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FORTBILDUNG
Medikamentöse Therapie von Delirsymptomen
Das Delir ist ein häufiges neuropsychiatrisches Syndrom im Spital, aber auch im ambulanten Setting, insbesondere in Alters- und Pflegeheimen bei Menschen mit Demenz. Die Basis der Prävention und Therapie bilden dabei nicht medikamentöse Massnahmen. Oft jedoch führt ein Delir auch zu Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressivität, Agitation, Angst und/oder zu wahnhaftem Erleben und Halluzinationen. Diese Symptome können zu Selbst- und Fremdgefährdung führen und sollten medikamentös behandelt werden. Der vorliegende Artikel behandelt die Evidenz gegenwärtig häufig eingesetzter Medikamente zur Behandlung von Symptomen des Delirs, ihre Indikationen, Kontraindikationen sowie häufige Nebenwirkungen.
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Isabella Glaser
von Isabella Glaser
Einleitung Das Delir ist ein im Spital häufig anzutreffendes neuropsychiatrisches Syndrom, das besonders häufig bei geriatrischen, neurologischen und bei Patienten im palliativen Setting vorkommt. Die höchste Inzidenz/ Prävalenz hat das Delir bei beatmeten und nicht beatmeten Patienten auf den Intensivstationen, unabhängig der Fachrichtung (1, 2). Im ambulanten Setting ist das Delir verhältnismässig selten, man geht von zirka 4% Prävalenz bei zuhause lebenden Menschen mit Demenz (3) sowie 1 bis 2% bei Menschen ohne bekannte Demenz aus (2). Im Allgemeinen führt ein im ambulanten Rahmen entwickeltes Delir zu einer Spitaleinweisung. Ein Delir führt zu einem deutlich schlechteren Outcome bei Patienten verglichen mit Menschen ohne Delir. In zahlreichen Studien wurde gezeigt, dass Patienten mit Delir länger hospitalisiert werden müssen und häufiger Komplikationen wie zum Beispiel Pneumonie, Stürze und Dekubitus entwickeln. Das führt entsprechend zu mehr Kosten. Menschen, die ein Delir haben, treten häufiger in eine Pflegeinstitution ein, sterben häufiger im Spital oder in den ersten 12 Monaten nach dem Spitalaufenthalt und entwickeln häufiger eine Demenz (4, 5).
Diagnosekriterien für ein Delir Ein Delir wird am besten anhand der klinischen Kriterien nach DSM-5-TR diagnostiziert (6). Leitsymptom ist dabei die Störung der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins. Dabei gilt ein Mensch, der zum Beispiel logorrhoisch und vorbeiredend ist und konfabuliert und mit dem, trotz erhaltener Wachheit, kein konklusives Gespräch möglich ist, als nicht kontaktierbar und somit mit schwerer Aufmerksamkeitsstörung. Zu den weiteren Diagnosekriterien nach DSM-5 zählen der rasche Beginn (innerhalb von wenigen Stunden bis Tagen) sowie die Fluktuationen über den Tagesverlauf. Patienten mit Delir können eine Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen, insbesondere des Gedächtnisses oder der Exekutivfunktionen, aufweisen. Daher weist auch das DSM-5 darauf hin, dass andere mögliche Ursachen, die dieses Störungsbild erklären könnten – in der Neurologie zum Beispiel ein Schlaganfall oder ein dyskognitiver epileptischer Anfall
– ausgeschlossen werden müssen. Einem Delir liegt zudem immer eine somatische Ursache und/oder ein Substanzgebrauch oder -entzug zugrunde (Abbildung 1). Nicht in den Diagnosekriterien nach DSM-5-TR erwähnt sind weitere Symptome, die häufig bei Patienten mit Delir auftreten. Diese Symptome sind es, die im Allgemeinen zur Notwendigkeit einer medikamentösen symptomatischen Therapie führen. Hierbei handelt es sich zum Beispiel um eine Störung des zirkadianen Rhythmus mit Tag-Nacht-Umkehr, Unruhe und Agitation sowie Wahrnehmungsstörungen. Bei Wahrnehmungsstörungen kann es sich um Fehlinterpretationen, Illusionen oder Halluzinationen handeln. Diese können zum Beispiel als Angst, Reizbarkeit, Depression sowie Aggressivität sichtbar werden. Wobei Aggressivität häufig eine direkte Folge von Angst bzw. Überforderung des Patienten ist. Auch Halluzinationen und Fehlinterpretationen können aggressives Verhalten bei Patienten auslösen.
Basismassnahmen zur Behandlung eines Delirs Die Basis jeder Behandlung eines Patienten mit Delir besteht zum einen aus der Diagnostik und Behandlung der auslösenden somatischen Ursache, wie Harnwegsinfekt, Sepsis, Hirnschlag oder von Schmerzen. Zum anderen aus den nicht medikamentösen Massnahmen, die im Artikel «Evidenzbasierte Multikomponenten-Prävention und Behandlung des Delirs» in dieser Ausgabe ausführlich beschrieben werden.
Medikamentöse Behandlung von Symptomen eines Delirs Im Folgenden werde ich auf Medikamente eingehen, die in der Schweiz häufig zur Behandlung von oben genannten Symptomen des Delirs eingesetzt werden. Für alle diese Medikamente und auch solche, die in diesem Artikel nicht behandelt werden, gilt, dass die Studienlage im besten Fall sehr heterogen ist, meist jedoch negativ bei insgesamt leider sehr vielen methodisch unzureichend durchgeführten Studien. Alle Medikamente, ausser Haloperidol, die wir zur Behandlung des Delirs einsetzen, werden in der Schweiz «off-label» verwendet. Sie sollten nur als Ultima Ratio zur Behandlung oben genannter Symptome eingesetzt werden, wenn
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Störung der Aufmerksamkeit und
des Bewusstseins
Kognitive Funktionen beeinträchtigt
Delir
Rascher Beginn, fluktuierender Tagesverlauf
Tag-NachtUmkehr
Trazodon
Störungsbild kann nicht anders erklärt
werden
Somatische Ursache oder
Substanzgebrauch/Entzug
Abbildung 1: Diagnosekriterien des Delirs gemäss DSM-5 (mod. nach [6])
Quetiapin
Aggressive Durchbrüche
Unruhe
Risperidon
Wahnhaftes Erleben
Angst
Halluzinationen
Haloperidol
Abbildung 2: Medikationsvorschlag je nach Symptomausprägung (Grafik: I. Glaser)
nicht medikamentöse Massnahmen ausgeschöpft wurden und/oder eine starke Eigen-/oder Fremdgefährdung vorliegt. Halluzinationen sollten nur behandelt werden, wenn sie für den Patienten belastend sind. Wichtig ist zu beachten, dass allein die Diagnose Delir nicht zur automatischen, unreflektierten Verordnung einer Medikation führen darf. Alle in der Akutphase zur Behandlung von Symptomen eines Delirs eingesetzten Medikamente müssen vor Austritt aus dem Spital wieder abgesetzt werden. In Abbildung 2 finden ist ein Vorschlag zur medikamentösen Behandlung von relevanten Symptomen eines Delirs abgebildet. Dies sind die am häufigsten bei uns auf der DelirUnit (7) eingesetzten Medikamente, davon Haloperidol am seltensten und Trazodon in niedriger Dosierung am häufigsten. Bei den aufgeführten Symptom-Medikamenten-Konstellationen handelt es sich nicht um die Indikationen gemäss Fachinformation.
Haloperidol Haloperidol (seit 1958 auf dem Markt) ist das am besten untersuchte Medikament in Bezug auf die Behandlung von Patienten mit Delir. Es wurde in zahlreichen Studien (randomisiert kontrollierte Studien [RCT] und non-RCT) in verschiedenen Settings (beatmete und nicht beatmete Patienten auf der Intensivstation, Normalstation), bei verschiedenen Patientengruppen (geriatrisch, postoperativ, palliative etc.) und bei verschiedenen Formen des Delirs (hyperaktiv, hypoaktiv) untersucht. Haloperidol wurde mit Plazebo und mit anderen Medikamenten verglichen. Die Datenlage ist sehr heterogen, jedoch
lässt sich sagen, dass Haloperidol die Symptome eines Delirs (insbesondere Agitation, Aggression und psychotische Symptome/Halluzinationen) zu verbessern scheint, jedoch nicht zu einem besseren Outcome der Patienten in Bezug auf Mortalität, Beatmungs- und Hospitalisationsdauer und Entwicklung von Komplikationen führt. 2022 wurden Daten aus dem AID-ICU Trial veröffentlicht (8). Auch wenn diese gut gemachte randomisierte, plazebokontrollierte Studie bei 1000 Delirpatienten in 16 Intensivstationen in Europa in seinem primären Endpunkt (Überleben 90 Tage nach Entlassung) negativ war, konnte sie dennoch zeigen, dass Haloperidol zu wenig Nebenwirkungen (2,2%) führte und insgesamt gut vertragen wurde. Zudem war der sekundäre Endpunkt, relatives Risiko für Tod innerhalb von 90 Tagen nach Entlassung, positiv. Dies jedoch im Gegensatz zu MINDUSA, einer ähnlichen Studie mit Haloperidol versus Ziprasidon, die wahrscheinlich zu wenige Patienten (n = 566) eingeschlossen hatte (9). Beide Studien habe ihre Limitationen, so zum Beispiel viele Patienten mit hypoaktivem Delir (55% AID-ICU und 90% MIND-USA) sowie die diskussionswürdige Definition des Outcomes (Mortalität, Verkürzung der Hospitalisationsdauer), zumal Haloperidol von den meisten Medizinern nicht zur Verbesserung der Mortalität, sondern zur Behandlung von Symptomen des Delirs gegeben wird. Leider wurde in der Haloperidolgruppe von AID-ICU genauso häufig eine Rescuemedikation benötigt wie in der Plazebogruppe. Das stellt die Wirksamkeit auf die Symptome des Delirs wieder in Frage. Somit werfen diese beiden Studien, wie auch alle anderen mit Haloperidol, mehr Fragen auf, als sie beantworten. Somit ergibt sich leider erneut die Feststellung, dass weitere gut gemachte Studien zu diesem Thema notwendig wären. Hinzu kommt, dass Daten, die bei Patienten auf der ICU erhoben wurden, nicht ohne weiteres auf Patienten in anderen Settings übertragen werden können. Haloperidol ist in der Schweiz zur Akutbehandlung des Delirs zugelassen, wenn andere nicht pharmakologische Massnahmen versagt haben. Das Medikament ist in Form von Tabletten, als Lösung zum Einnehmen und als Injektionslösung verfügbar, Letztere ist jedoch nur noch zur intramuskulären Injektion zugelassen. Wird es dennoch intravenös angewendet, muss dies unter kontinuierlicher EKG-Überwachung stattfinden. Kontraindikationen sind unter anderem ein bekanntes Parkinson-Syndrom oder eine Demenz bei Lewy-Body-Krankheit sowie ein akutes kardiales Problem (Myokardinfarkt oder dekompensierte Herzinsuffizienz). Haloperidol macht zahlreiche Interaktionen mit anderen Arzneimitteln; insbesondere ist es in Kombination mit Arzneimitteln, die das QTc-Intervall verlängern, kontraindiziert. Unerwünschte Wirkungen wie extrapyramidalmotorische Symptome oder ein Harnverhalt sowie Sehstörungen sind häufig. Vorschläge zur Dosierung sind in Abbildung 3 aufgeführt. Wir setzen Haloperidol bei akut psychotischem Zustandsbild im Rahmen eines Delirs sowie stärksten Agitationszuständen ein.
Risperidon Auch zur Verwendung von Risperidon bei Patientenen mit Delir gibt es zahlreiche Studien im Vergleich mit anderen Antipsychotika. Insgesamt scheint Risperidon die
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Abbildung 3:
Dosierungsvorschläge
Medikament Dosierung
Haloperidol 2 mg/ml Lösung
bis zu 3 × 5 Tropfen/Tag
Haloperidol 5 mg/ml Injektionslösung
einmalige Gabe i. m. bei starker Agitation, danach weiter oral
Risperidon 1 mg/ml Lösung
Beginn mit 1 × täglich 0,5 ml, gegebenenfalls steigern auf 3 × 0,5 ml
Quetiapin 25 mg Tabletten
1 bis 2 × täglich 1/2 bis 1 Tablette nachmittags/abends
Trazodon 50 mg Tabletten
1 Tablette abends (ca. 20 Uhr), gegebenenfalls alle 3 Tage um 50 mg
steigern
Dauer der Delirsymptome zu verkürzen und eine mit anderen Antipsychotika (z. B. Haloperidol, Olanzapin) vergleichbare Wirkung zu haben. Eine grosse Studie verglich Risperidon mit Haloperidol oder Plazebo bei Patienten (n = 247) im palliativen Setting (10). Patienten mit unangemessenem Verhalten, unangepasster Kommunikation oder Halluzinationen erhielten eine der drei Interventionen. Die Patienten in einer der beiden Verumgruppen hatten während der gesamten Intervention ein schwereres Delir und benötigten mehr Rescuemedikation (Midazolam) als jene der Plazebogruppe. Erneut stellt sich nach dieser Studie die Frage nach der Wirksamkeit von Risperidon wie auch Haloperidol in der Behandlung von Patienten mit Delir in diesem Setting. Risperidon ist in der Schweiz als Tabletten oder Lösung erhältlich. Es ist zur vorübergehenden Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten bei Menschen mit Alzheimer-Krankheit sowie zur Behandlung von Schizophrenie und psychotischen Symptomen zugelassen. Wir verwenden niedrig dosiertes Risperidon (Abbildung 3) bei Patienten mit Delir, die ein wahnhaftes Erleben haben, mit gutem Erfolg, aber auch bei solchen mit aggressiven Durchbrüchen erzielen wir gute Ergebnisse. Insgesamt ist Risperidon deutlich besser verträglich im Hinblick auf extrapyramidalmotorische Symptome als Haloperidol. Es bestehen die gleichen Kontraindikationen.
Quetiapin Quetiapin ist wahrscheinlich das auf der Normalstation am häufigsten eingesetzte Medikament zur Behandlung von Symptomen eines Delirs. Es ist in der Schweiz zur Behandlung von Schizophrenie und bipolaren Störungen zugelassen und ist in den Dosierungen, die im Allgemeinen zur Behandlung bei Delir verwendet werden, gut verträglich. Insbesondere bei älteren Patienten führt es jedoch zu einer relevanten Blutdrucksenkung, die Stürze begünstigen kann. Zudem kann es recht sedierend wirken. Quetiapin kann auch zur Behandlung bei Patienten mit Parkinsonsyndromen eingesetzt werden, da es nur selten extrapyramidalmotorische Symptome verursacht. Auch Quetiapin wurde in vielen Studien an unterschiedlichen Patientenpopulationen untersucht. Leider haben diese Studien alle nur wenige Teilnehmer. Insgesamt scheint Quetiapin die Dauer und den Schweregrad eines Delirs zu reduzieren, jedoch ohne Effekt auf andere Outcomes wie zum Beispiel die Kognition. Wir setzen Quetiapin aufgrund seiner sedierenden Wirkung
vor allem nachmittags und abends ein – auch zur Unterstützung des Tag-Nacht-Rhythmus.
Melatonin Ziel des Einsatzes von Melatonin bei Delir ist die Normalisierung des Schlaf-Wach-Rhythmus. Hierbei sind keine relevanten Nebenwirkungen zu erwarten, was dieses Medikament zu einer eleganten Lösung macht. Es gibt mittlerweile einige Studien zur Behandlung von Menschen mit Delir, die jedoch keine überzeugenden Ergebnisse lieferten (11). Der Einsatz kann daher aktuell nicht empfohlen werden. Wir setzten Melatonin aufgrund der geringen zu erwartenden Wirkung nur sehr selten bei Schlafstörungen ein.
Alpha-2 Agonisten (Dexmedetomidin und Clonidin) Dexmedetomidin (Zulassung 2011) hat eine sedierende, analgetische und angstlösende Wirkung und führt zu einer Sedierung mit guter Weckbarkeit. Das Medikament wird kontinuierlich intravenös auf Intensivstationen zur Sedierung eingesetzt und ist mittlerweile sehr gut untersucht. Es konnte im Vergleich zur Sedation mit Propofol, Midazolam oder der Gabe von Haloperidol sowie im Vergleich zu Plazebo sehr gute Ergebnisse vorweisen (12, 13). So wurde die Beatmungsdauer verkürzt, der Bedarf an Antipsychotika wurde reduziert und die Dauer von Delirien wurde verkürzt. Dexmedetomidin wird auch zur flachen Sedierung auf Überwachungsstationen eingesetzt, benötigt jedoch eine kontinuierliche Überwachung der Herz-Kreislauf-Funktionen aufgrund von unerwünschten Wirkungen wie Bradykardie und Hypotonie. In der SPICE-III-Studie zeigte sich zudem eine erhöhte Mortalität bei medizinischen Patienten unter 65 Jahren mit tiefer Sedation auf der Intensivstation, wobei kritisch kranke Patienten über 65 Jahre (unabhängig ob postoperativ oder medizinisch) einen Überlebensvorteil hatten (14). Wie alle anderen Medikamente ausser Haloperidol ist es nicht zur Behandlung von Delir zugelassen. Die Datenlage zu Clonidin ist recht übersichtlich. In einer kleinen Studie bei geriatrischen Patienten konnte im Vergleich zu Plazebo kein Unterschied in Bezug auf die Dauer des Delirs, der Länge des Spitalaufenthalts und der Anwendung von Rescuemedikation gezeigt werden. Die Studie wurde aufgrund von geringer Rekrutierung vorzeitig abgebrochen (15). Clonidin kann zwar oral als Tablette verabreicht werden, führt aber ebenfalls zu relevanten Nebenwirkungen wie Hypotonie und Bradykardie, was gerade bei geriatrischen Patienten eine hohe Relevanz hat.
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Acetylcholinesterasehemmer Rivastigmin (2-mal täglich oral) wurde in zwei randomisierten plazebokontrollierten Studien (n = 104 und n = 15) untersucht. Die grössere der beiden Studien, in der Rivastigmin zusätzlich zur üblichen Therapie mit Haloperidol versus Plazebo bei Erwachsenen auf der Intensivstation verglichen wurde, musste vorzeitig abgebrochen werden. In der Zwischenanalyse zeigte sich eine Tendenz zur längeren Dauer des Delirs, schwererem Delir und höherer Mortalität in der Rivastigmingruppe im Vergleich zur Plazebogruppe. Zudem benötigten die Patienten in der Rivastigmingruppe mehr Haloperidol, Lorazepam und Propofol und waren signifikant länger im Koma (16). Im Gegensatz dazu konnte die kleinere Studie an hospitalisierten Menschen über 65 Jahre eine Reduktion des Schweregrades des Delirs, eine höhere Rate von Verbesserung des Delirs und geringere Raten von Spitalmortalität zeigen (17). Hierbei handelte es sich um eine Pilotstudie (2010) mit nur 15 Patienten. Zu einer Folgestudie ist es bisher nicht gekommen. Acetylcholinesterasehemmer haben ihre Indikation weiterhin in der Behandlung von Demenzen bei Alzheimer-Krankheit oder Morbus Parkinson. Sie sind als Tabletten, Lösung oder Patch erhältlich. Häufige unerwünschte Wirkung ist eine Urininkontinenz. Ausserdem können sie zu Unruhe führen, was insbesondere bei Therapiebeginn oder nach Steigerung der Dosierung zu beachten ist.
Benzodiazepine Die einzige Indikation zum Einsatz von Benzodiazepinen bei Delir besteht für die Behandlung eines Alkoholoder Benzodiazepinentzugs. Bei bekanntem Alkoholabusus sollten Benzodiazepine auch schon prophylaktisch eingesetzt werden. Es konnte gezeigt werden, dass die i. v.-Gabe von Lorazepam ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung eines Delirs auf der Intensivstation ist (18). Für alle anderen Settings zum Beispiel postoperatives Delir oder Delir bei geriatrischen Patienten auf normalen Bettenstationen liegen keine belastbaren Daten vor. Auf Basis der aktuellen Datenlage können Benzodiazepine nicht zur Behandlung eines Delirs empfohlen werden (19). Neben Sedation und Steigerung des Sturzrisikos können Benzodiazepine paradoxe Reaktionen hervorrufen. Zudem treten eine rasche Abhängigkeit sowie Toleranzentwicklung auf. Benzodiazepine haben jedoch den Vorteil, dass sie oral als Tablette, i. v. oder auch als Nasenspray gegeben werden können. Sie behandeln jedoch
Merkpunkte:
● Es gibt keine belastbare Evidenz zur medikamentösen Behandlung von Symptomen eines Delirs.
● Ausser Haloperidol sind alle Medikamente, die wir dafür einsetzen, «off-label». ● Medikamente, die zur Behandlung von Symptomen eines Delirs eingesetzt
werden, müssen nach Abklingen des Delirs wieder ausgeschlichen bzw. gestoppt werden. ● Die Basis jeder Delirbehandlung besteht in der Umsetzung nicht medikamentöser Massnahmen und der Behandlung der zugrunde liegenden Ursache.
meist nicht die Ursache einer ausgeprägten Agitation (Halluzinationen, wahnhaftes Erleben), sondern wirken über ihren sedierenden und allenfalls angstlösenden Effekt.
Trazodon Wir verwenden Trazodon häufig bei gestörtem TagNacht-Rhythmus sowie Hinweisen auf Angst. Meist reicht eine Dosierung von 50 mg abends aus. Auch bei Unruhe verwenden wir dieses Medikament in Reserve und erzielen damit gute Ergebnisse. Belastbare Evidenz gibt es auch für dieses schlafanstossende Antidepressivum nicht (20). Trazodon ist in der Schweiz zur Behandlung von Depression mit und ohne Angst zugelassen. Eine sehr häufige Nebenwirkung ist Mundtrockenheit. Obwohl es schlafanstossend und entspannend wirkt, hat es keine sedierende Wirkung und führt im Allgemeinen nicht zur Steigerung des Sturzrisikos wie Benzodiazepine oder Quetiapin.
Schlussfolgerung
Die Evidenz zur medikamentösen Behandlung des De-
lirs ist leider sehr heterogen und aufgrund der Daten-
lage können nur sehr vage Empfehlungen abgegeben
werden. Bei allen in Empfehlungen oder Leitlinien zu
Medikamenten vorkommenden Empfehlungen handelt
es sich um Expertenmeinungen. Wir als behandelnde
Ärztinnen und Ärzte müssen uns darüber im Klaren sein,
dass wir Symptome des Delirs behandeln und nicht das
Delir als Syndrom. Dabei sollten wir in erster Linie die
Symptome identifizieren, die dem Patienten am meis-
ten Probleme machen und diese dann mit einem ent-
sprechenden Medikament behandeln. Dabei ist es
wahrscheinlich gleichgültig, welches Antipsychotikum
wir zur Behandlung von psychotischen Symptomen
oder Halluzinationen anwenden – alle zugelassenen
Antipsychotika wirken gegen diese Symptome. Wir soll-
ten die Auswahl des geeigneten Medikaments am Inter-
aktions- und Nebenwirkungspotenzial des einzelnen
Patienten festmachen wie auch an unseren Erfahrungen
mit den Medikamenten, die wir einsetzen. Von der Vor-
stellung, dass ein Medikament (z. B. Haloperidol) alle mit
einem Delir assoziierten Probleme auf einen Schlag löst,
sollten wir uns verabschieden. Ausserdem sollten wir
uns bewusst sein, dass viele zur Behandlung eines Delirs
eingesetzten Medikamente ab einer gewissen Menge
sedierend wirken und die «Beruhigung» wahrscheinlich
durch die Sedierung einsetzt – ohne dass zum einen das
Symptom wirklich behandelt ist und leider auch nicht
die Ursache des Delirs. Alle eingesetzten Medikamente
können zudem selbst ein Delir auslösen oder verstärken,
sodass es bei prolongiertem Delir mitunter sinnvoll sein
kann, einen «Drug Holiday» zu wagen.
l
Korrespondenzadresse: Dr. med. Isabella Glaser Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER
Burgfelderstrasse 101 4055 Basel
isabella.glaser@felixplatter.ch
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