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FORTBILDUNG
Akuter ischämischer Schlaganfall bei Patienten mit Tumorerkrankungen
Krebserkrankungen und Schlaganfälle zählen zu den häufigsten Ursachen für Morbidität und Mortalität in der westlichen Welt. Patienten mit Krebs haben ein erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse mit einem häufiger schlechten neurologischem Outcome und erhöhter Mortalität (1, 2). Die zugrundeliegenden Pathophysiologien und behandelbaren Ursachen sind nur unvollständig verstanden und Gegenstand aktueller Forschung.
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Katharina Seystahl
von Katharina Seystahl
Prävalenz Die Prävalenz von Krebs in den USA bei Patienten, die mit einem akuten Schlaganfall hospitalisiert wurden, ist von 1997 bis 2006 von zirka 9 auf 11 Prozent angestiegen (3). Eine aktive Krebserkrankung bei Patienten mit akutem ischämischen Schlaganfall besteht bei etwa 5 bis 6 Prozent der Patienten (4–6). Die Definition einer aktiven Krebserkrankung variiert jedoch in der Literatur innerhalb der meist retrospektiven Analysen und Kohortenstudien, was die Vergleichbarkeit der Resultate erschwert. Meist wird eine aktive Krebserkrankung wie folgt definiert: Diagnose der Neoplasie und/oder Metastase und/oder Rezidiv eines bekannten Malignoms und/oder laufende Tumorbehandung innerhalb von 6 Monaten (4, 5, 7) oder innerhalb von 12 Monaten (6, 8, 9) vor dem Schlaganfall oder jegliche Neudiagnose einer Krebserkrankung innerhalb von 5 Jahren vor dem Schlaganfall (2). Gemäss einer populationsbasierten Analyse ist das Risiko für einen Schlaganfall während bis zu 10 Jahren nach Krebsdiagnose höher als in der Vergleichspopulation ohne Krebs (10). Das Risiko für einen Schlaganfall ist insbesondere in den 6 Monaten nach einer Krebsdiagnose erhöht, aber auch bereits 6 Monate davor (1). Eine historische Studie mit Autopsiedaten von 3426 Krebspatienten zeigte zerebrovaskuläre Läsionen, das heisst Hämorrhagien oder ischämische Infarkte bei 500 Patienten (14,6%), wobei bei fast der Hälfte der Patienten der Schlaganfall klinisch stumm war (11). Die Häufigkeit einer okkulten Krebserkrankung bzw. Neudiagnose einer Krebserkrankung im Rahmen der Abklärung des Schlaganfalls oder innerhalb der darauffolgenden Monate liegt zwischen 1 und 3 Prozent, wobei in Studien mit einem Screening nach einer Neoplasie die Inzidenz
mit zirka 4 Prozent höher war (12). Diese Daten können darauf hinweisen, dass okkulter Krebs im Kontext eines akuten Schlaganfalls unterdiagnostiziert ist. Ein systematisches Screening nach okkultem Krebs ist bis anhin noch nicht in der klinischen Routine etabliert und setzt geeignete Biomarker bzw. die Identifikation von spezifischen Patientencharakteristika voraus.
Pathophysiologien und Charakteristika des krebsassoziierten Schlaganfalls Um Patienten mit einem krebsassoziierten Schlaganfall bzw. mit einer potenziell okkulten Krebserkrankung im Kontext eines akuten ischämischen Schlaganfalls zu erkennen und damit optimal behandeln zu können, ist ein Verständnis zu möglichen Pathophysiologien nötig. Bei den Ursachen für ein höheres Schlaganfallrisiko bei Krebspatienten ist zum einen ein überlappendes Risikoprofil von klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren wie Alter, Rauchen und Adipositas zu nennen, die auch mit einem höheren Krebsrisiko assoziiert sind. In einer aktuellen Übersichtsarbeit wird eine Klassifikation für spezifische Schlaganfallätiologien im Kontext einer Krebserkrankung vorgeschlagen. Hierbei wird unterschieden zwischen Mechanismen, die durch die Neoplasie selbst bedingt sind (krebsspezifisch), bzw. die auf die tumorspezifische Therapie(n) oder auf diagnostische Prozeduren im Kontext der Tumorerkrankung zurückzuführen sind (5, 13). Eine strukturierte ätiologische Zuordnung von möglichen krebsassoziierten Schlaganfallätiologien kann hilfreich sein für die Planung von zukünftigen Studien, aber auch für die systematische Identifikation von Risikofaktoren von Patienten mit krebsassoziiertem Schlaganfall. Eine (endogene) tumorassoziierte Hyperkoagulabilität, laborchemisch häufig mit erhöhten D-Dimeren einher-
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gehend, wurde in mehreren Studien als Biomarker und möglicher Mechanismus für den krebsassoziierten Schlaganfall vorgeschlagen (4, 6–8, 14). Die Ursachen der tumorassoziierten Hyperkoagulabilität sind noch unvollständig verstanden, verschiedene Faktoren und Biomarker wie «tissue factor», proinflammatorische Zytokine, extrazelluläre Vesikel aus Tumorzellen und/oder Thrombozyten oder extrazelluläre Faktoren aus neutrophilen Granulozyten, sogenannte «neutrophil extracellular traps», wurden vorgeschlagen (15, 16). Ein mögliches bildgebendes Korrelat einer tumorassozierten Hyperkoagulabilität sind ischämische Läsionen in mehreren Gefässversorgungsgebieten, dies insbesondere in Abwesenheit einer kardioembolischen Schlaganfallursache respektive beim kryptogenen Schlaganfall (7, 14, 17). Bei Patienten mit einem «embolic stroke of unknown source» (ESUS), definiert als nicht lakunärer Schlaganfall unbekannter Ursache in Abwesenheit einer kardialen Emboliequelle oder atherosklerotischen Ursache nach erfolgten Standardablärungen (18), liegt in zirka 9 Prozent der Fälle eine Krebserkrankung vor (19). In der Literatur sind eine Vielzahl an weiteren Konstellationen beschrieben, die mit Krebs im Kontext eines stattgehabten Schlaganfalls assoziiert sind. Allerdings divergieren die Resultate der meist retrospektiven monozentrischen Analysen, und Validierungen in unabhängigen Kohorten fehlen häufig. Parameter, die bei Schlaganfallpatienten gemäss mehrerer Studien mit dem Vorliegen einer Krebserkrankung assoziiert sind, sind unter anderem erhöhte Entzündungsparamter wie C-reaktives Protein (CRP) oder Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) (2, 6, 7, 9, 17), erniedrigtes Hämoglobin (2, 6) sowie eine Vorgeschichte mit venöser Thromboembolie (2, 14, 20, 21). Als weitere krebsspezifische mögliche Schlaganfallätiologie wird die direkte Invasion von Blutgefässen durch einen Tumor bzw. das Konzept der «tumor embolisation» vorgeschlagen (5, 22). Das scheint jedoch eine eher seltene Konstellation zu sein: In einer monozentrischen Studie mit histopathologischer Aufarbeitung der Thromben nach erfolgter interventioneller Thrombektomie nach einem Schlaganfall wurde bei nur bei einem von 32 Krebspatienten der Nachweis von Tumorzellen im Thrombus erbracht (23). Exogene Faktoren, die zu einem erhöhten Risiko für einen Schlaganfall bei Krebspatienten beitragen können, sind tumorspezifische Therapien oder die Diagnostik (5, 13). Bei einigen medikamentösen Tumortherapien ist ein erhöhtes Schlaganfallrisiko bzw. Risiko für arterielle thrombembolische Komplikationen bekannt, darunter insbesondere Immuntherapien, Tyrosinkinaseinhibitoren, Hormontherapien und antiangiogene Therapien wie Bevacizumab (24). Manche Chemotherapien wie Anthrazykline, aber auch Immuntherapien und Strahlentherapie haben ein Risiko für kardiale oder vaskuläre Toxizität und können so indirekt das Schlaganfallrisiko erhöhen (13, 24, 25).
Akuter ischämischer Schlaganfall und okkulte Krebserkrankung: Ist ein Screening nötig oder sinnvoll? Da eine okkulte Krebserkrankung als mögliche Ätiologie bei Patienten mit kryptogenem Schlaganfall angesehen wird und das Schlaganfallrisiko sowohl zirka 6 Monate
nach einer Krebsdiagnose, aber auch bereits 6 Monate vorher erhöht ist (1), stellt sich die Frage, ob eine systematische Suche nach einer okkulten Krebserkrankung im Sinn eines Screenings sinnvoll wäre. Im klinischen Alltag ist ein systematisches Screening von Patienten mit entsprechendem Risikoprofil auf das Vorliegen einer Krebserkrankung im Kontext eines akuten Schlaganfalls bisher nicht etabliert. Ein Übersichtsartikel zur Frage nach Charakteristika und Prädiktoren im Hinblick auf eine okkulte bzw. zukünftige Krebserkrankung bei Patienten mit Schlaganfall analysierte 51 Studien; 26 dieser Studien wurden in eine Metaanalyse integriert. Hierbei wurden nur wenige Parameter in mindestens zwei Studien bestätigt, darunter höheres Alter, Rauchen, ischämische Läsionen in mehreren Gefässversorgungsgebieten, erniedrigtes Hämoglobin, erhöhtes CRP, D-Dimer oder Fibrinogen (12). Das illustriert die Heterogenität der verfügbaren meist kleinen und monozentrischen retrospektiven Studien und damit die Schwierigkeit, diese Resultate in Empfehlungen für den klinischen Alltag zu übertragen. Eine methodische Herausforderung für eine gute Studie zu diesem Thema ist die insgesamt geringe Häufigkeit einer okkulten Krebserkrankung bzw. Neudiagnose einer Krebserkrankung im Kontext eines Schlaganfalls im Bereich von 1 bis 3 Prozent, aber auch die Heterogeneität der Patientenpopulationen (12). Einige Autorengruppen haben Scores im Hinblick auf ein Screening zu einer okkulten Krebserkrankung vorgeschlagen. Basierend auf einer Kohorte von 1157 Patienten, mit 34 Patienten (3%), die eine Krebsdiagnose innerhalb von einem Jahr nach Schlaganfall erhielten, wurde ein 4-Punkte-Score aus erhöhten Leukozyten (> 9600/µl), erhöhten Thrombozyten (> 400 000/µl), D-Dimere ≥ 3 mg/l und Nachweis von ischämischen Läsionen in ≥ 2 Gefässterritorien in Abwesenheit einer kardioembolischen Ursache entwickelt. Eine ScoreSumme von mehr als 2 Punkten hatte in dieser Kohorte eine Sensitivität von 43 Prozent und Spezifität von 92 Prozent für die Diagnose von Krebs innerhalb eines Jahres (26). Ein weiterer Score («OCCULT-5»), der aus einer Kohorte von 1001 Patienten mit ischämischem Schlaganfall etabliert wurde, darunter 61 Patienten (6%) mit aktiver Krebserkrankung, besteht aus 5 Punkten: Alter ≥ 77 Jahre, ESUS, multiple ischämische Läsionen, DDimere ≥ 0,82 mg/l und weibliches Geschlecht. Hier war ein Score-Wert von mehr als 3 Punkten mit einer Sensitivität von 64 Prozent und Spezifität von 73 Prozent für das Vorliegen von okkultem Krebs assoziiert (4). In einer weiteren Kohorte (1646 Patienten, davon 82 Patienten [5%] mit Krebs) wurde ein Score aus D-Dimeren ≥ 3 mg/l, Hämoglobin ≤ 12,0 g/dL und aktivem bzw. stattgehabtem Rauchen vorgeschlagen, jedoch als Limitation diskutiert, dass dieser für Patienten unter 75 Jahre einen besseren prädiktiven Wert zeigt als für ältere Patienten (6). In einer retrospektiven Studie von 480 Patienten, bei welcher für 254 Patienten (53%) Angaben zu D-Dimeren verfügbar waren, wurde bei 49 Patienten (10%) eine Tumorsuche mittels Computertomografie von Thorax, Abdomen und Becken durchgeführt. Hierbei waren höhere D-Dimer-Werte mit einem krebsverdächtigen Befund in der Bildgebung assoziiert (27). Eine Anwendung der hier diskutierten Scores in der klinischen Routine ist limitiert, da eine Validierung in un-
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abhängigen prospektiven Kohorten fehlt. In der Schweiz ist derzeit eine prospektive, multizentrische Studie INVISIBLE-1 (NCT06100718) in der Rekrutierungsphase mit der Fragestellung der Inzidenz und der Merkmale von neu diagnostiziertem Krebs nach einem ischämischen Schlaganfall bei Risikopatienten mit ESUS und hohem D-Dimer-Spiegel (≥ 0,82 mg/l). Daten aus prospektiven Studien werden helfen, Patienten zu identifizieren, die von einem Screening hinsichtlich einer okkulten Krebserkrankung profitieren.
Akuttherapie des akuten ischämischen Schlaganfalls bei Patienten mit Krebs Aktuelle Leitlinien bezüglich der Akuttherapie von Patienten mit einem akuten Schlaganfall und Krebs basieren auf retrospektiven Studien bzw. registerbasierten Analysen sowie auf Expertenmeinungen, da ein bekanntes Malignom in prospektiven Studien meist ein Ausschlusskriterium ist. Gemäss einer Metaanalyse von 15 Publikationen und Konferenzbeiträgen von retrospektiven Studien zur Sicherheit der intravenösen Thrombolyse finden sich keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich von symptomatischen intrakraniellen Blutungen oder Mortalität zwischen Patienten mit oder ohne Krebs (28). Hingegen zeigt eine andere Metaanalyse ein höheres Risiko für eine symptomatische intrakranielle Blutung nach intravenöser Thrombolyse bei Schlaganfallpatienten mit Krebs, während eine endovaskuläre Behandlung nicht mit einem höheren Risiko einer symptomatischen intrakraniellen Blutung assoziiert war (29). In einer Registerstudie bei über 2000 Schlaganfallpatienten, die eine Akuttherapie zur Rekanalisation erhalten haben, davon 34 Prozent der Patienten mit intravenöser Thrombolyse, mit 41 Prozent mechanischer Thrombektomie allein und 25 Prozent mit kombinierter intravenöser Thrombolyse und Thrombektomie behandelt, war Krebs ein unabhängiger Prädiktor für ein sehr schlechtes Outcome, definiert als modifizierte Rankin-Skala (mRS) von 5 oder 6 Punkten nach 3 Monaten (30). Der Selektionsbias von retrospektiven Kohorten und Unterschiede in der Analysemethodik sind wahrscheinliche Ursachen für die diskrepanten Resultate in der Literatur. Gemäss der schweizerischer Leitlinien zur Akuttherapie von Patienten mit ischämischem Schlaganfall wird eine aktive extrakranielle systemische Krebserkrankung grundsätzlich nicht als eine klare Kontraindikation gegen eine intravenöse Thrombolyse gesehen. Bei gastrointestinalen Läsionen wird eine Rücksprache mit dem Behandler empfohlen (31). Gemäss der Leitlinie der European Stroke Organisation (ESO) sollte Krebs keine absolute Kontraindikation gegen eine intravenöse Thrombolyse darstellen, jedoch wird «Vorsicht» empfohlen (32). Die amerikanischen Leitlinien weisen auf die limitierte Datenlage bei Patienten mit systemischer Krebserkrankung hin und auf einen möglichen Benefit von intravenöser Thrombolyse bei Patienten mit extraaxialen intrakraniellen Neoplasmen und systemischer Krebserkrankung mit einer Lebenserwartung von mehr als 6 Monaten und dem Fehlen von anderen Kontraindikationen (33). Die Datenlage zu Risiko und Nutzen von intravenöser Thrombolyse bei Patienten mit Hirntumoren ist ebenso sehr limitiert. Gemäss der amerikanischen Leitlinien ist
eine intravenöse Thrombolyse bei intrakraniellen extraaxialen Tumoren wie Meningeomen wahrscheinlich indiziert, jedoch bei intraaxialen Tumoren wie hirneigene Tumoren und Hirnmetastasen kontraindiziert (33). Die schweizerischen Leitlinien sehen aktive bösartige intrakranielle Tumoren als Kontraindikation für eine Thrombolyse, während intrakranielle Tumoren in Remission als relative Kontraindikation gesehen werden und gutartige intrakranielle Tumoren keine Kontraindikation darstellen (31). Diese Leitlinien basieren vorwiegend auf kleinen Fallserien und Expertenmeinungen. In einer der Studien mit der grössten Fallzahl an Patienten mit intravenöser Thrombolyse und Hirntumoren war ein höheres Risiko für eine intrakranielle Blutung nach der Lyse bei malignen versus benignen Hirntumoren gezeigt worden, eine genauere Differenzierung der Hirntumoren oder Unterscheidung von symptomatischen versus asymptomatischen intrakraniellen Blutungen war in dieser Studie nicht verfügbar (34). Eine aktuelle multizentrische Studie screente 21 289 Patienten, die eine intravenöse Thrombolyse bei Verdacht auf einen akuten ischämischen Schlaganfall erhalten haben, darunter 105 Patienten mit intrakraniellen Tumoren (35). Bei Patienten mit verfügbarer computertomografischer (CT) oder magnetresonanztomografischer (MRT) Bildgebung nach Lyse (104 Patienten) lag bei 9 Prozent der Patienten eine symptomatische intrakranielle Blutung vor, darunter 4 Prozent mit letalem Ausgang. Die Häufigkeit der symptomatischen intrakraniellen Blutungen nach Lyse war je nach Tumorentität unterschiedlich: Unter den gemäss Bildgebung vermuteten oder histologisch bestätigten Meningeomen (82 Patienten) erlitten 7 Prozent eine symptomatische intrakranielle Blutung, 4 Prozent mit Todesfolge; unter den Patienten mit intraaxialen primären Hirntumoren oder Hirnmetastasen (18 Patienten) befand sich ein Patient (6%) mit symptomatischer intrakranieller Blutung nach Lyse. Die Anzahl der Patienten mit Tumoren im Bereich der Hypophyse in dieser Studie war gering, auffallend war jedoch die Häufigkeit an intrakraniellen Blutungen: 2 von 4 Patienten (50%) hatten eine symptomatische intrakranielle Blutung nach Lyse, darunter ein Patient (25%) mit letalem Ausgang (35). Intratumorale Einblutungen wurden bei 5 von 104 Patienten (5%), beobachtet, darunter 1 Patient mit Meningeom und 4 Patienten mit intraaxialen Tumoren. Nur in einem Fall, bei einem Patient mit Glioblastom, waren die Kriterien für eine symptomatische Blutung erfüllt (35).
Prognose und Outcome von Patienten mit ischämischen Schlaganfall und Krebs Eine Krebserkrankung stellt einen unabhängigen Risikofaktor für ein schlechtes Outcome nach ischämischem Schlaganfall dar. Das betrifft sowohl ein schlechteres neurologisches Outcome bzw. einen höheren Grad der Behinderung (mRS) nach Schlaganfall, ein höheres Risiko für ein sehr schlechtes Outcome bzw. Mortalität (mRS 5–6) nach rekanalisierenden Therapien, eine erhöhte 30-Tage-Mortalität als auch ein vermindertes Gesamtüberleben nach Schlaganfall (2, 17, 30). Auch wenn erhöhte laborchemische Entzündungszeichen bei Patienten mit Schlaganfall mit einer Krebserkrankung assoziiert sind und einen unabhängigen Risikofaktor für eine erhöhte Mortalität nach Schlaganfall
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Merkpunkte:
● Pathophysiologie: Charakteristika, Ursachen und Biomarker beim krebsassoziierten Schlaganfall sind Gegenstand aktueller Forschung. In mehreren Studien bei Schlaganfallpatienten wurden Assoziationen unter anderem von erhöhten D-Dimeren, Entzündungszeichen und ischämischen Läsionen in mehreren Gefässterritorien mit Krebs gezeigt.
● Schlechte Prognose: Patienten mit ischämischem Schlaganfall und Krebs haben ein höheres Risiko für ein schlechtes neurologisches Outcome, weniger Benefit von rekanalisierenden Therapieverfahren und eine erhöhte Mortalität als Schlaganfallpatienten ohne Krebs.
● Screening bezüglich einer okkulten Krebsererkrankung: Aktuell sind keine prospektiven Daten verfügbar, die eine systematische Suche nach einer Neoplasie im Kontext eines akuten Schlaganfalls in der klinischen Routine rechtfertigen. Auf Basis eines individuellen Vorgehens kann bei einem Schlaganfall ungeklärter Ursache und Vorliegen von mehreren Merkmalen, die auf eine okkulte Krebserkrankung hinweisen können, eine Tumorsuche evaluiert werden.
● Akuttherapie: Eine intravenöse Thrombolyse bei Patienten mit aktiver Krebserkrankung ist grundsätzlich möglich, die Datenlage hierzu ist jedoch uneinheitlich, bei bestimmten Neoplasien (gastrointestinale Neoplasien, Hirntumoren) ist besondere Vorsicht geboten.
● Sekundärprophylaxe: Es gibt keine spezifischen Empfehlungen bezüglich der Sekundärprophylaxe bei Patienten mit krebsassoziiertem Schlaganfall. Es sollten zugrundeliegende (klassische) Schlaganfallätiologien gesucht und berücksichtigt werden.
darstellen (2, 30), wurde im Rahmen einer retrospektiven Analyse kein erhöhtes Risiko für schlaganfall-assoziierte Infektionen wie Pneumonien oder Harnwegsinfekte bei Patienten mit versus ohne Krebs gefunden (36).
Sekundärprophylaxe für Patienten nach akutem ischämischen Schlaganfall und Krebs Es gibt keine ausreichenden prospektiven Studiendaten und keinen Konsensus darüber, welche Sekundärprophylaxe für Patienten mit einem krebsassoziierten akuten Schlaganfall zu wählen ist. Die Hypothese einer tumorassoziierten Hyperkoagulabilität, laborchemisch häufig assoziiert mit erhöhten D-Dimeren, und den damit in Verbindung gebrachten ischämischen Läsionen in mehreren Gefässterritorien bei Patienten mit krebsassoziiertem Schlaganfall lässt an eine Antikoagulation denken. Die OASIS-Cancer-Studie analysierte in diesem Kontext die Rolle von D-Dimeren vor und nach Beginn einer Antikoagulation im Hinblick auf die Mortalität. Eine Reduktion von D-Dimeren nach Antikoagulation auf < 3 µg/ml (erreicht bei 19 von 113 Patienten mit krebsassoziiertem Schlaganfall) war mit einem besseren Überleben assoziiert (39). In der prospektiven NAVIGATEESUS-Studie wurden 7213 Patienten mit ESUS für die Sekundärprophylaxe randomisiert zu Rivaroxaban versus Acteylsalicyläure (ASS). In einer Subgruppenanalyse der Patienten mit Krebs (543 Patienten, 7,5%), war das Risiko für einen zukünftigen Schlaganfall nicht signifikant unterschiedlich zwischen den Behandlungsgruppen, ebenso wenig die jährliche Rate an relevanten Blutungskomplikationen (major bleeding). Es zeigte sich jedoch ein nicht signifikanter Trend zu mehr Blutungen unter Rivaroxaban (38).
Zusammenfassend fehlen zum aktuellen Zeitpunkt Daten, die den Einsatz von Antikoagulation anstelle von Thrombozytenaggregationshemmung bei Fehlen einer etablierten Indikation für eine Antikoagulation für die Sekundärprophylaxe bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall und Krebs rechtfertigen (37). Weitere prospektive Studien sind nötig, um die schlechte Prognose von Patienten mit krebsassoziierten Schlaganfall zu verbessern.
Fazit
Trotz Fortschritten im Verständnis von Pathophysiolo-
gien und Charakteristika eines akuten ischämischen
Schlaganfalls im Kontext einer aktiven Krebserkrankung
bleiben viele offene Fragen zur Diagnostik und thera-
peutischen Management dieser Patienten im klinischen
Alltag. Eine okkulte Krebserkrankung kann bei Patienten
mit unbekannter Schlaganfallursache und weiteren Risi-
kofaktoren in Betracht gezogen und gegebenfalls im
Sinn eines individualisierten Vorgehens eine Tumorsu-
che initiiert werden, auch wenn bisher prospektiv vali-
dierte Daten für ein systematisches Screening und gut
validierte Biomarker bzw. Scores dafür fehlen. Zukünf-
tige prospektive Studien sind nötig, um die Patienten
mit einem Risiko für eine okkulte Krebserkrankung zu
identifzieren, um Pathophysiologien der tumorassoziier-
ten Hyperkoagulabilität besser zu verstehen und um die
schlechte Prognose der Patienten mit krebsassoziiertem
Schlaganfall zu verbessern.
l
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Katharina Seystahl
Luzerner Kantonsspital Neurozentrum Spitalstrasse 6000 Luzern 16
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2/2024
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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