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EDITORIAL
Kennen Sie die State-of-the-Art Prävention und Behandlung von Delirien?
I n den letzten Jahren wurden jährlich zirka 2000 Artikel zum Thema Delir auf Pubmed veröffentlicht, Tendenz steigend: In diesem Jahr (bis zum 8.4.2024) sind es bereits 724 Artikel. Das zeigt, dass das Syndrom Delir uns nicht nur als Kliniker beschäftigt, sondern auch in der Wissenschaft hochpräsent ist. Das Delir ist vor allem im Spital ein sehr häufiges neuropsychiatrisches Krankheitsbild. Dabei beschäftigt das Delir nicht nur Neurologen oder Psychiater, sondern jeden Arzt, egal welcher Fachrichtung, und auch jede andere im Spital tätige Profession. Obwohl gezeigt werden konnte, dass die Edukation, die Detektion und somit auch die Behandlung eines Delirs verbessert (1), kommt das Delir als Krankheitsbild im Medizinstudium nur am Rand vor – und das, obschon wahrscheinlich jeder klinisch tätige Arzt im Nachtdienst mit Patienten mit einem Delir konfrontiert wird. Es obliegt jeder Klinik, manchmal sogar jeder Abteilung, selbst einen Standard zur Versorgung von Menschen mit Delir zu implementieren und seine Durchführung zu überwachen. Entsprechend heterogen ist die Versorgung von Patienten mit einem Delir. In vielen Häusern ist es jedoch Usus, Patienten mit Delir zur Sedation auf die IMC oder IPS zu verlegen. Diese Verzweiflungstat ist Folge fehlender Prävention sowie Früherkennung eines Delirs und daraus resultierender Eskalation der Situation mit Überforderung des Teams mit dem herausfordernden Verhalten der Patienten. Ein Patient, der wegen eines Delirs auf eine Überwachungsstation verlegt werden muss, stellt eine Fehlbelegung auf dieser Station dar und führt zudem zu hohen Kosten. Die Umgebung auf einer Überwachungsstation triggert das Delir zudem weiter. Die optimale Versorgung eines Patienten mit Delir sollte aktuell eine Multikomponentenstrategie sein, deren Basis immer die Suche nach dem auslösenden Faktor (z. B. Infekt) und dessen Behandlung (z. B. antibiotische Therapie einer Pneumonie) sein muss. Risiko- und Triggerfaktoren eines Delirs sollten aktiv gesucht und präventiv behandelt werden. Das beinhaltet zum Beispiel abführende Massnahmen bei Obstipation oder die Einlage eines Dauerkatheters
Foto: zVg
bei Harnverhalt. Die klassischen nicht-pharmakologischen
Interventionen, beispielsweise eine angepasste Gestaltung
der unmittelbaren Umgebung, sowie eine angepasste Inter-
aktion und Kommunikation müssen immer Bestandteil der
Behandlung von Menschen mit Delir sein, egal in welchem
Setting. Siehe hierzu auch Artikel «Evidenzbasierte Multikom-
ponenten Prävention und Behandlung des Delirs».
Wir in der Universitären Altersmedizin FELIX PLATTER haben
uns 2020 entschlossen, in der Versorgung von Menschen mit
Isabella Glaser
einem Delir neue Wege zu gehen und die DelirUnit eröffnet.
In dieser Abteilung liegt der Schwerpunkt auf eben jener Multikomponenten Strategie zur
Behandlung des Delirs mit einem rigerosen Fokus auf die evidenzbasierten nicht-pharma-
kologischen Massnahmen. Natürlich setzen auch wir Medikamente zur Behandlung von
Symptomen des Delirs ein, wenn diese indiziert sind.
Leider ist die Evidenz für eine medikamentöse Behandlung von Symptomen eines Delirs
sehr schwach – siehe hierzu Artikel «Medikamentöse Behandlung von Symptomen des
Delirs» in dieser Ausgabe. Wie erwähnt werden sehr viele Artikel inklusive Studien mit Me-
dikamenten, Metaanlaysen etc. veröffentlicht. Enttäuschenderweise sind jedoch die meis-
ten dieser Studien nicht ausreichend gepowert oder handwerklich schlecht gemacht.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Definition der richtigen Outcomeparameter
für Studien, in Bezug auf die medikamentöse Behandlung von einem Delir, kontrovers ist.
Ausgehend davon, dass es sich bei allen bisher auf dem Markt befindlichen Medikamenten
um symptomatische Therapien handelt, wäre als primärer Endpunkt die Besserung der
Symptome des Delirs logisch. Als sekundärer Endpunkt dann zum Beispiel Mortalität,
Länge des Spitalaufenthalts und in Bezug auf die Lebensqualität vor allem auch das funk-
tionelle Outcome (z. B. Kognition, Selbständigkeit in den ADL). Jeder Studienleiter definiert
jedoch naturgemäss seine eigenen Endpunkte. Hinzu kommt, dass Studienergebnisse, die
zum Beispiel bei Patienten der Intensivstation erhoben wurden, nicht auf andere Patienten-
gruppen übertragen werden können.
Eine vorbestehende neurokognitive Störung ist einer von vielen Risikofaktoren für ein Delir,
umgekehrt stellt ein Delir ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenz dar (2). Be-
stehen eine fortgeschrittene Demenz oder behaviorale und psychologische Symptome
einer Demenz (BPSD), kann es manchmal schwierig sein, diese von einem Delir abzugren-
zen. Manchmal sind die Übergänge zwischen einem Delir und BPSD fliessend. Hierauf geht
der Artikel «Abgrenzung Delir zu behavioralen und psychischen Symptomen bei Demenz
(BPSD)» in dieser Ausgabe ein.
Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre des aktuellen Schwerpunkts «Delir» in dieser Ausgabe.
Dr. med. Isabella Glaser Leitende Ärztin Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER Burgfelderstrasse 101, 4055 Basel E-Mail: isabella.glaser@felixplatter.ch
Referenzen: 1. Tabet N et al.: An educational intervention can
prevent delirium on acute medical wards. Age Ageing, 2005;34(2): 152-156. 2. Fong TG et al.: The inter-relationship between delirium and dementia: the importance of delirium prevention. Nat Rev Neurol, 2022;18(10):579-596.
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
3/2024