. Stürze
waren unter Daridorexant jedoch nicht häufi-
ger als unter Plazebo. Spezielle Nebenwirkun-
gen wie starke Tagesmüdigkeit, Schlafparalysen
und schlafbezogene Halluzinationen traten
unter Daridorexant selten (< 1%) auf (3). Im Gegensatz zu Benzodiazepinen und Z-Subs- tanzen ist auch bei einem Langzeiteinsatz von > 1 Jahr keine Rebound-Insomnie nach Ab-
setzen und kein Wirkverlust über die Zeit zu
beobachten (4). Eine Posthoc-Analyse hatte
überdies gezeigt, dass die Substanz bei älteren
Patienten gut verträglich und offenbar mögli-
cherweise noch besser wirksam ist als bei jün-
geren (5).
Gemäss der überarbeiteten europäischen Gui-
deline für Diagnose und Therapie der Insomnie
ist kognitive Verhaltenstherapie (KVT) die The-
rapie der ersten Wahl. Wenn die KVT nicht ver-
fügbar oder nicht ausreichend wirksam ist,
kann als zweite Option eine pharmakologische
Behandlung eingesetzt werden. Grad-A-Emp-
fehlungen werden für Benzodiazepine, Z-Subs-
tanzen sowie Daridorexant gegeben, für
Letzteres auch länger als 3 Monate. Niedrig
dosierte, sedierende Antidepressiva können
zur Kurzzeitbehandlung der Insomnie einge-
setzt werden (Grad B). Bei älteren Patienten
kann auch retardiertes Melatonin bis zu 3
Monate zum Einsatz kommen (Grad B). Antihis-
taminika, Antipsychotika, nicht retardiertes
Melatonin, Ramelteon und Phytotherapeutika
werden für die Behandlung der Insomnie
dagegen nicht empfohlen (6).
l
Valérie Herzog
Quelle: «Schlaf», expanda, 26.–27. Januar 2024, virtuell
Referenzen: 1. Duss SB et al.: Frequency and evolution of sleep-wake
disturbances after ischemic stroke: A 2-year prospective study of 437 patients. Sleep Med. 2023;101:244-251. doi:10.1016/j.sleep.2022.10.007. 2. Dai Y et al.: Insomnia with objective, but not subjective, short sleep duration is associated with increased risk of incident hypertension: the Sleep Heart Health Study. J Clin Sleep Med. 2023 Aug 1;19(8):1421-1428. doi: 10.5664/jcsm.10570.
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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KONGRESS AKTUELL
3. Mignot E et al.: Safety and efficacy of daridorexant in patients with insomnia disorder: results from two multicentre, randomised, double-blind, placebocontrolled, phase 3 trials. Lancet Neurol. 2022 Feb;21(2):125-139. doi: 10.1016/S1474-4422(21)00436-1.
4. Kunz D et al.: Long-term safety and tolerability of Daridorexant in patients with insomnia disorder. CNS Drugs. 2023 Jan;37(1):93-106. doi: 10.1007/s40263-02200980-8.
5. Fietze I et al.: Efficacy and safety of Daridorexant in older and younger adults with insomnia disorder: a secondary analysis of a randomised placebo-controlled trial. Drugs Aging. 2022 Oct;39(10):795-810. doi: 10.1007/s40266022-00977-4.
6. Riemann D et al.: The european insomnia guideline: an update on the diagnosis and treatment of insomnia 2023. J Sleep Res. 2023 Dec;32(6):e14035. doi: 10.1111/ jsr.14035.
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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